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1.8.1 Literatur

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Die aktuelle Forschungslage zu Geschichte und Mythos des Rütlis präsentiert sich als recht günstig. Aus der lokal verwurzelten Historiografie-Tradition heraus entstanden 1998 die Texte für das Rütli-Memo, die 1998 eingeweihte Ausstellung in situ.[96] Josef Wiget, der ehemalige Staatsarchivar von Schwyz, stellte darin, wie schon in seiner Rütli-Broschüre von 1986, den quellenmässig belegbaren Ereignissen die Mythengeschichte an die Seite. Letztere entfaltet er, indem er den langfristig wirkenden Gebrauchscharakter des Mythos betont, dessen Einzigartigkeit hinterfragt und die oft angeführte Zielorientiertheit des Ursprungs und der nachfolgenden Entwicklung in Frage stellt. Die Urner Kantonsgeschichte von Hans Stadler-Planzer enthält ebenfalls ein Kapitel zur «Befreiungsgeschichte», die neben dem Rütli vor allem auf die Tellgeschichte fokussiert.[97] Mit dem gleichen Kanton verbunden war auch die Kunsthistorikerin Helmi Gasser, die bereits 1986 die bau- und kunstgeschichtlich bis heute massgebliche Beschreibung des Erinnerungsortes vorlegte.[98]

Die Aufführung von Schillers «Wilhelm Tell» auf der Rütliwiese im Jahr 2004 aktivierte die Rütli-Forschung gleich zweifach. Denn in diesem Zusammenhang veröffentlichten Kreis und Barbara Piatti ihre Monographien.[99] Während Piatti die Entstehung und Wirkungsgeschichte von Schillers Theaterstück «Wilhelm Tell» nachzeichnet, unternimmt es Kreis – mit wesentlichen Beiträgen von Wiget –, Entstehung, Tradierung und Weiterentwicklung von Denkmal und Mythos auszuleuchten und dabei die politische Inanspruchnahme und Instrumentalisierung aufzuzeigen. Seine Arbeit stellt er explizit in die Reihe der kulturgeschichtlichen Studien der «Lieux-de-mémoire»-Forschung.[100] Kreis interpretiert diese Orte eher als Produkte intuitiven Ursprungs denn als Resultate bewusst gemeinschaftsbildender Absichten – ganz im Sinne der «imagologischen Bastelei» nach Marchal.[101] Kreis wie Marchal distanzieren sich von der dominierenden Definitionsmacht des geschichtswissenschaftlichen Diskurses, wo normativ-hermeneutisch Denkmäler registriert und analysiert werden – und man dabei Gefahr läuft, die national-patriotischen Ideen des 19. Jahrhunderts weiterzuführen anstatt nach alltagsgeschichtlichen Realitäten zu fragen.[102]

Letzteres unternimmt Kreis in der Folge und beschreibt aus mentalitäts- und kulturgeschichtlicher Perspektive den Gebrauch und die Bedeutung des Rütlis von den Anfängen bis in die Gegenwart. Dazu wertet er archivalisches Text- und Bildmaterials aus. Sowohl die konstruierten Bilder, die in das kollektive Bildgedächtnis aufgenommen wurden, als auch den alltäglichen, kollektiven Gebrauch teilt er in drei Dimensionen ein, in eine politische, sakrale und militärische.[103] Kreis legt anhand einer Sammlung von bildlichen Darstellungen dar, dass das Schwören – die metaphysische Verankerung des Staates – und das Rütli zu einer so starken Einheit verschmolzen, dass sich der Rütlischwur vom restlichen Teil der Gründungs- und Befreiungsgeschichte abtrennte und zu einer selbstständigen Bildchiffre geworden ist.[104] Dieses Bild stellt den ursprünglichen Kristallisationspunkt und Referenzpunkt der darauffolgenden Schweizer Geschichte dar.

2009 legte Roger Sablonier eine quellenkritische Interpretation des Bundesbriefs vor, indem er den Bundesbrief (und damit den vermeintlichen Rütlischwur) im Innerschweizer kultur- und sozialgeschichtlichen Kontext des 12. und 13. Jahrhunderts verortet.[105] Mit mediävistischer Sorgfalt differenziert er die in den 70er-Jahren von Marchi[106] eingeleitete Dekonstruktion des Mythos und weist den Bundesbrief als im 13. Jahrhundert gängigen Versuch aus, den Landfrieden zu sichern – konspirative, adelsfeindliche oder staatsbildende Facetten lassen sich darin nicht finden.

Historiografisch dicht bearbeitet ist auch Guisans Rütli-Rapport von 1940. Auf die kritische Würdigung Guisans im vierten und fünften Band von Edgar Bonjours monumentaler Geschichte der schweizerischen Neutralität von 1970 folgte das bis heute gültige Grundlagenwerk, die umfangreiche Guisan-Biografie von Gautschi aus dem Jahr 1989, die dem Rapport ein längeres Kapitel widmet.[107] Spätestens der Bergier-Bericht von 2002 dekonstruierte den Réduit-Mythos, weil er das komplexe Beziehungsgeflecht von Wirtschaft und Politik zwischen der Schweiz und den Achsenmächten aufzeigte.[108] In jüngster Zeit erschienen zwei weitere, kürzere Biografien, denen eine grundsätzlich apologetische Haltung eigen ist. Das gilt sowohl für die auf das 75-Jahr-Jubiläum des Rapports hin erschienene Publikation der emeritierten Rechtsprofessorin und Altnationalrätin Suzette Sandoz und des Historikers Pierre Streit als auch für den Beitrag von Markus Somm.[109] Dieser zeichnet zwar ein durchaus kritisches Bild des Generals, verklärt aber dessen Rolle sowie die Wirkung des Rapports, ohne sie wirklich zu untersuchen.

Das Rütli - ein Denkmal für eine Nation?

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