Читать книгу 2020 Schöne Neue Weltordnung - Martin Zedlacher - Страница 14
ОглавлениеKapitel 1
Günther Lehmann wachte in einer Kerkerzelle auf. Eiserne Fußfesseln schränkten seine Bewegungsfreiheit ein. Er hatte Mühe, auf die Beine zu kommen, brauchte mehrere Versuche, um aufrecht zu stehen. Sein graumeliertes Haar war blutgetränkt, die Lippen sahen aus, als wären sie in rotes Kerzenwachs getaucht worden. Von seiner linken Wange zog sich ein Streifen aus geronnenem Blut bis zum Hals. Seine nackten Füße fühlten sich feucht und kalt an. Die Zehen krallten sich in den nassen Sandstein, der mit Dreck, Mäusepisse und Schimmel bedeckt war. Das Atmen fiel ihm schwer, weil sein Mund mit einem Plastikband zugeklebt und seine Nase von Blut und Schleim verstopft war. Er tastete sich wie ein Blinder einer Wand entlang. Doch er schaffte nur wenige Meter, bis die Kette an seinen Füßen abrupt endete. Krampfhaft versuchte er sich zu erinnern, was geschehen war. Etwas Furchtbares war ihm zugestoßen, aber er war noch am Leben. Blinzelnd ließ er den Blick durch die Kerkerzelle schweifen. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Düsterheit.
Das Gewölbe hatte keine Fenster, die Steinwände waren unverputzt und von einer grünlichen, schleimigen Substanz bedeckt. Eine Eichentür mit rostigen Beschlägen führte nach draußen. An einer Wand hing eine Petroleumlampe, die den Raum in ein diffuses Licht tauchte. In einer Ecke stand ein Schemel, auf dem ein Tongefäß einen ekelerregenden Gestank verbreitete. Die Luft war kühl und klamm, der festgestampfte Erdboden feucht und modrig, von der Decke tropfte es in unregelmäßigen Abständen.
Wo bin ich?, dachte Lehmann und wollte schreien, brachte aber unter dem Klebeband nur einige gedämpfte Laute hervor.
Wie lange habe ich hier gelegen?, war sein nächster Gedanke. Er hatte während der Ohnmacht das Zeitgefühl verloren und konnte nur schätzen.
Vielleicht Stunden.
Vielleicht Tage.
Eine Ewigkeit.
Lehmann begann sich an das zu erinnern, was vorgefallen war. Zuerst nur Bruchstücke, später Szenen wie aus einem Film. Wie zwei Polizisten sein Fahrzeug anhielten und ihn gewaltsam in einen Lieferwagen zerren wollten. Wie er sich losreißen konnte, in einen Wald rannte und zu einem Dorf gelangte. Wie er in einer Telefonzelle jemanden anrief, um Hilfe bat, einen dumpfen Schlag auf den Kopf spürte. Danach hatte er einen Filmriss. Er musste würgen und dachte, nur nicht erbrechen, nur nicht erbrechen, sonst … ersticke ich. Mit reiner Willenskraft kämpfte er gegen die aufsteigende Übelkeit an. Ätzende Magensäure schoss in den Mund, vermischt mit halb verdauten Essensbrocken. In Panik schluckte er das Erbrochene hinunter. Der Würgereflex wiederholte sich einige Male. Bei jeder Attacke drohte er zu ersticken. Erschöpft sank er auf den nassen Sandboden zurück. Ein bittersaurer Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. Nach Luft ringend verlor er zeitweise das Bewusstsein. Seine Lider fühlten sich an, als würden Bleigewichte daran hängen.
Schlaf nicht ein! Er wehrte sich gegen das Einschlafen und zwang sich, die Augen offen zu halten. Nur nicht einschlafen! Erst jetzt wurde ihm die Tragweite seiner Situation bewusst. Ich werde gefangen gehalten. Dieser Gedanke ließ Lehmann für einen Moment den Atem stocken. Tränen der Verzweiflung traten in seine Augen.
Es war ein Albtraum.
Es war ein Höllenritt.
Es war real.
Lehmann war vor Schock fast wie gelähmt, sein Atem verlief in unregelmäßigen Stößen. Ein bohrender Schmerz brachte die Erinnerung an seinen Peiniger zurück, der ihn gefoltert hatte.
Ich werde das Volk niemals verraten, dachte Lehmann. Das Vorhaben des Deep State musste um jeden Preis verhindert werden. In seinen Augen war der Plan, der in dem geheimen Dokument in allen Einzelheiten beschrieben war, ein großes Verbrechen an der Menschheit. Ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Kann nicht schweigen. Er war einer der wenigen Politiker mit Ehre und Anstand. Lehmann hatte bohrende Kopfschmerzen und litt unter Fieberfantasien. Auf seiner Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet. Die Wunden an seinem Körper waren entzündet. An manchen Stellen konnte er Anzeichen einer Blutvergiftung erkennen – eine blaurote Färbung. Im nächsten Moment pulsierten unerträgliche Schmerzen durch seinen Körper. Er hoffte, dass ihn der Tod erlösen würde, doch er wartete vergeblich darauf. Stattdessen hallten Schritte durch das Verlies. Lehmann hob seinen Kopf und blickte zur Tür. Angstvoll behielt er den Eingang im Auge. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Der Riegel klickte, dann flog die Tür knarrend auf. Eine männliche Gestalt betrat mit einer Taschenlampe die Kerkerzelle. Kalte Zugluft streifte über Lehmanns Gesicht bis hinunter zu den Knöcheln. Die Helligkeit der Lampe blendete Lehmann, der sich von der Gestalt sofort abwandte. Der Peiniger ist wieder da.
„Mamma mia, du bist ein Idiota!“, bemerkte ein kleiner, schmächtiger Mann im gebrochenen Deutsch. Er hatte eine sandbraune Mähne, die er nach hinten zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Als langjähriger CIA-Verhörspezialist wusste er, worauf es ankam. Lehmann wich reflexartig zurück, stolperte, hielt sich an der Wand fest, konnte sich kaum auf den Beinen halten. Der Mann trat näher und riss das Klebeband von seinem Mund. „Sei impazitto. Du musst verrückt sein! Im Mittelalter hier Mörder, Diebe, Häretiker und Hexen imprigionato. Du bist Verbrecher. Hochverräter! Pena di morte. Du wirst sterben. Mi capisci?“
Lehmann wandte sich seinem Peiniger zu. „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht, du Bastard!“ Während er sprach, rann Blut aus seinem Mund.
„Machst du Witze? Verrate mir Namen! Oder du wirst schreien vor Schmerzen.“
„Von mir erfährst du nichts!“, erwiderte Lehmann.
„Glaub mir, du wirst reden. Du kannst dir Leid salva la sofferenza ersparen, wenn du Mund aufmachst. Dann hört Schmerz auf.“
Lehmann sank erschöpft zu Boden. „Ihr werdet … damit nicht durchkommen“, entgegnete er stockend. „Die Menschen werden … sich … zur … Wehr setzen. Wenn sie die Wahrheit … erfahren, werden … sie euch … am nächsten Baum … aufhängen.“
Der Peiniger schüttelte den Kopf. „Idiota! Warum? Du kannst Lauf des Lebens nicht ändern. Wieso nicht Geld genommen? Drei Millionen Euro! He! Devi essere pazzo!“ Der Peiniger grinste. „Meisten Politiker Geld genommen. Haben kein Interesse am Wohl der Menschen.“
„Ich bin nicht käuflich“, versicherte Lehmann seinem Peiniger. Schwer atmend richtete er sich auf. In seinen Augen war der Deep State eine kriminelle Vereinigung, Abschaum, Verbrecher der übelsten Sorte, ohne jedes Mitgefühl.
Die Miene des Peinigers wurde hart. „Frage dich letztes Mal. Wie lautet Name? Wer hat Dokument bekommen? Nicht Schweigen, sonst großer Schmerz. Capisci?“
Lehmann blieb standhaft. „Auch wenn … du mir alle Knochen brichst … ich verrate den … Namen … nicht!“
Das Verhör wurde mit brutaler Gewalt fortgesetzt. Dabei wandte der Peiniger Folterwerkzeuge aus dem Mittelalter an. Mit der Streckbank und den Daumenschrauben hatte er immer Erfolg. Einen Delinquenten zu quälen bereitete ihm großes Vergnügen.
Bevor Günther Lehmann, Bundestagsabgeordneter aus Leverkusen, sein Leben aushauchte, erfuhr der Peiniger die Namen jener Personen, die das geheime Dokument erhalten hatten.