Читать книгу Wie aus dem Ei gepellt ... - Martina Meier - Страница 6
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Weißfell
Das kleine Häschen Weißfell atmete tief durch und ein Seufzer entfloh seinem Innersten. Alle seine Geschwister lebten weit verstreut hinter dem großen Wald und es hatte schon seit längerer Zeit nichts mehr von ihnen gehört. Es war ganz allein und bis zum Osterfest waren es nur noch ein paar Tage.
Das Häschen Weißfell fragte sich, wie es das alles schaffen sollte. Schon jetzt hatte es heimlich beobachtet, wie einige Kinder mit leuchtenden Augen durch Feld, Wald und Wiesen stöberten, in der Hoffnung, vielleicht schon ein erstes verlorenes buntes Osterei zu finden ...
Vorsichtig streckte es schnuppernd sein Näschen aus seinem Bau, in den es sich nachts zum Schlafen einrollte. Es seufzte noch einmal und schwupps war es heraus. Zunächst hoppelte es ziellos über das nahe Feld, auf dem der Winter noch nicht ganz verschwunden war. Atemlos verharrte es am Waldesrand und kratzte seine langen Ohren nachdenklich. Gestern hatte es auf einem entlegenen Bauernhof eine Schar freundlicher Hühner getroffen, die ihm angeboten hatten, den Kindern ihre frischen Eier als Osterüberraschung zu bringen – aber die Eier waren weiß! Wie um alles in der Welt sollten daraus bloß bunte Ostereier werden?
Und wie es so grübelte und sich dabei leicht im Kreise drehte, wurden seine Augen plötzlich riesengroß. Was war denn das? Es starrte auf einen kleinen, dunkelblauen Flecken auf der Erde, und als es schnuppernd näher kam, erkannte es, wie ein kleines Glockenblümchen ganz vorsichtig seine Blütenspitzen aus dem Boden schob und versuchte, sich tapfer aufzurichten. Tau glitzerte noch auf seinem Blütenköpfchen. Fasziniert schaute Weißfell auf die Blume und berührte sie sanft mit seiner Pfote. Schnell strich sich unser Häschen über das weiße Fell, um das Pfötchen wieder zu trocknen, und hoppelte weiter, bis es leicht stolperte.
Eine Maus, die gerade aus ihrem Loch klettern wollte, rieb sich noch verschlafen die Augen und rief erschrocken: „Hey Hase, kannst du nicht aufpassen? Es wohnen noch mehr Leute in diesem Wald ... aber ... äh ... wie siehst du überhaupt aus?“
„Ich? Wieso?“ Weißfell sah an sich herunter und stutzte. Sein Fell war rechts und links an den Seiten ganz blau gefärbt. Gedankenverloren rubbelte das Häschen daran herum, aber die Farbe blieb. Schon wollte es ein wenig ärgerlich werden, als ihm ein wunderbarer Gedanke kam. „Machs gut Maus, ich hab keine Zeit!“, rief es noch und schon war es verschwunden.
Schnell war Weißfell an der großen Wiese am Waldesrand angekommen und blickte sich mit zusammengekniffenen Augen atemlos um. Es suchte etwas ganz Bestimmtes. Und da ... da war etwas! Weißfell hoppelte näher und erkannte ein zartes goldgelbes Blümchen, eine Narzisse, die gerade ihren Winterschlaf beendet hatte und freundlich in die Welt sah. Weißfell berührte sie ganz vorsichtig und sah auf sein Pfötchen ... und richtig! Es war gelb geworden.
Nun war Weißfell ganz aufgeregt. Plötzlich wusste es, wie es die weißen Eier von den freundlichen Hühnern bunt färben konnte, und dreht sich vor Glück im Kreise. Es fand noch viele andere Blümchen und zarte Pflänzchen und merkte sich die Orte gut, an denen sie schon wuchsen. Am Abend rollte es sich erschöpft vom Tag in seinem Bau zusammen, schlief sofort ein und träumte einen bunten Traum.
Am nächsten Morgen aber hopste es noch ganz, ganz früh aus seinem Bau. Sein kuscheliges weißes Fell mit den blauen Streifen stand noch ein wenig strubbelig zu berge und es wischte sich den Schlaf aus den Augen. Der Boden war feucht vom Tau und das war genau richtig.
Schnell machte sich Weißfell auf den Weg zu den freundlichen Hühnern, um die versprochenen Eier einzusammeln. Es fand auch alle bunten Blumen und Blüten wieder und begann, mithilfe des Taus und der Blumenblüten, die Eier zu färben. Sie wurden gelb und blau und rot und manche, die Weißfell im zarten Gras kullerte, wurden schön grün. Das Häschen freute sich so sehr, dass es gar nicht bemerkte, dass es sich eifrig die Pfötchen am Bauchfell abwischte.
Als es schließlich fertig war und voller Stolz die wunderschönen bunten Eier betrachtete, fiel sein Blick auch auf sein Fell. Es erstarrte. Das Häschen Weißfell war selbst zu einem wuscheligen bunten Osterhasen geworden! Und sicher hatten auch seine weißen Ohren bunte Farbe abbekommen, denn immer wieder, wenn es ein gefärbtes Ei kritisch betrachtete, strich es sich gedankenverloren über die langen Ohren. „Ach was“, dachte es dann und begann zu lachen und fröhlich Haken zu schlagen. „Bin ich eben ein Buntfell, na und? Aber ich hab die schönen bunten Eier endlich zusammen und werde sie am Ostersonntag ganz früh, wenn noch alle Kinder schlafen, vorsichtig verstecken und heimlich beobachten, wie sehr die Kinder sich darüber freuen.“
Und wer weiß, vielleicht läuft uns ja irgendwann einmal bei einem Spaziergang so ein kleines buntes Häschen über den Weg und dann wissen wir, es ist das fleißige Häschen Weißfell, das für die bunten Eier zum Osterfest zum glücklichen Häschen Buntfell wurde.
Karin Hedig wurde am 29.07.1955 in Sangerhausen/Sachsen-Anhalt geboren, wo sie auch heute noch lebt. Derzeit arbeitet sie als Sekretärin beim Amt für Veterinärangelegenheiten und Lebensmittelüberwachung. Sie hat schon immer viel und gerne gelesen, besonders Romane, Gedichte, Aphorismen, und sie liebt Märchenfilme, Theater und Musicals. Weißfell ist eine ihrer ersten, kleinen Geschichten.