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Oster-Anna

Ich heiße Anna. Obwohl ich kein Fisch bin, kam ich in einem Aquarium zur Welt. Und das war so:

Eine Hand holte mich eines Tages aus dem Nest meiner Mutter und sagte: „Frieda, meine Enkelin möchte gerne ein Küken aus dem Ei schlüpfen sehen. Da, du noch keine Lust, zum Brüten hast, werde ich ein Experiment wagen.“

Mutter Frieda nickte mit dem Kopf: „Go,go,go.“

„Experiment. Was mag das sein?“, dachte ich.

Das Experiment bedeutete, dass ich statt in einen Brutkasten in ein Aquarium gelegt worden bin. Darin lag ich auf einem mit Federn ausgepolsterten, weichen Bett. Jeden Tag drehte meine Ziehmutter mich morgens, mittags, nachmittags und abends einmal um. Dies tat sie, damit ich nicht an meinem Haus kleben blieb. Sie sorgte auch dafür, dass sich genug frische Luft und Feuchtigkeit in meinem Glaszimmer befanden. Sie prüfte die Temperatur, da mein Glaszimmer immer warm sein musste.

Meine Ziehmutter konnte ich nicht sehen, da mein angeborenes Haus hart und nicht durchsichtig war. Aber ich hörte ihre Stimme. Eines Tages nahm sie mich aus dem Glashaus heraus und legte mich auf eine harte Unterlage. Es wurde hell in meinem Haus. Ich lag auf einem kleinen Leuchttisch.

„Schau. Da ist das kleine Kükenherz. Siehst du die kleinen Adern?“, fragte meine Ziehmutter.

„Warum bewegt sich das Herz?“, fragte ein Kind.

„Es pumpt das Blut durch die Adern, damit es leben und wachsen kann“, erklärte meine Ziehmutter.

„Oma darf ich es auch mal halten?“ Das Kind nahm mich in seine Hände, streichelte meine harte Schale und legte mich vorsichtig in das Glashaus zurück. Es wurde wieder dunkel.

Einmal erlebte ich ein tolles Abenteuer. Ich wurde in ein warmes Wasserbad gelegt und mein Haus schaukelte hin und her. Ich fand das lustig.

Das Kind lachte: „Das Ei schwimmt wie ein Boot auf dem See.“

„Das bedeutet, dass das Küken lebt und gesund zur Welt kommt“, sagte meine Ziehmutter.

Danach kam ich wieder in das Glashaus zurück. Irgendwann bemerkte ich, dass mein Haus kleiner geworden war. Ich konnte mich nicht mehr so gut darin bewegen und ich beschloss endlich mein enges Haus, zu verlassen.

Doch es war nicht so einfach. In meinem Haus gab es keine Türen und keine Fenster. Ich pickte mit meinem Eizahn erstmal ein Guckloch. Das war eine schwere Arbeit. Es hat einen ganzen Tag gedauert und danach war ich sehr müde. Am nächsten Tag machte ich mit lautem Piepsen meine Ziehmutter auf mich aufmerksam.

Sie stand an meinem Glashaus und sagte: „Streng dich an. Bald hast du es geschafft.“

„Die hat gut reden“ dachte ich. „Sie weiß ja nicht, wie hart mein Haus ist.“

Ich hackte weiter mit meinem Eizahn gegen die harte Mauer und plötzlich bekam mein Haus Risse.

„Oma die Eierschale ist kaputt gegangen“, rief das Kind.

„Das ist gut so“, sagte meine Ziehmutter.

Ich wollte so schnell wie möglich raus. Aber es dauerte noch eine ganze Nacht und fast einen ganzen Tag. Schließlich drückte ich ganz fest mit meinen Füßen an die Innenwand und die Schale krachte entzwei.

„Oma, Oma!“ Das Kind hüpfte in die Luft. „Es ist da!“

„Ich bin frei“, rief ich und sah endlich meine Ziehmutter und das Kind. „Herzlich willkommen auf dieser Welt“, sagte sie.

Das Kind sagte: „Oma, guck mal. Da ist unser Osterküken.“

„Ja“, sagte meine Ziehmutter.

„Guck mal Oma. Das Küken hat aber große Füße. Und schwarze Augen. Und das Kleid ist so gelb, wie die Sonne. Es soll Oster-Anna heißen“, sagte das Kind.

Gleichzeitig hörte ich meinen Bruder Tom piepsen. Er wollte auch aus seinem engen Haus heraus.

Im Aquarium wurde die Luft plötzlich sehr feucht, und so nahm mich meine Ziehmutter heraus. Legte mich in einen Karton unter eine Rotlichtlampe. Das tat gut. Mein nasses Kleid trocknete schell. Das Kind nahm mich aus der Kiste heraus und streichelte mein Kleid und sagte. „Das Kleid ist so kuschelig.“

Nun schlief ich die ganze Nacht. Am nächsten Tag lag Tom auch in meinem Karton, aber das gefiel mir gar nicht. Wie kam er dazu, in meine Villa einzudringen? Und ich pickte auf ihn los. Das gefiel unserer Ziehmutter nicht. Wir bekamen getrennte Häuser. So standen zwei Kisten unter der warmen Lampe.

Am nächsten Morgen flogen wir aus den Kisten heraus und liefen durch die Wohnung herum.

„Oma, warum können sie schon so schnell laufen? Bei Babys dauert es ganz lange, bis sie laufen können.“

„Hühner sind Nestflüchter. Das bedeutet, dass sie nach dem Schlüpfen aus dem Ei sofort alleine trinken, essen und laufen können. Wir Menschen sind auf unsere Mamas angewiesen“, sagte unsere Ziehmutter.

Flugs bekamen wir einen großen Käfig. Und wurden nach draußen gebracht. Das Kind stellte einen kleinen Teller mit gutem Kükenfutter und eine kleine Schüssel mit frischem Wasser in den Käfig dazu. Dann machte es sich auf die Suche nach Regenwürmern.

Ab und zu durften wir frei in dem großen Garten herumlaufen. Hier fanden wir feines Gras und auch kleine Würmer. Der Besuch wurde von uns beiden genau untersucht. Wir flogen den Menschen auf die Schuhe und auf ihre Köpfe. Der Tisch und der Osterkuchen waren auch nicht sicher vor uns. Da war es unserer Ziehmutter zu viel und sie setzte uns in den Käfig zurück.

Die Kükenzeit war schnell vorbei und mein Kleid färbte sich weiß und das von Tom schwarzbraun. Wir zogen in den großen Hühnerstall zu unseren großen Schwestern und Brüdern. Sie haben uns natürlich zuerst nicht gemocht. Sie pickten auf unsere Köpfe. Zum Glück beschützte uns ein bunter Hahn. Er tanzte sehr elegant um mich herum und das gefiel mir sogar. Bald gehörten wir zu der Hühner Familie.

Brigitte Meertens wurde 1940 in Eberwalde geboren. Dreißig Jahre hat sie im Kindergarten gearbeitet. In ihrer Freizeit schrieb sie für Fachzeitschriften für Erzieherinnen Kindergeschichten, Gedichte, Rhythmikspiele und Erfahrungsberichte. Im Jahre 2000 ging sie in den (Un)Ruhestand und erarbeitet seitdem Projekte für die praktische Arbeit mit Kindern. Sie ist verheiratet, hat zwei Töchter und zwei Enkelinnen und wohnt jetzt mit ihrem Mann in Herzogenrath. I

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