Читать книгу Wie aus dem Ei gepellt ... - Martina Meier - Страница 10

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Die Hexe und der Hase

In den Wäldern des Riesengebirges lebte einst die Hexe Gruselda Mieselinde Schierlingsgelb, Hexenmeisterin allererster Klasse. Sie ärgerte sich über lachende Kinder ebenso wie über zwitschernde Vögel. Am meisten ärgerte sie sich jedoch über den Osterhasen, der unter dem Haselbusch gegenüber wohnte. Sobald Gruselda das Wort Hase aussprach, verfärbte sich ihr Gesicht grüngelb und sie begann zu husten. Dieses Jahr wollte sie dem Osterhasen eine Lektion erteilen, die er nicht so schnell vergaß. Sie hatte schon einen Plan.

„Abraxus? Wo steckst du schon wieder?“ Die Tür des Hexenhauses knarrte und Gruselda steckte ihre lange Nase aus dem Türspalt. „Abraxus! Wenn du nicht sofort erscheinst, wirst du die nächsten Monde …“

Der Zauberlehrling erfuhr nicht mehr, welche Strafe für ihn bestimmt war. „Ich bin doch schon da, beste Madame. Was steht zu Diensten?“

„Lauf zum Bauernhof und leg dich beim Hühnerstall auf die Lauer. Sobald du weißt, wann die Eier für den Ha... chk ... chk ... Hasen geliefert werden, kommst du zurück. Und jetzt beeil dich!“

Vergnügt pfeifend machte sich Abraxus auf den Weg. Ein Ausflug zum Bauernhof war hundert Mal besser, als Zaubersprüche zu lernen oder Eulenfedern zu sammeln.

Die Hexe hingegen machte drei Schritte Richtung Haselbusch und hielt nach dem Hasen Ausschau. „Wenn ich nur an den Ha... chk ... chk ... Hasen denke, bekomme ich Magenbeschwerden“, schimpfte sie vor sich hin. „Was fällt diesem Löffeltier ein, sich so aufzuspielen? Kinder herlocken und beschenken, sonst noch was! Dann rennen die Fratzen stundenlang durch meinen Wald und stören mich bei der Arbeit. Wie soll ich bei diesem Lärm mein Buch „Wie wird man eine berühmte Hexe“ fertig schreiben? Nein, nein, diese Gören sollen bleiben, wo sie sind.“

Zornig stampfte die Hexe mit dem Fuß auf. „Warum die Menschen diesen mickrigen Ha... chk ... chk ... Hasen lieben, versteh ich überhaupt nicht. Ich beherrsche die schwierigsten Zaubersprüche, koche die beste Krötensuppe, bin die einzige Hexe, die ein Buch schreibt. Sollten sie nicht mich bewundern? Aber diesmal werde ich ihm sein Fest versalzen. Ich habe einen Plan. Ich werde …“

Die Hexe konnte den Satz nicht beenden, denn Abraxus kam im Laufschritt herangekeucht. „Madame Gruselda, pff! Madame Gruselda, es eilt!“ Der Zauberlehrling schnappte nach Luft. „Die Hennen bringen ihre Eier schon heute zum Haselstrauch. Sobald es dunkel ist, ziehen sie los.“

„So, so, heute Nacht soll die große Lieferung sein.“ Die Hexe zog ihre knöchernen Finger lang, bis sie knackten. „Ich fürchte, dass es für die Hennen heute keine Ausgangserlaubnis geben wird.“ Gruselda kicherte und klatschte in die Hände: „Husch, husch! Hol meinen Besen, Abraxus! Ich fliege zum Hühnerstall.“

„Ist es nicht zu hell zum Fliegen?“, fragte der Zauberlehrling, als er mit dem Besen zurückkam.

„Abraxerle, du bist ja ein schlaues Kerlchen“, lobte die Hexe. „Du hast völlig recht. Doch wozu gibt es Wolken?“ Sie streckte den Zeigefinger zum Himmel und murmelte einen Zauberspruch. Sogleich schwebte eine dicke graue Wolke herbei und ließ sich auf dem Dach des Hexenhauses nieder.

„Vergiss nicht die Krötensuppe auf dem Herd umzurühren“, rief die Hexe ihrem Lehrling zu. „Und lern endlich den Zauberspruch 27. Wenn ich zurückkomme, will ich ihn fehlerfrei hören.“ Sie stieg auf ihren Besen und schwebte zum Rauchfang hoch. Ein Satz und schon waren Wolke und Hexe Richtung Bauernhof unterwegs.

„Mir scheint, ich bin gerade rechtzeitig gekommen“, flüsterte Gruselda. Vor neugierigen Blicken in der Wolke geschützt, beobachtete sie, wie die Bäuerin die Hühner in den Stall sperrte. Sobald es dunkel war, schlich sie auf Zehenspitzen zum Hühnerstall, schlug die Türe zu und schob den hölzernen Riegel vor.

Dann beugte sie sich zum winzigen Guckloch und zischte: „Der Abendspaziergang ist gestrichen, meine Damen. Und Ostern fällt heuer aus!“ Zufrieden rieb sie ihre knochigen Hände. „Auf zum Mondscheinflug. Mal sehen, ob Horrifikus in seiner Burg sitzt. Seinen köstlichen Nachtschattenwein habe ich mir heute verdient.“ Sie kletterte auf ihren Besen und schwebte über die Baumwipfel dem Sternenhimmel entgegen.

Bei den Hennen herrschte unterdessen große Aufregung. Sie trippelten auf ihren Stangen auf und ab und gackerten kläglich. „Der Osterhase wartet auf uns.“

„Ohne unsere Eier gibt es kein Osterfest.“

„Können wir gar nichts tun?“

Karoline, die kleine rotbraune Henne, meldete sich zu Wort: „Helft alle mit. Ich will versuchen, durch das Guckloch zu schlüpfen.“ Sie flatterte zur obersten Stange und steckte den Kopf durch die Lücke. Die großen Hennen schoben und drückten, die kleine Henne ächzte und piepste, und schwupps war sie im Freien. „Ich hol Benno, den Hofhund. Der ist stark genug, um den Riegel wegzuschieben“, rief sie von draußen. Bei sich dachte sie: „Es hat auch sein Gutes, wenn man so dünn und mickrig ist.“

Im Nu waren alle Hennen befreit und mit den Eiern auf dem Weg zum Osterhasen. „Das ist ja noch einmal gut gegangen“, stellten die Hennen nach ihrer Rückkehr erleichtert fest.“

„Ich würde zu gern das Gesicht der Hexe sehen, wenn sie merkt, dass ihr mieser Plan fehlgeschlagen ist“, lachte Karoline.

„Ohne dich hätten wir es nicht geschafft“, lobten die anderen die kleine Henne.

Die wurde vor Verlegenheit hochrot. Nur gut, dass das bei einem rotbraunen Gefieder nicht auffiel.

Drei Tage später kam Gruselda Mieselinde Schierlingsgelb von ihrem Besuch auf der Zauberburg zurück. Beschwingt und heiter, ein Liedchen und den Geschmack des herben Weines noch auf den Lippen, schlenderte sie durch das Wäldchen. „Nun will ich mal sehen, wie es diesem Ha... chk ... chk ... Hasen ohne Eier ergangen ist. Hat er sein Bündel schon gepackt?“

Vorfreude glitzerte in ihren Augen, als sie die Zweige des Haselstrauches zur Seite schob. „Da soll doch! Wie war das möglich?“

Freudiges Glitzern verwandelte sich in zorniges Funkeln, Hexenwangen färbten sich giftgrün. Wütend starrte Gruselda auf den schmalen Grasstreifen vor dem Gebüsch. Vom Osterhasen war nicht einmal das Stummelschwänzchen zu sehen. Aber neben Farbtöpfen in Reih’ und Glied lachten wie immer die bunten Eier aus ihren Strohnestern.

„Glaub ja nicht, dass du gewonnen hast, du komisches Pelzmantelgeschöpf“, schimpfte Gruselda und verfärbte sich dunkelgrün. „Ich gebe nicht auf. Du wirst es gleich erleben!“ Wutentbrannt packte sie einen leeren Kübel und leerte einen Farbtopf nach dem anderen hinein. Flink umgerührt und im Nu floss eine braunschwarze dickflüssige Brühe über die bunten Eier. Zuletzt rollte die Hexe die Eier kreuz und quer durch das Stroh. Kein Rest der bunten Farbe sollte durchscheinen.

„Morgen feiern die Kinder Ostern ohne dich, mein Lieber“, kicherte Gruselda schadenfroh, drehte sich um und verschwand.

Als der Osterhase gut aufgelegt und ausgeschlafen aus der Grube hopste und die Bescherung sah, war seine Verzweiflung groß. „Die armen Kinder“, jammerte er. „Sie freuen sich doch so sehr auf ihr Osternest.“ Er setzte sich ins Gras, klappte die Ohren vors Gesicht und eine dicke Träne tropfte von seiner Wange.

Seine Frau nahm inzwischen ein schwarzes Ei aus dem Nest und drehte es nach allen Seiten. „Schau, einmal!“ Frau Hase hielt ihrem Mann das Ei unter die Nase. „Wie hübsch die Strohhalme auf dem dunklen Hintergrund aussehen. Wie eine Schmuckbordüre.“

Tatsächlich bildeten die hellen Halme wunderschöne Muster auf dem schwarzen Ei. Die beiden Hasen schauten sich an, sprangen auf und jubelten: „Ostern ist gerettet! Die Kinder freuen sich über schwarze Ostereier bestimmt genau so!“

Am Ostersonntag wurde Gruselda Mieselinde Schierlingsgelb vom Jubel der Kinder geweckt. Grün und gelb vor Wut packte sie ihre sieben Sachen und zog mit Abraxus fort.

Der Osterhase wohnt noch immer mit seiner Familie unter dem Haselstrauch. Manchmal legt er ein schwarzes Ei mit Strohverzierung ins Osternest. Hast du schon eines bekommen?

Gabi Eder wurde 1944 geboren, ist verwitwet und hat zwei erwachsene Söhne. Sie verfasst humorvolle, ironische Texte und Reimereien über Tiere und die kleinen Dinge des Alltags. Am liebsten schreibt sie Geschichten über und für Kinder. Zahlreiche Erzählungen wurden in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht.

Wie aus dem Ei gepellt ...

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