Читать книгу Wünsch dich ins Märchen-Wunderland - Martina Meier - Страница 12
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Mia und der Stern
Es war einmal ein kleines Mädchen, das hieß Mia. Mia lebte allein mit ihrer Großmutter mitten im Wald in einer kleinen Holzhütte. Sie war fünf Jahre alt und fühlte sich oft sehr einsam, denn die Großmutter duldete es nicht, wenn Kinder aus dem Dorf zum Spielen vorbeikamen. „Mia, die Menschen sind schlecht, du kannst ihnen nicht vertrauen!“, antwortete die Großmutter jedes Mal, wenn Mia darum bat, eine Freundin einladen zu dürfen.
Mia wünschte sich so sehr eine Freundin, mit der sie alles teilen konnte. Sie stellte sich vor, was sie alles mit der Freundin machen würde: Blumen pflücken, Geschichten erzählen, schöne Bilder malen, Stöcke in den Bach werfen und bis ganz weit in den Himmel schaukeln, sodass es sich im Bauch anfühlte wie Brausepulver.
Oft saß sie nachts am Fenster und schaute hinaus. Sie liebte das Rauschen der Tannen und den Geruch nach Fichtennadeln. Ab und zu hüpfte ein Eichhörnchen von Baum zu Baum oder ein Specht klopfte. Mia fühlte sich sehr mit den Tieren des Waldes verbunden und spürte, dass sie irgendwie eine besondere Gabe hatte.
An einem Abend war die Großmutter schon früh zu Bett gegangen und Mia stand wieder am Fenster und spähte hinaus. Es war kalter Abend im Februar und die Tannen waren mit einer Schneedecke zugedeckt, fast so, als wollten sie den kalten Winter einfach verschlafen, um sich dann im Frühling wieder mit neuer Kraft der Sonne zuzustrecken. Ein heller Mond leuchtete am Himmel und neben dem Mond strahlte ein ganz besonders heller Stern. Mia betrachtete den Stern und fühlte sich magisch zu ihm hingezogen. So etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt, es war wie Zauberei. Der Stern schien plötzlich ein Gesicht zu bekommen und lächelte Mia an.
„Du bist die kleine Mia, ich kenne dich gut!“, sagte er.
Mias Herz fing an zu klopfen. Das war doch alles gar nicht möglich, oder doch?
„Ich weiß, dass du sehr traurig bist, weil du niemanden zum Spielen hast!“, fuhr der Stern fort.
Mia nickte. Der Stern hatte genau recht. „Lieber Stern, wie kann ich das ändern? Meine Großmutter ist so menschenscheu, sie vertraut keinem!“, erklärte Mia.
„Ich weiß. Das ist eine lange Geschichte. Ich kenne deine Großmutter auch sehr gut. Sie wurde in ihrem Leben einmal sehr enttäuscht und ist nicht darüber hinweggekommen!“
Mia schluckte. Das hatte sie nicht gewusst.
„Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis!“, flüsterte der Stern. „Dein Großvater ist damals aufgebrochen, um Geld zu verdienen und als reicher Mann zu deiner Großmutter zurückzukehren. Er fällte Bäume in einem entlegenen Wald und arbeitete bis spät in die Nacht. Als er sehr viel Geld zusammen hatte, machte er sich glücklich auf den Weg nach Hause. Doch am dritten Tag seiner Wanderung wurde er von Räubern überfallen, die ihm alles nahmen bis auf das Hemd, das er am Leibe trug. Dein Großvater hatte keine Kraft mehr und wollte nicht mit leeren Händen als Bettelmann nach Hause zurückkehren. Er schämte sich so sehr. Deshalb lief er weit fort und kam nie mehr zurück. Deine Großmutter weinte viele Tage lang, denn sie dachte, ihr Mann hätte sie verlassen und irgendwo mit einer anderen Frau ein neues Leben angefangen. Dann beschloss sie, deine Mutter alleine großzuziehen, und ihr Herz wurde zu Stein!“
Mia lauschte angestrengt. Das war also der Grund, warum die Großmutter keinem Menschen traute. „Lieber Stern, wie kann ich Großmutters Herz wieder erweichen?“, fragte Mia. Ein kalter Luftzug wehte durch das Fenster und Mia schlotterte. Doch sie spürte, dass sie eine Antwort bekommen würde, und rührte sich nicht vom Fleck.
„Du musst deinen Großvater finden und ihn nach Hause holen!“, antwortete der Stern.
Mia erschrak. Wie sollte sie das schaffen? Sie war doch ein kleines Mädchen.
„Folge mir in der nächsten Nacht. Komm zu diesem Fenster und ich führe dich zu deinem Großvater! Zieh dich warm an und hab Vertrauen!“ Mia nickte und schloss das Fenster. Eine kleine Wolke hatte sich vor den Stern geschoben. Schnell huschte Mia in ihr Bett. Einschlafen konnte sie noch lange nicht.
Am nächsten Abend, nachdem die Großmutter sich schlafen gelegt hatte, zog Mia ihren dicken Wintermantel an und lief hinaus. Der Stern leuchtete hell über ihr und plötzlich war wieder sein Gesicht zu sehen.
„Liebe Mia, bist du bereit für deine große Reise?“, fragte er freundlich. Mia nickte.
„Vertraust du mir?“, fragte er weiter.
Auch jetzt nickte das Mädchen.
Der liebe Stern strahlte auf Mia hinab und sie spürte eine angenehme Wärme. Zwei große leuchtende Hände nahmen sie behutsam auf und Mia fühlte sich sehr geborgen. Dann flog sie wie auf einem fliegenden Teppich durch die Nacht. Der Wald unter ihr schlief unter seiner Schneedecke und die Hütte wurde kleiner und kleiner. Mia spürte den kalten Wind auf ihrem Gesicht, doch sie wusste, dass sie in Sicherheit war und dass ihr nichts passieren konnte. Ihr Stern war bei ihr. Er brachte sie zu ihrem Großvater.
Der Flug dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Der Himmel färbte sich von Schwarz zu Blau und dann zu Rot Violett. Am Horizont leuchtete er gelb. Mia wusste, dass dort ihr Ziel lag.
Der Stern brachte sie behutsam zurück zur Erde und sie hüpfte aus den schützenden Händen heraus. Neugierig sah sie sich um. Wo war sie hier gelandet? Sie stand vor einem alten Haus. War das das Haus des Großvaters? Es wurde langsam hell und der Stern verabschiedete sich.
„Lieber Stern, geh nicht weg! Was soll ich jetzt tun?“, rief Mia mit zitternder Stimme.
„Tu das, was dein Herz dir sagt!“, antwortete der Stern und verschwand hinter einer Wolke. Es war inzwischen hell geworden.
Mia wusste sich keinen anderen Rat, als an die Tür zu klopfen. „Hoffentlich ist es nicht zu früh!“, dachte sie bei sich.
Niemand öffnete. Doch dann hörte Mia Schritte, die immer näher kamen. Kurze Zeit später ging die Tür auf und ein alter Mann sah sie neugierig an.
Jetzt wusste Mia nicht, was sie sagen sollte. Die Geschichte, die eben passiert war, würde ihr sowieso keiner glauben. Der alte Mann und Mia wussten nicht, was sie sagen sollten. Da dachte Mia an die letzten Worte des Sternes: „Tu das, was dein Herz dir sagt!“ Mia lächelte und dann umarmte sie den alten Mann. „Opa!“, flüsterte sie.
Der alte Mann wusste nicht, wie ihm geschah. Doch dann traten Tränen in seine Augen und sein Herz wurde schwer. Er dachte an das Schreckliche, was vor vielen, vielen Jahren passiert war. Dann flüsterte er: „Ich bin so froh, dass du gekommen bist! Es wird höchste Zeit, dass ich deine Großmutter wiedersehe!“
Mia nickte und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Dann spürte sie eine große Müdigkeit in sich aufsteigen.
„Ich muss mich kurz hinlegen!“, sagte sie und der Großvater holte eine warme Decke und trug die kleine Mia auf sein altes Sofa vor dem Kamin.
„Heute Nacht musst du dich warm anziehen. Dann warten wir auf den Stern. Er bringt uns nach Hause!“, flüsterte Mia, bevor sie einschlief.
Der alte Mann nickte und holte seinen warmen Mantel. Er wusste, jetzt war alles gut.
Dörte Müller: (geboren 1967) schreibt und illustriert Kinderbücher. Sie lebt mit ihrer Familie in Bonn und unterrichtet an einer Gesamtschule.