Читать книгу 2020 Schöne Neue Weltordnung - Martin Zedlacher - Страница 27
ОглавлениеKapitel 13
Im LKA-München herrschte hektische Betriebsamkeit. Dutzende Beamte telefonierten, vernahmen Zeugen, aßen Wurstsemmeln oder belegte Brötchen mit Käse und tranken Kaffee. Auf dem Fußboden waren rote Striche markiert, jeweils in 1,5 Meter Abstand mit der Aufschrift: Abstand halten! Neben der Eingangstür waren die Verhaltensregeln, die in der Corona-Krise verpflichtend waren, in roter, dicker Schrift angebracht: Hände vor dem Betreten desinfizieren, Husten und Niesen in die Armbeuge. Keine Hände schütteln!
Kommissar Dirk Reinhardt stand vor dem Getränkeautomaten und warf eine Münze ein. Als der Automat die Herausgabe des Kaffees verweigerte, schlug Reinhardt mit der Faust auf die Seitenwand, was ein dampfendes Gebräu in einen Plastikbecher sprudeln ließ. Er trug einen salopp geschnittenen blauen Anzug mit hellblauer Krawatte. Sein athletischer Körper, den er dreimal die Woche im Fitnesscenter trainierte, wirkte furchteinflößend: stämmig, über einsneunzig groß, breite Schultern, großer Bizeps. Er vermittelte in jeder Hinsicht den Eindruck eines starken Mannes, der, – wenn es sein musste, – auch kräftig zuschlagen konnte. Reinhardt warf einen kurzen Blick auf die Wanduhr neben dem Eingangsbereich. Gleich darauf trat eine elegant gekleidete Frau durch den Haupteingang. Anmutig. Bildschön. Die Frau zog sofort die Blicke aller Anwesenden auf sich. Bei einigen LKA-Kollegen schlug das Herz mindestens ein oder zwei Takte schneller.
Die Cacek-Vollstreckerin, dachte Reinhardt und ging ihr entgegen. „Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen.“
„Kommissar Reinhardt?“
„Ja.“
„Ich würde Ihnen gerne die Hand schütteln, aber die Corona-Vorschrift …“, erwiderte Chiara und zuckte die Achseln.
„Ist schon gut. Wir werden uns an die neue Normalität gewöhnen müssen“, erwiderte Reinhardt mit einem Lächeln. „Wie haben Sie das fertig gebracht? Ich meine, den Psychopathen zu erledigen. Wenn ich mich recht erinnere, gingen neun Morde auf sein Konto. Stand ja damals in allen Zeitungen.“
Auf Chiaras Lippen erschien der Hauch eines Lächelns. „Dr. Cacek. Ist schon eine Weile her. Um ehrlich zu sein, hatte ich damals mehr Glück als Verstand.“
Reinhardt schmunzelte und nippte an seinem Kaffee. „Wie war der Flug? Gab es wegen Corona Verzögerungen?“
Chiara erbleichte. „Nein, aber der Gedanke, was mit Bernd passiert sein könnte, hat mir keine Ruhe gelassen.“
Reinhardt bedachte Chiara mit einem entschuldigenden Blick. „Tut mir leid, ich wollte nicht taktlos sein. Kommen Sie, gehen wir in mein Büro. Da können wir uns ungestört unterhalten.“ Chiara folgte Reinhardt über eine geschwungene Treppe auf die erste Etage. Dort hielt er ihr eine Glastür auf. „Hier entlang bitte.“ Dabei lächelte er angespannt. Sie durchschritten einen Korridor und durchquerten mehrere Flure.
„Haben die Ermittlungen etwas Neues ergeben?“, fragte Chiara mit wild pochendem Herzen.
Reinhardt schüttelte den Kopf. „Nein. Doch wie ich Ihnen bereits am Telefon sagte, haben wir stichhaltige Beweise dafür, dass es sich um einen Selbstmord handeln könnte.“
Sie setzten ihren Weg fort.
„Hallo, Dirk!“, rief eine Stimme aus der Ferne. Reinhardt wandte sich um. Ein Kollege winkte ihm zu. „Kommst du heute zum Training?“
„Weiß nicht. Vielleicht“, antwortete Reinhardt und zuckte mit den Achseln. Sie eilten weiter und umrundeten eine Biegung. Hier hielt Reinhardt an und öffnete seine Bürotür. „Da sind wir. Zwar nicht das Beverly Wilshire, aber ich bin zufrieden. Nach Ihnen“, sagte Reinhardt höflich und trat beiseite, um ihr den Vortritt zu lassen. Er stellte den Kaffee auf den Schreibtisch, half Chiara aus dem Mantel und legte ihn auf die Sessellehne. Dabei roch er ihr Parfum, das nach Rosen duftete. „Schön warm, finden Sie nicht? Kann die Heizung nicht regulieren. Die Anlage ist nur noch Schrott.“ Reinhardt zog sein Jackett aus und lockerte seine Krawatte. Eine Smith & Wesson mit Magnum Patronen, steckte in seinem Schulterhalfter. „Setzen Sie sich. Darf ich Ihnen Kaffee oder sonst eine Erfrischung anbieten?“
Chiara schüttelte den Kopf. Von innerer Unruhe ergriffen schlug sie die langen Beine übereinander und lächelte zaghaft. Ihr geschlitzter Rock und die goldbraunen Nylonstrümpfe wirkten ausgesprochen sexy.
„Können Sie mir Details nennen, die Sie zu der Annahme verleiten, dass mein Bruder sich das Leben genommen hat?“
Ihre Blicke trafen sich.
Reinhardt fuhr mit der Hand durch sein dunkles, kurz geschnittenes Haar. „Natürlich“, erwiderte er. „Heute gegen 10:30 Uhr erhielten wir einen Anruf von Dolores Wagner, der Haushälterin von Bernd. Sie bat uns, im Eiltempo anzurücken. Wir waren binnen zehn Minuten vor Ort. Sie faselte von einem Brief, war völlig geschockt und brach in der Küche zusammen. Im Flur lag eine tote Katze.“
Chiara runzelte die Stirn und sah ihm forschend in die Augen. „War es eine weiße Angorakatze?“
„Ich kenne mich bei Katzen nicht aus. Aber nach dem buschigen Fell zu urteilen war es eine exotische Katze.“
„Das war Luna, Bernds Angorakatze“, erklärte Chiara.
„Schade um das arme Tier, wurde offensichtlich erschossen.“ Reinhardt trank einen weiteren Schluck Kaffee. „Wir gehen davon aus, dass Ihr Bruder die Katze nach einem Wutanfall getötet hat. Na ja, jedenfalls hat der gerufene Arzt Dolores eine Beruhigungsspritze verpasst und sie in ein Krankenhaus einliefern lassen. Der Verdacht bestand, dass sie einen Herzinfarkt erlitten hatte. Ich habe noch am Vormittag in der Notaufnahme angerufen. Der Arzt meinte, es sei ein Vorderwandinfarkt gewesen. Dolores befände sich schon auf dem Wege der Besserung.“ Er räusperte sich. „Im Wohnzimmer fanden wir eine Mitteilung von Bernd, in der er einen Selbstmord andeutet. Ich habe daraufhin sofort eine Fahndung nach ihm eingeleitet. Blieb zuerst erfolglos. Gegen Mittag wurde sein Audi A6 am Starnberger See, wo auch seine Jacht vor Anker liegt, von einer Funkstreife sichergestellt. Auf dem Bootssteg wurde eine ramponierte Jacke gefunden. Einen Meter entfernt lagen Hose und Schuhe. Was soll ich sagen? Die Kleider gehören Ihrem Bruder. Daran besteht kein Zweifel.“
Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte. Reinhardt entschuldigte sich und hob den Hörer ab. Er lauschte eine Weile und kaute an seiner Unterlippe. „Wo?“ Pause. „Wie?“ Er drehte sich zur Seite und atmete scharf aus. „Okay, ich kümmere mich darum. Sperren Sie den Tatort ab und beginnen Sie mit den Ermittlungen.“ Er sah auf seine Armbanduhr. „In einer Stunde“, sagte er und legte auf.
Der Raum fühlte sich nach dem Anruf plötzlich schwer an.
„Neuer Fall?“, fragte Chiara.
Reinhardt nickte bedächtig. „Zwei Leichen am Münchner Flughafen. Kopfschuss. Wie es aussieht, handelt es sich um BKA-Kollegen. Aber die Identität muss noch überprüft werden.“
Chiara führte einen Themenwechsel herbei. „Was glauben Sie, ist mit meinem Bruder passiert?“
Reinhardt warf ihr einen beunruhigenden Blick zu. „Tja, er wird wohl ertrunken sein. Wir haben in diesem Jahr schon fünf Leichen aus dem Starnberger See gefischt.“
Chiara warf ihm einen argwöhnischen Blick zurück. „Bernd würde so etwas nicht tun“, widersprach sie.
„Wieso nicht?“
„Weil er ein gläubiger Mensch ist“, antwortete Chiara ausweichend. Sie überlegte, ob sie den Anruf ihres Bruders erwähnen sollte.
„Verehrte Kollegin“, konterte Reinhardt. „Sehen Sie den Tatsachen ins Auge. Alle Indizien sprechen dafür. Fakt ist, dass Ihr Bruder die Trennung mit der Schauspielerin … wie heißt sie nochmal?“ Er schnippte mit den Fingern und schlug verärgert eine Akte auf, weil er wieder einmal an sein schlechtes Namensgedächtnis erinnert wurde. „Sabrina Corelli nicht verkraften konnte. Es hat keinen Sinn, sich etwas vorzumachen.“
„Haben Sie Sabrina vernommen?“
Reinhardt sah Chiara missbilligend an. „Natürlich! Sabrina Corelli ist jetzt mit einem anderen Mann zusammen. Wollen Sie die Aussage hören?“
Chiara nickte. Ihr wurde klar, dass sie mit der Wahrheit herausrücken musste, um Reinhardt von der Selbstmordtheorie abzubringen. Doch sie wollte zunächst weitere Beweise von ihm erfahren.
Reinhardt blätterte in einer Akte. „Sabrina gab Folgendes zu Protokoll: `Ich habe Bernd zuletzt vor einem Monat gesehen. Beim Abschied wollte er mich nicht gehen lassen. War ganz schön unter Druck. Er hat gedroht sich etwas anzutun, wenn ich nicht zu ihm zurückkehre. Einmal hat er mir vor meiner Wohnung aufgelauert und verlangt, ich solle mit ihm schlafen. Er hat nach Alkohol gestunken, wurde zudringlich, da habe ich ihn zur Seite gestoßen. Einen Tag darauf hat er mich angerufen und sich für sein ungebührliches Benehmen entschuldigt. Er bat um ein Rendezvous, doch ich habe ihm deutlich zum Verstehen gegeben, dass es zwischen uns aus ist.´ Reinhardt blickte auf: „Ist doch eindeutig, oder nicht?“ Chiara schluckte eine Erwiderung hinunter. „Tut mir leid. Die ganze Sache ist eine furchtbare Tragödie. Ich habe selbst einen Bruder verloren. Kann mir vorstellen, wie Ihnen zumute ist.“
„Darf ich den Brief lesen?“
Reinhardt sah Chiara überrascht an, kramte in den Unterlagen, reichte ihr wortlos ein Blatt Papier. Sie hatte als BKA-Kommissarin schon etliche Abschiedsbriefe von geistig verwirrten Kriminellen ohne Herzflattern gelesen, doch diesmal war die Anspannung deutlich in ihrem Gesicht zu erkennen. Was ist, wenn Bernd doch Selbstmord begangen hat? Wegen Sabrina? Nein, das kann nicht sein! Ich kenne meinen Bruder und weiß, dass er so was niemals tun würde. Niemals!, dachte Chiara. Sie heftete ihren Blick auf die kurze handgeschriebene Mitteilung.
„Ohne Sabrina hat das Leben für mich keinen Sinn mehr. Ich verkrafte das alles nicht mehr. Deshalb werde ich das Unvermeidliche tun müssen. Bitte versucht, meine Entscheidung zu verstehen. Verzeiht mir. Ich kann nicht anders.“
Darunter war Bernds Unterschrift gekritzelt.
„Lesen Sie bitte noch das kriminaltechnische Gutachten“, sagte Reinhardt förmlich.
Chiara nahm das Gutachten entgegen und überflog es. Der Brief wurde mit der Hand geschrieben. Weißes Kopierpapier, 80 Gramm, A4 … Markierte Stellen: Die Fingerabdrücke stammen von Major Bernd Sommer … Handschrift und Signatur: 96,8 % identisch mit denen der vermissten Person.“ Sie las den Abschiedsbrief ein zweites Mal und bat den Kommissar um ein Vergrößerungsglas.
„Wie bitte?“
„Haben Sie eine Lupe für mich?“
Reinhardt konnte die Reaktion seiner Kollegin nicht verstehen, aber er tat ihr den Gefallen. Er öffnete die Schreibtischlade, wühlte darin und gab ihr eine Lupe, die er während einer Reise nach London in einem Souvenirladen gekauft hatte. Angeblich hatte auch Sherlock Holmes, die berühmte Romanfigur, immer eine Lupe bei sich, wenn er auf Spurensuche ging – das behauptete zumindest der Verkäufer. Reinhardt dachte: Heutzutage gibt es moderne forensische Methoden. Die Polizei benutzt UV-Licht und überführt die Täter mittels DNA-Spuren. Lupe? Die Zeiten haben sich geändert.
Chiara hielt das Papier gegen das Licht und betrachtete jedes einzelne Wort. „Das muss eine Fälschung sein“, sagte sie mit einem letzten prüfenden Blick auf Bernds Abschiedsbrief.
Reinhardt glaubte sich verhört zu haben. „Was meinen Sie?“
„Der Brief ist nicht von Bernd.“
„Wieso? Haben Sie das Gutachten nicht gelesen? Da steht doch schwarz auf weiß, dass …“
„Ja, aber Sie wissen doch“, fiel ihm Chiara ins Wort, „wie schlampig die im Labor manchmal sind. Die schreiben in ihre Berichte das hinein, was am offensichtlichsten ist.“
Reinhardt war von ihrer Aussage unbeeindruckt. „Wenn Sie mich fragen, er hatte wohl einen Blackout. Anders ist das nicht zu erklären.“
„Und die Leiche?“
„Sein Körper ist vermutlich meilenweit abgetrieben. Gestern war es ganz schön stürmisch. Wenn wir Pech haben, taucht seine Leiche niemals auf.“
Chiara dachte kurz nach. Jetzt war der richtige Zeitpunkt, um die Karten auf den Tisch zu legen. „Haben Sie schon einmal den Gedanken in Erwägung gezogen, dass mein Bruder ermordet worden sein könnte?“
Reinhardt hob seine buschigen Augenbrauen. „Wie kommen Sie darauf?“
„Weil Bernd niemals die Absicht hatte, sich umzubringen. Da bin ich mir ziemlich sicher.“
„Klären Sie mich auf. Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.“ Reinhardt trank seinen Kaffee aus und warf den Becher in den Papierkorb. Er bekam von Chiaras letzter Bemerkung ein beklemmendes Gefühl. Gespannt wartete er auf ihre Erklärung.
Chiara berichtete ohne Umschweife von Bernds Anruf, dem Dokument, dass er sie heute in Berlin treffen wollte. „Verstehen Sie jetzt, worauf ich hinaus will?“
Reinhardt antwortete mit einer Gegenfrage. „Das haben Sie doch nicht alles erfunden, oder?“
„Nein, natürlich nicht!“
„Warum haben Sie mir das nicht am Telefon gesagt?“
Chiara sah schuldbewusst hoch. „Die Nachricht von Bernds Selbstmord hatte mich schwer getroffen.“
Reinhardt war empört. „Verdammt! Sie hätten es mir gleich sagen müssen.“ Chiara schwieg. „Was ist das für ein Dokument?“
„Es hängt angeblich mit der Corona-Pandemie zusammen. Regierungen in Europa – vermutlich auf der ganzen Welt – haben ein Dokument erhalten, in dem Anweisungen für einen vorsätzlichen Lockdown angeordnet werden. Ich weiß, das hört sich verrückt an. Aber genau so hat es mir Bernd mitgeteilt. Außerdem …“ Chiara hielt inne. „Da gibt es noch etwas.“
„Was noch?“, bohrte Reinhardt nach.
„Angeblich soll ein Terroranschlag in Deutschland verübt werden. Das Brisante dabei ist, dass hochrangige Politiker in Berlin darin verwickelt sind. Weitere Details hat er leider nicht genannt. Und nun frage ich Sie: Warum sollte sich mein Bruder umbringen, wenn er mich treffen wollte? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!“
„Hmmm.“ Reinhardt sah auf seine Armbanduhr und trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischunterlage.
„Hören Sie, es ist absurd, dass Bernd aus Liebeskummer ins Wasser geht. Noch dazu bei dem Wetter. Es wäre für ihn einfacher gewesen, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen oder von einem Gebäude zu springen. Das passt alles nicht zusammen.“
Reinhardt musste zugeben, dass einiges für Chiaras Hypothesen sprach. „Was ist Ihrer Meinung nach geschehen?“
Chiara verschränkte die Arme und schien die Zimmerdecke zu befragen. „Vielleicht wurde er bedroht und ist deshalb auf Tauchstation gegangen?“, folgerte sie.
„Und der Brief?“
„Wenn Bernd ihn nicht geschrieben hat …“, sagte sie mehr zu sich selbst und brach mitten im Satz ab.
„Angenommen, er hat den Selbstmord nur vorgetäuscht. Wo könnte er jetzt sein?“
Chiara hob die Schulter. „Wenn Bernd noch am Leben ist, was ich hoffe, wird er sich früher oder später bei mir melden. Andernfalls, ich wage gar nicht daran zu denken, hat man ihn wahrscheinlich ermordet.“
Reinhardt sah Chiara bestürzt an. „Ermordet? Von wem?“
„Vielleicht von den Leuten, die das Dokument verfasst haben?“
„Die den Lockdown angeordnet haben und einen Terroranschlag in Deutschland verüben wollen?“
„Wäre möglich.“
„Sie müssen zugeben, das klingt absurd“, wehrte Reinhardt ihre Schlussfolgerung ab. „Okay, rekapitulieren wir: Sie glauben, dass Ihr Bruder entweder untergetaucht ist oder ermordet wurde, weil er ein Dokument erhalten hat, das brisantes Material über die Corona-Pandemie und einen Terroranschlag enthält. Ist das korrekt?“
„Besser kann man es nicht formulieren.“
Reinhardt lächelte fassungslos und stieß einen Seufzer aus, weil er Chiaras Hypothese nicht glauben konnte.
„Ich sage die Wahrheit“, entgegnete Chiara.
„Okay. Was schlagen Sie vor?“
Chiara sah Reinhardt direkt in die Augen. „Ich würde Ihnen raten, mit den Ermittlungen fortzufahren. Wenn wir in den nächsten Tagen kein Lebenszeichen von meinem Bruder erhalten, werde ich auf höherer Stelle intervenieren.“
Reinhardt überlegte. Er wusste nicht so recht, was er von dem Vorhaben halten sollte. Dann fasste er einen Entschluss. „Okay“, sagte er leise. „Ich werde die Wasserpolizei auffordern, den Starnberger See noch einmal abzusuchen. Danach werde ich sein Bankkonto checken und seine Telefonate überprüfen. Sie können bei den Mayers vorbeischauen. Die wohnen gleich gegenüber. Ein altes Ehepaar, das Ihren Bruder gut kannte. Das weiß ich von einem Kollegen. Vielleicht haben die etwas gesehen. Würden Sie das für mich tun?“
Chiara lächelte. „Einverstanden.“
„Ach ja! Für den Fall, dass sich Ihr Bruder bei Ihnen melden sollte, …“
„Gebe ich Ihnen sofort Bescheid“, fiel Chiara ihm ins Wort.
„Wo kann ich Sie erreichen?“
„In Bernds Villa. Sie haben doch nichts dagegen? Oder wurde das Haus versiegelt?“
Reinhardt schüttelte den Kopf. „Nein. Die Untersuchungen sind abgeschlossen. Falls Sie etwas finden sollten, das der Aufklärung dient …“
„Werde ich Sie informieren“, warf Chiara ein.
„Danke. Wenn Sie wollen, fahre ich Sie zur Villa. Ich muss sowieso zum Flughafen, wegen der zwei ermordeten BKA-Kollegen. Wäre nur ein kleiner Umweg.“
Chiara nahm das Angebot dankend an.
„Noch eine Frage. Die Villa ist ja ein Prunkstück, kostet sicher ein Vermögen. Laut Immobilienbüro über zwei Millionen Euro. Woher hatte Ihr Bruder so viel Geld?“
„Das war ein Geschenk meines Vaters. Wissen Sie, wer mein Vater ist?“
„Ja, ich habe im Focus ein Interview über Ihren Vater gelesen. Hat reichlich Kohle.“
Chiara schmunzelte. „Kann man wohl sagen.“
Reinhardt stand auf, half Chiara in den Mantel und brachte sie zu seinem Dienstwagen. Nachdem er den Kollegen am Flughafen über Funk mitgeteilt hatte, dass er auf dem Weg sei, schaltete er das Blaulicht ein und brauste davon.