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Exkurs Konzeptfußball: Explizite Bewusstheit
ОглавлениеNeben Jürgen Klopp kam in den Jahren nach dem deutschen „Sommermärchen“ eine Reihe weiterer junger und taktisch ambitionierter Trainer in das Bundesliga-Oberhaus. Ralf Rangnick, Thomas Tuchel, Christian Streich und andere wurden schon bald unter dem Stempel der „Konzepttrainer“ zusammengefasst. Dieser Begriff wurde häufig kritisiert; schließlich habe auch ein Trainer der alten Riege ein Konzept. Doch das Wort beinhaltet mindestens eine Wahrheit: Die jungen Trainer legten mehr Wert darauf, ihre Ideen vom Fußball zu konzeptionalisieren. Und sie taten das zielgerichtet, strukturiert und auf eine neue Art und Weise.
Der Fußball gilt als einfache Sportart, weil er intuitiv ist. Jeder Zuschauer erkennt ein gutes Dribbling oder einen tödlichen Pass. Aus dieser intuitiven Natur hat sich ergeben, dass die Sprache des Fußballs nicht wissenschaftlich oder handwerklich strukturiert ist, sondern ein historisch gewachsenes Sammelsurium von bildlichen Schlagwörtern. Diese sind oftmals emotional gebunden. Der „tödliche Pass“ war eine emotionalere Bezeichnung als der „Vertikalpass“ oder der „Schnittstellenpass“. Ebenso ist „Druck machen“ intuitiver als „Pressing spielen“. Es ist jedoch auch ungenauer: Wenn ich Druck machen will, kann das nicht nur bedeuten, dass ich den gegnerischen Spielaufbau intelligent störe. Es kann auch heißen, viel zu schießen oder riskant aufzurücken. Außerdem lässt sich nicht ablesen, wie genau die Umsetzung erfolgen soll. Im Pressing wird gerne zwischen Angriffs-, Mittelfeld- und Abwehrpressing unterschieden; je nach der Zone, in der man den Ball gewinnen will. In der klassischen Fußballsprache wird im Grunde nur zwischen „tief stehen“ und „Druck machen“ unterschieden, in verschiedenen emotionalen Bezeichnungen; kein Wunder also, dass es Mittelfeldpressing früher kaum gab. Passenderweise ist Mittelfeldpressing eine sehr rationale und ausgewogene Form der Balleroberung – die Form übrigens, die auch von Klopp präferiert wird.
Die Sprache formt das Denken. Um also Spieler mit besserem Denken auszustatten, muss man eine bessere Sprache anwenden. Die weniger intuitive, aber konkretere Sprache von Klopp und Co. führt dazu, dass auch die Spieler expliziter und definierter über die Geschehnisse auf dem Feld nachdenken. So bekommen sie ein stärkeres Bewusstsein dafür, ob man sich im Spielaufbau oder im Umschaltspiel befindet, und passen ihren Rhythmus dementsprechend besser an, sprich: Wenn ich genau weiß, „jetzt ist ein Umschaltmoment“, dann werde ich auch entschlossener umschalten. Wenn ich weiß, wir spielen als Team ein „Mittelfeldpressing“, werde ich mich an diesem Pressing auch beteiligen, wenn ich nicht in direkter Ballnähe bin, denn ich weiß um meine Aufgaben innerhalb dieser Strategie; das Gleiche wird mir vielleicht nicht notwendig erscheinen, wenn nur gesagt wird, dass wir im Mittelfeld die Zweikämpfe gewinnen wollen. Wenn ich weiß, ich soll das Spiel „vertikal eröffnen“, werde ich häufiger den Blick nach vorne richten und mehr über meine Passentscheidungen reflektieren.
Vorgaben zur Spielweise sorgen auch dafür, dass man das eigene Verhalten besser vergleichen und einordnen kann. Da damit gleichzeitig Spielziele formuliert werden, kann ich am Ende eine bessere Problemanalyse durchführen. Ich kann überprüfen, ob die taktischen Ziele erreicht wurden – und wenn nicht, habe ich klare Gründe für eine Niederlage und eine klare Vorgabe, woran ich arbeiten muss. Diffuse, intuitive Vorgaben lassen sich schwer überprüfen und schwer erarbeiten. Wann ist „schneller spielen“ schnell genug, und was muss ich konkret dafür tun? Schwer zu sagen.