Читать книгу 2020 Schöne Neue Weltordnung - Martin Zedlacher - Страница 22
ОглавлениеKapitel 9
Ein Streifenwagen mit zwei Polizisten bog in die Einfahrt von Major Sommers Anwesen. Ein Polizist stieg aus und leuchtete mit der Taschenlampe in Richtung Haustür. Von der Straße aus betrachtet schien alles ruhig zu sein. Das Haus wirkte verlassen. Eisregen fiel herab, der Wind pfiff in den Ästen, Laub raschelte auf dem Gehsteig. Der Polizist öffnete den Knopf am Halfter, damit er die Waffe – falls notwendig – sofort ziehen konnte. Major Sommer spähte aus dem Küchenfenster und sah, wie der Polizist sich näherte. Vor seinen Augen befand sich die Rettung. Er musste nur zur Haustür laufen und die Angst überwinden, die ihn beinahe lähmte. Sommer war davon überzeugt, dass er hier nicht ohne fremde Hilfe lebend rauskommen würde.
Schrei!, kreischte eine innere Stimme. Sommers Lippen öffneten sich mit einem leisen krächzenden Laut. Er nahm die letzten verbliebenen Kräfte zusammen und schleppte sich ins Foyer. Er hatte keine Zeit zu verlieren. Die Polizei war vor der Haustür und er musste schleunigst verschwinden. Eine weitere Chance gab es vermutlich nicht mehr. Er wollte um Hilfe schreien, doch die Zunge fühlte sich taub an, sodass er keinen Ton hervorbrachte. Sein Körper erstarrte zu einer Salzsäule. Er konnte die Füße nicht bewegen, als wären sie auf dem Teppich angewachsen. Er wollte gegen die Tür hämmern, konnte aber nicht.
Hilfe! Hilfe! Sommer litt seit Jahren unter Autophobie, einer speziellen Angststörung. Verstärkt wurde die Phobie dadurch, dass jemand seine Katze getötet hatte.
Schweine!
Der Polizist, der sich der Eingangstür näherte, war ein Grünschnabel. Er war erst seit einem Jahr im Dienst. Misstrauisch betrachtete er die vordere Hausfront und betätigte die Türglocke. Kein Licht, niemand öffnete. Der Eisregen wurde heftiger und der Wind peitschte die gefrorenen Wassertropfen gegen die Fensterscheiben. Nichts rührte sich. Er drückte die Klinke hinunter. Verschlossen. Er verharrte einen Moment vor der Eingangstür und lauschte. Das Geräusch des Eisregens übertönte die verzweifelten Bemühungen von Sommer, sich bemerkbar zu machen. Ein Anruf war in der Zentrale eingegangen. Die Polizei soll einen Streifenwagen zu Major Bernd Sommers Villa beordern und nach dem Rechten sehen. Bevor der diensthabende Wachtmeister nach dem Grund fragen konnte, hatte der Anrufer aufgelegt. Wenn jemand die Bullen ruft, wird normalerweise immer Hilfe benötigt. Doch hier ist nichts Verdächtiges, dachte der Polizist. Er blickte durch die Glasscheibe an der Haustür. Kein Anzeichen, dass jemand Zuhause war.
Sommers Herz raste.
Hier! Helfen Sie mir! Herrgott, sehen Sie mich denn nicht? Er würgte trocken und gab ein Röcheln von sich. Er versuchte sich aus der Erstarrung zu lösen. Aber eine unsichtbare Macht hielt Sommer mit aller Gewalt fest, als wäre er gefesselt und geknebelt worden.
Hilfe! Hilfe! Hilfe!
Der Polizist fühlte, dass etwas nicht stimmte. Und so leicht wollte er nicht aufgeben. Er fragte sich, wie er in das Haus gelangen konnte. Vielleicht durch ein offenes Kellerfenster? Doch seine Gedanken wurden jäh unterbrochen.
„Steig ein!“, rief sein Kollege, der soeben über Funk einen neuen Einsatzbefehl hereinbekam. „Unsere Jungs brauchen Verstärkung. Überfall auf einen Juwelierladen.“
Der Polizist warf einen letzten Blick auf die Haustür, dann lief er zum Wagen zurück. Er hatte den Eindruck, dass er irgendwie hätte einschreiten sollen. Sommer hörte die Schritte des Polizisten, als er sich entfernte. Hörte wie die Wagentür zugeworfen wurde, sah wie das Fahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht rasch beschleunigte. Erst eine halbe Stunde später konnte sich Sommer aus der Erstarrung befreien. Seine Phobie löste sich langsam auf und er humpelte ins Wohnzimmer. Dort wollte er die BND-Zentrale in Berlin anrufen, aber das Telefon funktionierte nicht. Sommer kicherte, lachte, weinte.
Am Ende schrie er sich die Seele aus dem Leib.