Читать книгу 2020 Schöne Neue Weltordnung - Martin Zedlacher - Страница 19

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Kapitel 6

Guido Heinrich, Hauptkommissar des BKA, betrat die Eingangshalle des Innenministeriums in Berlin. Heinrich war ein athletisch gebauter Mann, der ohne mit der Wimper zu zucken einem Menschen das Lebenslicht ausblasen konnte. Manche behaupteten, er sei der geborene Killer. Seine Fähigkeiten hatte er sich bei der GSG 9, einer Spezialeinheit der deutschen Bundespolizei, angeeignet. Er war über einsachtzig groß, dunkelhaarig und bewegte sich mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze. Auffallend war sein Blick, der manchmal scharf wie eine Rasierklinge wirkte.

Heinrich sah müde aus, obwohl er zum Frühstück zwei Tassen Mokka-Kaffee zu sich genommen hatte. In Deutschland war inzwischen der nationale Notstand ausgerufen worden. Die Zahl der Covid-19-Infizierten stieg dramatisch an, vor allem in Bayern. Offenbar ist die Lage ernst. Sonst hätten sich mich nicht so früh aus dem Bett geholt, dachte er, als er wenige Minuten später das Büro des Innenministers erreichte. Wenn Heinrich gerufen wurde, war die Lage immer ernst. Bisher war er mit allem fertig geworden, auch wenn es hinterher Leichen gab. Keiner konnte Probleme so gut lösen wie er. Doch diesmal spürte er deutlich, dass es sich um eine delikate Angelegenheit handeln musste. Es kam selten vor, das der Innenminister höchstpersönlich mit ihm sprechen wollte. Zumeist erhielt Heinrich seine Anweisungen über ranghöhere Stellen, die von seinem Job so wenig verstanden wie der Papst von der Herstellung einer Atombombe. Das letzte Mal war er vor vier Monaten zum Innenminister gerufen worden. Durch sein rasches und professionelles Einschreiten konnte er damals das Schlimmste verhindern.

Die Vorzimmerdame des Innenministers begrüßte Heinrich mit einem charmanten Lächeln. „Einen Moment“, sagte sie und betätigte den Summer für die Gegensprechanlage. „Hauptkommissar Guido Heinrich ist da.“

„Schicken Sie ihn bitte zu mir“, erwiderte Horst Kramer, ein Schwergewicht von hundertzwanzig Kilo. Seit ihn Bundeskanzler Franz Petersen zum Innenminister bestellt hatte, versuchte er, durch eine strenge Diät sein Gewicht zu reduzieren.

Doch bisher ohne Erfolg.

„Sie können jetzt rein“, sagte die Sekretärin.

Heinrich bedankte sich und trat ein. Der Innenminister thronte mit dunklem Armani-Anzug hinter einem Mahagoni-Schreibtisch. Kramer war eine kraftvolle, autoritäre Erscheinung, die keinen Widerspruch duldete. Mit stoischer Miene nahm er eine dicke Zigarre aus dem Humidor, rollte sie zwischen seinen Wurstfingern, schnüffelte daran und kappte die Spitze. Er reichte Heinrich die Hand entgegen und grinste. Es war ein kurzes, angespanntes Lächeln, das gleich wieder verschwand, als Heinrich sich nach dem Händedruck auf einen gepolsterten Sessel mit hoher Rückenlehne setzte. Kramer zündete die Zigarre mit einem Streichholz an, obwohl im Innenministerium striktes Rauchverbot galt, doch dieses Privileg ließ er sich nicht nehmen inhalierte tief und stieß eine dicke Rauchwolke aus. Er betrachtete seinen Bluthund durch einen Schleier von Zigarrenqualm. Heinrich kannte diesen Blick. Irgendwo brannte es und er musste wieder Feuerwehr spielen. Vielleicht ein Buschbrand, dessen Flammen alles verschlangen. Oder ein Waldbrand, wo ein Funke genügte, um tausende Hektar zu pulverisieren. Auf den Punkt gebracht: Ein Himmelfahrtskommando, wie damals in Stuttgart, wo fünfzehn Angehörige der Mafia und acht Polizisten starben. Auf jeden Fall ein Sondereinsatz mit der Lizenz zum Töten.

„Guido, ich brauche Ihre Hilfe.“

„Um was geht es, Herr Minister?“

Kramers Gesicht verhärtete sich. „Eine Terrorwarnung.“ Seine tiefe Stimme vibrierte wie bei einem herannahenden Gewitter. „Wir haben Grund zu der Annahme, dass unser Land zur Zielscheibe eines Terroranschlags werden könnte.“ Er verlagerte sein Körpergewicht und versuchte eine bessere Sitzposition zu finden.

Heinrich runzelte die Stirn. „Wie sicher ist die Quelle?“

„Verdammt sicher.“

„Wo?“

„Berlin.“

Heinrich sah den Innenminister sekundenlang erstaunt an. Mit einer Terrorwarnung hatte er nicht gerechnet. „Woher stammen die Informationen?“ Kramer reichte ihm wortlos eine Top-Secret-Akte. Heinrich überflog den Bericht eines gewissen Major Bernd Sommer, einem BND-Spionageabwehr-Agenten, der in Pullach bei München stationiert war. Er konnte darin lesen, dass Sommer aus verlässlichen Quellen erfahren hatte, dass in Berlin ein Anschlag von beispiellosem Ausmaß geplant sei. Des Weiteren berichtete Major Sommer von einem Dokument, das angeblich in direktem Zusammenhang mit dem Anschlag stünde. Heinrichs Blick wurde hart. Major Sommer behauptete in einem Dossier, dass Politiker aus der Bundesregierung darin verwickelt seien, nannte aber keine Namen.

„Was halten Sie davon?“, fragte Kramer mit besorgtem Gesichtsausdruck. Der Stuhl ächzte unter seinem Gewicht. Er paffte an seiner Zigarre, bis die Spitze glühte und streifte die Asche an einem Edelstahl-Aschenbecher ab.

Heinrich schaute auf und bedachte den Innenminister mit einem skeptischen Seitenblick. „Mit allem gebührenden Respekt, wir kriegen täglich Dutzende Infos über Anschläge, die jedoch zumeist im Sande verlaufen. Was macht Sie so sicher, dass gerade an diesem etwas dran ist?“

„Der BND hat Telefonate abgefangen, die Major Sommers Bericht bestätigen“, erwiderte Kramer ohne zu zögern. Seine dunklen Augen funkelten wie das Vulkangestein Obsidian. „Das Dokument bereitet mir Sorgen. Finden Sie heraus, wer das Dokument verfasst hat.“ Die Furchen auf Kramers Stirn wurden tiefer. „Wie Sie sehen können, berichtet Sommer von arabischen Attentätern, die nach Deutschland eingeschleust werden sollen. Auf der anderen Seite hat er den Verdacht geäußert, dass hochrangige Politiker in die Sache verwickelt sind. Seien Sie deshalb äußerst diskret bei den Ermittlungen. Wir brauchen handfeste Beweise, bevor wir damit zum Justizminister gehen.“ Der Rauch seiner Zigarre kräuselte sich in der Luft und er hustete. „Diese religiösen Fanatiker“, fuhr er fort, „sind jederzeit bereit für den Dschihad. Auf ihr Konto gehen zahlreiche Anschläge. Denken Sie nur an den Terroranschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt, der zwölf Todesopfer forderte. Diese Kameltreiber haben kein Gewissen. Sie glauben, dass sie ins Paradies kommen, wenn sie Ungläubige töten. Für die Moslems sind das Helden.“ Kramer hielt inne, um seinen nächsten Worten Nachdruck zu verleihen. „Die Dschihad-Kämpfer halten Deutschland für die Hochburg des Bösen. Ein Volk, das Adolf Hitler und das Deutsche Reich hervorgebracht hat. Sie hassen uns, weil die Nazis unsägliches Leid über die ganze Welt gebracht haben. Den Kindern dort wird schon in den Schulen eine Gehirnwäsche verpasst. Die Moslems lernen den Umgang mit Waffen, wenn unsere Kinder noch mit der Eisenbahn oder mit Puppen spielen. Jeder Deutsche“, seine Faust krachte auf die hölzerne Schreibtischplatte, „ist für sie ein Ungläubiger oder Kapitalist. Sie hassen uns wegen des christlichen Glaubens, weil wir ein freies Land sind und eine reiche Nation.“ Kramers Gesicht rötete sich, seine Stimme wurde zunehmend lauter. „Sie hassen uns, weil wir demokratische Grundsätze haben und eine erfolgreiche Automobilindustrie. Glauben Sie mir, dafür hassen sie uns!“ Kramer hatte die Beherrschung verloren. Seine Wut brachte ihn einen Schlaganfall nahe. Er versprühte einen Speichelregen, sein Gesicht war inzwischen dunkelrot angelaufen. Nach einem kräftigen Zug an der Zigarre blies er den beißenden Rauch durch Mund und Nase aus. Dabei unterdrückte er ein Husten und streifte die Zigarre wieder an dem Aschenbecher ab.

„Tun Sie Ihr Bestes, Guido.“ Er sprach wieder mit ruhiger, kontrollierter Stimme. „Setzen Sie sich mit Major Sommer in Verbindung. Er scheißt sich in die Hose, weil er befürchtet, dass ihm was zustoßen könnte. Sorgen Sie für seinen Schutz. Bringen Sie mir das Dokument und nehmen Sie seine Aussage auf Band auf. Wir dürfen uns in der Sache keinen Fehler leisten.“

Heinrich nickte mit stoischer Miene. „Herr Minister, Sie können sich auf mich verlassen.“

Kramer lächelte. „Noch Fragen?“

Heinrich ließ einen Moment verstreichen, bevor er antwortete. „Ja, ist Ihnen bekannt, welches Ziel die Terroristen ausgewählt haben?“

Der Innenminister blickte nachdenklich drein. „Ich habe diesbezüglich keine Informationen erhalten. Laut Major Sommers Bericht sind Details über den Anschlag im Dokument enthalten. Stellen sie Sommer zur Rede. Wenn nötig, quetschen Sie ihn aus. Sie haben darin ja reichlich Übung.“

In Heinrichs Augen erschien ein Ausdruck von Besorgnis. „Ich hoffe, dass wir den Anschlag verhindern können.“

„Deshalb habe ich Sie ausgewählt. Sie sind mein bester Mann“, schmeichelte Kramer. Er wuchtete sich mühsam aus dem Sessel, spendierte Heinrich ein Lächeln und drückte ihm die Hand.

Wenn sich der Verdacht erhärten sollte, dass hochrangige Politiker aus Berlin darin verwickelt sind, dann haben wir ein Problem, ein großes Problem, ein verdammt großes Problem, ging es Heinrich beim Verlassen des Büros durch den Kopf.

Wenige Kilometer Luftlinie vom Innenministerium entfernt parkte ein silberner Ford Galaxy im Halteverbot. Ein digitaler Recorder war auf Aufnahme geschaltet. Zwei Profikiller der Mafia hatten das Gespräch zwischen Horst Kramer und Guido Heinrich mittels Wanzen aufgezeichnet. Minikameras aus Glasfaseroptik für das menschliche Auge praktisch unsichtbar hatten klare Bilder geliefert. Die Videoübertragung wurde auf eine Festplatte gespeichert, die Stimmanalyse bestätigte den Wahrheitsgehalt der Aussagen.

2020 Schöne Neue Weltordnung

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