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Die schräge Ines
ОглавлениеVor zwei Jahren…
Mehrere Monate hatte die Generalsanierung der alten, herrschaftlichen Villa gedauert, auf dem Grundstück, rechts neben jenem, von Eva´s Eltern. Kaum war der Baulärm verstummt, der Staub verflogen, siedelten auch bereits die ersten Mieter ein. Aus den ehemals zwei Riesenwohnungen, waren durch geschickten Um- und Dachgeschossausbau, mehrere kleine, geschmackvolle Einheiten entstanden. Für die Höhe der monatlichen Miete, hätte man locker jeden Kredit für eine Eigentumswohnung bedienen können, aber die erhöhte, sonnige, direkte Stadtrandlage, übte einen Reiz aus, der honoriert werden wollte…
Heute stand er wieder mitten im Hof. Reisefertig, Schnauze voraus Richtung Gartentor, Papas Jaguar. Eva wollte wie gewohnt, mit ihrem, damals schwarzes Mini Cabriolet, gekonnt lässig den Torpfeiler umrunden. Gerade noch rechtzeitig stieg sie auf die Bremse, um nicht gegen Papas ganzen Stolz zu rutschen. Die Augen genervt nach oben verdreht, kletterte sie aus ihrem Auto, stieg in den weißen Nobelschlitten ein, startete und ärgerte sich wieder einmal lautstark, über die, für sie ungewohnte Automatik. Wollte nur ein paar Meter zur Seite fahren, um ihren Mini zwischen dem ausladenden Oleanderbusch und den noch größeren Ungetüm von einem wilden Rosenstrauch abzustellen. Geschafft, stieg gerade wieder aus Papas englischer Raubkatze, als sie ein kratzendes, schleifendes Geräusch vernahm. Sehen musste, wie ihr Mini leicht schaukelte. Mit ihren langen Beinen, waren es keine fünf Schritte, um zu sehen, was soeben passiert war. Ein ehemals rotlackierter Steinzeitpolo, war rückwärts auf ihren geliebten Mini angefahren, hatte genau die letzte, fahrerseitige Ecke mitgenommen. So eine verdammte Scheiße, welches Hirni hat da Knopflöcher statt Augen im Kopf! Das darf doch nicht wahr sein, bei so einer Menge Platz!
Eva musste wohl gerade Drachenartig Feuer gespien, zudem ihre Stimme deutlich über Zimmerlautstärke aufgedreht, mit ihren Armen in der Luft herumgewirbelt haben.
Der rote Polo war ein paar Meter vorgerollt, die Lenkerin ausgestiegen. Woher die Rostlaube das gültige Pickerl hatte, war Eva schleierhaft. Vollkommen verdattert stammelte die Fahrerin, eine Entschuldigung nach der anderen. Sie wäre so aufgeregt gewesen, hatte soeben die Schlüssel zu ihrer neuen Wohnung bekommen. Machte sich die größten Vorwürfe, weil sie so unkontrolliert und schusselig war.
Evas Baby hatte keinen wirklich großen Schaden. Der schwarze Lack war streifenartig rot eingefärbt, zudem eine leichte Delle abbekommen. Eva machte ihrem Ärger lautstark Luft, holte Unfallprotokoll und Zulassung aus dem Handschuhfach. Fuhr vorsichtshalber ihr Auto auf seinen Parkplatz.
Die Unfalllenkerin hatte ihre Handtasche geholt, hielt ihre Fahrzeugpapiere in der Hand. Sah ehrlich zerknittert, zu der, um fast einen Kopf größere Eva hinauf.
>Kommen sie, wir können das Protokoll im Büro ausfüllen, müssen nicht hier herumstehen. <
Forscher, als es normalerweise ihre Art ist, öffnete Eva die Haustüre, betrat gleich links ein leeres Zimmer. Früher ein Konzipienten Arbeitsplatz, als ihr Vater noch mehrere Mitarbeiter beschäftigte. Zog die schweren, hölzernen Rollläden hoch, öffnete einen Fensterflügel um den Aktenmief ins Freie zu entlassen. Nahm hinter dem Schreibtisch Platz, wies mit der Hand auf dem, ehemals für Klienten bestimmten Sessel. Was Visavis von ihr im Fotel versank, eine verschüchterte graue Maus, etwa Ende Vierzig.
>Darf ich mir bitte ihre Daten abschreiben. <
Eva hatte sich beruhigt, einen versöhnlichen Tonfall angeschlagen. Begann mit dem Ausfüllen des Unfallprotokolls. Bei den Führerscheindaten stutzte sie erstmal. Diese Frau war erst 38, fünf Jahre jünger als sie selbst, war Magistra. Es hatte mit der Sache zwar nichts zu tun, aber Eva fragte trotzdem, was sie studiert habe. Juristin sei sie, in der Kanzlei ihres Schwagers als Notarin beschäftigt, antwortete sie kurz, kaum hörbar. In wenigen Minuten war das Schriftliche erledigt. Nachdem sie gemeinsam die Punkte durchgesehen, beide unterschrieben hatten, versprach die Unfalllenkerin, gleich heute Nachmittag, ihrer Versicherung den Schaden zu melden.
>Dann sind wir jetzt sozusagen Nachbarn (gezwungenermaßen…gedacht, nicht gesagt…). <
Eva war aufgestanden, hatte ein kleines Lächeln hervorgezaubert.
Irgendwie, aus einer Mischung von Sympathie und Mitleid, rutschte ihr heraus:
>Ich bin die Eva, die ältere von uns beiden, schlage vor, das wir uns duzen. Wir werden uns ja künftig öfter über den Weg laufen, so Haus an Haus. <
>Ines, ich bin die Ines, wie du ja gelesen hast. Danke für dein freundliches Angebot Eva, gerne, ja ehrlich, freue mich, dich kennen gelernt zu haben. Auch wenn die Ursache nicht wirklich super war. Es tut mir aufrichtig leid, dass ich dir solche Umstände mache. Während dein Auto in der Werkstatt steht, kannst du gern meines haben, ich gehe immer zu Fuß zur Arbeit. <
Bot Ines, sichtlich erfreut über die überraschend positive Entwicklung, Eva ersatzweise ihren antiquierten, fahrbaren Untersatz an. (Eva würde sich Mamas nagelneuen Audi ausleihen…).
>Sobald ich eingezogen bin, musst du mich unbedingt besuchen kommen, ich würde mich echt freuen! Wirklich, bitte komm rüber! <
Ines beeilte sich, gleich einen Anknüpfungspunkt zu setzen.
>Mach ich sicher Ines. Wenn du Hilfe beim Siedeln oder sonst was brauchst, melde dich bitte, ich wohne im zweiten Stock. Zudem hast du meine Telefonnummer. <
Sie zeigte auf die Klingel, neben der Haustüre. Die beiden ungleichen Damen trennten sich mit Handschlag.
Als Eva am nächsten Abend nach Dienstschluss, ziemlich streichfähig, ihr Auto durch die Hofeinfahrt lenkte, winkte Ines herüber. Fast hätte Eva sie übersehen, zwischen den vielen Kartons und Paketen, die sich aus einem Kleintransporter heraus, gerade über die graue Maus ergossen.
Spontan beschloss Eva, anstatt sich den verdienten Feierabend zu geben, kurz ein Haus weiter zu gehen. Vielleicht wurde ihre Hilfe benötigt, sah jedenfalls ganz danach aus.
>Alles deins? Komm ich pack mit an! Wohin sollen denn die Kartons? <
So war Eva, immer spontan und hilfsbereit. Ines war begeistert, stotterte etwas von, einfach nur geradeaus, dann rechts, die Türe sei offen. Das Programm war echt abendfüllend, konnte in Arbeit ausarten. Bücher musste die Frau haben, ohne Ende. Papier kann sehr schwer wiegen, konstatierte sie, nach dem zehnten Bananenkarton, mit der Aufschrift – Literatur.
Auf dem letzten, von Ines hereingewuchteten Wäschekarton, ließ diese sich erschöpft niedersinken.
>Eva ich hab einen gewaltigen Hunger, du sicher auch. Ich ruf den Pizzaservice an. Du magst doch Pizza, oder? <
Ines etwas atemlos, dafür aber hungrig und durstig. Eva nickte zustimmend, bat um eine Capricciosa für sich, würde rasch aus ihrer Wohnung Besteck und etwas zu trinken holen.
Mitten im künftigen Wohnzimmer, mit Schachteln als Möbelersatz, wurden die Pizzastücke auf den Papptellern immer kleiner, die Cola Dosen, stetig leerer…
Sie war aus Salzburg gekommen, mit ihrer Zwillingsschwester, wollten beide in Innsbruck studieren, hatten ein gemeinsames Zimmer. Medizin ihre Schwester, sie wollte ursprünglich Richterin werden. Kein Jahr lebten sie hier, als ihre Eltern, bei einem tragischen Unfall auf der Westautobahn, kurz nach St. Pölten, ums Leben kamen. Finanziell waren sie abgesichert. Zwei Zinshäuser, gut vermietet, betreut von einem vertrauenswürdigen Verwalter, sicherten ihnen ein geregeltes Einkommen. Da hat sie den Herbert kennen gelernt, sich Hals über Kopf in ihren Studienkollegen verliebt. Zwei Semester später, wurde sie gegen eine Sport studierende, Blondine ausgetauscht. Diese Enttäuschung hatte Ines nie überwunden. Sich nur noch auf ihr Studium konzentriert, ein halbes Jahr früher als normal, sogar "sub auspiciis“ promoviert.
Seit einigen Jahren beim Mann ihrer Schwester angestellt, hatte eigenes Klientel, ging voll in ihrer Arbeit als Notarin, auf. Bekannte hatte sie wohl ein paar flüchtige, eine enge Bindung aber nur an die Familie ihrer Schwester. Durfte Patin der ältesten, von den drei Mädchen sein.
Eva hätte sich nicht vorstellen können, dass diese Ines, wenn sie einmal warm geworden war, erzählte wie ein Wasserfall.
Single war sie unfreiwillig, natürlich hätte sie gerne einen Mann an ihrer Seite, wenigstens eine fixe Beziehung, war ja keine Lesbe. Kinder müssten nicht unbedingt sein, sie war bereits dreifache Tante. Aber woher nehmen, und nicht stehlen?
Eva konnte es sich echt nicht vorstellen, wie man dieses, ihr gegenüber sitzende Wesen, das gerade mit Selbstwertgefühl unter dem Nullpunkt, an ihren Fingernägeln kaute, in dieser Optik, an einen, auch nur halbwegs passablen Mann verkuppeln konnte. Ihr fiel ad hoc keiner ein. Ines strahlte ungefähr die Erotik eines russischer Panzerwagen aus. Sowas wie einen modisch versierten Friseur, schien sie nicht zu kennen, Schminke Fremdwort, aber das hatte nichts zu sagen.
Eva´s einzige Freundin, Marianne schminkte sich grundsätzlich nie, zog bestenfalls mal einen Lidstrich nach, trug dezentes Parfum auf, verwendete farblosen Lippenstift, trotzdem ein Blickfang für die Männerwelt. Aber Ines mit Marianne zu vergleichen, das alleine war schon Frevel.
Eva sah auf ihre Uhr, ziemlich spät geworden. Ines bedankte sich überschwänglich für die tatkräftige Hilfe, bat Eva, doch einfach wieder herüber zu kommen, wann immer diese Zeit und Lust dazu hätte. Eva meinte, am Freitagabend, heute war Diensttag, solle doch Ines zu ihr kommen, sie würde einen pikanten Salat machen, so gegen 19 Uhr. Ines hatte ja noch keine komplette Küche. Dann könnten sie weiter plaudern, ihre angefangene Unterhaltung fortführen…
Die aktuelle Frage, zuerst unter die Brause, dann Marianne anrufen, oder umgekehrt. Eva duschte lieber gleich, kurz und bündig, Badezimmer aufwischen schenkte sie sich, abtrocknen auch, Frotteebademantel reicht.
>Hallo Mädel, was ich heute alles erlebt habe, reicht normalerweise für eine ganze Woche. <
Begann Eva ihren Bericht des Tages an Marianne. Nach einer Stunde wusste diese, in allen Einzelheiten, was es in Eva´s Nachbarschaft Neues gab. Diese Ines möchte ich auch einmal kennen lernen, meinte Marianne, neugierig geworden. Eva könne sie ja einmal mitschleppen, wenn sie ins Harley Davidson zum – im Trüben fischen – gehen würden. Stereogekicher für mehrere Sekunden, unterbrach die Unterhaltung. Bei Marianne hatte der Tag keine erwähnenswerten Momente gebracht. Ihr Sohn lernt gerade in seinem Zimmer, sie würde fernsehen. Übermorgen würde sie nach Dienst, mit dem Bus zu Eva ins Geschäft fahren, gemeinsam auf einen Drink gehen, Eva sie später nach Hause fahren, normales Donnerstagabend Standartprogramm…
Freitag pünktlich um 19 Uhr drückte Ines die Glocke zu Eva´s Wohnung, glaubte sie wenigstens. Sie hatte die falsche Klingel erwischt, war bei Eva´s Eltern gelandet. Ihr Vater öffnete, fragte, zu wem sie den wolle. Ines stotterte, mit Eva verabredet zu sein. Der Rechtsanwalt, streckte ihr lachend seine Hand entgegen:
>Herzlich willkommen, Frau Kollegin, meine Tochter hat mir schon von ihnen, ihrem Zuzug ins Nebenhaus, ihrem Pech mit dem Auto erzählt, herein mit ihnen! <
Sie drückte dem Hausherrn die Hand, fühlte sich durch seine Anrede, als Kollegin, gleich um einige Zentimeter größer, plötzlich selbstsicherer. Den Weg in den zweiten Stock fand sie alleine. Eva stand in der Küche, zauberte einen kreativen Salat mit Schinkenstreifen, Parmesan, Cocktailtomaten. Garnierte ihn mit Scheiben von hartgekochten Eiern. Würde In wenigen Minuten fertig sein, nur verfeinern möchte sie noch. Ein kleiner Schuss Nussessig fehlte noch. Frisch geschnittenes Schwarzbrot durfte indes Ines auspacken, Besteck aus der Lade und Teller aus der alten, abgelaugten Kredenz holen, auch gleich. Zum Trinken soll sie sich bitte aus dem Kühlschrank nehmen, was sie möchte. Sie, Eva hätte gerne eine Dose Orangeade.
Ines war begeistert, von den Räumlichkeiten, der Einrichtung und wie Eva ihr Leben gestaltete. Endlich hatte sie jemanden kennen gelernt, dem sie ihre Geschichte erzählen, ihr Leben ausbreiten konnte…
Nein, Sportlerin sei sie keine, nie gewesen, dafür meditiere sie im Gehen. Wenn es sich einrichten ließ, schlief sie gerne lang, arbeitet dafür halbe und ganze Nächte durch. Ines kann nicht (will nicht, für wen auch?) kochen, ist aber perfekt bei Salzburger Nockerln und ihre Sachertorte 1A. Filme mochte sie grundsätzlich schon, Kino aber eher wie Fernseher. Lieber den Herrn der Ringe zum x-ten Mal, als das Schmalz von Rosamunde Pilcher, fünf Minuten lang. Schaurige Dramen und Filme über Weltuntergang, Geister und Gespenster, Dokus über Übersinnliches, das war Ines´ Welt.
Bei schwerer Musik wie Wagner´s Lohengrin, Tannhäuser und ähnlich Tragisches entspannte sie bestens (Eva regte sowas auf, regte schon der bloße Gedanke daran auf…).
Aber etwas Gemeinsames hatten die beiden doch – eine große Affinität für exotischen Tee. Eva hatte schon befürchtet, es könnte gar nichts Normales an dieser Frau geben.
Zu diesem Thema würden sie sich austauschen können.
Bis am Samstag, in drei Wochen, würde Ines mit dem Einräumen ihres neuen Heimes fertig sein. Diesen Termin fixierten sie gleich. Eine kleine Einweihungsparty, für sie beide, nichts Besonderes.
Ein geschmackvolles Stövchen aus dem Dritte-Welt-Laden, verschiedenfarbige, duftende Teelichter, ein Päckchen erstklassigen Tees aus Siam, den Eva für sich, im Sechserpack aus dem Internet geordert hatte. Alles in Cellophan mit einer grünen Riesenmasche versehen, drückte sie Ines, gleich an deren Wohnungstüre in die Hand. Die Gastgeberin hatte, wirklich phantasievoll, eine Unzahl kleiner appetitlicher Brötchen, auf einem runden Tablett aufgetürmt, verschiedenartigste Getränke eingekühlt.
Erstmal zeigte sie voll Stolz, Eva ihr neues Zuhause. Küche, Schlafzimmer und Bad hatte sie funktionell, ihren Wohnbereich wirklich geschmackvoll, in einem ganz persönlichen Stil eingerichtet. Wenn auch, nach Eva´s Geschmack, eine Anzahl Pölster fehlten. Eine ganze Wand füllten Bücher, hauptsächlich zu zwei Themen. Einmal um Recht und Gesetz von der Antike bis zur aktuellsten Gegenwart. Zum anderen um – Esoterik(Eva jubelte, war auch ihr Thema…), Magie, Zauberei, Tarot, Hexerei. Sogar eine echte Glaskugel, wie sie Wahrsagerinnen verwenden, thronte zwischen einem Wälzer über mittelalterliche Hexenverbrennungen und einem, über unerklärliche Phänomene.
Zudem verstand Ines sich darauf, die Zukunft ihres Gegenübers, von den Linien der Hand zu lesen (behauptete sie jedenfalls…). Eva, für solche Experimente stets zu haben, ließ sie lesen…
Aus dieser, für Eva total – schrägen – Begabung, hatte Ines letztlich ihren Spitznahmen – die schräge Ines – erhalten.
Während Eva jede Leiche im Keller ihrer Mitmenschen aufstöberte, schienen Ines lediglich die Geister, hinter diesen ominösen Leichen, zu interessieren. Das Esoterikthema war es dann auch, das den Großteil zur Abendunterhaltung beisteuerte. Ein bis zweimal im Monat trafen sich die beiden von da an. Abwechselnd bei Ines, dann wieder in Eva´s verstreutem Reich, in dem sich Ines rasch pudelwohl gefühlt hatte.
Optisch waren die beiden noch unterschiedlicher, als Eva und ihrer Freundin Marianne. Eva überkam Mitleid mit Ines. Schleppte sie zu ihrem Friseur mit. Der schlug imaginär, die Hände über dem Kopf zusammen, als er sie das erste Mal zu Gesicht bekam. Seither richtete sie ihre Friseurtermine, nach denen von Eva aus(leider…). Das Resultat konnte sich echt sehen lassen. Ines erkannte sich im Spiegel selbst kaum wieder. Ihre neueste Errungenschaft, einen Schminkkoffer, wenn auch mit bescheidenem Inhalt, hatte Ines ihr beim letzten Besuch voll Stolz vorgeführt.
Während Eva in ihrem Geschäft gerade echt duftige Stücke der aktuellen Sommermode einräumte, kam ihr die Idee, Ines Nachhilfe in – was steht mir – zu geben. Genaugenommen, war es Mariannes Intuition gewesen. Eva hatte sich bei ihr, über die unmöglichen Fetzen, mit denen Ines herumlief, bereits mehrmals ausgelassen.
>Was ist denn dabei, wenn du dir einmal ein paar Stunden Zeit nimmst, dem armen Hascherl einen Schubs, in Sachen Mode erteilst. Vielleicht findet sie dann sogar einen Haberer. Mit der Frisur hast du ja auch einen umwerfenden Erfolg eingefahren. <
Dieser, Mariannes Einfall wurde prompt umgesetzt. Eva nützte die Gelegenheit, um Marianne endlich ihre Nachbarin vorzustellen, von der sie ihr schon so viel Exotisches erzählt hatte. Ines war von Mariannes warmherziger Ausstrahlung sehr angetan. Marianne fand Ines auch sympathisch, sehr sympathisch sogar. Tat ihr aber irgendwie leid, wieso genau, konnte sie selbst nicht sagen, empfand einfach so.
In den drei überquellenden Plastiksäcken, die Ines an diesem Abend aus ihrem alten Polo angelte, war vom Slip aufwärts, alles enthalten, das selbst gute Bekannte an ihr vorüber gegangen wäre, ohne sie zu erkennen. Es war in erster Linie Mariannes Geschmack, der Ines sosehr zugesagt hatte, dass sich ihr Modebewusstsein um 180 Grad gedreht hatte. Eva´s Outfit war für Ines einfach zu schrill. Mariannes fraulich, sportiver Stil dagegen, entsprach ihr. Warum war sie selber nie darauf gekommen? Ein Rätsel, für die Frau Notarin…
Das lag etwa zwei Jahren zurück…
Während Ines für Eva eine liebe Bekannte, gute Nachbarin war, hatte Eva umgekehrt den Status der besten(weil einzigen…) Freundin erlangt. Ob letztere darüber nun glücklich sein sollte, oder es an der Zeit sei, die Distanz zwischen ihnen, wenigstens um ein kleines Stück, zu vergrößern, zu normalisieren, beschäftigte Eva´s graue Zellen des öfteren. Zuviel Ines konnte für sie richtiggehend nerv tötend sein. Zeitweise hängte sie sich nämlich an sie, wie ein kleines Kind an seine Mama. Eva wollte Ines nicht verletzen, sie mochte Ines ja auch, hätte nur nicht gerne die Mamarolle…
Auf die Idee, wenn es sich nicht vermeiden ließ, eben zwangsweise Single zu bleiben, hatte sie Max Raabe´s Song „Küssen kann man nicht allein.“ gebracht. Gut, dann wird sie eben auf das Knutschen pfeifen. Den Rest erledigt ein, passend geformter Kunststoffteil, mit zwei 1,5 Volt Batterien ebenso!
Manchmal durfte Ines nun mit den beiden Freundinnen losziehen. Sie ist keine Spaßbremse, dazu gutmütig, hilfsbereit, freigiebig, aber zeitweise ziemlich nahe am Wasser gebaut.
Auch im Harley Davidson zum – im Trüber fischen – gelegentlich, mit von der Partie. Für Eva zum Testen, ob Ines, dank neuem Styling, vermittelbar wäre, oder nicht.
Und ob sie wäre, ganz leicht sogar – sie wollte nur nicht, fand bislang nichts zum Anbeißen!
Ines konnte ein wirklich unterhaltsames Gegenüber sein, wenn sie endlich einmal auftaute. Letzte Saison war sie als „Cheerleader Nummer drei“, mit Marianne und Eva, regelmäßig bei den Handball Heimspielen von Mariannes Sohn mitgewesen, hatte ihr enormen Spaß gemacht.
Natürlich hatte Ines, Marianne aus deren Hand gelesen(machte sie bei Eva ja auch, gelegentlich…), ihre Zukunft deuten wollen.
Längere Zeit hielt sie Mariannes Hand in der ihren, drehte sie hin und her. Sie würde eine Beziehung haben, die ihr viel bedeuten wird. Dem Mann wird sie bald begegnen, aber nicht hier, weit weg müsse es sein. Ines wollte noch etwas sagen, schwieg aber abrupt, redete den bereits angefangenen Satz nicht weiter. Sagte nichts mehr. Hatte etwas gesehen, was sie lieber für sich behielt. Das war sogar Eva aufgefallen, sie hatte Ines´ Mienenspiel genau beobachtet.
Mit einer gekünstelten Bemerkung, es sei ja ohnehin nur eine Spinnerei von ihr, nicht ernst zu nehmen, müsse ja nicht zutreffen, stand sie auf, um rasch die Toilette aufzusuchen.
Als sie zurückkam, wirkte sie irgendwie, auf eine unerklärliche Weise, erschöpft.
Sie schenkte Marianne einen warmen Blick, sagte, leicht vibrierend, irgendwie gepresst:
>Später, viel später, wann sah ich nicht genau, wird es noch einmal einen Mann in deinem Leben geben. Seine Liebe wird dir mehr bedeuten, als alles, was vorher war, und dazwischen noch kommt. So, nun aber Schluss mit dem Blödsinn, alles nur Schmarrn, Marianne! <
Mit einem, nicht aufrichtigen, künstlich aufgesetztem Lachen, hatte sich Ines resolut umgedreht, dem Kellner gewunken und noch dreimal Dasselbe bestellt.
Das war vor zwei Monaten gewesen…