Читать книгу Wie aus dem Ei gepellt ... - Martina Meier - Страница 38
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Die Aushilfe
Es war Oscars großer Tag. Er war schon sehr früh aufgestanden und hatte sich noch im Dunkeln für die Aufgabe, die ihn heute erwartete, vorbereitet. Das Fell war gekämmt, die langen Ohren sauber und seine Fußnägel geschnitten. Ihr müsst nämlich wissen, Oscar ist ein Hase. Aber nicht irgendein gewöhnlicher Feldhase, sondern ein angehender Osterhase in Ausbildung.
Eigentlich sollte er erst im nächsten Jahr beim großen Eierverstecken mitmachen. Sein Vater, der jedes Jahr mit den anderen Osterhasen ausschwärmte, um die vielen Kinder mit Ostereiern zu versorgen, lag aber seit gestern mit einer gewaltigen Grippe im Bett. Oscar hatte schon viel gelernt und seine Noten waren so gut, dass der Boss seine Zustimmung zur Aushilfe gegeben hatte, obwohl ihm noch das letzte Ausbildungsjahr zum anerkannten Osterhasen mit Diplom fehlte.
„Also dann, viel Erfolg und gib gut auf dich acht“, sagte die Hasenmutter zum Abschied, drückte Oscar fest an sich und öffnete die Tür.
Die kleinen, halbrunden Häuser des Osterhasendorfes standen in Kreisform um den großen Dorfplatz und so konnte Oscar direkt auf seine Kollegen schauen, die sich dort versammelt hatten. Ein wenig mulmig war ihm schon zumute, als er die erfahrenen Osterhasen mit ihren Körben auf dem Rücken erblickte.
„Wird schon alles gut gehen, Mama“, verabschiedete sich der neue Osterhasengehilfe mit einem Kuss von seiner Mutter und ging in die Hütte des Ostereierverteilers.
„Name!“, fragte der alte Hase hinter dem Tisch, ohne aufzublicken. Mit einer großen, runden Brille auf der Nase studierte er angestrengt seine Akten.
„Oscar!“, rief der Osterhase in Ausbildung aufgeregt und stolz zugleich. Langsam ging der Blick des alten Hasen nach oben und er musterte Oscar über den Rand seiner Brille hinweg. „So, so. Der Oscar. Der Boss hat dich schon angekündigt. Du bist also als Vertretung deines Vaters hier, obwohl deine Ausbildung noch nicht abgeschlossen ist.“ Die scharfe Stimme des Alten verunsicherte Oscar. Der traute ihm bestimmt niemals zu, den Job vernünftig auszuführen.
„Na ja, der Boss wird schon wissen was er macht“, sagte der Alte zweifelnd und schaute wieder auf seine Akten. „Tour 43“, gab er nach einem kurzen Blick auf die Papiere kund und suchte aus einem anderen Stapel auf dem Tisch den entsprechenden Plan raus. „Die Eier stehen da hinten in der Ecke.“ Ohne seine Augen noch einmal auf Oscar zu richten, gab er ihm seinen Tourplan. „Der Nächste! Name!“, rief der Alte laut.
Schnell hatte sich Oscar seinen Korb mit den Ostereiern geholt und stand nun mit den anderen Osterhasen auf dem Dorfplatz.
„Hallo, Oscar!“, begrüßte ihn Hansi freudestrahlend. Hansi war ein Nachbarhase und zwei Jahre älter als Oscar. „Was machst du denn hier? Ich dachte deine Ausbildung ist erst im nächsten Jahr beendet?“
„Das stimmt ja auch“, bestätigte Oscar. „Aber mein Vater ist krank und ich darf als Aushilfe seine Tour übernehmen.“
„Das ist ja toll. Dein Vater wird ganz stolz auf dich sein!“, rief Hansi und klopfte dem Jüngeren anerkennend auf die Schulter. „Was hast du denn für eine Route? Zeig doch mal deinen Tourplan“, sagte er zu Oscar. Auf dem Plan waren, wie jedes Jahr, die Häuser der Menschen und ihre Namen eingezeichnet, die beliefert werden sollten.
„Oh je, du musst zu Familie Hempel in die Oststraße!“, rief Hansi erschrocken nach einem kurzen Blick auf den Plan.
„Was ... was ist denn da so Schlimmes?“ Oscar war kein Angsthase, aber der Ausruf seines Freundes hatte ihn schon erschreckt.
„Die haben einen großen Hund, der auf ihrem Grundstück frei herumläuft. Mein Onkel hat mir mal erzählt, dass er diese Tour hatte und sich bei der Flucht vor dem Hund verletzt hat“, erklärte Hansi. In diesem Moment erklang auch schon das Signal zum Aufbruch. „Tut mir leid Oscar, aber wir müssen jetzt los. Ich wünsche dir viel Glück!“, rief der Freund und hoppelte davon.
Alle anderen Osterhasen machten sich auch schon auf den Weg. Nur Oscar stand noch da und dachte mit Schrecken an den großen Hund von Hempels. Doch er wollte die Kinder nicht enttäuschen, die bald aufstehen und ihre Ostereier suchen würden. Also fasste er sich ein Herz und begann ebenfalls mit seiner Tour.
Nach zwei Stunden Arbeit hatte er nur noch die Familie Hempel auf dem Plan. Bis jetzt war alles ganz gut gelaufen, aber die Aussicht auf die Begegnung mit einem Hund, machte Oscar nervös.
Vorsichtig näherte er sich der Hecke, die das Haus umgab, und schlich sich in gebückter Haltung hindurch. Er legte ein Ei behutsam auf der Wiese ab und hoppelte auf eine andere Stelle zu, die ihm geeignet erschien, um erneut ein Osterei abzulegen.
Da geschah es. Mit lautem Gebell sprang ein großer, schwarzer Hund um die Ecke, genau auf Oscar zu. Seine Zähne waren gefletscht und ekliger Sabber lief ihm aus dem Maul. So schnell er konnte, hüpfte Oscar mit großen Sprüngen in Richtung Hecke davon, um im letzten Moment die rettende Straße zu erreichen. Der Hund war glücklicherweise zu groß, um durch die Hecke zu passen und so stand er noch auf der anderen Seite und kläffte wild.
Oscar war völlig außer Atem. Bei dem Sprung durch die Hecke hatte er sich außerdem noch an der Hinterpfote verletzt, die ihm jetzt höllisch wehtat.
„Mir ist das Gleiche passiert wie dem Onkel von Hansi“, dachte Oscar verzweifelt. „Wie soll ich denn jetzt meinen ersten Auftrag erfolgreich beenden?“
„Soll ich dir helfen?“, erklang plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihm. Verblüfft drehte sich der junge Hase zu dem Sprecher der Stimme um. Vor ihm stand ein Mann und schaute ihn mitleidvoll an. Drei Dinge waren seltsam, bemerkte Oscar. Wie konnte sich ein Mensch, einem Hasen so weit nähern, ohne dass dieser ihn witterte? Warum konnte dieser Mensch die Hasensprache? Warum kam der Mann ihm so bekannt vor?
Auf alle diese Fragen wusste er keine Antwort, aber der Mann machte einen sehr freundlichen Eindruck. „Kannst du mir denn helfen?“, fragte Oscar deshalb vertrauensvoll.
„Natürlich kann ich das. Ich hab gerade Urlaub und helfe immer gerne!“, rief der Mann und lachte. Ohne irgendwelche Anzeichen von Angst machte er sich mit den letzten Eiern aus dem Korb auf den Weg durch das Eingangstor, aus sicherer Entfernung von Oscar beobachtet. Mit einer Seelenruhe verteilte der Mann die Eier, immer gefolgt von dem großen Hund, der sich freudig schwanzwedelnd von ihm streicheln ließ.
„Vielen Dank“, sagte Oscar staunend zu dem seltsamen Mann, als dieser mit dem Verteilen der Eier fertig war.
„Keine Ursache, hab ich doch gern gemacht für einen Kollegen!“ Dabei lachte er wieder, setzte sich eine rote Zipfelmütze auf den Kopf und ging zu einem Schlitten, der gezogen von Rentieren gerade auf der Straße gelandet war. „Es war mir eine Ehre die Aushilfe für dich zu sein, Oscar“, sagte er zum Abschied und flog in seinem Schlitten mit einem lauten „Ho, ho, ho!“ davon.
Armin Niederhäuser ist 45 Jahre alt, glücklich verheiratet und wohnt mit seiner siebenköpfigen Familie und einem kleinen Hund im schönen Westerwald. Wenn es die Zeit erlaubt, liest und schreibt er gerne Geschichten.