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Der Jesus in mir

Hatte Jesus eigentlich mal Liebeskummer? Interessante Frage, immerhin wird ihm eine Liaison mit Maria Magdalena nachgesagt. Und wenn ja – musste er dann heulen? Oder hatte ihm Papa Gott einen super Kniff mitgegeben, der Liebeskummer in Wein verwandelte? Viel interessanter ist aber: Warum beschäftigte mich das? Gute Frage. Ich saß am Karfreitag in der Kirche, Jesus hing am Kreuz vor mir und ich heulte. Nicht, weil mir der Gute so leidtat, sondern weil mich Torsten, mein Freund, heute Morgen per SMS abserviert hatte. Also müsste es auch konkret Ex-Freund heißen, was mich aber nur noch lauter schluchzen ließ. Sehr zum Unbehagen meiner Eltern übrigens, der Rest der Gemeinde dachte wohl, ich nahm tiefe Anteilnahme an Jesus’ Weg zum Kreuz. Doch hey, so leid es mir wirklich für ihn tat, Jesus war über 2000 Jahre tot, wenn man der Bibel Glauben schenken durfte. Und ich lebte im Hier und Jetzt. Hier und jetzt war mein Herz zerbrochen oder, um die hoffentlich letzte Metapher zu schaffen, festgenagelt worden.

Nach eineinhalb Stunden des Rumheulens (vom Pfarrer und mir) fiel ich wieder in mein Bett und malte mir die gruseligsten Möglichkeiten aus, mich an Torsten zu rächen. Falls er jemals heiraten würde, würde ich die sein, die an der Oder-für-immer-verstummen-Stelle in die Kirche rannte und schrie „Ich habe etwas gegen diese Ehe! Er ist ein Arschloch!“

Kurzfristiger gedacht könnte ich auch das Gerücht in die Welt setzen, dass er nur so gut in Chemie war, weil er auf unsere Lehrerin stand und für sie lernte. Sie hatte die Steinzeit schon mit erlebt und war ein Drache. Aber das ist eine andere Geschichte. Aber zunächst einmal weinte ich mein Kissen solange voll, bis es fast triefte.

Dann muss ich wohl irgendwann einfach eingeschlafen sein und wild geträumt haben. Ich glaube nicht an Visionen oder so, aber hey – ich war so verzweifelt, dass ich diese genoss. Denn da war ein Engel, der sah irgendwie aus wie Veronica Ferres. Vielleicht etwas jünger. Und mit sanfter Stimme sagte sie: „Fürchte dich nicht.“

Ich dachte mir: Na, das kennst du doch. Irgendwo ist ein Jesuskind geboren worden.

Wider Erwarten sagte aber der Engel. „Du bist mit deinem Schmerz nicht allein. Jeder Mensch hatte schon einmal Liebeskummer.“

„Ach ja. Sehr tröstlich, vielen Dank.“

Der Engel blickte mich mit dem typischen Veronica-Ferres-Gesicht an, was mir sagen sollte: Kindchen, du musst noch viel lernen. „Ich könnte dir sagen, dass es nicht dein Mann fürs Leben war, aber das weißt du selbst. Ich könnte dir sagen, dass du bald wieder verliebt bist, aber das lindert deinen Schmerz nicht. Ich könnte dir sogar sagen, wann du heiraten, Kinder kriegen und sterben wirst. Aber weißt du was? Das macht das Leben eben aus. Es gibt nicht nur Hochs, sondern auch Tiefs. Das ist der Sinn des Lebens. Nämlich das Leben selbst.“

Ich nickte und fragte mich, aus welchem Ratgeber sie das wohl hatte. Und dann, ob sie Gedanken lesen konnte. Als würde sie es können, lächelte sie verschmitzt. „Wird es lange dauern, bis es mir wieder besser geht?“

Wieder grinste sie mich verschmitzt an. „Schneller als du denkst.“

Und das war’s. Dann war der Engel weg und ich wachte wieder auf. Vorsichtig tastete ich mein Gesicht ab, meine Arme, meinen Bauch. Alles da, alles fühlte sich so an wie immer – auch der Liebeskummer. Na toll, dachte ich, jetzt fantasiere ich mir schon so einen Kram zusammen, und dass nur wegen eines Kerls, mit dem ich zwei Monate gegangen war. Was er wohl jetzt tat? Bestimmt nicht das dritte Päckchen Taschentücher vollrotzen. Er guckte wahrscheinlich fern oder machte was mit seinen Freunden. Und ich? Schnappte mir mein nächstes Taschentuch.

Zwei Tage war Karfreitag nun her, es war Ostersonntag. Wieder Kirche. Irgendwo in der Ferne zwitscherten Vögel, die Orgel übertönte sie aber fast immer. Die Sitzbänke waren hart, meine Eltern blickten erwartungsvoll zu mir. Würde ich gleich wieder anfangen zu weinen? Nein, würde ich nicht! Angeblich gibt es diese fünf Phasen der Trauer: Verneinung, Zorn, Verhandeln, Depression und Akzeptanz. Was wohl Jesus Familie, die noch mitten in der Trauerarbeit war, gedacht hatte, als er plötzlich auferstand? Bei mir war es eher so, dass ich Torsten zu Grabe getragen, das Kreuz abgeworfen hatte und nun wieder aufstehen konnte. Theoretisch. Praktisch war ich war noch irgendwo zwischen Verhandeln und Depression, auch wenn die Akzeptanz schon mal so ab und an ein Stelldichein gab. Kurzum: Ich weinte nicht mehr so oft, fühlte mich nicht mehr wie ein Häufchen Elend und wollte nicht mein Leben lang heulen. Trotz allem hatte ich so einen säuerlichen Geschmack im Mund, wenn ich an Torsten dachte. Aber hey! Rom wurde nicht an einem Tag erbaut, das Christentum auch nicht und die Säkularisierung geschah auch nicht von heute auf morgen. Oder, wie mein Vater sagen würde: Gut Ding braucht Weile.

Alexander Karl, Jahrgang 1989, studiert in Tübingen Medienwissenschaft und Geschichte. Er schreibt gerne Kurzgeschichten und Bücher, spielt derzeit Handball und macht gerne etwas mit seinen Freunden.

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