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Freie Mittwochnachmittage – der zweite
ОглавлениеAm Freitag hatte Horst bereits ihr Ok für ihren zweiten, gemeinsamen Mittwochnachmittag.
Nicht per SMS, nicht per Mail, er hatte sie angerufen, am Nachmittag als sie gerade in der Tiefgarage ihr Auto, um zwei große, volle Einkaufstaschen erleichterte.
Ja, sie freue sich auch auf den Mittwoch, meinte sie, würde ihm am Wochenende sicher ein Mail schreiben. Registrierte freudig, dass er Sehnsucht nach ihr hatte, sogar ganz gewaltige…
Um 13 Uhr wartete Horst bereits vor ihrem hinteren Geschäftseingang, gleichzeitig die Hinterhofzufahrt zu den Parkplätzen ihrer Firma.
Es regnete heute bereits seit sie aufgestanden war. Tiefliegende Wolken verhängten die umliegenden Berge mit milchig grauen Tüchern. Dafür hatte der oft permanent, unangenehme Föhn heute Pause. Mit dem Schirm war sie am Morgen zum Bus gegangen, in der Stadt Richtung Büro marschiert. Dort lehnte er nun, im Schirmständer gelangweilt vor sich hin trocknend. Sie hatte ihn dort vergessen, brauchte ihn nicht mehr. Horst würde sie ja abholen. Ab zehn Uhr wurde sie unruhig, das steigerte sich bis elf zu sehr unruhig, in Richtung zwölf wurde ihre Nervosität von Minute zu Minute unerträglicher. Musste sich mit irgendwas ablenken, sonst würde die letzte Stunde nie vergehen. Also goss sie ihre Büropflanzen (und die Fensterbank, den Aktenschrank, den Schreibtisch gleich mit…). Das anschließende von feucht auf trocken wischen erforderte einige lange, halbwegs sinnvoll genutzte Minuten. Der Rechnungsordner M-O forderte wortlos, trotzdem mit Vehemenz, seinen, ihm zustehenden Platz nach dem L und vor dem P. Die Position zwischen E links und H rechts, war er weder gewohnt, noch fühlte er sich dort passend platziert. Sie hatte ihn, in Gedanken ganz wo anders, dort eingeparkt. Geschockt stellte die sonst so perfekte Marianne, ihn auf seinen richtigen Platz. Wie konnte das nur passieren, wie aufgeregt war sie denn und vor allem warum?
Reiß dich zusammen Mädel, du bist keine siebzehn mehr, das ist nicht dein erstes Rendezvous. Auch nicht dein erstes mit Horst. Zudem, es würde nichts passieren, wirklich einfach gar nichts, was sie nicht selber wollte, was sie nicht zuließ…
Sie stieg zu ihm ins Auto. Horst küsste sie zärtlich, genauso erwiderte sie seinen Kuss.
Er schlug vor, ins östliche Mittelgebirge zu fahren, ihr war es recht. Außerhalb der Stadt ließ der Verkehr merklich nach. Die Scheibenwischer sammelten die Regentropfen von rechts nach links auf, um sie am Scheibenrand als Rinnsal, der Frontscheibe entlang hinunterlaufen zu lassen. Sie verfolgte das gleichbleibende, monotone Schauspiel. Es beruhigte sie. Die Klimaanlage sorgte für wohlige Wärme, der CD Spieler Kuschelrock passte gleichermaßen zu ihrer Stimmung und dem diesigen Wetter. Entspannt genoss sie die Fahrt und die Tatsache, dass Horst sein Auto mit links lenken konnte. Seine rechte Hand, verschränkt mit der ihren, auf ihren Oberschenkeln kuschelten.
In einem Waldstück bog er links auf einen, von der Strasse her, kaum einsehbaren Parkplatz ein. Normalerweise ein stark frequentierter Abstellplatz für die Autos diverser pflichtbewusster Hundegassiführer, sportiver Livestylejogger, mehr oder weniger genervter Kinderbeschäftigungsväter. Heute stand hier nur ein einziges Auto, gleich nach der Einfahrt. Horst fuhr an das hintere Ende des weitläufigen Platzes. Dort gab es gleich mehrere Buchten, in denen zwischen dichtem Unterholz, durchsetzt mit hohen Fichten, immer jeweils nur maximal ein Auto Platz fand.
Rückwärts verschwand er in einem dieser Schlupflöcher. Beide lösten ihre Sicherheitsgurte, Horst fuhr seinen Fahrersitz etwas zurück. Sie hatte ihre weinrote Lederjacke bereits vor dem Einsteigen ausgezogen, nach hinten auf die Rückbank gelegt. Endlich konnten sie sich in die Arme nehmen. Ihre Küsse wurden immer leidenschaftlicher. Seine gestammelten Liebeserklärungen gingen wie Honig runter.
Als er seine Hand unter ihrem Pullover immer höher und höher schob, zog sie diese, zwar zärtlich, aber unmissverständlich wieder darunter hervor, behielt sie in ihrer Hand.
>Horst bitte nicht, nicht hier und heute, lass mir bitte noch etwas Zeit. Ich mag dich auch, aber mir ist es noch zu früh dazu! <
Seine Enttäuschung war ihm, selbst im regnerischen Waldeshalbdunkel deutlich anzusehen.
Er entschuldigte sich, wie ein beim Schummeln erwischter Schuljunge, dass er sich nicht beherrscht hatte, zu weit gegangen war. Seine Sehnsucht nach mehr Nähe, hatte jede Zurückhaltung ausgeblendet. Zum ersten Mal gab sie ihm dafür einen zärtlichen Kuss. Seiner intimen Schmuseecke war der Sinn verloren gegangen. Sie lächelten sich versöhnlich unsicher an und Horst startete.
Oberhalb der alten Salinenstadt bog er in eine Seitenstraße ein, an deren Ende er ein gemütliches Café wusste. Sie war wieder ganz unbefangen, lachte, scherzte, amüsierte sich über seine Witze. Genoss eine der Cremeschnitten, für die dieses Lokal bekannt war, einen Latte Macciato dazu. Horst hatte das gleiche Menü. Anschließend saßen sie noch lange, sehr lange bei einem guten Glas Wein zusammen. Er spielte mit ihren Fingern, sie erkannte mit gemischten Gefühlen, dass sie gerade im Begriff war, sich rettungslos, leider auch ziemlich bedingungslos, in ihr Gegenüber zu verlieben. In dieser Situation dachte sie nicht darüber nach, ob er verheiratet war. Sie hatte ihn nicht gefragt, ja nicht einmal daran gedacht (…oder sich diesen Gedanken nur zwanghaft, aber erfolgreich verboten?).
Als sie spät abends alleine in ihrem Couchbett lag und den Fernseher abschaltete, ihr Sohn war in seinem Zimmer nicht zu hören, stört daher ihre Gedankengänge nicht, versuchte sie vergeblich einzuschlafen. Schob die Polster höher, setzte sich auf, dachte über ihre neue Beziehung nach.
Eine solche hatte sie, ohne Zweifel, es war eine Beziehung. Nein, lange konnte sie Horsts Sehnsucht, sein Verlangen danach, mit ihr zu schlafen wohl nicht mehr bremsen. Wozu auch, wollte es ja selbst genauso. Sehnte sich nach seinen Umarmungen, nach noch viel mehr als nur nach diesen. Ewigkeiten hatte sie mit keinem Mann mehr geschlafen.
Wie würde es sein mit Horst?
Sie stellte sich einen gleichermaßen liebevollen, wie bestimmenden Liebhaber vor. Diese Gedanken waren schön, sehr schön, aber sie erregten sie auch stark, ungewöhnlich stark sogar.
Mit Telefonaten (meist um sieben Uhr früh), SMS (tagsüber verteilt, aber immer mehrere) und Mails(sie schrieb jeden Abend, Horst konnte wahrscheinlich nicht immer antworten), verging die Woche.
Für Marianne energiegeladen, erfolgreich. Vormittags spielte sie Sekretärin, die Nachmittage verbrachte sie stundenweise im Büro mit Herrn Tanzer. Der gab sich, mit großem Erfolg und noch mehr Einfühlungsvermögen, wirklich alle Mühe, seiner auserkorenen Nachfolgerin, die Geheimnisse des Einkaufs beizubringen. Sie musste sich zwar innerlich fallweise zur Ordnung rufen, wenn ihre Gedanken sich wieder aus dem Büro schlichen, um in Horsts Armen zu landen, verstand aber jede Einzelheit.
Das Wochenende hatte sie mit Wohnung putzen verbracht. Wie besessen wischte sie Staub, alle Schränke wurden aus und wieder eingeräumt, die Pflanzen umgetopft, der Einkaufszettel komplettiert. Ein schmackhaftes Gröstl gekocht. Ihr Sohn wollte bekocht und versorgt werden. Ein Treffen mit Eva zu Kino und Männerbegutachtung in der kleinen Bar, direkt neben dem Kinogebäude, hatte sie mit einer mehr oder weniger glaubhaften Ausrede, auf kommendes Wochenende vertagen können. Ihr gegenüber hatte sie Horst bisher nur einmal kurz erwähnt, ganz emotionslos, ohne ausschmückende Details. Einer der Teilnehmer des Events von Siena, Punkt.
Der Montag, früher Mariannes absoluter Lieblingstag und fast immer der ultimative Powerstart in die neue Woche, war auf den dritten Platz hinter Diensttag und Mittwoch zurück gefallen. Der Powerstart fand trotzdem statt, im Büro wie am späten Abend. Horst hatte nach 22 Uhr angerufen. Eine ganze Stunde mit ihr telefoniert. Danach schwebte sie nicht ins Bett sondern auf Wolken. Tags darauf erklärte ihr Sohn beim Frühstück, dass er heute mit der Maturaklasse bis Samstagabend nach Salzburg fahren werde. Könnte aber auch Sonntag werden, wenn er bei einem Kumpel pennen würde. Angeblich hätten sie das in allen Details, vor zwei Wochen schon besprochen.
Sie hatte es glatt vergessen!
Sowas war ihr noch nie passiert. Erschrak über diese Tatsache ziemlich, kaschierte es aber gekonnt. Abends stand um 19 Uhr Pilates mit Eva und weiteren acht Damen auf dem Programm. Sie fühlte sich danach immer total in ihrer Mitte, freute sich immer schon am Montag auf diesen sportiv, entspannenden Treff mit der besten Freundin. Anschließend saßen sie meist noch in einer kleinen Vitaminbar um das anwesende, männliche Angebot zu begutachten. Das Wenige spaßhalber ausführlich zu zerpflücken. Total legitim, beide Damen waren geschieden, somit ebenfalls zu haben (wenigstens theoretisch…).
Eva hatte bei Marianne als beste Freundin einen Mehrfachjob als Seelentrösterin, Modeberaterin, Pilatespartnerin, Ernährungscoach und noch einige andere, weniger wichtige Funktionen. Seit Jahren, stets wechselnd, mit mehr oder weniger Intensivität aber immer (meistens…) mit viel Erfolg.
Eigentlich war die um fünf Jahre ältere Eva, die Schulfreundin von Mariannes älterer Schwester Babsi. Vor gut fünf Jahren hatten sie sich zufällig in Eva´s Modegeschäft wieder getroffen. Marianne suchte etwas für ihre Wintergarderobe. Hatte in einer Postwurfsendung genau das gesuchte Teil entdeckt. Rein zufällig ein Prospekt von Eva`s Laden.
Sie freuten sich beide über das zufällige Wiedersehen, setzten sich gleich in Evas Pause in das Café um die Ecke auf einen Café Latte Plausch. Seither waren die beiden so gut wie unzertrennlich.
Eva war optisch das krasse Gegenteil von Marianne. Hatte kein Problem damit, sich selbst als busenloses, männermordendes Ungeheuer zu bezeichnen. War fast einen Kopf größer als Marianne, hatte eine strohblonde, pflegeleichte Kurzhaarfrisur, ein hübsches Gesicht mit einer kleinen, spitzen Nase, schmalen Lippen und eine wirkliche Mannequinfigur, das noch mit fünfundvierzig. Sie saß an der Modequelle, pflegte einen eher flippig-praktischen als feminin-eleganten Kleidungsstil. Trotz ihrer Größe liebte sie alles andere als flache Schuhe. Verabscheute Handtaschen, sammelte Umhänge Beutel, aus aller Herren Länder. Einige davon hatte sie selbst von weit her als Reiseandenken mitgebracht.
Eva`s Ehe war kinderlos geblieben, nach zwölf Jahren Ehequälerei (Evas Worte…) geschieden worden. Sie war wieder in den Beruf eingetaucht, hatte es bis zur stellvertretenden Marktleiterin gebracht. Eva lebte, wie sie es nannte, aufgeteilt. Die Aufteilung bestand aus zwei Zimmern, einer großen Wohnküche und einer Dusche mit WC. Ihre drei Meter hohen Räume gruppierten sich um den Stiegen Aufgang im zweiten Stock der elterlichen Villa. Von diesem zentralen Raum aus führten vier Türen, eine in jede Windrichtung. Eine schmale Treppe führte noch einen Stock höher, hinauf in einen kleinen, achteckigen Turm. Dorthinauf zog sie sich zurück, machte ihre Jogaübungen, las Esoterikbücher.
Das alte Haus aus der Gründerzeit war Familienbesitz, lag am nördlichen Stadtrand der Landeshauptstadt. Erhöht über der Stadt, in einem romantischen, verwilderten Garten mit zwei beeindruckenden Eichen, roten und weißen Oleanderbüschen, mehreren uralten, naturbelassenen Rosenhecken.
Ein großer Vorteil dieses Gartens war, problemlos, jederzeit einen Parkplatz zu finden. Evas Eltern bewohnten den ersten Stock. Im Parterre hatte ihr Vater seine Anwaltspraxis. Waren er, seine Sekretärin und ihre Mutter gleichzeitig im Büro, kamen zweihundert Jahre zusammen, witzelte Eva. Trotz seines Alters, arbeitete ihr Vater immer noch als Rechtsbeistand, wenn auch seltener.
Eva lebte für ihren Job, joggte gern, liebte Kochexperimente, Modezeitschriften, Maniküre, Pediküre, eigene experimentelle Exotikteemischungen, Langzeitduschen und – Marianne (ihr Mädel, wie sie sie nannte…). Sie hatte nur eine wirklich fixe Beziehung. Seit zweieinhalb Jahren zu Benjamin, ihrem kastrierten Kater, der mit vollem Namen eigentlich Benjamin Blümchen hieß. Er hatte die angenehme Wesensart, ihr grundsätzlich nicht zu wiedersprechen.
Im Gegensatz zu Benjamin, machten alle menschlichen Männer die Eva nach ihrer Scheidung kennen gelernt und abgeschleppt hatte, natürlich unwissentlich, diesen Kardinalfehler. Das war meist das unwiderrufliche Ende ihrer Langzeitbeziehungen, die in der Regel zwischen 48 und 960 Stunden dauerten.
Marianne war gerne bei Eva, kam vorbei, kuschelte sich in die bunte Polsterlandschaft und schlürfte eine Mischung undefinierbarer Teezusammenstellung mit braunem Zucker oder Honig. Konnte entspannt über ihre kleinen und größeren Kümmernisse quatschen. Horsts Name hatte in diesem Refugium bisher noch keinen Zugang gefunden, absichtlich nicht…