Читать книгу Brief an Marianne - Martin Winterle - Страница 18
Ein eigenes Reich!
ОглавлениеAufwachen, kein Sohn der gähnend aus seinem Zimmer schleicht, ewig im Bad nicht fertig wird, den WC Spray prinzipiell nicht findet, oder wenn doch, wenigstens nicht verwendet. Niemand mehr da der mosert wenn es einmal, ausnahmsweise keinen Fruchtmilchdrink mit Mango im Kühlschrank gibt. Gibt es einen, ihm bis zum Ablaufdatum und darüber hinaus, keine Beachtung schenkt. Ihn letztlich sie trinken muss, obwohl sie Mango nicht ausstehen kann. Keiner mehr da, der zum Abendessen kommt, oder auch nicht, natürlich ohne sich irgendwie abzumelden. Keiner der morgens schon meckert, wenn Marianne Regionalsender hören will, statt HipHop und ähnliche, in ihren Ohren quälende Töne, die sie aus seinen Ohrstöpseln zwangsbeglückt mitbekommt. Weniger Wäsche wird sie künftig auch zu waschen haben, dafür mehr Taschengeld. Wie wohl ihre Mutter zurechtkommen wird, mit den verschwitzten Handballdressen von ihrem Enkel?
Aufwachen, keine Anrufe, keine SMS von Horst mehr, wenigstens keines mehr, das sie lesen würde, auf das sie wartet, sehnsüchtig hin zitternd. Nein, vergessen hatte sie ihn nicht, wie auch, zu tief waren ihre Gefühle für ihn gewesen. Viel zu oft hatten ihre Träume, ihr das Trugbild, einer glücklichen, gemeinsamen Zukunft vorgegaukelt. Ihr in den schillerndsten Farben, Traumbilder ausgemalt, vorbei…
Wirklich lange hatten sie sich gehalten, seine Rosen. Den Strauß, den er ihr, direkt an ihrem Geburtstag, überfallsartig ins Büro gebracht hatte. Fast zwei ganze Wochen lang, waren sie eine Zierde in ihrer Vase gewesen. Links von ihr, am Fenstersims gestanden. Bei ihrer Pflege eigentlich kein Wunder, sie liebte Blumen. Nur eine, die kleinste Knospe, war nie wirklich aufgeblüht, sofort vertrocknet. Sie hatte sie nicht mit dem restlichen Gebinde entsorgt. Sie lag jetzt vor ihr, zwischen ihrem Bildschirm und der Tastatur. Lag neben dem Bild von ihrem Sohn, das ihn im Handballdress, mit einem Pokal in der Hand zeigt. Wie hatte er da gestrahlt, wie glücklich war er gewesen, zum ersten Mal Sieger! Das war vor fast zehn Jahren gewesen.
Eva war gestern bald heimgefahren, würde heute ein langer, stressiger Arbeitstag für sie werden. Monatserster gerade gewesen, die Leute hatten Geld. Zudem ein mieses Wetter. Nieselte lustlos aus grauen, tiefliegenden Wolkengebilden, zugleich blies ein unangenehmer Wind, von der wolkenverhangenen Nordkette herunter. Für viele shoppen der angesagteste Samstag Zeitvertreib. Marianne begann knapp nach acht Uhr mit ihrer Möbelsuche. Nicht im Internet, wollte selber angreifen können, was künftig ihr kleines Reich mit ihr teilen, es erst so richtig in ein kleines Paradies verwandeln sollte. Bis zu Eva´s Mittagspause, hatte sie bereits einen Packen Prospekte von Wandverbauten zusammengesammelt.
Der unangenehm hohe Geräuschpegel im SB Lokal, in dem Eva, dank Mitarbeiterbonus günstig speisen konnte, für Mariannes Erklärungen, der denkbar ungeeignetste Ort. Morgennachmittag, nach dem Monatsbrunch mit ihrer Mutter, wird sie zu Eva fahren, hatten dann Muse, in aller Ruhe die Einzelheiten zu studieren. Die Angebote gleich preislich abzugleichen. Einschließlich der Kosten für Lieferung und Montage. Wenn sie geschickt verhandelte, konnte sie gutes Geld sparen. Clever verhandeln, als Einkäuferin ihr tägliches Brot.
Eva wollte heute noch, sollte er dienstfrei haben, dann spätestens am Montag, den Ernst, einer der Haustechniker interviewen, ob er bei Marianne den neuen Boden legen, die Beleuchtungselektrik überarbeite würde. Eva kannte Ernst seit Jahren, hatte ihm öfter schon Jobs in der elterlichen Villa und bei guten Bekannten vermittelt. Er arbeitete sehr sauber, kannte sich in vielen Gewerken aus, verlangte echt nicht viel, gemessen an seiner Leistung. Zufällig kam er ihnen entgegengegangen, als sie auf den Weg zu Eva´s Modemarkt waren. Eva machte die beiden kurz miteinander bekannt, erläuterte Ernst, ihr Anliegen. Kein Problem, am Montag würde er gleich nach Dienst in Mariannes Wohnung kommen, sich einen Überblick verschaffen. Montag ging nicht, da hatte Marianne Italienischkurs. So hatten die beiden ein Rendezvous am kommenden Mittwoch, um 17 Uhr.
Das sonntägliche Brunch Thema für Mariannes Mutter, ausnahmsweise nicht Todesanzeigen in der lokalen Presse, auch die neue Ordinationszeit ihres, selbst schon pensionsverdächtig alten Hausarztes, kam nicht zur Sprache, die Preiserhöhung der Rezeptgebühr, unterschlug sie ihrer Tochter ebenso, wie die Tatsache, dass ab sofort, eine neue Putzfirma, in ihrem Haus die Stiegen reinigen würde.
Heute gab es für sie als alleiniges Thema, nur ihren neuen Untermieter. Die alte Dame war total aufgedreht, hatte sie ja plötzlich eine ganze Menge neuer, bisher völlig unbekannter Aktionen zu starten. Ja, und welch nette Freunde ihr Enkerl doch hatte, so gut erzogen, richtig solide Burschen. Sieht man heute nicht mehr alle Tage. Nein, da musst du lange suchen, so höflich und ruhig und hilfsbereit. Da sagen die Leute, die heutige Jugend ist nichts wert, so ein Schmarrn. Oma hatte sich warm geredet, war ganz in ihrem Element. Von ihren Einrichtungsplänen zu erzählen, soweit war Marianne in den gut zwei Stunden nicht ansatzweise gekommen. In die passive Rolle der Zuhörerin, zur bestenfalls fallweisen Jasagerin mutiert. Die Unterhaltungen der beiden, verliefen eigentlich selten anders. Da war der anschließende Nachmittag mit Eva schon viel konstruktiver. Auf deren leergeräumten Küchentisch, lagen alle, von Marianne organisierten Unterlagen ausgebreitet, inclusive Wohnungsplan mit Originalmassen. Als Wandverbau würden zwei Schränke, mit je einer Doppeltüre links und rechts, ein halbhohes Mittelteil mit Überbau umschließen. Zwischen diesen Highboard und seinem leichten Überbau, könnte ein großer, beleuchteter Spiegel, eine super Auflockerung bieten, müßte klasse aussehen, fanden beide. Drei Schubladen würde der Mittelteil haben, wurde in passender Länge angeboten, damit die Wand perfekt genützt. Wegen dem Fensterunterbau, in möglichst demselben Farbton, wird sie mit Ernst am Mittwoch reden, ihm den Möbelprospekt zeigen. Rechts dasselbe Highboard stellen, wie zwischen den Kästen.
Eva hatte ihr französisches Bett damals aus dem Internet bestellt. Sie befragte die Homepage ihres Lieferanten. Siehe da, drei Jahre später, immer noch im Angebot. Es würde perfekt in Mariannes neues Reich passen. Der Clou an der Sache – dieses Modell wurde abverkauft, verschleudert zu einem Preis, bei dem Eva blass wurde. Ihres war um die Hälfte teurer gewesen. Eva orderte gleich, als Lieferzeit wurden zwei bis drei Wochen angegeben, würde ja super passen.
Marianne kam nicht darum herum, ihrer Freundin ein Kompliment nach dem anderen dafür zu machen, wie perfekt sie sich optisch den Raum vorstellen konnte. In Gedanken das komplette Zimmer einrichtete, es sich bereits komplett möbliert, visualisierte.
Hatte Eva doch persönlich einen komplett anderen Einrichtungsgeschmack als sie. Mit Ausnahme ihrer französischen Liegewiese, einer Hightech Küchenzeile, so wie einer, fernbedienbaren Luxusdusche, gab es bei Eva kein einziges Möbelstück, dass sie nicht aus dem eigenen Familienfundus von Schuppen, Dachboden, Keller requiriert hatte. Bei Antiquitätenhändlern, auf Flohmärkten oder aus Secondhandläden weggeschleppt hatte. Alle diese Stücke hatte Eva eigenhändig abgelaugt, notwendigenfalls repariert. Nach Lust und Laune, durch poppige Farben, eine persönliche, Eva-Linie verpasst.
Zwischen der elementar wichtigen Frage, ob zwei oder drei Hängeteile notwendig wären, wenn ja, in welchen der vier Kästen sie ihren Platz finden sollten, schlug die altmodische Hausglocke an. Eva´s Eltern waren zum Essen nach Seefeld gefahren, es konnte nur sie betreffen, war ja auch ihre Bimmel gewesen. Sie öffnete das Küchenfenster, sah in den Hof hinunter.
>Hi Ines, komme gleich, Vater hat die Türe abgesperrt, die sind ausgeflogen. <
>Macht eh nix, die Ines stört uns ja nicht, oder? <
Wandte sich Eva an sie, suchte ihren Schüsselbund dort, wo er eigentlich sein sollte, aber natürlich nicht hing.
>Nein, ganz im Gegenteil, freu mich immer die Ines zu sehen. <
Mariannes ehrliche Antwort.
> Hallo Marianne, hab dein Auto im Hof stehen sehen. Mir gedacht, ihr bleibt bei dem Sauwetter sicher bei Eva. Letzte Nacht habe ich ein wenig mit einem neuen Sachertorten Rezept experimentiert, ihr seid jetzt meine Versuchskaninchen. <
Damit hob sie den Deckel von ihrem runden Kuchenbehälter. Zum Vorschein kam eine märchenhaft duftende Leckerei, Schlagsahneverziert mit für sie nicht untypischen, mystischen Ornamenten.
>Voila, das Ergebnis, wenn ihr noch extra Schlagobers wollt, springe ich schnell rüber, ich hab eine ganze Schüssel voll davon kalt gestellt. <
Während Ines tatsächlich noch einmal auf einen Sprung in ihre Wohnung huschte, deckte Marianne den Tisch, Eva setzte ihre Kaffeemaschine unter Dampf. Die Torte war ein Traum, Ines konnte berechtigt, eine Menge ehrlicher Komplimente einheimsen. Nur was war das diesmal für ein Experiment gewesen? Marianne, besonders aber Eva, hatte schon öfter das Vergnügen gehabt, einer von Ines perfekten Torten genussvoll zu Leibe zu rücken. Was hatte sie heute anders gemacht als sonst? Das Geheimnis war schnell gelüftet, der Grund des Experiments gleich verraten. Ines hatte letzte Nacht nicht einschlafen können, eigentlich nur deswegen gebacken. Das Packpulver hatte sie bei ihrem letzten Einkauf, irrtümlich von einem anderen Produzenten genommen. Die Füllung bestand aus Marillenmarmelade, mit einem Rest von Orangenmarmelade, den sie im Kühlschrank nicht mehr sehen konnte…
>Die fünf Samstagabende stehen bei mir schon rot im Kalender. Danke, dass ihr mich mitnehmt. Wird mit Sicherheit wieder eine Megastimmung sein, wenn nicht, sorgen wir drei für ein Feuerwerk! <
Ines hatte sich, bereits ganz aufgeregt, bei den Freundinnen für die Handballturniertermine bedankt. Sich an Marianne wendend, fragte sie unsicher, ob sie mit diesem Horst Schluss gemacht habe. Ja, sagte die Angesprochene mit fester Stimme, definitiv. Ines lächelte versonnen, irgendwie tief aus ihrem Inneren heraus, griff impulsiv nach Mariannes Handgelenk, drückte sie fest.
>Habt ihr ein besonderes Gesprächsthema ihr beiden, wobei ich euch vorhin gestört habe? <
Wollte Ines mit einem Blick auf die verstreut herumliegenden Möbelprospekte wissen. Marianne erzählte ausführlich, was sich in ihrem Leben in den letzten Tagen verändert hatte, vor allem, was noch alles bevorstand.
>Also Türstöcke abschrubben und neu lackieren, darf bitte ich machen, würd´ gerne auch beim Putzen helfen, oder was halt ansteht, wo ihr mich brauchen könnt. Bitte lasst mich mithelfen! <
Marianne warf Ines einen dankbaren Blick zu. Ja, die Türstöcke hätten es alle nötig. Also, alle Türstöcke gingen an Ines.
>Die Wände werde ich vorspachteln, etwas anschleifen, weiß ausmalen, den Plafond natürlich auch, ist das ok, Marianne? <
Eva´s Anteil somit fixiert. Hatte als besonderen Gag die Idee eingebracht, einen Teil der Wand hinter dem Bett, einen weiteren über dem Highboard neben der Türe, in hellen Pastelltönen zu malen. Nicht bündig, von Wand zu Wand, sondern auf jeder Seite, einen breiten Streifen, weiß zu lassen. Eventuell in zartem altrosa, sonnengelb, mintgrün, milchigblau. Die Nuance war noch zu diskutieren. Die Malerarbeiten wurden somit an Eva vergeben.
>Was mach dann ich, welche Rolle habt ihr mir zugedacht? <
Mariannes scherzhafte Frage.
>Du spielst die Jausentante und die Chefin! <
Ines und Eva wie aus einem Mund.
Eva hatte einen Notizblock geholt, in Ernst, Marianne, Ines und Eva unterteilt. Dann wurde aufgeschrieben, wer was zu tun hatte. Die benötigten Werkzeuge und Materialien notiert.
Der ganze Nachmittag verging mit produktivem Denken, festhalten der zu erledigenden Aufgaben. Marianne würde gleich morgen mit dem Möbelhaus Kontakt aufnehmen, einen Mitarbeiter zum exakten ausmessen in ihre Wohnung bestellen. Das Bett hatte Eva bereits geordert, die Auftragsbestätigung würde morgen auf ihr Handy kommen.
Am Mittwoch hatte dann der Ernst(nicht der Horst…), einen Termin mit und bei Marianne…
Zwei Männer an einem Mittwochnachmittag, sie hatte sich echt gesteigert, die gute Marianne!
Um 14 Uhr kam der erste, hieß Peter, war kaum älter als ihr Sohn. Schon war sie mit ihm im Schlafzimmer verschwunden, Marianne, Marianne!
Nach einer guten halben Stunde, standen sie sich wieder im Flur gegenüber, machten beide einen recht zufriedenen Eindruck. War auch eine ausgesprochen gelungene Aktion gewesen, hatten perfekt zusammengespielt, die zwei. Er hatte alle ihre Träume umgesetzt, sie ihm noch eine kostenlose Montage herausgelockt. Aber erst in vier Wochen, schneller gings beim besten Willen nicht. Sie musste sich etwas erholen, bei einer Tasse Kaffee, auf ihrem Balkon. Heute schien wieder einmal die Sonne für sie, nicht nur äußerlich…
Punkt 17 Uhr kam der Ernst, Mittwochnachmittag Mann Nummer zwei. In Fahrt, wie sie nun schon einmal war, schleppe sie auch den Ernst in ihre Kemenate. Einen Dimmer Schalter, drei neue Steckdosen, in einem fetzigen Design, sollte Marianne selber aussuchen. Kaufen wo sie was ansprechendes entdeckte. Am besten gleich mit der Deckenbeleuchtung ihrer Wahl, er wird dann alles montieren und installieren, wirklich keine Hexerei. Den Überbau für das erweiterte Blumenfenster, wird er ihr nach Maß machen. Erst wenn die Möbel montiert sind, dann exakt im selben Furnier tischlern. Für den Parkettboden schrieb er Marianne auf einen Zettel, Firma und Ansprechpartner, wohin sie sich wenden sollte. Notierte die benötigte Masse, den Untergrund, Länge der Randleisten. Der Verkäufer, Ernsts Bekannter, soll ihr einen guten Preis machen, das Material gleich in ihre Wohnung liefern. Den alten Teppich schneidet er streifenweise heraus, nimmt den Müll in seinem Firmenbus mit, entsorgt ihn für sie. Den alten Lüster hatte er gleich abgeklemmt, das Kabel isoliert. Jetzt konnte Eva gefahrlos, nach Herzenslust malen. Marianne solle ihn anrufen, wenn der Bodenbelag geliefert, das Zimmer ausgemalt sei. Wenige Tage später, hätte er dann auch seinen Part, für ein neues, perfektes Marianne Reich, beigetragen. Der Ernst blieb noch auf ein Bier, dass ihm Marianne angeboten hatte. Setzten sich gemeinsam auf den Balkon, unterhielten sich über Gott und die Welt. Hatte ihm Eva´s Aschenbecher gebracht, damit er in Ruhe eine Zigarette zum Bier genießen konnte. Ein sympathischer Mensch, Ende Fünfzig, mit sehr natürlichen Ansichten, dachte sie. Vielleicht etwas einfach gestrickt, dafür ein Typ zum Anlehnen. Wäre, unter anderen Umständen, nicht zu verachten. Die Frau, die ihn an ihrer Seite hat, kann sich darüber sicher nicht oft beschweren. Aber auch Marianne konnte sich nicht beschweren. Konnte, wenn sie nur wollte, zwei Männer haben, an jedem Mittwochnachmittag. Brauchte nur mit den Fingern zu schnippen. Konnte auf den speziellen einen, locker verzichten, kam ihr trotzig in den Sinn…
Warum kauerte sie dann, nur wenige Minuten später auf ihrer Couch, zusammengekrümmt wie ein armseliger Wurm, von einem heftigen Weinkrampf, nur so geschüttelt?
„Somewhere My Love“ …warum musste Al Martino es gerade jetzt, in diesem Augenblick, aus ihrem kleinen Küchenradio heraus schmelzen lassen? Es war der Moment gewesen, eben dieser Song erklungen, zu dem Horst, sie eng an sich drückend, erstmals ihre Hand an seine Lippen geführt hatte, damals in der romantischen Kellerbar ihres gemeinsamen Hotels in Siena.
Wo war Siena?
Wie weit ist das alles weg, wie viel unendlich Schönes, noch viel mehr unsagbar Trauriges, hat ihr diese erste Dienstreise als zukünftige Einkäuferin gebracht. Tränenüberströmt stand sie auf, schob fahrig eine verklebte Haarsträhne aus dem Gesicht, ging ins Bad, ließ kaltes Wasser laufen, wusch sich ihr Gesicht, immer wieder mit frischem Wasser, bis sie langsam ruhiger, gefasster wurde.
VORBEI MARIANNE!!!
Übernächsten Samstag kurz nach acht, Damentreff bei Marianne.
Beladen mit Farbkübeln, Rollen, Pinseln, Verlängerungsstange, Moltofill, Abdeckbänder, Leiter, weißem Lack, verschiedenen Tuben Pastellfarbe und vielem mehr. Lack und Dispersion hatte Eva eingekauft, alles andere ihrem Fundus entnommen. Wie gut, dass Ines´ Uraltpolo immer noch ein gültiges Pickerl hatte. Konnten mit offener Heckklappe die Leiter transportieren.
Eva´s Mini hätte da wohl eher gestreikt.
Während Eva gekonnt sämtlich größeren und kleineren Schäden an den Wänden, wieder unsichtbar machte, schmirgelte Ines, verkleidet in einem hellblauen Overall, mit modisch nicht ganz passenden, aber wirkungsvollem Schweißband in signalorange, wie besessen die Türstöcke matt. Die Hausfrau, in ihrem ältesten Jogger verpackt, half dabei nach Kräften. Eva hatte, vor Mariannes Wohnungstüre, ihre High Heels gegen passendere, Flip Flop getauscht. Da noch der alte Teppich im Zimmer lag, musste sie nichts abdecken, konnte klecksen so viel sie wollte. Marianne hatte eine süße Jause organisiert, dazu Tee aufgebrüht. Die gemeinsame Beschäftigung machte allen drei echt Spaß. Hatten immer was zu lachen, sei es nur über Ines´ grauer Schleifstaub in ihrem heute, vor Aufregung, ziemlich hochroten Gesicht. Zum Essen hatte Marianne griechischen Spinatstrudel in Blätterteig vorbereitet, der nur noch ins Backrohr musste, dazu eine Flasche leichten Rotwein. Nicht aus Griechenland, sondern aus dem Trentino. Erst wollten sie die Arbeiten abgeschlossen haben. Während Eva die Decke in strahlendes Weiß verwandelte, Marianne mit einer kleinen Walze alle Ecken und Kanten mit Farbe versorgte, rollte Ines, leise eine, immer gleiche Melodie, vor sich hin summend, einen Türstock nach dem anderen. Begann wieder beim ersten, zweimal deckt einfach besser, Ines´ fachlicher Kommentar dazu. Dann wurde, mitten im glänzend weißen Raum, Kriegsrat gehalten. Welche Pastelltöne für wohin? Passend zur Farbe des französischen Bettes, wurde der Hintergrund in einem hellen Orange, einstimmig zum Sieger erklärt. Zum Favoriten für die rechte Wand, oberhalb des Highboard, ein Hauch von lindgrün, gemischt von Eva aus der Tube, gekürt. Damit gab es erstmal eine neue „schräge“, nur hieß sie Eva, nicht Ines. Der linke Rand des zarten Pastellgrüns hatte eine leichte Schräglage. Eva korrigierte lachend. Gestern waren bereits die Parkettbretter samt Zubehör geliefert worden. Ein cooles Lichtelement aus Alustangen mit mehreren, verschiebbaren, kleinen Leuchten, dazu absolut fetzige Schalter und Steckdosen, im selben Aludesign, lagerten, bereit zur Montage im Wohnzimmer. Sie hatte sie vor einer Woche beim Kaufhausbummel entdeckt, gleich mitgenommen. Während die Türstöcke langsam ihren Trockenglanz erhielten, die Farben ihre dunklen, glänzenden Feuchtigkeitsflecken auflösten, ließen sich die drei Meisterinnen, das vorzügliche, griechisch inspirierte Abendessen schmecken. Mit einem Glas Wein hatten sie angestoßen, auf Mariannes neues Reich, auf ihre Freundschaft und auf…das Leben…
Wieder einmal Mittwoch, genauer Mittwochnachmittag in Mariannes Schlafzimmer.
Leuchtschiene, Schalter und Steckdosen waren montiert.
Ernst war wirklich zu gebrauchen. Gerade schnitt er den Teppichboden in Streifen, klebte Packband um die handlichen Rollen. Sie trug sie vor das Haus zu seinem Auto hinunter. Es war eine Freude, dem Parkettboden beim Wachsen zuzusehen. Ziemlich verschwitzt, dafür mit seiner Arbeit zufrieden, verlegte der gute Ernst gegen 22 Uhr, das letzte Brett. Die Randleisten würde er montieren kommen, sobald die Möbel geliefert und aufgestellt sind, dann auch das Blumenfenster in Angriff nehmen. Sie war begeistert. Wie verändert sah das Zimmer heute bereits aus, frisch gemalt und ein traumhaft schöner, heller Parkettboden. Unglaublich groß, erschien der Raum plötzlich. Sie war echt glücklich, wie schon lange nicht mehr. Zwei Wochen später durfte sie erstmals probeliegen, auf einem Bett, das sie von Eva her bereits kannte. Mit dem einen, feinen Unterschied – das war ihr eigenes Bett!
Zufall oder keiner, wieder Mittwochnachmittag, als ihre Liegewiese geliefert wurde. Schon wieder, diesmal gleichzeitig mit zwei Männern in ihrem Schlafgemach. Der Gedanke war ihr erst gekommen, als die männlichen Muskelpakete bereits gegangen waren. Amüsierte sich ehrlich darüber, dass es einen Mittwoch ohne Männer, für sie so gut wie nicht gab. Anscheinend gab es Mittwochnachmittag Männer, wie Sand am Meer, auch für sie.
Zwei weitere Wochen später, diesmal an einem Donnerstag(…wieso eigentlich nicht Mittwoch?), wurden die Schränke geliefert. Der an seinen Ecken leicht abgeschrägte Spiegel mit integrierten Leuchten, faszinierte Marianne am meisten.
Nun konnte sie ihr Zimmer einräumen, alles neu, alles das erste Mal. Sie hatte ein eigenes Schlafzimmer, nur für sich alleine, nach so vielen Jahren. Konnte es kaum fassen. Viel hätte nicht gefehlt und sie hätte Purzelbäume geschlagen.
Es roch wieder anders, als nach dem malen, anders auch als das Bett geliefert wurde. Der viele Platz, den sie nun hatte, Stauraum ohne Ende. Wochenlang würde sie nun einräumen, wieder ausräumen, um dann doch wieder alle ihre Klamotten und anderen Krimskrams, so zu verstauen, dass sie auch das Passende fand, wenn sie danach suchte. Die neuen Vorhänge, aus schwerem, dunkelrotem, blickdichten Stoff und der geraffte Store, den sie bereits passend genäht bestellte, werden sich echt gut einfügen, war sie sich sicher.
Natürlich wurde Eva sofort, diesmal anschließend auch Ines, kaum dass sie alleine war, angerufen. Sie musste ihre Freude ja schnellstens mit jemanden teilen. Eva und Ines hatten einen bedeutenden Anteil an ihrem gelungenen Wohnungsneustart.
Am Wochenende würden sie sich bei ihr treffen. Ines hatte für Samstag noch einen nicht bestätigten Kundentermin, es könnte also Sonntag werden. Warum nicht einen deprimierenden Sonntagabend, in einen, sicher lustigen, zu dritt verwandeln?
Marianne überlegte nicht lange, was sie vorbereiten, kochen könnte. Toasts mit Ananas, Schinken, Käse, dazu Saures und frischen Salat würde sie anbieten. Zwei SMS später, war diese Idee bereits begeistert angenommen worden…
Mit verschränkten Armen lehnte sie am Türstock, wieder einmal Mittwochnachmittag.
Ernst montierte gerade den Heizungsüberbau, ihr neues, großes Blumenfenster, hatte die Bodenleisten bereits verklebt. Somit der letzte Akt, dann war ihr neues Reich komplett. Nun wird es für sie, so schnell, keinen Mittwochnachmittag Mann mehr geben. Hatte sie sich nur abgelenkt, war sie nur, vom Schicksal der Zeit, weiter getrieben worden?
War der, für sie letztlich doch emotionale Auszug ihres Sohnes, die Feierlichkeiten zu ihrem vierzigster Geburtstag, die unvergessliche Hamburgreise, die vielen, verschiedenartigen Aktivitäten die notwendig waren, um so ein schönes Zimmer zu besitzen, nur Ablenkung gewesen?
Konnten sie, der lernintensive Italienischkurs, der immer mehr Zeit und Einsatz erfordernde, neue Arbeitsbereich als Ersatz für Herrn Tanzer, wirklich auf Dauer, auf andere Gedanken bringen? Ihr gingen gerade diese Gedanken durch den Kopf, immer wechselnd, sich ablösend, durchaus positive Impulse, dennoch blieb ein unbestimmtes Ziehen in ihrer Brust. Sich zur Ordnung rufend, fragte sie, mit freundlich, fröhlichem Tonfall:
>Du trinkst schon noch ein Bier, gell Ernst? Oder magst lieber einen Kaffee? Ich hätte auch Kuchen dazu, allerdings keinen selber gebackenen, nur die Supermarktversion. <
Ernst hatte sein Werkzeug in den Koffer verpackt, stand begutachtend, vor seinem gelungenen Werk.
>Eine Schale Kaffee wäre mir recht, vor allem, wenn du einen mittrinkst! <
>Ja, das würde ich jetzt auch brauchen können. Dann sagst du mir bitte, was ich dir schuldig bin. Ich bin total begeistert, über alle deine Arbeiten, hab eine Riesengaudi damit. Mit dem Boden, dem neuen Licht und jetzt mit meinem Blumenfenster, erst recht. <
Sie verbrachten noch mehr als eine gute Stunde mit angenehmer Plauderei. Er hatte sehr bodenständige Ansichten, ein freundliches, innere Ruhe ausstrahlendes Gesicht, einen offen Blick. Einfach ein sympathisches Gegenüber. Finanziell hatte sie mit mehr gerechnet, als Ernst für seine Arbeit verlangte. Sie rundete die geforderte Summe auf, was er dankbar annahm. Hatte sie doch durch ihn, alleine beim Bodenkauf, einen schönen Nachlass bekommen…
Ernst war gegangen, sie saß auf die Bettkante. In Gedanken versunken, die stetig wanderten, nie ruhig wurden. Nie bei einem Thema bleiben konnten, immerzu zurückkamen.
Zurück zu ihrem dritten Mittwochnachmittag mit Horst…