Читать книгу Wie aus dem Ei gepellt ... - Martina Meier - Страница 22
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Gibt es den Osterhasen?
„Glaubst du an den Osterhasen?“
Lisas Augen werden groß und rund. Florian steht vor ihr, beide Hände in den Hosentaschen. Lisa weiß nicht so recht, was sie antworten soll.
„Mein Bruder hat gesagt, es gibt keinen Osterhasen“, sagt Florian. „Mein Bruder ist schon sieben.“ Er zeigt die Zahl mit seinen Fingern.
„Wer bringt denn dann die Ostereier?“, fragt Lisa.
„Die Eltern malen sie an und verstecken sie heimlich.“
„Und warum gibt es dann überhaupt Ostern?“
Auf diese Frage weiß Florian keine Antwort, er zuckt mit den Schultern.
„Siehst du, das weißt du jetzt nicht, sonst weißt du ja immer alles.“
Beide wenden sich wieder ihren Bildern zu, die sie gerade im Kindergarten malen. Lisa hat einen Garten mit vielen Blumen gemalt, einen Hasen und ein Nest mit bunten Eiern. Das Bild wird sie ihrer Oma schenken. Wenn sie zu Hause ist, wird sie die Großen fragen, wie das mit Ostern ist.
„Mama, wer bringt die Ostereier?“, fragt sie am Mittagstisch. Heute gibt es Spaghetti mit Tomatensoße, ihr Lieblingsessen.
„Der Osterhase natürlich, Lisa“, sagt Mama. Lisa bemerkt, dass Mama lacht, ihr zuzwinkert und einen bedeutungsvollen Blick auf ihre jüngeren Geschwister Lena und Lars wirft, die beharrlich mit den Nudeln kämpfen.
Sie wird es selber herausfinden, denkt Lisa. Sie macht sich einen Plan. In der Nacht vor Ostern wird sie, wenn es dunkel ist, aufstehen, heimlich in den Garten gehen und dann wird sie ja sehen, wer die Eier bringt.
Am Samstagabend liest Papa noch eine Gutenachtgeschichte vor, dann macht er das Licht aus. Lisa hat ihre Taschenlampe auf den Tisch neben ihrem Bett gelegt: Sie wird sie mitnehmen, wenn es soweit ist.
Plötzlich steht Lisa mit ihrer Taschenlampe im Garten, aber der Garten ist anders als sonst, dunkel und geheimnisvoll. Sie geht über den Kiesweg, die Steine knirschen unter ihren Füßen. Der Garten hat keinen Zaun mehr, er geht in eine Wiese mit Bäumen über. Sie hört ein Rascheln im Gras und glaubt ihren Augen nicht zu trauen – im Schein ihrer Taschenlampe sieht sie eine Hasenfamilie: zwei große Hasen und drei winzige Hasenkinder.
„Seid ihr vielleicht die Osterhasen?“, fragt Lisa.
„Sehen wir so aus?“, fragt der größte zurück. „Die Menschen erzählen ihren Kindern die Geschichten vom Osterhasen. Aber wir können doch gar keine Eier legen, meine Frau hat letzte Woche drei Junge zur Welt gebracht. Jedes Kind weiß, dass die Hühner die Eier legen. Denen würden wir nie ihre schönen Eier wegnehmen, das tun doch schon die Menschen. Sie kochen sich Frühstückseier und an Ostern tauchen sie sie in Farbe und verstecken sie für ihre Kinder.“
Nachdenklich geht Lisa weiter. Die Bäume werden dichter, sie gelangt in einen Wald. Auf einer Lichtung steht eine weiße Bank, darauf sitzt ein junges, wunderschönes Mädchen mit langen blonden Haaren und einem glitzernden Kleid in Pink. Es erinnert Lisa an die Prinzessin in ihren Lieblingsbüchern. „Setz dich zu mir, Lisa“, sagt das Mädchen. „Was machst du so allein im Wald?“
„Ich wollte den Osterhasen suchen, aber ich habe nur eine ganz normale Hasenfamilie gesehen. Die hatten nicht einmal Farben bei sich.
„Möchtest du wissen, warum wir Ostern feiern?“, fragt die Schöne. „So genau weiß ich das auch nicht, aber ich glaube, wir feiern den Beginn des Frühlings. Das Gras wird grün, die Blumen beginnen zu blühen, die kleinen Hasen und Lämmer werden geboren. Die Menschen freuen sich darüber und schenken sich etwas, Schokoladeneier, Osterhasen und gefärbte Eier.“
„Ich mag am liebsten Marzipan-Eier“, sagt Lisa und geht weiter.
Nach einer Weile kommt sie zu einer Buche, unter der ein alter Mann auf einem Baumstamm sitzt, er hat ein freundliches Gesicht. „Setz dich zu mir“, sagt der Mann und rückt ein bisschen. „Du möchtest eine Antwort auf die Frage haben, warum wir Ostern feiern, stimmt’s?“
„Ja, aber woher weißt du das?“
„Ich weiß, was die Menschen denken. Ich bin viel in der Welt herumgekommen und die Menschen haben mir Geschichten erzählt. Also mit Ostern ist das so: Die Christen feiern Ostern, weil Jesus am Ostermorgen auferstanden ist. Zwei Tage vorher, am Karfreitag, ist er gestorben. Als Zeichen der Trauer schweigen an diesem Tag an vielen Orten die Kirchenglocken und am Ostersonntag klingen sie dann besonders schön und feierlich“, erklärt der alte Mann.
„Die Geschichte mit Jesus hat uns die Manuela im Kindergarten auch schon erzählt“, meint Lisa nachdenklich. „Dann wird sie wohl stimmen.“
„Aber jetzt geh schnell nach Hause, Lisa, und feiere mit Mama, Papa, Lena und Lars ein schönes Osterfest.“
„Auf Wiedersehen!“, ruft Lisa ganz laut und winkt, als sie über den Waldweg hüpft.
„Lisa, du hast geträumt.“
Mama steht neben ihrem Bett und streicht ihr über die Haare. Draußen ist es schon hell und die Sonne scheint in ihr Zimmer.
„Zieh dich schnell an, Lena und Lars wollen Ostereier suchen.”
„Au ja“, ruft Lisa, „hoffentlich sind Marzipan-Eier dabei!“
Hanna Rein wurde 1948 in Kassel geboren und wohnt jetzt in Bornheim. Sie hat Germanistik und Geografie studiert und 30 Jahre als Lehrerin gearbeitet. Seit Kurzem schreibt sie Geschichten und Gedichte, von denen einige in Anthologien erschienen sind.