Читать книгу Brief an Marianne - Martin Winterle - Страница 16
Rote Rosen
ОглавлениеVon der schrägen Ines hatte sie, bereits gestern am frühen Morgen, ein herzliches Mail bekommen! Auf grünem Untergrund zahllose, hellviolette Veilchen, Marianne, sehr persönliche Geburtstagsgrüße gesandt. Zwar einen Tag zu früh, für Ines ganz normal, lieber zu früh als darauf vergessen. Auch sonst war der gestrige Montag, ein wenig anders verlaufen, als die letzten Montage. Die Aktie – Montag - hatte nämlich zugelegt, ganz gewaltig an Wert gewonnen. Der große Verlierer bei Mariannes Wertigkeiten, war der – Mittwoch - geworden.
Natürlich musste sie den Kolleginnen im Büro ihr Hamburger Wochenende erzählen, ausführlich schildern, schwärmte auch richtiggehend davon. Nicht gerade profitiert hatte ihr Italienischseminar, von den letzten, so ereignisreichen Tagen. Der abendliche Kursbesuch hatte sich, drei Stunden lang, einen halbwegs gangbaren Weg, zwischen körperlicher Anwesenheit und geistiger Abwesenheit gesucht…
Ab heute war sie also Vierzig.
Ihr Großer hatte ihr beim Frühstück bereits gratuliert, gemeint, dass er sich schon auf den heutigen Abend freut. Mit seiner „Mutsch“ beim Griechen zu feiern. Mutter und Schwester hatten ihr bereits den Morgenkaffee versüßt. Mona und einige andere Internetbekannte ebenfalls Glückwunschmails geschickt.
Für´s Büro, wollte sie eine kleine Jause spendieren. Da bei ihren Kolleginnen Süßes besser ankam, als Leberkäse oder ähnlich Deftiges, hatte sie gegen zehn Uhr, beim Bäcker um die Ecke ein Sortiment diverser, verführerischer Kalorienbomber geholt, dazu frischen Kaffee aufgebrüht, war kein großer Aufwand gewesen. Sollte ja auch nur ein kleines Zeichen sein, nicht mehr und nicht weniger. Pünktlich, knapp vor acht Uhr war sie ins Büro gekommen. Der tägliche Ablauf nicht anders, als an jedem anderen Vormittag, den sie im Büro verbrachte.
Bis um etwas nach zwölf. Vollkommen unbemerkt, stand plötzlich Horst mit einem Strauß, roter Rosen vor ihr.
>Marianne, du hast heute Geburtstag. Ich wünsche dir alles, alles erdenklich Liebe! <
Mit diesen Worten hielt er ihr den wirklich schönen Blumengruß entgegen. Sichtlich erregt, mit schwankender Stimme noch hinzu gesetzt:
>Bitte verzeih mir, wenn es dir irgendwie möglich ist. Ich liebe dich wirklich über alles! <
Bevor sie reagieren, irgendetwas hervorbringen konnte, hatte er sich bereits umgedreht, die Türe hinter sich ins Schloss gezogen. War so überraschend wie er gekommen war, ebenso rasch auch wieder verschwunden. Sie stand da wie angewachsen, seine Rosen in den Händen haltend. Nur mit Mühe gelang es ihr, ihre Gefühle von tiefer, trauriger Sehnsucht, bis zu ehrlichem Zorn, wie er es nur wagen konnte, einfach hier bei ihr, in ihrem Büro aufzukreuzen, einigermaßen in Schach zu halten.
Die Blumen konnten nichts für die Scheißsituation, Marianne bückte sich um eine Vase aus ihrem Aktenschrank, holte frisches Wasser, ordnete die Gebinde neu und stellte sie auf das Fenstersims. Nicht direkt vor ihren Augen, da hätte sie die Rosen nicht ertragen können. Auf dem Fensterbrett, links von ihr, konnte sie hinschauen, wann immer sie wollte.
Den kleinen Zettel, der zwischen den Blüten zum Vorschein gekommen war, hatte sie in ihre Schublade gelegt, in die oberste, ganz rechts.
„Geliebte Marianne, bitte gib mir noch einmal die Möglichkeit, mit Dir zu reden. Ich liebe Dich über alles, Dein Horst.“
Mehr war auf dem kleinen Stück Papier nicht gestanden, aber es hatte genügt, ihr inneres Gleichgewicht vollkommen durcheinander zu bringen. Auch wenn sie das Telefon läuten ließ, wenn er anrief, seine Mails und SMS in den Müll verdonnerte, ihr Herz konnte sie sich nicht aus dem Leib reißen, leider…
Rasch tippte sie zwei kurze Briefe für den Seniorchef. Er hatte sie ihr auf sein Diktiergerät gesprochen. Ging gleich damit in sein Büro hinüber, ließ ihn unterschreiben, brachte sie zum Postausgang. Er hatte ihren Geburtstag auch in diesem Jahr nicht vergessen. Gratulierte ihr mit der größten Bonboniere, die er bei einem Nobelkonditor auftreiben konnte. Bei welchem wusste sie genau, da ihr Chef dort regelmäßig, auf eine Melange und ein Linzer Stangl vorbeischaute. Wann immer, er in der Altstadt unterwegs war.
Anschließend sputete sie zum Bäcker, um das Sortiment Schlemmereien zu holen. Mit der kleinen Feier, war der restliche Vormittag ausgefüllt.
>Was meinst du, wie ich geschaut hab, wie er plötzlich, mit einem Rosenstrauß, mitten im Büro stand. <
Mit diesen Worten begann Marianne ihr Telefonat mit ihrer Freundin. Beschrieb ihre Gefühle seitdem sie den Rosenstrauß überreicht bekam. Die messerscharfe Trennlinie zwischen Glück und Elend in ihrer Seele. Eines tat genau so weh, wie das andere. Warum wollte, konnte er nicht akzeptieren, dass ihre Beziehung Geschichte war?
Es ein Da capo nicht geben würde, nicht geben dürfte.
Sie ganz bestimmt, nie einen Anfang gehabt hätte, wäre ihr bewusst gewesen, dass er verheiratet ist, zwei kleine Kinder hatte.
Eva war sichtlich verärgert, über Horsts Verhalten. Fand nicht die leiseste Entschuldigung dafür, einfach bei ihrem „Mädel“ aufzukreuzen. Sie erneut in Gewissenskonflikte zu stürzen. Ihre, Eva´s liebevolle Hamburg Therapie, das Ergebnis ungezählter, intensiver Gespräche, getrockneter Tränen, mit einem Schlag zunichte zu machen. Mit dem dringendsten Ratschlag, sich nicht um den Finger wickeln, erneut ins Unglück stürzen zu lassen, beendete Eva, früher als eigentlich geplant ihren Anruf. Natürlich würden sie am Abend, nach dem Dinner von Mutter und Sohn, heute nochmals plaudern. Sie war nun echt unglücklich, mit sich, in sich, mit der, durch die blöden Rosen, entstandenen Situation. Hatte sich dadurch etwas verändert? Nicht, wenn sie nicht wollte. Es war vor den Rosen, genau wie jetzt, immer noch ihre eigene Entscheidung, sich mit Horst noch einmal, zu einer Aussprache zu treffen. Eines war klar, jetzt war es noch zu früh dafür, viel zu bald…
Als eine der Letzten, verließ sie das Büro. So spät, nach 18 Uhr, ging sie selten heim, meist deutlich früher. Nicht, dass sie so viel zu tun gehabt hätte, nein das war´s wirklich nicht. Sie hatte nur keine Lust, im Moment irgendwo anders, als in ihrem Büro(bei Horsts Rosen?), zu sein. Bis zum Geburtstagsabendessen hatte sie ja noch reichlich Zeit.
Wie immer, war es auch heute gemütlich, die griechischen Volksweisen als dezente musikalische Untermalung, zu einem vorzüglichen Mahl, gemeinsam mit dem großen Sohn. Führten eine angeregte Unterhaltung, lachten viel, über aktuelles, aber auch längst verstaubt geglaubtes.
Bis in zwei Wochen müssten seine neuen Möbel zur Oma geliefert werden. Er freute sich schon darauf. Speziell auf den Arbeitsplatz, direkt unter dem großen, westseitigen Fenster. Auch wenn die Tage bis zur Abreise nach Leoben, nun nur noch zweistellig waren, er dann nicht mehr sehr oft im Lande sein würde, ein nagelneues Zuhause erwartete ihn.
Die Termine für die Heimspiele seiner Handballmannschaft, hatte er für seine Mutter im Computer ausgedruckt, gab ihr die Aufstellung. Bat sie ausdrücklich noch einmal, mit den beiden anderen Damen im Schlepptau anzurücken. Sie versprach, sowohl Eva als auch die schräge Ines zu motivieren, Sport wenigstens passiv zu betreiben. Vor der anstehenden Matura hatte er keinen Bammel, ganz im Gegenteil, sie hätte morgen schon abgehalten werden können, würde es nach ihm gehen. Marianne hatte sie gut(leidlich…) überspielen können, ihre innere, fürchterliche Zerrissenheit. Ihrem Sohn war nicht das Geringste aufgefallen. Söhne dachten ja im Normalfall auch nicht daran, dass ihre Mutter, sich aus Liebeskummer, seelisch gerade in zwei Hälften teilte. Von denen, in Minutenintervallen wechselnd, die pro Horst und die dagegen, die Oberhand innehatten. Als sich ihr Filius in sein Zimmer verabschiedet hatte, wählte sie nochmals Eva´s Nummer.
Für diese war es das ultimative Thema, wie sie sich entscheiden würde. Diese meinte, gleich einmal gar nicht. So aus der Emotion heraus, wäre es falsch, jetzt mit Horst nochmal zu reden. Sie hatte (berechtigt…)Angst, ihm nicht widerstehen zu können, seinem erneuten Werben um sie, nachzugeben…
Auf jeden Fall war morgen Mittwoch, ein Mittwoch ohne Horst, dafür mit viel angedachter Arbeit. Sicher, sie würde bereits mittags mit dem Bus heimfahren, dann aber Wäsche waschen, im Zimmer von ihrem Sohn Staub wischen, sein Bett neu beziehen. Mittwochnachmittag ging seine Schule ja bis abends, anschließend war Handball angesagt, da benötigte er sein Zimmer nicht. Sie würde über ihrem Laptop sitzen, fällige und weniger notwendige Mails schreiben.
Sich wechselweise ablenken…beschäftigen…ablenken…beschäftigen…