Читать книгу Wie aus dem Ei gepellt ... - Martina Meier - Страница 42
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Von Beruf Osterhase
Warum wird jemand Osterhase? Tja, gute Frage. Und obwohl ich das eigentlich am besten wissen müsste, stelle ich sie mir seit geraumer Zeit jeden Tag. Ausgerechnet Osterhase! Wie blöd muss einer sein. Aber so ist das – Beruf ist Beruf.
Und ich bin es auch nicht ganz freiwillig geworden, wenn ich ehrlich bin. So ein Beruf vererbt sich eben. Mein Ur-Ur-Großvater, ja, der hätte noch die Wahl gehabt. Hätte sagen können: Was, Osterhase? Was glaubt’s denn, wen ihr vor euch habt? Und dann wäre er in aller Stille ein anständiger Stallhase geworden. Aber nein, er wollte unbedingt. Drängelte sich vor. Dachte, ein Osterhase wäre etwas Besonderes. Eine Art Künstler. Und er hatte ja recht – bis ... bis diese Sache mit den Schokoladeneiern begann. Und das geht ja jetzt schon eine ganze Weile so.
Da sitze ich hier und schwadroniere von der guten, alten Zeit. Ich höre mich schon selbst an wie ein Opa. Aber es stimmt doch. Wie gut ist es uns gegangen, als wir es allein mit Hühnereiern zu tun hatten. Stell dir vor: weiße Hühnereier, unbefleckt und rein. Wie ein Handtuch, so sagt man doch. Die fühlten sich gut an in der Pfote. Rund, glatt, angenehm im Gewicht. Und mit den netten Hühnern hat das Geschäft obendrein noch Spaß gemacht. Ja, mit denen konnte man verhandeln, wie sich das gehört: ein gemütliches Schwätzchen hier und dort und gelegentlich ein kleiner Eierlikör zum Abschluss des erfolgreichen Verhandlungsgespräches.
Und dann ruckizucki nach Hause, den Pinsel geschwungen und das Körbl gepackt. Und manchmal kam so ein Huhn später noch einmal vorbei, bestaunte das Endprodukt und schüttelte einem gratulierend die Hand.
Dann kamen die Schokoladeneier. Das war schon blöd genug. Ziemlich blöd sogar. Nun mal ganz ehrlich: Wer legt denn so etwas? Niemand legt so etwas. Das ist ja das Problem. Die werden hergestellt. In der Fabrik. Und mit wem soll ich dann anschließend ein Schlückchen trinken? Na? Mit Fabrikarbeitern vielleicht, denen völlig schnuppe ist, was sie dort vor sich haben? Womöglich noch Schokoladenlikör – igitt! Geht nicht. Was haben Schokoladenfabriken mit mir zu tun? Nichts. Die machen sich’s einfach selbst. So habe ich mir meinen Beruf nicht vorgestellt, das sag ich dir. Die brauchen keine Künstler. Die brauchen Boten.
Ich finde, wenigstens gefragt werden sollte ich. Schließlich trage ich das ganze Zeug auf dem Rücken herum und verknackse mir dabei fast die Haxen. Aber darüber denkt natürlich mal wieder keiner nach. Habe ich im Übrigen auch nicht, bevor ich auf die bescheuerte Idee gekommen bin, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten, der wiederum in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist, der Depp.
Meine Brüder haben es richtig gemacht: Haben sich in den Wald verzwitschert und Familien gegründet. Die trinken weder Eierlikör noch essen sie Schokolade. Die stopfen den ganzen Tag Möhrchen in sich hinein, wie es sich für einen Hasen gehört. Und ab und zu mal einen Löwenzahn.
Was für eine Schufterei. Als ich mit dem Job begann, hat auch mich zunächst der Gedanke aufrecht erhalten, ein Künstler zu sein. Du magst lachen, aber die Gestaltung eines Eies vom Hühnerpopo zum Ostergedeck benötigt ein sehr genaues Auge. Ein Künstlerauge. Und alle haben gesagt, ich hätte einen Strich wie Van Gogh. Dieser Maler, falls du den kennst. Ja, sicher hat es mir geschmeichelt. Anders als der Herr van Gogh habe ich mir allerdings nie ein Ohr abgeschnitten. Wäre doch schade – bei der himmlischen Länge. Aber ich gebe es zu, ich habe daran gedacht, mir eines der beiden Ohren abzubinden. Für den richtigen Look. Aus Geschäftsgründen. USP – Unique Selling Point – das heißt Einzigartigartigkeit, um sich besser verkaufen zu können oder so ähnlich; jedenfalls gibt’s das auch bei uns.
Und als die Schokoladenfritzen das Geschäft übernahmen, oder sagen wir, neue Verhandlungspartner wurden, da sah es zunächst so aus, als würde das Ganze recht gut für mich laufen. Sie wollten sogar eine Edition mit meinem berühmten Strich auf Silberpapier herausbringen. Auf lila Grund. Nicht meine Farbe, aber das Geld hätte gestimmt. Bloß, dass da nie etwas draus geworden ist.
Von echten Eiern zur Schokolade. Sie haben nicht gefragt, sie haben es getan. Und ich hab’s geschluckt. Die Schokolade heruntergewürgt und versucht, dem Ganzen das Beste abzugewinnen. Habe gedacht: ruhig Blut. Lass sie halt. Bist ein positiver Hase. Ich steckte das Zeug ins Körbl und trug es auf den festlich gedeckten Tisch. Unauffällig, sodass alle nur meine Silhouette davon hüpfen sehen konnten. Und da die Kindlein sich freuten, war ich gleich ein wenig entschädigt für meine Mühe.
Aber jetzt? Gerüchte sagen, dass plötzlich Stoffkrokodile verteilt werden sollen. Richtig gehört: Stoffkrokodile! Zu Ostern! Man stelle sich das vor. Schokolade, okay, okay, wir hatten das Thema bereits. Stoffkrokodile aber sind so eine Sache. Irgendwelche Leute entscheiden: Ostern gibt’s ein Krokodil, und ich soll’s dann ausbaden. Austragen! Ist das okay? Nein, ganz und gar nicht okay ist das, wenn du mich fragst. Total daneben. Die passen nicht einmal in den Korb, sehen blöd aus und haben will die auch niemand. Oder gut: haben vielleicht, aber tragen? Oh no. Vielen Dank. Kleine Stoffhäschen, das machte noch Sinn. Doch selbst die, bei Licht betrachtet: geschmacklos.
Ein Krokodil bleibt ein Krokodil bleibt ein Krokodil. Die gehören in Kaufhausregale und nicht ins Nestchen. Womöglich in Plastiknestchen, mich schaudert’s.
Apropos: Wo sind eigentlich die Kindlein, die mir Jahr für Jahr ein Nest aus Moos bauen, auf dass ich die Eier hineinlege? Aber warum sollte das jetzt auch noch jemand tun: Nestchen basteln? Legen Hasen Krokodile? Ich bitt’ doch sehr.
Sind Krokodile überhaupt fruchtbar? – Keine Ahnung. Hasen sind’s. Und darum geht es doch an Ostern: um Fruchtbarkeit, Leben geben. Frühling. Auferstehung. Wie auch immer. Und aus Eiern kommt es eben herausgeschlüpft, das Fruchtbare, das ewige Leben, der Frühling, die Freude. Aus dem Ei schlüpfen Küken und – Krokodile. Da haben wir’s. Mist.
Okay, ich werd’s überleben. So ist das Leben. Vielleicht kann ich sie ja ein wenig bepinseln. Strich drüber. Grün ist immerhin nicht viel schlechter als Lila, möchte ich meinen.
Corinna Antelmann wurde 1969 in Bremen geboren und lebt heute in Linz, Österreich. Seit ihrem künstlerischen Studium ist sie vorwiegend als Kino-Drehbuchautorin und Dozentin für Storytelling tätig, daneben arbeitet sie auch als Dramaturgin für Theaterprojekte und Regieassistentin für Hörfunk. Kurzgeschichten sind in Anthologien erschienen und in der Zeitschrift JÖ.