Читать книгу Brief an Marianne - Martin Winterle - Страница 17
Echt nur staubsaugen?
Оглавление>Du Mutsch, der Tobi und der Pinggi kommen heute nach dem Mittagessen. Tobi hat leihweise den alten VW Bus von seinem Opa. Bringen zuerst meine Sachen zur Oma, zerlegen dann die Möbel, hab ich dem Pinggi versprochen, für´s Zimmer in seiner neuen WG. <
Nebenbei eingefügte Kurzinfo an sie zwischen hörbar, eingeschlürften Spaghetti mit Cola Spülung. Sollte heißen, fahr gleich zum Supermarkt, tausche etliche Semmel, genug Wurst und Käse, ein Glas süßsaurer Essiggurken und eine Einkaufsbox voll Limo Flaschen der XXL Größe, gegen eine Abbuchung von deiner Kreditkarte. Gestern waren seine Möbel geliefert und auch gleich montiert worden. Pünktlich, mit zwei Wochen Lieferzeit, wie vereinbart. Heute würden also seine Kumpels vom Handballverein das Zimmer leerräumen. Bis Marianne von ihrem Jausen Einkauf zurückkam, werkte das Räumkommando schon in ihrer Wohnung. Schachteln und Kartons in allen Größen hatten die Boys gleich mitgebracht, bei den diversen Geschäften im näheren Umfeld, Verpackungsmaterial geschnorrt.
Ihre beiden, fast neuen Klappboxen, blieben trotzdem nicht verschont. Beladen mit CDs, DVDs und einer Unmenge von Kabeln, mit und ohne Stecker, in allen Farben. Vollgestopft bis über den Rand hinaus, standen sie bereits, zwischen Wohnungstüre und Aufzug. Sie würde sie nie wiedersehen(ihre zwei Klappboxen…).
Um den Computer kümmerte sich Tobi. Baute ihn fachgerecht ab um ihn bei Oma gleich wieder in Betrieb zu setzen. Keine Kunst für ihn, besuchte er doch im Maturajahr die Elektronikklasse.
Pinggi der glückliche, neue Besitzer von ihren alten Möbeln, konnte es kaum erwarten, endlich eigenes Mobiliar für sein Studentenzimmer zu bekommen. Noch dazu völlig kostenlos, nur für den Preis des Abholens. Hätte als Handballfreund sowieso beim Umzug geholfen, Ehrensache unter Torjägern. Mit dem Abziehen diversen Pop- und Sportstarposter von Tür und Wänden, wurde immer klarer, ausmalen war angesagt, einige Löcher erwiesen sich als mindestens Moltofillverdächtig. Sie hatte, in weiser Voraussicht, genug Futter für drei Löwen in der Wachstumsphase organisiert. Bis zum frühen Abend, lag kaum noch Wurst und Käse auf dem großen Küchenteller, Semmel hingegen, würde sie, ab morgen ja, für sich alleine, tagelang zu kauen haben.
Sauber hatten sie Kästen, Schränke und Bett in Einzelteile zerlegt. Sollte ja in den VW Bus passen. Dreimal waren sie insgesamt gefahren. Die erste Fuhre nur wenige hundert Meter weit. Hatten die persönlichen Sachen von ihrem Großem in sein neues Reich überführt. Dann zwei volle Ladungen, für Pinggi´s neueste Errungenschaft. Ein halbes Playmobilmännchen, zwei rote Legosteine, eine verbogene Ansichtskarte von der Klassenfahrt nach Wien, hatte das fachgerecht auseinandergenommene Bettgestell herausgerückt. Welch überdimensionale Staubwutzel sich hinter den Kästen abgelagert hatten, kam ihr fast unglaublich vor. Den groben Schmutz entsorgten die Knaben gleich in den Müllraum, leisteten wirklich saubere Arbeit.
>Mutsch kannst du uns bitte absaugen, wir sind fertig? <
Mit den Resten, das von ihr reichlich bemessenen Jausen-Vorabendessen beschäftigt, einen letzten Schluck aus der Zweiliterplastikflasche saugend, standen die drei zwischen Tür und Angel, lehnten an der Küchendurchreiche.
>Natürlich sauge ich selber ab, logisch, mach ich gerne. <
Sie drückte ihren Sohn an sich, bekam sogar einen Kuss von ihm. Irgendwie kam es ihr eigentümlich schmerzvoll vor, jetzt wo es endgültig soweit war. Das erste Mal wird er also heute, nicht mehr in seinem alten Bett, sondern bei der Oma schlafen. Sie wünschte ihm von Herzen eine Gute Nacht. Als sich die Türe hinter den Burschen geschlossen hatte, bekam sie feuchte Augen, war richtiggehend traurig geworden…
Musste sie wirklich – echt nur staubsaugen?
Mechanisch holte sie den Staubsauger aus der Abstellkammer, zog ihn über den Teppichboden. Froh darüber, das saugende Geräusch zu hören, um die plötzlich eingekehrte Ruhe, nicht schmerzlich zu spüren, den Abschied, der ja kein echter war, als Tragödie zu empfinden. Der Teppichboden muss raus, soviel war fix. Die Kästen hatten deutliche, dunkle Konturen an den Wänden hinterlassen. Den Vorhang würde sie als letztes erneuern, konnte ihn mit der neuen Einrichtung abstimmen.
Statt dem grauslichen Filzbelag wird sie Parkett verlegen lassen. Mittelgroße Bretter schwebten ihr vor, nicht dieses kleinkarierte Allerweltsmuster. Aus ganz hellem Holz, sollten sie sein. Laminat gefiel ihr nicht, zu glatt, hatte kein Eigenleben, nicht ihre Welt…
>Sag Eva, bist du noch unterwegs, oder schon in deinem verstreuten Reich? <
Marianne war sich nicht sicher, es war Freitag, ihre Freundin konnte durchaus noch mit Fitness beschäftigt sein. Es war ja gerade erst acht Uhr vorbei.
>Nein Mädel, ich lümmle noch an der Vitaminbar rum. Hast du deine Möbelpacker schon losgebracht? <
Eva klang total relaxt, hatte ihr Leistungspensum an Laufband und Streckbank bereits erfolgreich absolviert. Wahrscheinlich bezirzte sie gerade ein, voll öliger Muskelprotz (möglicherweise auch umgekehrt…), oder Mehmet, ihr Bodybetreuer, musste heute wieder einmal dran glauben.
>Wenn du noch nicht zu müde bist und noch Lust hast, wäre echt nett, wenn du vorbei schauen würdest. Bin gerade mit der ungewohnten Leere überfordert. Kommst du? <
Eva merkte, dass ihre Anwesenheit sehr erwünscht war, sagte auch sofort zu…
Marianne hatte Früchtetee gekocht, zwei bauchige Schalen mit aromatischen Inhalt angefüllt.
Eine mit Marienkäfern (für sich…), eine mit Schmetterlingen, Eva´s Stammtasse. Briefchen mit braunem Zucker, eine Packung runde Schokokekse, auf die Küchendurchreiche gelegt.
Irgendwie unwirklich hohl, hörten sich ihre Stimmen in dem leeren Raum an. Eva fühlte deutlich, wie deprimiert, sichtlich hergenommen, Marianne war. Das ausgeräumte Zimmer bedeutete für sie, in diesem Moment nur Abschied von ihrem Sohn. Seiner Kinderzeit und Jugend, seinen ersten, fast neunzehn Jahre.
Ihren neuen, ungestörten, deutlich größeren Lebensraum, realisierte sie noch gar nicht.
>Die Wand würde ich komplett verbauen, bis oben hin, aber sehr hell, eventuell sogar weis oder alabasterfarbig, damit es dich nicht erdrückt. <
Eva zeigte auf die gegenüberliegende Seite des Raumes.
>Was ich unbedingt will, ist einen Vorbau vor dem Fenster, über der Heizung, montieren lassen, dann kann ich endlich mehr, auch größere Pflanzen, direkt beim Tageslicht haben. Das wünsche ich mir schon lange. <
Sie stand am Fenster, zirkelte mit ihren Armen, das angedachte Maß in die Luft.
>Ja, und ein französisches Bett, so eines wie deines Eva, möchte ich mir anschaffen. Das langt zum Schlafen für zwei. Alleine fühlst du dich darin nicht so verloren. Dazu zwei passende Ablagen oder Nachtkästchen, ein Highboard rechts, neben der Zimmertüre, fertig. <
Marianne hatte in groben Zügen eingerichtet.
>Die antikvierte Deckenleuchte kannst du zum Sperrmüll geben Mädel. Da passt sie besser hin, als hierher zu dir. <
Setzte Eva, mit Blick nach oben, hinzu.
Natürlich, das Licht wollte sie ganz anders gestalten. Sich einen dimmbaren Schalter spendieren…
Eva sah auf ihre Uhr, morgen hatte sie langen Samstag. Spät geworden, Zeit nach Hause zu fahren. Benjamin wird schon ganz ungeduldig auf sein Fressen aus der goldfarbigen Blechbüchse warten, die längst überfälligen Kuscheleinheiten einfordern. Marianne hatte es sichtbar gut getan, ihre Freundin bei sich gehabt zu haben. Begleitete Eva bis zur Lift Türe, knuddelte sie zum Abschied. Morgen würde sie die Mittagspause zusammen verbringen, vielleicht hatte sie schon passendes Mobiliar gefunden, das sie Eva zeigen könnte. Heute war es auch für sie an der Zeit, sich ihr Couchbett auszuziehen.
Theoretisch konnte sie nicht mehr tun als – echt nur staubsaugen…