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Edward und die Osterfee

Tief im Wald versteckt liegt das Osterhasenland. Dort herrscht große Aufregung! Heute werden die Auserwählten bekannt gegeben! Nur sie dürfen ins Menschenland reisen und die Osternester verstecken.

„Nummer 9379“, ruft Oberosterhase Professor Alberich.

Nummer 9379 ist aufgeregt. Wenn er nun nicht auserwählt würde? Nein, das kann nicht sein! Schließlich wurde auch 815 auserwählt, und der war in der letzten Eierprüfung der Allerschlechteste! Er war sogar fast durchgefallen!

„Es tut mir leid, 9379. Du bist nicht dabei.“

„Aber warum? Ich war in der Eierprüfung einer der besten!“

Der Professor blättert in seinem Buch. „Das ist richtig.“

„Und warum bin ich dann nicht auserwählt?“, fragt 9379.

„Du entsprichst nicht der Norm.“

„Ich entspreche nicht der Norm?“

„Zu klein. Zu dick. Kein reinweißes Fell. Aber am schlimmsten sind deine Ohren. Das eine zu klein und zu breit. Das andere zu lang und zu dünn. Auch die Kinder würden dich Osterkuh nennen.“

Osterkuh. Nummer 1 hatte ihm diesen Namen verpasst. Die perfekte Nummer 1. Die Nummer 1, die nun richtig fies lacht. So ein blöder Hase! „Nummer 9380“, ruft der Professor.

Traurig geht 9379 zur Gruppe der Daheimgebliebenen. Sie müssen die bemalten Eier aussortieren und die Nester packen. Dabei kann 9379 mehr! Aber er bekommt nicht einmal eine Chance. Wie gemein! Er entspricht nicht der Norm. Das ist so demütigend!

„Ich werde allen beweisen, was für ein toller Hase ich bin!“, sagt er zu den anderen, als die Versammlung zu Ende ist.

„Und wie?“, fragt ein Hase mit einem schwarzen Ohr.

„Mir wird schon was einfallen!“

„Vergiss es! Du hast kein Nest, vor allem aber keine Lizenz!“

„Aber ich will nicht für den Rest meines Lebens Ostereier aussortieren! Das Leben muss mehr Sinn haben!“

„Gib uns Bescheid, wenn du den Sinn gefunden hast!“

9379 hoppelt zur zauberhaften Lichtung. Dort wohnt die Osterfee. „Rubina!“, ruft 9379.

„Edward!“ Rubina hat ihm diesen Namen einst gegeben. Sie fand es schrecklich, dass er keinen richtigen Namen hat. Ein Name macht ein Wesen einzigartig. Sie flattert auf ihn zu. Obwohl 9379 Rubina schon lange kennt, ist er von ihrem Anblick immer wieder entzückt. Sie ist zart und schneeweiß und hat durchsichtige Flügel. Ihr Kleid ist rubinrot und füllig.

9379 erzählt von seinem Problem, doch leider kann ihm die Fee nicht helfen. „Ich kann und darf dich nicht normgerecht zaubern. Das widerspricht dem Gesetz der Natur.“

Sie war seine letzte Hoffnung. „Warum darf ich kein Normhase sein? Die Natur ist total ungerecht! Ich möchte so gerne ins Menschenland! Denk an die strahlenden Kinderaugen, wenn sie ihr Nest entdecken.“ Er beginnt zu heulen.

„Für jeden Hasen gibt es eine Aufgabe. Jeder wird den Sinn seines Lebens erkennen.“

„Wann? Und wie?“ 9379 motzt Rubina beinahe an, obwohl er das gar nicht wollte. Sie kann am allerwenigsten für sein Unglück. „Kannst du denn gar nichts für mich tun?“

„Leider nicht.“ Und so sitzen die beiden eine lange Weile und blicken sich dabei stumm an.

Plötzlich wirbelt Rubina in die Luft. „Ich habe eine Idee!“ Ihr Strahlen ist so ansteckend, dass sich 9379 mit freuen muss, obwohl er noch gar nicht weiß, um was es geht.

Rubina schwingt ihren Zauberstab.

„Halt!“, ruft 9379. „Magst du mir nicht ...“

PENG! PONG! PING!

„... sagen, wo es hingeht?“ 9379 blickt sich um.

OH MEIN GOTT!

Rubina hat ihn ins Menschenland gezaubert. Auf einen Bauernhof! Er muss zurück! Schließlich muss er erst ein Osterhase werden! Mit richtiger Lizenz! Unbedingt! Und dann ins Menschenland reisen! Mit einem Osternest, so wie es sich gehört! Warum ausgerechnet auf einen Bauernhof? Da landen die Hasen erst im Stall und dann auf dem Teller. Das hat Nummer 1 erzählt. Bei diesem Gedanken schüttelt es ihn kräftig. Er ist einsam. Und allein. Und weil das so schrecklich traurig ist, fängt 9379 richtig doll zu weinen an.

„He! Was heulst du denn so rum?“

9379 erschrickt, als er die fette Katze vor sich sieht. Essen Katzen Hasen? Ja! Das hat Nummer 1 gesagt und der weiß schließlich alles. „Ich ergebe mich. Ich mache alles, was du willst, nur bitte, bitte, friss mich nicht!“ 9379 streckt alle viere von sich und zieht sein langes Ohr über seine Knopfaugen.

„Entschuldige, so lecker bist du nun auch wieder nicht!“

9379 funkelt die Katze bitterböse an. „Weil ich nicht der Norm entspreche?“

Verdutzt blickt in die Katze an. „Muss ich das verstehen? Ich esse halt einfach keine Hasen.“

„Achso! Hmm, das wusste ich natürlich.“

Beruhigt beginnt 9379 mit der Katze zu quatschen. Sie erzählt vom Leben auf dem Bauernhof, von den anderen Tieren und, dass sie es sehr gut haben. Kinder gibt es insgesamt zwölf. Jedes besitzt einen Hasen, nur das zwölfte Kind, ein Junge, Anton heißt er, hat keinen Hasen bekommen. „Deswegen bin ich hier! Ich soll für Anton der Hase sein!“ Bei diesem Gedanken wird 9379 ganz warm ums Herz. Kinder sind so unendlich lieb zu ihren Haustieren. Anton wird sich freuen, dass er 9379 hat und ihn gut behandeln.

Die Katze zeigt 9379 Anton. Er sieht nicht glücklich aus. Und deshalb hoppelt 9379 auf ihn zu und will ihn trösten. Doch Anton sieht ihn nicht. 9379 spricht zu ihm, pustet ihn an, aber Anton reagiert nicht.

Da fällt es 9379 ein: Er ist ja unsichtbar. Nummer 1 hat einmal erzählt, dass Osterhasen aus dem Osterhasenland im Menschenland unsichtbar sind. Nur durch einen Zauber können sie sichtbar werden.

Obwohl alles so aussichtslos scheint, weicht 9379 Anton nicht mehr von der Seite und folgt ihm in sein Kinderzimmer. Wie kann er Anton auf sich aufmerksam machen? Aus Versehen hoppelt 9379 auf ein Stofftier, das entsetzlich quiekt. Anton dreht sich um.

9379 hüpft und jubelt. Das ist es! So macht er auf sich aufmerksam! Ist doch alles ein Kinderspiel! Gerade als er noch einmal auf das Stofftier hüpfen will, hebt Anton es vom Boden auf und setzt sich aufs Bett. Zu seinen Füßen liegt ein Buch. Er nimmt es und blättert darin. „Wie gerne hätte ich einen eigenen Hasen!“

„Du kannst mich haben!“, schreit 9379.

„So müsste er aussehen! Ein ganz weißes Fell soll er haben und niedliche Öhrchen! So, wie der in meinem Buch!“ 9379 schluckt. Anton will einen Normhasen!

Traurig lässt Anton sein Buch fallen. „Aber ich werde keinen bekommen. Mama will keinen mehr. Das ist so unfair! Wäre ich als Erstes geboren, hätte ich jetzt einen Hasen. Aber so!“

9379 hoppelt zu ihm und stupst Antons Füße. Anton zieht seinen Fuß weg! Er muss etwas gespürt haben!

Anton schließt die Augen. „Ich wünsche mir einen Hasen!“ Er öffnet die Augen. „Schade.“ Er schließt erneut die Augen, sagt seinen Spruch. Nichts passiert. Erst als er es zum zwölften Mal versucht, scheint es zu klappen, denn er starrt 9379 fassungslos an. „Wahnsinn! Träume ich?“ Anton kneift sich, schreit auf, weil es wohl zu doll war. „Gehörst du mir? Nur mir?“

9379 stupst ihn mit seiner feuchten Nase an.

„Du siehst viel besser aus, als der Hase in meinem Buch! Ich bin so glücklich, dass du da bist! Du darfst nie weggehen, äh, ja, wie nenn ich dich?“ Anton überlegt. „Ich nenne dich Edward.“

Verblüfft guckt ihn 9379 an. Wie kann das sein? Nur die Fee, seine einzige Freundin, nennt ihn Edward. Und jetzt auch Anton! Das kann nur bedeuten, dass Anton sein Freund ist und er bei Anton bleiben darf.

Edward ist so glücklich, wie nie zuvor. Er hat einen Freund gefunden, der ihn so mag, wie er ist. Und der ihn braucht! Das muss der Sinn des Lebens sein!

Lina Ebhard wurde am 1979 in Bayern, in der Nähe vom Chiemsee geboren und wohnt mit ihrem Mann in München. Ihr erster Roman „Gustav und das Terror-Trio“ und ihr Adventskalenderbuch „Wenn es Zimtsterne schneit ...“ erscheinen 2010 im Papierfresserchens MTM-Verlag. Außerdem wurden einige ihrer Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien veröffentlicht.

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