Читать книгу Vollgasfußball - Martin Rafelt - Страница 15
„Nachsetzen!“
ОглавлениеDas beste Beispiel für die Wirkung dieser verbesserten Konzeptionalisierung ist das überaus starke Gegenpressing der Dortmunder Borussia. Gegenpressing ist mittlerweile im deutschsprachigen Raum wie ein Schlagwort für guten Fußball, doch das war nicht immer so. Holzschnittartig ausgedrückt: Vor zwei, drei Jahren musste man noch regelmäßig erklären, dass es sich dabei um die Ballrückeroberung handelt; mit Betonung auf „rück“, also direkt nach Ballverlust, anders als das „normale“ Pressing gegen den gegnerischen Spielaufbau. Vor fünf Jahren musste man nicht nur diesen Unterschied erklären, sondern die Idee an sich. Und vor zehn Jahren hat kein Mensch von Gegenpressing geredet.
Spannend daran ist, dass Gegenpressing an sich nicht neu ist. Man kann sich ein beliebiges Fußballspiel aus einer beliebigen Ära anschauen und wird mit großer Wahrscheinlichkeit einzelne Spielszenen finden, in denen eine Mannschaft den Ball verliert und ihn sofort zurückholen kann. Wenn man direkt Zugriff auf den Ball hat, geht man intuitiv gleich wieder drauf. Jupp Heynckes legte schon in den 1980er Jahren großen Wert auf diesen Aspekt bei seinen Mannschaften. Speziell im deutschen Fußball ist das „Nachsetzen!“ bis in die tiefsten Niederungen eine der am meisten eingeforderten Tugenden. Nachsetzen bezeichnet im Grunde Gegenpressing, nichts anderes. Aber nie in der Fußballgeschichte hat eine Mannschaft so gut „nachgesetzt“, wie Klopps BVB „gegengepresst“ hat.
Schnippisch könnte man sagen, das habe einfach daran gelegen, dass die Väter der Kinder an den Ascheplätzen der Republik immer nur einzelne Spieler zum Nachsetzen auffordern und nicht die ganze Mannschaft. Der Unterschied ist nämlich vor allem dieser: Bei Klopp ist Gegenpressing eine Mannschaftsstrategie, kein spontanes, individuelles Verhalten. Wenn man einer Gruppe unterschiedlich ausgebildeter Menschen eine neue Strategie vermitteln will, hilft es gleichzeitig ganz enorm, wenn diese einen Namen hat. „Nachsetzen“ ist die Bezeichnung eines Verhaltens, nicht die Bezeichnung einer Strategie. „Gegenpressing“ hingegen klingt nach einer Idee, nach etwas Neuem, Durchdachten. Das ist fancy. Damit kann man Autos verkaufen.