Читать книгу Wie aus dem Ei gepellt ... - Martina Meier - Страница 24
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Die Osterbäumchen
„Das kann doch nicht wahr sein.“ Entsetzt blickte Clemens Langohr auf seine besten Läufer, die mit verbundenen Füßen und hängenden Ohren vor ihm saßen. „Wie oft habe ich euch schon gesagt, dass ihr zum Beginn der Osterzeit ganz besonders aufpassen und auf eure Gesundheit achten müsst. Wer soll denn jetzt die fertig bemalten Eier den vielen Kindern ins Nest legen, wenn ihr nicht laufen könnt?“
Clemens Langohr war Bürgermeister in Osterhausen. Auf ihm lastete eine große Verantwortung. Er musste sich um die gesamte Organisation des Beschaffens, Färbens und der Auslieferung aller Ostereier kümmern. Ständig reiste er durchs ganze Land, um mit den Osterhausener Hennen zu verhandeln. Monatelang hatten dann seine Mitarbeiter fleißig gearbeitet und alle angelieferten Eier in den prächtigsten Farben bemalt. Sogar aus dem benachbarten Ausland, von den niederländischen Osterinseln, hatten sie in diesem Jahr welche bekommen. Und jetzt standen die großen Kiepen mitten auf dem Rathausplatz und waren voll bepackt mit schön gefärbten Kunstwerken. Da gab es rote, grüne, blaue, gelbe – ja selbst gestreifte, gesprenkelte und marmorierte Eier schillerten im strahlenden Sonnenlicht. Damit diese auch rechtzeitig zum Fest an ihrem Bestimmungsort ankamen, wurden die schnellsten Läufer der Hasengemeinde auserwählt, um die Ostereier sogar in weit entfernte Gebiete zu tragen.
„Das wird manchenorts ein trauriges Osterfest werden, wenn dort die Nester leer bleiben“, überlegte der Hasenbürgermeister. Er dachte an die vielen enttäuschten Gesichter der Menschenkinder, die heuer keine bunten Eier, unter Büschen und im Gras versteckt, finden würden. Betrübt wandte er sich ab und ging ins Rathaus zurück.
Die gescholtenen Osterhasen sahen schuldbewusst in die erbosten Gesichter der anderen Langohren, die neugierig herbeigeeilt waren, um zu erfahren, was denn auf dem Rathausplatz für ein Aufruhr war. Das hatten sie nun davon. Warum mussten sie auch ausgerechnet kurz vor Ostern durch den Wald laufen und übermütig Haken schlagen, wo sie doch ganz genau wussten, dass zwischen den Bäumen allerlei Unrat herumlag. Dieser war von den Menschen dort weggeworfen oder nach einem Picknick einfach vergessen worden. Wen verwundert es deshalb, dass die Rammler aus Versehen in die Scherben kaputter Flaschen getreten waren und sich dabei die Läufe verletzt hatten. Sie schämten sich sehr, denn nun konnten sie beim Verteilen der bunten Ostereier nicht mithelfen.
„Ihr seid eine Schande für ganz Osterhausen“, ereiferte sich ein betagter Hase, der arg von Gicht geplagt war und sich auf seinem Stock abstützen musste.
Ein anderer schlug sich stolz auf die Brust und zeigte auf eine glänzende Medaille, die ihn als besten Läufer seines Jahrgangs auszeichnete. „So etwas wäre uns früher nie passiert!“, rief er aufgebracht und erntete beifälliges Gemurmel. Alle wetterten gegen die Schuldigen und ließen kein einziges gutes Fellhaar an ihnen.
Der kleine Hase Springinsfeld hatte Mitleid mit den Unglückseligen und suchte fieberhaft nach einer Lösung des Problems. Plötzlich bemerkte er eine Schar Graugänse, die gackernd über den Rathausplatz hinwegflogen.
Ungestüm zupfte er am Rocksaum seiner Mama, einer etwas molligen Hasendame, die gespannt dem Unmut der übrigen Hasengemeinde zuhörte. Endlich beugte sie sich zu ihm herab. Erstaunt lauschte sie, was Springinsfeld ihr in die Hasenlöffel flüsterte. Sie nahm den Kleinen auf den Arm und rannte, so schnell es ihre Hasenkörperfülle zuließ, ins Rathaus.
Völlig außer Atem stürmte sie in die Amtsstube von Clemens Langohr. „Herr Bürgermeister, Herr Bürgermeister! Das ist die Lösung!“
Das Gemeindeoberhaupt war bass erstaunt, als es die schnaufende und schwitzende Hasenmama mit dem kleinen Springinsfeld vor sich stehen sah.
„Na los, Springinsfeld, erzähl dem Herrn Bürgermeister von deiner Idee“, ermunterte die Häsin ihren Sohn.
„Ich … äh, ich dachte …“, stotterte Springinsfeld vor Aufregung. „Ich dachte, wir könnten doch die Vogelschar bitten, uns bei der Eierauslieferung behilflich zu sein.“
„Die Vögel? Aber wieso denn die Vögel?“, fragend schaute das Oberhaupt der Hasengemeinde den Kleinen an und kratzte sich nachdenklich zwischen den langen Ohren.
„Weil Vögel doch fliegen und deshalb auch weite Strecken in kurzer Zeit zurücklegen können“, erwiderte Springinsfeld zaghaft.
Der Bürgermeister sprang hinter seinem Schreibtisch hervor und verschränkte die Vorderpfoten auf dem Rücken. Er lief von einer Seite des Raums zur anderen und von dort wieder zurück. Zwischendurch hielt er kurz an, runzelte die Stirn, um gleich darauf seine Runde fortzusetzen. Währenddessen war in der Amtsstube kein Laut zu hören. Plötzlich blieb Clemens Langohr abrupt stehen.
„Ja, natürlich! Du hast recht! Versuchen können wir es!“, stimmte er schließlich zu.
Sogleich machte er sich auf den Weg, um Springinsfelds Idee den Vögeln vorzutragen.
Und so kam es, dass am Ostersonntag die Spaziergänger nicht schlecht staunten, als sie in vielen Vorgärten Bäumchen entdeckten, die mit kunstvoll bemalten Eiern behängt waren. Kein Wunder, denn den Vögeln war es unmöglich gewesen, die Eier unter den Büschen und im Gras zu verstecken, so wie es gewöhnlich die Hasen an Ostern taten.
Marika Krücken, geboren 1953 in Uelzen bei Hannover, lebt mit ihrer Familie in Köln. Seit 1985 schreibt die Hobbyautorin Kindergeschichten. Inspiriert durch ihre Patenkinder und ihre Tochter, entstand eine Sammlung kleiner Geschichten, die sie in ihrem Buch Traumzeit-Geschichten mit dem Titel „Winterträume“ vorstellt. Ihr erstes Buch „Geschichten von Siebenpünktchen“ wurde im Jahr 2005 veröffentlicht. Seit dieser Zeit hat die Autorin an verschiedenen Anthologien teilgenommen. „Eine Reise nach Moskau“, ein Lehrbuch für den Deutschunterricht in Russland, erschien 2008.