Читать книгу Brief an Marianne - Martin Winterle - Страница 11
Verheiratet!
ОглавлениеZwei Minuten vor neun, Eva war gleich schlau wie gestern, als sie mit Benjamin im Arm weggeschlafen war.
Um neun wollte Marianne bei ihr sein. Eva zweifelte keine Sekunde daran, dass sie nicht pünktlich eintrudeln würde. Ein Blick aus dem Fenster bestätigte, Marianne quetschte gerade ihr Auto zwischen den alten Rosenbusch und ihrem Mini.
Alibihalber schlug die altmodische, dumpfe Hausglocke an. Marianne wusste, dass die Haustüre tagsüber offen war. Wollte sich nur ankündigen. Immer zwei, der ausgetretenen, hölzernen, knarrenden Stufen auf einmal nehmend, schwebte sie in den zweiten Stock hinauf. Eva´s Wohnungstüre verschloss lediglich eine abgegriffene, antike Messingklinke.
Schwubs stand sie mitten in der Küche, eine Tüte frischer, verlockend duftender Croissants unterm Arm.
Sie hatte vorhin mit Horst telefoniert. Ihn noch einmal daran erinnert, dass sie heute den ganzen Tag bei Eva sei, auch über Nacht blieb. Am Abend entfiel deshalb ihr Mail. Als Ersatz durfte er sich auf ein SMS freuen. Sie wünschte sich auch von ihm eines, ein ganz besonderes. Solle seiner Phantasie freien Lauf lassen…
Sie strahlte von innen heraus, knuddelte Eva, lange und innig. Eva drückte sie auch, besonders herzlich. In ihrem Inneren, tobte ein gewaltiger Aufruhr. Eva musste sich zusammenreißen, um nicht aus Mitleid, gleich einem witternden Leitwolf, loszuheulen.
Wenigstens das Frühstück wollte Eva entspannt genießen. Ihre Treffen zum brunchen, gestalteten die beiden Freundinnen immer wie eine kleine, intime Feier.
Was gab´s denn heute zu feiern?
In Eva´s Augen leider gar nichts, ganz im Gegenteil.
War eine Trauerfeier auch eine Feier?
Mariannes Abschied von der Illusion einer großen, ihr alleine gehörenden Liebe!
Eva war es gerade geschossen.
Ihre italienische Espressomaschine pfiff auf der heißen Herdplatte, duftete verführerisch.
Sie drapierte inzwischen Müsli(für sich…), Butter, Marmelade, Pfirsich- und Orangenjuice, Waldblütenhonig, frischen Leichtkäse und Bioschinken, wahllos auf dem viereckigen, abgebeizten, ehemaligen Stubentisch. Krampfhaft überlegend, über welches unverfängliche Thema sie sich unterhalten könnten.
Marianne plauderte beschwingt drauflos:
>Ich find´s eh toll, dass der Horst sich an den Wochenenden so viel um seinen Sohn kümmert. Jeden Sonntag seine Mutter besucht, weil sie ja sonst niemanden hat. Horst hat ja keine Geschwister. Nur ich möchte auch gerne einmal mit ihm einen Samstagnachmittag oder Sonntagabend verbringen. Natürlich habe ich Verständnis dafür, dass derzeit Hochsaison in seiner Branche herrscht, er viele Angebote ausarbeiten muss. Das geht am besten am Wochenende, weil ihn da kein Telefon stört. Hat er mir ja genauestens geschildert. Ich werde ihn trotzdem am Mittwoch fragen, ob ich nicht Sonntagabend etwas Feines für uns kochen könne. Am Sonntagabend fühle ich mich immer so alleine, diese Stunden sind furchtbar, ich bin dann richtig depressiv. <
Wie eine alte Jungfer, hatte sie mehr ernst, wie spaßhalber hinzugefügt.
Ja, wenn sie Eva nicht hätte, mit ihr jeden Sonntagabend, lang und ausgiebig telefonierte, käme die Decke bedrohlich weit herunter. Ihr Sohn war abends kaum zuhause, wenn doch, verzog er sich in sein Zimmer.
Seit sie Horst kannte, war nicht selten ein seitenlanges Mail von ihr zu ihm gewandert. Seine Antworten waren immer innig und liebevoll, leider meist sehr kurz ausgefallen. Sinnierte Marianne halblaut vor sich hin, während sie ein Brötchen in zwei Hälften teilte.
>Mädel ich habe einen Superschinken, mit Pinienkernen in der Markthalle entdeckt, garantiert bio, bitte nimm dir. Die Milch habe ich angewärmt. Magst ein Glas extra trinken, oder machst dir lieber gleich deinen hellen Kaffee? <
Eva hatte ihre Antwort so locker als möglich herausgelassen. Auf Mariannes Beziehungsthema wollte sie noch nicht eingehen. Diese ließ nicht locker, setzte nach:
>Eva was meinst du, soll ich ihn fragen, ob er den kommenden Sonntagabend nicht Zeit für mich und ein romantisches Dinner for two hätte? <
>Natürlich kannst du´s vorschlagen, finde ich eine gute Idee. Wenn du mich fragst, würde ich es nicht für das kommende Wochenende schon anbieten. Spar dir´s auf. Vielleicht lädt er ja dich ein, zum Essen gehen, meine ich. <
Argumentierte Eva halb vorsichtig, halb bewusst locker.
So ein Mist, sie musste dieses Thema schleunigst loswerden, sonst rutscht ihr noch zu früh, die Wahrheit heraus. Eva hatte bereits vor dem ausführlichen Telefonat mit Peter geahnt, Horst ist nicht das Gelbe vom Ei. Sie hatte ein Gespür für Männer, ganz im Gegenteil zu ihrem Mädel, leider.
Eva´s Gehirn arbeitete auf Hochtouren, während sie sich ihr Müsli mit Joghurt und Waldbeeren zu Gemüte führte. Vermied es, Marianne direkt anzuschauen, setzte auf Zeitgewinn.
So sehr sie sich auch anstrengte, ihr Gehirn zermarterte, ihr fiel kein aktuelles, neutrales Thema mehr ein. Blieb nur die Flucht nach vorne.
>Wie ich dich kenne, wirst du dich gleich auf die Fenster stürzen wollen. Haben´s diesmal wirklich notwendig. Aber fall´ mir ja nicht raus. Ich krieg´ immer panikartige Schwindelanfälle, wenn ich dir bei deinen akrobatischen Fensterputzaktionen zusehe. <
Eva´s Versuch, das Gespräch auf eine andere Schiene zu bringen. Es gelang, zu ihrer großen Erleichterung tatsächlich.
Sie wollte mit Toilette und Badezimmer beginnen.
Erst füllte sie nochmal aromatischen Muntermacher in die Tassen. Eva öffnete das Küchenfenster, suchte ihre Raucherutensilien zusammen. Marianne fand den Fensterputzvorschlag ok. Würde mit dem Schlafzimmer beginnen. Eva war nicht schwindelfrei und vermied es, im gleichen Zimmer zu sein, wenn ihre Freundin sich auf das Fensterbrett schwang. Mit ihrem Wischtuch, auch die letzten Ecken der hohen Scheiben wusch. Der Frühstückstisch wurde nicht abgeräumt. Machte Eva nie gleich nach dem Essen. Sollte noch wer auf irgendetwas einen Gusto haben. Das gehörte zu ihrem unkonventionellen Lebensstil…
Im Abstellraum teilten die beiden die benötigten Reinigungsmittel und Werkzeuge unter sich auf.
Alle Zaubermittel für blitzblankes Glas gingen an Marianne, die Helferlein für klinisch reine Keramik und hygienisch einwandfreie Sanitäre, wanderten in Eva´s Kübel. Damit hatte Eva etwas sehr Wertvolles gewonnen, nämlich Zeit. Während sie die Gläser ihrer Duschwände auf tropfenfreie Durchsichtigkeit polierte, kreisten ihre Gedanken, zum x-ten Mal, um das Thema - verheirateter Horst.
Obwohl in ihrer Lebensphilosophie der Begriff Sentimentalität fast gänzlich fehlte, sie zu Romantik keinen Hang verspürte, sie kam mit ihren Gedanken nicht klar.
Nur rationell die Fakten aufzublättern, die nackten Tatsachen, Marianne klipp und klar auf den Tisch knallen?
Das brachte Eva erstens nicht übers Herz, zweitens wäre Marianne damit nicht geholfen. Die Arme dann nur noch geschockter. Eva überlegte alle möglichen Varianten von Einleitungen, Lösungen, Erklärungen.
Hatte zwischenzeitlich ihre feuchten Räumlichkeiten auf Hochglanz poliert.
Kater Benjamin anfangs seelenruhig seinem Frauchen beim Fliesen waschen zugesehen. Trollte sich aber rasch, als diese mit WC-Reiniger seine feine Nase überstrapazierte. Da roch es im Wohnzimmer, wohin Marianne zwischenzeitlich ihren Arbeitsplatz verlegt hatte, um einiges angenehmer…
Eva fand, sie könnte eine Belohnungszigarette genießen. Brauchte sie nicht eher Beruhigungsmittel zur Dämpfung, ihrer stetig steigenden, inneren Unruhe?
Marianne lehnte mit ihrem ganzen Oberkörper aus dem Fenster als Eva die Küchentüre öffnete. Für sie der blanke Horror. Machte schweigend kehrt, startete den nächsten Versuch einige Minuten später. Glück gehabt, Marianne stand mit beiden Beinen am Küchenboden, meinte lachend:
>Wenn ich fliegen will, dann sicher nicht aus deinem Fenster. Höhenflüge mit weicher Landung in seinen Armen, das ist das wahre Leben, Eva, glaub mir! <
Gemeinsam ging eine Antistaubaktion über die Bühne, sämtliche Böden wurden anschließend gesaugt und gewienert.
Für Unterhaltung war Eva im Alleingang zuständig gewesen.
Zum Thema Frühjahresmode, was ankam und was die signalroten Kleiderbügel, trotz reißerischer Sonderangebote, selbst zu Dumpingpreisen nicht verlassen würde, weil schlicht nicht tragbar. Erzählte von Conny, einem ihrer Lehrmädchen, das diese im dritten Monat schwanger, von ihrem Freund stehen gelassen wurde. Philosophierte lang und breit zum Thema Umsatz. Das trotz bester Verkaufszahlen, eine Ganztagsverkäuferin eingespart werden würde. Auch an der Kasse solle eine Halbtagskraft die Stelle einer Vollzeitbeschäftigten ersetzen, usw. Irgendwann fiel der guten Eva auch nichts mehr zu ihrem beruflichen Alltag ein. Einige Minuten herrschte schweigsames Staubsaugerkabel einrollen, Putzutensilien verräumen.
>Mädel vielen lieben Dank. Ohne dich hätte ich mir diese Plackerei erst gar nicht angefangen. Hinter meinen halbblinden Fenstern weiter wie ein Maulwurf im Halbdunkel gehaust. Bist echt ein Goldschatz! <
Bedankte sich Eva mit einer Umarmung bei Marianne. Da es zum Pasta kochen noch viel zu früh war, schlug Eva vor, mit einem kühlen Getränk, einen Stock höher hinauf, ins Turmzimmer zum Quatschen zu steigen.
Der sonnendurchflutete, mit nach oben hin abgerundeten Glasfenstern gebaute Raum, strahlte auf Marianne immer ein Gefühl von Weite und Freiheit aus. In jeder der vier Ecken standen Bücherregale. Dunkel gebeiztes, verschnörkeltes Holz, bis an die Decke angefüllt mit alten Wälzern. Neben einem kleinen Lesetisch, einem passenden uralten Ohrensessel aus abgegriffenen, cognacfarbigen Leder, hatte Eva´s ehemalige Ausziehcouch hier ihren Alterswohnsitz gefunden. Eine altertümliche Stehlampe mit Blumenschirm aus verschiedenfärbigen Gläsern, komplettierte das Mobiliar. Jede Menge bunter Polster und Decken hatte Eva zu einer kunstvollen Collage, auf ihrem Jogaplatz verstreut.
Verträumt drehte Marianne ihr Limonadenglas zwischen ihren Fingern, meinte nachdenklich, zögernd:
>Mittwochnachmittag geht sich immer aus, für Horst und mich, weißt du. Ich freue mich die ganze Woche auf diese, unsere Stunden, ja ich glaube fast, ich lebe nur für diese Momente. Mein Herr Sohn ist bis sechs Uhr in der HTL, geht anschließend Handball. Seinen Handballverein würde er auch halbkrank nicht ausfallen lassen. Das ist fix. Nur, mir ist dieser eine Nachmittag in der Woche zu wenig. Freilich, wir telefonieren täglich oder schreiben uns. Warum können wir uns nicht zusätzlich manchmal auswärts treffen? Abends einfach so, auf einen Spaziergang, wie andere Paare es ja auch tun? Klar, er wohnt im Unterland, wenn er dienstlich dort zu tun hat, verstehe ich schon, wenn er nach dem letzten Kundentermin nicht noch herauf fahren will. Oft hat er aber in der Nähe zu tun. Mindestens drei Mal die Woche, fährt er auf der Heimfahrt, direkt bei mir vorbei. Müsste nur von der Autobahn runter. Wenn es nur für ein paar Minuten wäre… <
Marianne hatte sich einen Polster ins Kreuz geklemmt, ihre Beine angezogen, sich in die Couchecke gekuschelt.
Nun war das Thema also unwiderruflich auf dem Tisch.
Eva versuchte, so cool und logisch, als möglich zu bleiben, meinte gespielt ruhig:
>Ihr kennt euch jetzt erst ein paar Wochen. Vielleicht muss er sich erst über seine Gefühle zu dir im Klaren sein. Natürlich sagt er, dass er dich liebt. Logisch, dass er dich am liebsten mit Haut und Haaren fressen würde, verstehe ich vollkommen. Aber Gefühle sind die eine Sache, das Leben die andere. Hast du dich zwischenzeitlich eigentlich schon über seine Lebenssituation schlau gemacht? Lebt er alleine? <
Eva hatte mit dieser Frage hoch gepokert, musste unbedingt Mariannes aktuellen Wissensstand erfahren. Nein, Marianne wollte Horst zwar längst fragen, traute sich aber nicht. Aus ihrer zögerlichen Antwort folgerte Eva, dass sie möglicherweise etwas ahnte, ja befürchtete, gleichzeitig Angst vor der Wahrheit hatte, ganz massive Befürchtungen hegte. Ihren Traum, ihre Illusion nicht wie eine Seifenblase platzen sehen wollte.
Die Wahrheit über Mariannes neue Liebe, Eva durfte sie nicht mehr länger für sich behalten. Unruhig rutschte sie zwischen ihren beiden Kuschelpolstern hin und her, leerte ihren Pfirsichjuice in einem Schluck, gab sich einen Ruck, begann zu erzählen…
>Marianne, ich habe dir letztes Jahr, nach der Weinkost in der Messe, doch von der enormen Parkgaragenrechnung erzählt. Vom One-Nigth-Stand mit dem Typ, diesem smarten Peter. Du erinnerst dich sicher daran. <
Als Marianne, mit angespanntem Gesichtsausdruck nickte, fuhr sie fort:
>Ja, und wie ich gestern deinen Horst gegoogelt habe, bin ich auf seinen Arbeitgeber gestoßen. Übrigens die einzige Internet Infoquelle, die ich gefunden habe, Rest ist Schweigen. Da habe ich mir die anderen Außendienstler natürlich auch angeschaut. Und was glaubst du, habe ich gefunden? Genau, meine damalige Eroberung. Hab´ ihn auch gleich angerufen und ausgequetscht. Was ich erfahren habe, wird dich jetzt nicht in Jubelstimmung versetzen, Mädel. Aber es ist sicher das Beste für Dich, wenn ich dich über deine Eroberung in Kenntnis setze, bevor du es von woanders erfährst. <
Eva hatte in zwar offenen, aber auch ernstem Tonfall gesprochen, Marianne dabei geradewegs in die Augen gesehen. Deren Lippen waren schmal geworden, sie ahnte was kommen würde. Und es kam auch, noch um einiges schlimmer, als sie es geahnt, befürchtet hatte.
Eva erzählte, Wort für Wort, was ihr Peter über diesen Horst berichtet hatte. Bei – verheiratet- war Marianne kurz zusammen gezuckt. Bei den zwei kleinen Buben, war ihre mühsam, aufrecht erhaltene Fassung zu Ende.
>Das kann gar nicht sein, es ist unmöglich! Horst liebt mich…ganz ehrlich…er liebt nur mich…hat es mir geschworen! Das muss alles ein blöder Irrtum sein! Es gibt viele Männer die Horst heißen. Mein Horst ist nicht so. Er hätte es mir gesagt, ganz sicher sogar. Er würde mich nie so enttäuschen, so hintergehen. Ich liebe ihn…liebe ihn mehr…als alles andere! <
Die Tränen, die sie zurückhalten wollte, rannen ihr nun umso mehr über die Wangen, sie schluchzte herzzerreißend, zitterte am ganzen Körper. Ihr Gesichtsausdruck wechselte von fassungslos unverständlich zu hilflos, komplett verstört. Eva war rasch aufgestanden, hatte sie in den Arm genommen, ihr Gesicht an ihre Brust gedreht. Da erst löste sich die ganze Wucht der aufgestauten Enttäuschung. Eva schwieg, summte diesmal keine indische Gurumelodie, war ganz ruhig. Einfach nur da, für ihre beste Freundin da. Die Arme stammelte unzusammenhängende Silben, halbe und ganze Wörter. Sie hielt sich an Eva´s Oberarm fest, wie eine Ertrinkende. Es dauerte lange, bis sie ruhiger wurde, ihren Kopf von Eva´s Hals löste und sich aufrecht hinsetzte. Eine lange Minute sah sie einfach nur gerade aus, wie wenn sie im Turmzimmer etwas fixieren wollte. Irgendwo Halt für ihren fassungslosen Blick suchte.
Die Papiertaschentücher waren alle, lagen als nasse Knäuel, verstreut am Boden. Eva spurtete einen Stock tiefer um eine Hunderterpackung zu holen. Ihr Laptop wanderte ebenfalls einen Stock höher.
>Bitte beruhige dich Mädel, schau es tut weh, das weiß ich doch. Aber wir reden ja darüber, ich bin ja da. Komm ich zeig dir, wie ich den Peter gefunden habe. <
Eva öffnete Internet und Mailprogramm. Peter hatte ihr gestern bereits zurück geschrieben, hoffte dass er mit seinen Infos hilfreich sein konnte und – riet der unbekannten Freundin Marianne, so schnell als möglich die Hände von seinem Tiroler Kollegen zu lassen. Im nächsten Monat wäre er Teilnehmer bei einem Sommelier Meeting in einem Kitzbüheler Gourmettempel, wäre übers Wochenende im Lande und fragte Eva, ob sie nicht Lust auf ein Treffen hätte.
Marianne hatte das Mail mitgelesen, angelte sich wortlos ein neues Papiertaschentuch, schnäuzte sich gründlich. Sie stand auf, ging ins Badezimmer hinunter, wollte sich die roten Augen auswaschen, wieder wie ein normaler Mensch aussehen. Als sie wenige Minuten später die Treppe herauf kam, wirkte sie gefasster, zwar tief traurig, aber doch bereits um einiges ruhiger.
Eva drehte den Laptop auf ihren Knien so weit, dass Marianne bequem mitschauen konnte. Sie hatte die Webseite der Firma H.Hermann & Partner geöffnet. Bei Horsts Bild wurde Marianne um ihren Mund herum um eine Nuance blasser. Den Peter kannte sie ja nicht, aus diesem Grund ließ Eva dessen Foto etwas länger stehen, damit Marianne sich ein besseres Bild, von seinen Schilderungen machen konnte. Peters Konterfei strahlte die notwendige Glaubwürdigkeit aus. Eine Zeitlang schwiegen beide. Eva hatte den Laptop geschlossen, neben ihr auf den Boden gestellt…
>In drei Wochen hast du deinen Runden, ich wollte es dir eigentlich noch nicht verraten, aber es hat sich heute etwas ganz massiv in deinem Leben geändert, darum sage ich es dir jetzt gleich. Es ist mein Geschenk für dich. Ich freue mich irre auf diesen Trip mit dir. <
Eva versuchte ein Lächeln zustande zu bringen, streichelte Marianne über den Arm, sah sie aufmunternd an und sagte in bewusst aufgedrehtem Tonfall:
>Wir beide, du und ich fliegen am Freitagnachmittag nach Frankfurt, von dort nach Hamburg weiter. Abends gehen wir auf die Reeperbahn und lassen voll die Sau heraus. Am Samstag ziehen wir los, shoppen und bummeln ausgiebig. Um 14 Uhr ist große Hafenrundfahrt angesagt.
Und gehen am Abend…ich habe zwei Karten…für was denkst du… natürlich für den „König der Löwen“…mit anschließender open end Party! Sonntag schlafen wir uns erstmal gründlich aus. Brunchen bis Mittag und fliegen am späten Nachmittag dann wieder retour! Was sagst du nun? <
Eva hatte zu Mariannes Vierzigsten diese Events schon lange geplant. Über Internet mit Frühbucherbonus längst reserviert und bezahlt. Alle Punkte für dieses komplette, unvergleichliche Programm zusammen geschrieben, einen lückenlosen, abwechslungsreichen, spannenden Terminplan gebastelt.
Marianne lächelte, halb abwesend halb dankbar, fiel Eva um den Hals, war total gerührt und fing erneut an…haltlos zu weinen.
Eva war nicht bereit, thematisch sofort weiter in Richtung Horst zu denken, elendslang zu diskutieren.
Setzte alles daran, Marianne auf andere Gedanken, vor allem mit beiden Beinen auf den Boden der Tatsachen zu bringen, dort auch festhalten.
Resolut stand sie auf, nahm ihre Freundin bei beiden Händen.
Zog sie in die Höhe, knuddelte sie einmal kräftig.
>So, die Bionudeln warten auf deine Kochkünste, Sugo kocht sich ebenfalls nicht von selber und für einen exquisiten Salatmix findet sich alles im Kühlschrank. Komm ich hab langsam Hunger, du sicher auch. Geh ‘du schon voraus in die Küche, ich werd´ einen Sprung in den Keller machen, Paps hat so viele grüne, halb verstaubte Flaschen gebunkert, dass wir ihn heute um eine erleichtern werden. <
Eva zwang sich zu Tatendrang, ersetzte sinnloses Weitergrübeln durch Aktivitäten. Marianne ließ sich einfach mitreißen. Sie war Eva so dankbar, einfach dankbar dafür, dass sie in diesem Moment bei ihr war. Eva war einmalig in ihrer Art. Eine bessere Freundin gab es nicht, konnte es gar nicht geben. Sie hätte diese Nachrichten alleine niemals ertragen können, es war trotz Eva´s Anwesenheit, kaum zum Aushalten.
Die gemeinsamen Vorbereitungen für ein schmackhaftes, italienisches Spätnachmittags-Vorabendessen, lenkten sie wirklich von den gehörten Horrortatsachen ab. Mit jeder Minute die verging, wurde sie ruhiger, bekam mehr Abstand, sah klarer…
Wusch knackige Cocktailtomaten, frische Puntarelle, Chicoreé und Radicchio im Spülbecken, legte sie zum Abtropfen beiseite. Mischte Bärlauch Pesto mit Pinienkernen, rieb frischen roten Pfeffer und Meersalz, gab Himbeeressig und eine Winzigkeit Olivenöl dazu. Der Salat war ein Gedicht geworden. Eva hatte Mamas Rezept für die absolut ultimative Pasta Asciutta perfekt umgesetzt. Parmesan würden sie frisch auf die Pasta reiben, vorbereitet hatten sie ihn bereits. In der Küche duftete es identischer, als bei jedem Italiener. Die Internet-Bio-Spaghetti erwiesen sich als unterdurchschnittlich. Im Supermarkt hätte es, um erheblich weniger Geld, mit Sicherheit, die schmackhafteren gegeben.
Benjamin glaubte sich daran zu erinnern, dass Frauchen immer seine große, ja seine einzige Liebe war(wie konnte er je daran zweifeln…). Seinen Kopf durch den Spalt der angelehnten Küchentüre drückend, stand er, Schwanz hoch, mitten auf den schwarz/weißen, frisch eingelassenen Küchenfliesen, sah unschuldig wie ein Neugeborenes, zu Eva hoch. Natürlich bekam er dafür sein Schlüsselchen. Mehr Pasta Asciutta und weniger Trockenfutter, hatte er schon erwartet. Bei diesen verführerischen Düften auch erwarten dürfen. Nur, mit Selbstbedienung, durch einen eleganten Sprung auf den Küchentisch, hätte er auch nicht mehr erreicht. Eher eine unsanfte Landung auf dem Boden der Realität riskiert. So genoss er, was Eva ihm in seine Futterecke, unter dem Fenster hinstellte. Wenigstens bekam er frisches Wasser. Schmeckte garantiert besser, als diese rote Flüssigkeit, in den grünlich schimmernden Gläsern, mit denen die beiden Ladys gerade anstießen.
Eva und Marianne genossen ihre mediterrane Mahlzeit sichtlich. Letztere schien gefasst, wenigstens nach außen hin, ruhiger geworden zu sein. Zum italienischen Abschluss, gab es Mokka für zwei, eine Genusszigarette für Eva.
Marianne rauchte nicht, hatte nie geraucht.
>Mädel, weißt du, was wir nach dem Abwasch machen? Wir gehen den unteren Waldweg bis zur Brücke vor, steigen dann hinauf zum neuen Kloster, marschieren oberhalb vorbei, auf den Forstweg wieder zurück, was hältst du davon? Ich denke etwas Bewegung in der frischen Waldluft wird uns jetzt gut tun. Vielleicht nützt es was, wenn wir unser Gehirn etwas auslüften. <
Eva´s spontaner Vorschlag. Marianne war es recht, zustimmend nickte sie.
Eine halbe Stunde später waren sie los gezogen. Die ersten paar hundert Meter schweigend. Dann meinte Marianne, resignierend, mit zusammen gefallener Stimmung:
>Was um Gottes Willen soll ich jetzt machen? Ich liebe Horst und er liebt mich. Ich spüre das doch, ich täusche mich ja nicht, mit meinen Gefühlen. Es hat ganz klein angefangen und nahm immer mehr und mehr Raum in meinem Denken und Fühlen ein, bis es jetzt mein ganzes Ich beherrscht. Wie werde ich damit fertig? Ich sterbe so schon vor Sehnsucht nach ihm! <
Presste sie unter Tränen heraus.
Eva sagte nichts, dachte angestrengt über eine Lösung nach. Mit zu Boden gerichteten Blick, bei jedem Schritt ihre Schuhspitzen fixierend, ging sie neben Marianne her. Plötzlich blieb sie stehen, drehte sich ihrer Freundin zu, sah sie an:
>Leider bist du nicht ich, schade. Ich an deiner Stelle hätte in dieser Situation exakt zwei Möglichkeiten zur Auswahl. Einmal könnte ich sofort Schluss machen, würde ihm auch klipp und klar sagen warum. Die andere Möglichkeit wäre, mich mit der Situation abzufinden. Dann hätte ich einmal in der Woche Sex, Telefonate, Mails und SMS, das war´s. Allerdings würde ich mich in diesem Fall als frei und zu haben betrachten. Was ich sicher nicht täte, weiterhin Gefühle in diese Beziehung investieren. Auch alle Varianten von Zukunftschancen würde ich gleich begraben. Ja, sie nicht einmal in Erwägung ziehen. Was würde dich denn erwarten, er ist das zweite Mal verheiratet, hätte insgesamt drei Kinder, für die er zahlen müßte. Überleg bitte einmal, dem bleibt nur die Unterhose, sonst nichts…und die dürftest du dann waschen. <
Eva, mit etwas Abstand, leicht ironisch, dazu gefügt.
Sie lehnten nebeneinander aufgestützt auf ihre Unterarme am breiten, hölzernen Geländer der alten Brücke, blickten auf den Bach hinunter. Sahen ihm zu, wie er die Steine umspülend sich einen Weg suchte. Die Abenddämmerung zog unmerklich herauf, es wurde frisch. Beide hatten irgendwie das Gefühl, dass der kleine Bach mit seinem frischen Sprudeln, ihnen einen klaren Gedanken, eine Lösung für Mariannes in der Tat überdimensionales Problem, heraufspritzen könnte, sollte, müsste. Leider vergeblich…
Mariannes Handy läutete…es war Horst. Sollte sie abheben?
Sie war nicht in der Verfassung, ihn jetzt zu hören, ließ es läuten. Gleich anschließend kam ein SMS von ihm. Er denke gerade intensiv an sie, möchte jetzt nur bei ihr sein, sie mit seinen Händen spüren, sie streicheln, ihre Stimme hören, bat um einen Rückruf. Hilflos sah Marianne Eva an. Die gerade versiegten Tränen, rannen schon wieder.
>In einer halben, dreiviertel Stunde schreibst du zurück, dass du heute bei mir übernachtest, ich noch andere Leute eingeladen habe, du nicht reden kannst, sonst nichts. Das gibt dir bis morgen im Laufe des Tages Spielraum. Du pennst doch heute bei mir, das ist doch fix, oder? <
Eva´s Nachfrage.
>Ja herzlich gern, ich habe meine Toilettentasche und den Pyjama vorsorglich mitgenommen, liegt alles im Auto. Mir geht´s total schlecht im Moment. Wie soll ich mich entscheiden? Einmal reden muss ich noch mit Horst. Ihn fragen, warum er mir nicht gesagt hat, dass er verheiratet ist und zwei kleine Kinder zu versorgen hat. Es tut so weh, eine erträumte, rosarote Zukunft zu zweit, einfach in Fetzen zu zerreißen. Das ist so gemein, so furchtbar, so grausam. <
Marianne weinte so erbärmlich, dass sich ihr ganzer Körper krümmte und bebte. Eva legte ihre Arme um sie wie ein Krake, nahm ihr fast die Luft zum Atmen. Hielt sie an sich gepresst, wiegte sie ganz sacht hin und her. Versuchte leise eine alte indische Melodie zu summen. Nicht nur um Marianne zu beruhigen, ihr standen die Tränen auch Oberkante Unterlippe. So ein Mistbock, so ein elender…
>Kleines, nicht doch, beruhige dich bitte, schau die Welt geht nicht unter, ich bin ja bei dir. Wir kriegen das gemeinsam hin, ich verspreche es dir. Du bist nicht alleine. Ich stehe zu dir. Gehen wir heim, du frierst ja. <
Eva hatte ihre ärmellose Daunenweste ausgezogen, ihr über die Schultern gelegt.
>Schlüpf rein, die ist warm und dann komm. Wir haben nur gute zehn Minuten bis nach Hause, dann gibt es heißen Tee und ganz viel Süßes…und jede Menge Kuscheldecken…und ganz viele Polster…wir legen eine CD mit Entspannungsmusik auf…komm schon, mach! <
Eva war in die Rolle der Resoluten geschlüpft, die Marianne einfach mitzog, das wirkte. In Evas verstreutem Reich, machten sie es sich dann, zwischen Decken und ungezählten Pölstern genau so gemütlich, wie Eva vorher gesagt hatte. Die große Glaskanne, voll mit herrlich beruhigenden, exotischen Tee hielt ein Stövchen warm. Die Packungen mit Pralinen, gefüllten Keksen und in Schokolade getunkten Früchten, hatten sie zwischen sich gestellt. Ließen sich von der leisen Musik berieseln. Sanftes Licht von mehreren, wahllos im Raum verteilten Kerzen, davon eine exotisch duftende, beruhigte beide…
Gibt es für einen armen, kastrierten Kater auch ein Plätzchen zum kuscheln?
Benjamin hatte seinen unschuldigsten Katzenblick aufgesetzt, sah, mit schräg gehaltenem Kopf von Eva zu Marianne und wieder zurück. Eva zog ihn zwischen ihre Beine, schob ihm ein Polster unter. Er drehte sich sofort ein wie ein Kreisel, lag regungslos, mit halb geschlossenen Augen da. Philosophierte sicher, wie es wäre, wenn die halbleeren Schachteln anstatt mit diversen Süßigkeiten, mit Würsten, Ragouts, gebratenen Fischen angefüllt wären. Über diesen anstrengenden Überlegungen war er sanft entschlummert…
>Ach, den Horst hast du vergessen…er hat vor zwei Stunden geschrieben…schreib ihm zurück, dann ist es erledigt. <
Eva war´s gerade eingefallen. Damit hatte sie das entspannende Schweigen der letzten Stunde unterbrochen(Benjamin war darüber gar nicht amused…).
Marianne erschrak, stimmt, sie hatte sich vollkommen fallen lassen können. Eva freute sich darüber sehr, empfand es als persönliches Geschenk, sagte es Marianne auch gleich.
Diese hatte ihr, auf lautlos gestelltes Smartphone geholt und geschrieben:
>Hallo Horst, danke für dein SMS. Mir geht es nicht so gut, bin froh bei Eva zu sein. Wünsche dir eine gute Nacht, Marianne. <
Mehr als diese kurze Message bekam sie nicht aus sich heraus.
Der Schock saß zu tief. Eva verstand, sie hatte mitgelesen.
>Ich meine, wir werden ohnehin schlafen gehen. <
Dachte sie halblaut, ein Gähnen unterdrückend.
Auch Benjamin hatte verstanden, dass ein Ortswechsel bevorstand. Machte einen mustergültigen Katzenbuckel, streckte sich nach allen Seiten und ging schon einmal voraus…ins Schlafzimmer. Nur die Kerzen wurden ausgeblasen, alles andere blieb liegen. Eva liebte es, so zu leben.
Morgen war ein neuer Tag…