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Freie Mittwochnachmittage – der vierte
ОглавлениеWie sehr hatte sich Marianne in den letzten Wochen, bereits schon am Montag, auf den übernächsten Tag gefreut.
So unvorstellbar glücklich war sie am letzten Mittwoch noch gewesen. Wie sehr hatte sie die stürmische, begehrende Liebe von Horst genossen. Hoch in den Wolken hatte sie geschwebt, als er in ihr war, und sie sich auflösen durfte, um eine Einheit mit ihm zu sein. Ihre ganze Sehnsucht nach einem Mann, der sie zärtlich, zugleich bestimmend nahm, ausleben zu dürfen, sich endlich erfüllend zu spüren. War das nun zerbrochen? Echt Schnee von gestern? Sie wollte, konnte es nicht glauben.
Ganz in ihren aufgewühlten Gedanken versunken, saß sie im Linienbus. Nahm weder ihre Umgebung noch ihre Haltestelle wahr. Erst als der Bus sich wieder in Bewegung setzte, schrak sie auf, stellte sich rasch zur Türe, um bei der nächsten Station auszusteigen. Egal, dass sie nun fünf Minuten länger zu gehen hatte. Es machte für sie keinen Unterschied, war irgendwie geistig abwesend. Bis ihr einfiel, dass der gerade umrundete Häuserblock, der letzte vor ihrer Firma war.
Mein Gott, Marianne bitte konzentrier dich, fuhr es ihr durch den Kopf! Um jeden Preis, reiß dich zusammen!
Du willst doch nicht, dass dein emotionaler Zustand den Kollegen, besser gesagt den Kolleginnen, bereits auf den ersten Blick auffällt. Das darf nicht passieren. Alles, nur das nicht auch noch. Bis in ihr Büro hatte sie nur eine Begegnung. Der Herr Fritz, Herr über Magazin und Logistik, quoll aus dem Chefbüro, wollte Vollgas geben, konnte gerade noch rechtzeitig sein Tempo zügeln, um sie nicht an die Wand zu quetschen.
>Guten Morgen, schönes Mädchen, wenn du heute einmal Luft hast, kommst du zu mir raus, wir sollten Garantien für Frankreich machen. Viel ist es nicht, zwei Bruchkartons Hennessy und ein paar Remy Martin Flaschen mit undichten Verschlüssen, aber gemacht gehört es ja trotzdem. <
Der Herr Fritz war kein Maßstab für eine Frau, um zu testen, ob sie heute gut oder weniger gut ankam. Er hatte sie ja nicht einmal richtig angesehen, der Herr Fritz. Aber das nahm ihm weder das „schöne Mädchen“ noch sonst jemand im Betrieb für übel. Er war halt ein raubeiniger Buckler, eine wirklich hilfsbereite Seele, hatte noch nie jemanden im Regen stehen gelassen.
>Natürlich Herr Fritz, aber gerne Herr Fritz, sobald als möglich Herr Fritz! <
Hatte sie ihm noch nachgerufen. Glaubte aber nicht wirklich daran, dass er auch nur ein Wort davon mitbekommen hatte. So rasch wie er die Kurve gekratzt hatte, der Herr Fritz.
Sie ließ den PC hochfahren, hing die Jacke über den Kleiderbügel, öffnete einen Fensterflügel, schaltete ihr kleines Radio ein, leitete das Zentraltelefon auf ihren Apparat herein, alles mechanisch. Hunderte Male gemacht, ohne nachzudenken…
Nach dachte sie über den gestrigen Sonntag, und natürlich über die samstägliche Putzparty, auf die sie sich gefreut hatte. Die dann für sie so dramatisch endete. Ihre Gedanken mischten sich zu einem Wirrwarr ohnegleichen. In der Mittagspause sollte sie in Italienisch, die ersten beiden Kapitel durchgehen. Wenigstens hineinschauen, in die dicke, blaue Mappe. Sie konnte sich nicht konzentrieren, schrak zusammen, wenn das Telefon klingelte. Genau dieses ewige Geklingel, schien heute Standard zu sein, wie zu Fleiß. Freilich, die meisten Anrufer konnte sie durchstellen, aber die Lieferanten blieben fast ausnahmslos ihr.
Der Herr Tanzer hatte sich heute, gleich als einer ihrer ersten Gesprächspartner, bei ihr krank gemeldet. Ihr auch gleich einige Aufgaben für diese Woche übertragen. Sie hatte sich alle Positionen notiert, ihm eine baldige Besserung gewünscht, versichert, alles in seinem Sinne erledigen zu wollen. Gegen zehn Uhr leitete sie das Telefon um. Musste dringend für kleine Mädchen, dann zum Seniorchef wegen einer finanziell mehr als wackeligen, leider sehr treuen Kundschaft. Anschließend ins Lager um mit dem Herrn Fritz die Retouren zu besprechen, abschließend hatte sie mit dem Verkaufsleiter einen Termin. Dieser war nur am Montagvormittag und Donnerstag ganztags in seinem Büro anzutreffen, hatte überwiegen außer Haus zu tun. Bis dahin würde es sehr wahrscheinlich Mittag sein.
Es war Mittag, und es war italienisch(nicht spanisch, wie es ihr vorkam…), zumindest das, was in der, offenen Mappe vor ihr geschrieben stand. Alleine, sie war nicht in der Lage, auch nur eine Vokabel zu lesen, konnte ganz einfach nicht. Heute hatte sich Horst noch nicht gemeldet. Sie sich bei ihm auch nicht. Es war ja 17 Uhr ausgemacht. Was hätte es also für einen Sinn gehabt, vorher ein SMS zu schicken?
Ihr Sohn würde also zu seiner Oma ziehen, bereits in wenigen Tagen. Vorausgesetzt, dass er überhaupt im Lande war, nicht in seiner Studierstadt Leoben, würde er künftig einige hundert Meter von ihr entfernt leben. Sehen würden sie sich ganz bestimmt genauso oft, wie wenn er in seinem alten Zimmer bliebe. Sie würde endlich frei sein, ein eigenes, kleines Reich für sich ganz alleine haben. Wie sie sich wohl anfühlen wird, diese ungewohnte Freiheit?
Sie konnte es sich noch gar nicht vorstellen.
Komisch, dass ihr heute das Zubuchen der Rechnungen keine Entspannung brachte, an anderen Tagen ging das, wie von selbst, immer ganz relaxt. Heute nicht, ganz im Gegenteil, ihr unterlief ein Buchungsfehler nach dem anderen. Es war zum Verzweifeln, sie konnte sich nicht konzentrieren, schweifte immer wieder gedanklich ab. Ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, holte sie sich eine Schale Kaffee im Verrechnungsbüro. Gleichzeitig das beste Testgebiet. Den drei dort arbeitenden Kolleginnen entging nichts. Sicher nicht einmal, etwas Schwarzes unter dem Fingernagel, geschweige denn ein um zwei Millimeter zu lange geratener Lidstrich. Um allen eventuellen Fragen oder Anspielungen bereits im Vorfeld, den Wind aus den Segeln zu nehmen, erklärte sie von sich aus, lediglich ihre Tage zu haben, neben ihren Schuhen zu stehen. Sonst sei alles paletti. So wurde sie nicht darauf angesprochen, dass ihr sonstiges Strahlen vermisst wurde.
Zehn vor fünf öffnete sie die Toilettentür, frischte sich so gut es ging auf. Sah länger als gewöhnlich in den Spiegel.
Ihr Spiegelbild bekräftigte, dass sie Klarheit haben musste. Wissen, woran sie mit Horst war. Dann würde sie entscheiden, ob überhaupt, wenn ja, wie es eine weitere Beziehung mit ihm geben könne. Ein kurzer Blick durch das Gangfenster auf die Straße hinaus genügte. Er parkt gegenüber, trommelte nervös mit seinen Fingern auf das Lenkrad. Sah dabei permanent in Richtung, zu ihrem Büroeingang. Sie atmete tief durch, gab sich einen Ruck, machte ihr Büro dicht und ging.
Einer schwierigen, entscheidenden Begegnung entgegen…
Horsts Blick war angespannt, als sie aus der Tür trat, die Straße überquerte, sich zu ihm ins Auto setzte. Er wollte sie, wie üblich in den Arm nehmen, zu sich herüber ziehen und küssen. Sie machte sich steif wie ein Brett. Nur einen halben Kuss konnte er auf ihrer linken Wange platzieren.
>Liebes, was ist los mit dir? Du machst mir echt Angst! Was um Gottes Willen ist denn passiert? Habe ich etwas falsch gemacht, dir etwas Unrechtes getan? Bitte sprich mit mir, klär mich auf. Ich kenn´ mich nicht mehr aus, weiß mir keinen Rat mehr! <
Er machte einen sichtlich fertigen Eindruck.
>Gib endlich Gas, will nicht mit dir gesehen werden, unsere Fenster haben Augen. Fahr auf den Parkplatz hinter dem WIFI, dann reden wir. <
Mehr sagte sie nicht. Sie sah während der ganzen Fahrt zum Fenster hinaus. Versuchte sich auf das kommende Gespräch vorzubereiten. Es fiel kein einziges Wort, bis Horst in den großen Parkplatz einfuhr, sich als einziges Auto in weitem Umkreis, in der letzten Reihe, unter einen jungen Ahornbaum einparkte. Hier waren sie ungestört. Sie hatte tief Luft geholt, gewitterartig entladen:
>Du bist verheiratet und hast zwei kleine Buben mit deiner Sabine!
Wie konntest du da noch ein Verhältnis mit mir anfangen?
Hätte ich das gewusst, hättest du in Siena keine Telefonnummer von mir bekommen, da kannst du dir vollkommen sicher sein!
Mir erklärst du, dass ich die einzige Frau bin, die du liebst, wie sehr du mich liebst, wie einmalig ich für dich bin, und liegst jede Nacht bei deiner besseren Hälfte im Bett!
Wahrscheinlich habt ihr euren Sex auch regelmäßig!
An was denkst du denn, wenn du auf deiner Sabine liegst, vielleicht an mich?
Echt, ich finde du bist ein Schwein, Horst!
Denkst du gar nicht an deine beiden Buben. Daran, dass sich ihre Eltern scheiden lassen, sobald Sabine deine Liaison mit mir spitz kriegt?
Ich möchte jetzt echt von dir wissen, wie du die Begriffe Treue und Verantwortung definierst.
Wahrscheinlich existieren sie für dich gar nicht!
Natürlich hast du deswegen am Wochenende nie Zeit für mich, darfst nicht angerufen werden.
Von wegen Arbeit, und mit deinem großen Sohn zur kranken Oma müssen!
Schäm dich, du lügst, sobald du den Mund aufmachst, hast mich von Anfang an belogen und hintergangen!
Du bist sowas von gemein und hinterhältig, ich hätte dir das nie zugetraut, mir das gar nicht verstellen können, nicht bei dir!
Wie konntest du mich so im Unklaren über deine Verhältnisse lassen.
Sabine als Nummer eins und ich als deine Mätresse, nicht mit mir, könnte dir super in dein Ego passen, spielen sie aber nicht, vergiss es!
Ich blöde Kuh hab´ deinen Liebesschwüren geglaubt, mich dir hingegeben, mit dir geschlafen!
Echt Horst, ich will dich nicht mehr sehen, nie mehr, mir graust vor dir!
Hab keinen Bock mehr auf Mittwochnachmittage und das war´s wieder für die ganze Woche!
Danke, ich verzichte! <
Marianne hatte sich in Rage geredet, war vollkommen rot angelaufen. Aber keine einzige Träne war geflossen. Sicher, sie hatte ihre ganze Munition auf einmal verschossen, das Horst-Schiff damit vollständig manövrierunfähig gemacht. Nun war es heraus, wie ausgekotzt. Gesagt, was heraus musste. Irgendwie war sie erleichtert. Hatte ihn, während sie ihm ihre Vorhaltungen ins Gesicht schleuderte, keine Sekunde aus den Augen gelassen, sein Minenspiel beobachtet.
Er war abwechseln blass, dann wieder rot geworden. Seine Schläfenadern standen hervor. Ihrem zornigen, enttäuschten Blick hatte er nicht standgehalten. Hielt ihn nicht aus, zuckte völlig fertig zusammen. Starte auf seine, um das Lenkrad herum, verkrampften Hände. Woher hatte sie so plötzlich Wind bekommen, von Sabine und den Jungs?
Wer hatte ihr das zugetragen, steckte dahinter?
Als sie mit ihren Vorwürfen zu Ende war, sah er sie kurz, schweigend an. Begann nach einer langen Minute, stockend heraus zu stottern. Leiser und unsicherer, als sie es von ihm gewohnt war. Sie ließ ihn nach Worten ringen. Er hatte sie ja auch nicht unterbrochen…
Ruth war Dreiunddreißig gewesen, er Siebenundzwanzig als sie sich bei einem Dorffest kennen gelernt hatten. Die dunkelhaarige Dirndlträgerin war ihm sofort ins Auge gestochen. Sie einfach zum Tanzen aufgefordert, den Rest der Nacht, nur noch mit ihr, den Tanzboden betreten. Bei beiden wirklich Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sie wollte einen Mann und Kinder, er endlich wieder eine Frau im Bett. Horst war Vertreter, Ruth Sachbearbeiterin. Sie hatte von ihrer Großtante einiges Geld geerbt, besaß eine gediegen eingerichtete, familientaugliche Dreizimmereigentumswohnung, ein nagelneues Auto und Bares. Er hatte seinen Charme spielen lassen, sie angebaggert und abgeschleppt. Nein, gleich ging bei Ruth nichts, als er sie nach einigen Wochen soweit hatte, war sie keine Enttäuschung im Bett. Ruth kochte wie ein Weltmeister, besaß zudem die denkbar sauberste Wohnung. Konnte aus jedem verdienten Schilling fast zwei machen, war stets fröhlich und ausgeglichen.
Kein Jahr später tauschten sie die Ringe, Horst unsicher und nervös, Ruth mit leichter Wölbung unter ihrem Brautdirndl. Fünf Monate später waren sie zu dritt. Ruth übernahm von Anfang an die Führungsrolle in ihrer Ehe. Er passte sich ihr, ihren logischen Vorgaben an, weil diese auch zu seinem Besten waren. Je länger sie zusammen waren, desto offener wurden ihre, anfangs nur angedeuteten Vorwürfe, seinen Lebensstil betreffend. Hatte er Alkohol getrunken, was freitags fast regelmäßig vorkam, stoben gelegentlich die Funken. Beruflich solle er sich weiterbilden, entweder mehr im jetzigen Betrieb einsetzen oder sich um eine bessere Position umsehen. Nach gut neun Jahren Ehe war ihre Beziehung zu einem inhaltslosem Raum, ohne jede Farbe geworden. Sie nervten sich gegenseitig. Auf ein kurzes Zwischenhoch folgte immer ein massives Dauertief mit Blitz und Donner. Der Rest war nur noch zermürbend…
Da hatte eine Neue im Betrieb angefangen. Hieß Sabine, Anfang Zwanzig mit schulterlangen, blonden Haaren, bis zum Boden reichende Storchenbeine. Zwischen den beiden knisterte es von Anfang an, Tendenz steigend. Er nur zu feige gewesen, den ersten Schritt zu wagen. Angesehen hätte es ihn längst schon. Wenn er, was zunehmend seltener wurde, mit Ruth schlief, gaukelten ihm seine Wunschträume vor, wie es mit Sabine wäre.
Und es war ganz anders…
In Strömen hatte es gegossen, als Sabine nach der Präsentation, neben Horst die Firma verließ.
Da hat er ihr angeboten, sie mit dem Dienstwagen heim zu fahren. Gefragt, ob sie noch Zeit auf einen Drink hätte, da die Konferenz fast eine Stunde früher, als geplant, zu Ende ging. Nicht er, nein, Sabine legte mit flirten los, auf Teufel komm raus. Er fühlte sich geschmeichelt, sein Ego, und nicht nur dieses, befand sich plötzlich in einer Wachstumsphase, wie er es noch nie vorher, in seinem Leben gefühlt hatte. Sie blieben gleich, wo sie waren, auf dem von keiner Seite einzusehenden Parkplatz hinter dem Café, im Auto. Wie Sabine es schaffte, mit ihren langen Beinen, war ihm ein Rätsel gewesen, aber es hatte funktioniert.
Und wie es ging, explosionsartig…
Der gute Horst schwebte in den Wolken, saß dafür sprichwörtlich, zwischen zwei Stühlen.
Fast wöchentlich hatte er ab sofort einen abendlichen Schulungstermin in der Firma. Hatte Ruth doch gemeint, er solle sich endlich weiter bilden. Die Unterlagen dazu, extra im Wohnzimmer deponiert, damit seine Gattin etwas Angreifbares zu sehen bekam. Der Kurs war echt, die angegebenen Zeiten weniger. Da es ihm beim Tennis spielen, ganz gewaltig an Kondition haperte, ging er nun wöchentlich einmal laufen, nahm jeden zweiten Freitagnachmittag Tennisstunden. Einmal half er am Wochenende diesem Kollegen beim Übersiedeln, drei Wochen später dem Nächsten beim Ausmalen. Sein Handy hatte er zuhause nur noch auf lautlos, angeblich um seine Ruhe am Feierabend zu haben. Ruth fiel seine fahrige Abwesenheit, sein verändertes, ungeduldiges Verhalten seinem Sohn gegenüber auf. Sie tat nichts anderes, als eins und eins zusammenzuzählen. Suchte nach der Ursache, begann instinktiv zu spionieren. Der Erfolg gab ihr Recht.
Da Sabine, in der entgegengesetzten Richtung, von Horsts Firma und Reisegebiet aus gesehen wohnte, wäre viel kostbare Zeit damit vertan, für jedes Treffen in ihre Wohnung zu fahren. Als Superersatz für einen schnellen Quickie, bot sich ihr Stammparkplatz geradezu an. Einmal zu oft, hatten sie sich dort vergnügt. Ruth hatte es herausgefunden, war ihnen nach gefahren.
Direkt neben dem Auto gestanden, mit eigen Augen sehen müssen, was Sabine zum Lutschen hatte, ohne das es ihr gehörte.
Das war das Ende der Ehe, von Ruth und ihm gewesen.
Er war zu Sabine gezogen. Die Scheidung eine kurze, einvernehmliche Lösung. Er besaß ja nichts, alles gehörte von Haus aus Ruth. Er musste für den gemeinsamen Sohn Alimente bezahlen. Ruth ging wieder halbtags arbeiten.
Seither besuchte Horst seine Mutter nun tatsächlich wöchentlich einmal. Brachte ihr seine Hemden und Hosen zum Waschen und Bügeln. Sabine war weder willens noch in der Lage, seine Kleidung, die er beruflich anziehen musste, in Schuss zu halten. Wollte er Hausmannskost essen, empfahl es sich, selber zu kochen. Sabine designte lieber schnelle Gerichte aus dem Tiefkühlfach mit Fertigsahne aus der Sprühdose und sonstigem Schnickschnack. Was sie wirklich gut konnte, da stahl sie garantiert jeder Frau die Schau – sie konnte sich perfekt verkaufen – und, sie war eine Wucht im Bett, auf der Couch, am Küchentisch, im Auto…
Nach einem Jahr hat sie Horst geheiratet. Es stimmt, den Antrag hatte er ihr gemacht. Die Vorarbeit dazu, war aber zu Neunundneunzig Prozent, Sabines Konto zuzubuchen. Vor nicht ganz fünf Jahren kam der erste Sohn, drei Jahre später der zweite, Nervtötkind Felix zur Welt. Der musste die Gene seiner Großmutter mütterlicherseits geerbt haben, Teile seiner Optik, übrigens auch. Logisch, dass er rasch zu Omas vergötterten Liebling avancierte.
Sabine wollte raus aus der Mietwohnung, weg vom Stadtrand. Sie wollte ein Haus, wenigstens ein Reihenhaus, Neubau, mindestens so und so viel Quadratmeter, natürlich Terrasse, Garten, Garage usw. usf.
Wie sie sich das vorstellte, hatte er sie gefragt. Ganz einfach, ihre Mutter würde ihnen Geld für die Anzahlung geben, auch einen Teil der Einrichtung bezahlen. Er werde wohl in der Lage sein für die monatlichen Kreditraten und Betriebskosten aufkommen, würden ja die Miete einsparen.
So wurde es von Sabine und ihrer Mutter auch durchgezogen. Mitgeredet hatte er kaum etwas, wäre sicher nicht zu Wort gekommen.
Dass sie ihre Garderobe weder bei C&A, H&M noch Adler erneuerte, vollkommen logisch. In solchen Läden fand sie nichts Passendes, in Innenstadtboutiquen dagegen leichter. Übervolle Biokübel, die er ausleeren durfte, gaben ihm erst zu denken, als sie zum zweiten Mal an Leibesumfang zunahm. Natürlich war es seine Schuld, dass sie so unförmig daher kam. Dafür forderte sie Liebesbeweise in immer steigernden Masse ein. Nicht ohne ihn für jede, noch so kleine Nachlässigkeit zur Schnecke zu machen. Damals hatte er sich schon öfter in den Hintern beißen können, dass er nicht mehr für seine Ehe mit Ruth gekämpft hatte. Warum hatte er seine Finger nicht von Sabine gelassen?
Längst war ihm gedämmert, dass er vom Sex nicht abbeißen konnte, zu spät!
Seinem Hund, einen Tierheimasylanten, hätte sie von sich aus, nicht einmal einen Napf Wasser hingestellt. Dafür konnte sie Stunden vor dem Spiegel, vor ihrem Laptop, beim Friseur oder am Gartenzaun mit den neuen Nachbarinnen verbringen. Ließ weder Tupperware- noch Kosmetikparty aus. Er war um jede Minute froh, die er außer Haus sein konnte. Tennis spielen, joggen, auf ein Bier mit alten Kumpels losziehen, hatte er nicht nach und nach, sondern unmittelbar mit Sabines erster Karenz, abrupt einstellen müssen. Ihre Vorhaltungen, Weinkrämpfe und Streitattaken, hatten schnell die gewünschte Wirkung gezeigt…
Ja, und dann war diese Dienstreise nach Siena gewesen.
Er hatte Marianne bereits am Antipasti Buffet gesehen. Sie war ihm sofort aufgefallen. Er stand anfangs Visasvis von ihr, umrundete die Gourmetinsel, um neben ihr zu stehen zu kommen. In einem Abstand von einem Meter, hatte er einen ungehinderten Blick auf ihren Rücken, ihre Frisur, das geschmackvolle Sommerkleid, ihre schönen Beine. Sah, wie sie sich genussvoll, die eine oder andere Leckerei auf den Teller legte. Als sie zur gegenüberliegenden Seite der appetitlich angerichteten Vorspeisenreihe wechselte, war er zurückgeblieben. An dieser Frau passte einfach alles. Er war hingerissen von dem, was zwei Meter vor ihm stand, mit ihren Augen, die aufgehäuften Köstlichkeiten abtastend. Als Marianne sich anschickte zum Tisch zu gehen, blieb er zurück, lud sich von dem auf, was gerade vor ihm stand, wählte nicht wirklich. Ging ja nicht, mit seinen Augen folgte er ihrem Weg zum Tisch.
Bei der Erkenntnis, dass sie genau jenen Tisch ansteuerte, an dem er auch sitzen würde, rutsche ihm fast der Teller aus der Hand. Eine gegrillte Tomate machte es buchstäblich, dekorierte vollkommen unpassend, winzige gesalzene Sardellen. Den Bruchteil einer Sekunde später, realisiert er, sie würden nicht nur am selben Tisch speisen, sondern sogar gegenüber sitzen!
Der warme Klang ihrer Stimme, mit der sie „Marianne, freut mich“ gesagt hatte. Ihre schönen, lebhaften Augen, die frische Hautfarbe. Horst war hin und weg gewesen. Das war kein Zufall, dass war Schicksal, nicht mehr und nicht weniger. Wie sehr hatte er, während des Essens, die Unterhaltung mit ihr genossen. Als sie dann einwilligte, mit in die Kellerbar zu gehen, war sein Puls auf 150 geklettert. Nachdem die beiden Kollegen, von deutschen Damen okkupiert wurden, blieben sie alleine. Als er sie, wenig später auf die Tanzfläche führen durfte, ihre Hände halten, sie an sich gedrückt spüren durfte, fühlte er sich ganz Mann. Musste sich zusammen reißen, um sie nicht schon in der Bar zu küssen. Als er es im Lift versuchte, sie ihm nur die Wange hingehalten, dafür aber ihre Handynummer gegeben hatte, war er sicher, seiner Traumfrau begegnet zu sein.
Die halbe Nacht verbrachte er damit, gedanklich jeden Moment des vergangenen Abends, immer und immer wieder Revue passieren zu lassen. Wie sehr hatte er sich von diesem Tag an gefreut, wann immer er alleine war. Sie anrufen, ihr ein SMS senden, abends ein Mail schreiben konnte, sobald Sabine die Flimmerkiste angeworfen hatte. Alleine ihre Stimme zu hören, hob ihn buchstäblich, bis in den siebten Himmel.
Dann kam er, der erste Mittwochnachmittag im Schlosscafé. Sie beide ganz alleine, sie ganz nahe bei ihm, nur für ihn da, nur wegen ihm gekommen. Zeit, jedes einzelne Detail ihres hübschen Gesichtes zu verinnerlichen, dem warmen Klang ihrer Stimme aufzusaugen. Damals war ihm erstmals aufgefallen, dass Marianne sehr schöne Hände hatte. Nicht dünne Spinnenfinger wie Sabine, keine Wurstfinger wie viele andere. Ebenmäßige, gepflegte Finger, lange Nagelbetten, eine sanfte, weiche Haut. Die ihm nicht verwehrte, seine Finger zwischen die ihren zu schieben. Wie schön war es gewesen, sie nach Hause fahren zu dürfen. Einige Minuten verlängerte Gemeinsamkeit, zu gewinnen.
Wie sehr ihn seine Ungeduld gereut hatte, als Marianne, bei ihrem zweiten Mittwochnachmittag Date, zärtlich bestimmend, seine Hand unter ihrem Pulli wieder hervorgeholt hatte. In den Hintern gebissen, hätte er sich am liebsten. Mit seinem unüberlegten Vorpreschen, sich um ein Haar jede weitere Chance bei ihr verbaut. Unendlich dankbar war er ihr gewesen, dass sie ihm den Ausrutscher verzieh.
Dann kam der letzte Mittwoch an die Reihe.
Horsts Fingerknöchel traten weiß hervor, so malträtierte er das unschuldige Lenkrad.
Er begann zu stottern, brachte das Meiste durcheinander, begann zu schluchzen. Es war so unendlich schön mit ihr gewesen. Sie sei die hingebungsvollste Frau, die es auf der ganzen Welt geben würde. Keine andere, konnte je einem Mann so viel geben, wie sie ihm an diesem Nachmittag schenkte.
Was hätte er dafür gegeben, wäre dieser Nachmittag nie zu Ende gegangen.
Ja, es stimmte alles was Marianne ihm vorwarf. Es war alles seine verdammte Schuld, seine Fehler.
Horst suchte vergeblich in seinen Hosensäcke nach einem Taschentuch. Sie gab ihm ihre Packung aus der Handtasche.
Ruhig und gelassen, hatte sie sich den mehr als halbstündigen Vortrag angehört.
Sie war Marianne, gut, war nicht Eva(leider), aber auch weder Ruth noch Sabine(Gott sei Dank)!
Marianne sagte nicht viel, manches wäre ihr eingefallen, was sie ihm noch an den Kopf werfen könnte. Nur wozu?
Nein, sie wollte ihn nicht mehr wiedersehen. Vergessen, je eher desto besser.
>Hör zu, es ist besser, wir lassen das Ganze. Hab´ echt keine Lust mit einem Typen zusammen zu sein, der erstens zu einer anderen gehört, zu dem ich zweitens, kein Vertrauen mehr haben kann. Dazu bin ich mir zu schade! Ich wünsch´ dir alles Gute, aber lass mich in Zukunft in Frieden! <
Horst wollte noch etwas sagen, sie am Arm halten. Sie hatte sich losgerissen, war ohne sich noch einmal umzudrehen, zum Hintereingang gelaufen. Vierzig Minuten bis Unterrichtsbeginn, über das Treppenhaus ging sie in den zweiten Stock hinauf, dort lag ihr Unterrichtsraum. Hielt sich links, trat auf die große Terrasse hinaus.
Niemand da, was für eine Erleichterung!
Eva würde heute früher von der Firma losgefahren sein, sie wollte sie gleich anrufen, nur kurz reden, genaueres würde es dann spät am Abend geben. Ob Eva nur einen bestimmten Teil von Mehmet, oder Benjamin als Ganzes, fallen gelassen hatte, fragte sie nicht. Eva hob beim ersten Klingelton ab. Sie hatte gespannter auf diesen Anruf gewartet, wie Systemspieler auf die wöchentlichen Lottozahlen. Was Marianne zu berichten hatte, klang wie Musik in Eva´s Ohren. Genaueres dann später, die Uhr zeigte wenige Minuten, bis Unterrichtsbeginn.
Müde, ausgelaugt, fertig, Mariannes Zustand, als sie gegen 23 Uhr ihre Wohnung aufsperrte. Ihr Sohn war gerade im Begriff, ins Bett zu kriechen, wünschte ihr noch eine gute Nacht. Sie aß noch eine Kleinigkeit. Appetit hatte sie keinen, aber einen knurrenden, sein Recht einfordernden Magen. Mit Eva telefonierte sie nur kurz, das wichtigste war ja gesagt. Zog das Schlafteil ihrer Couch heraus, kleidete sich für die Nacht um, machte das Licht aus. Ihr Handy hatte sie lautlos gestellt. Mails an Horst würden künftig entfallen.
Sie wollte nur noch Ruhe, Dunkelheit, ihren Frieden, vor allem den Frieden von Horst.
Damit würden sie künftig entfallen, ihre freien Mittwochnachmittage…