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Herz aus Gold

Es war einmal ein armes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter im Wald. Sie wohnten in einer schiefen Hütte, die aus einem einzigen Kämmerlein bestand. Darin befanden sich ein schmales Bett, zwei klapprige Stühle an einem Tisch sowie ein kleines Schränkchen und ein vom Ruß geschwärzter Ofen. Zu essen gab es das wenige, was der Wald ihnen schenkte. Und auch wenn das Leben allein im Wald beschwerlich war, das Mädchen liebte den Wald und das friedliche Leben darin.

Nun begab es sich in einer eiskalten Winternacht, dass es an der Türe der Hütte klopfte und eine heißere Stimme rief: „Lasst mich herein, ich erfriere.“

Mutter und Tochter schreckten aus dem Schlaf auf. Da klopfte es erneut. „Lasst mich herein, ich erfriere.“

„Was, wenn’s ein Unhold ist?“, flüsterte die Mutter mit schreckgeweiteten Augen. Ihre Worte schwebten unheilvoll in der Kammer.

Da klopfte es zum dritten Mal. „Lasst mich herein, ich erfriere.“

„Was, wenn jemand unsere Hilfe braucht?“ Schnell huschte das Mädchen aus dem Bette und öffnete die Türe.

Draußen im Schnee stand zitternd ein altes Mütterchen mit einem Korb voll Reisig auf dem krummen Rücken. „Bitte, lass mich herein. Ich habe mich im Wald verirrt und es ist so bitterkalt.“

„Komm nur herein, gute Frau. Hier sollst du dich wärmen und die Nacht verbringen. Leg dich ins warme Bett und wärme deine Knochen auf.“

Die Alte tat, wie ihr geheißen. Das Mädchen selbst schlief auf einem der Stühle. Am nächsten Morgen schürte es früh den Ofen, damit es die Alte recht warm habe. Während des Frühstücks ließ es die Alte auf seinem Stuhl sitzen, während es selbst auf dem Boden saß.

Das Mädchen bot an, das Mütterchen in die Stadt zu bringen, und so machten sich die beiden auf den Weg. Dieser war lang und beschwerlich. Doch das Mädchen beschwerte sich nicht und trug sogar den Korb der Alten auf seinem Rücken. Die Sonne war weit vorangeschritten, als die beiden die Stadt erreichten.

„Mein liebes Mädchen, dein Herz ist am rechten Fleck. Zur Belohnung schenke ich dir diesen Haselnusszweig.“ Die Alte reichte dem Mädchen einen knorrigen Zweig, an dem drei prächtige Haselnüsse hingen.

„Wenn du eine Nuss vom Zweige brichst, sprich einen Wunsch und er wird sich erfüllen.“ Mit diesen Worten machte die Alte sich davon und das Mädchen beeilte sich, zu seiner Mutter zurückzukehren. Haselnüsse waren der Mutter das Liebste und so schenkte es seiner Mutter den Zweig und sprach auch die Worte der Alten dazu.

Die Mutter hatte ihre Freude an den Nüssen. Und auch wenn sie nicht an die Worte der Alten glaubte, wollte sie doch einen Wunsch sprechen für jede Haselnuss, die sie vom Zweige brach. Da sie ihre Tochter über alles liebte und sich schon lange einen Mann für diese wünschte, sprach sie bei der ersten Nuss: „Statt des alten roten Kleides soll meine Tochter in teuerstem Samt gekleidet sein.“

Bei der zweiten sprach sie: „Das braune Haar meiner Tochter soll sich in reines Gold verwandeln, das ihr wie ihr echtes Haar das Gesicht einrahmt.“

Und bei der letzten Nuss sprach sie: „Meine Tochter hat wunderschöne blaue Augen, die glitzern wie Saphire. Ich wünsche mir, dass echte Saphire ihren Platz einnehmen, die jeden bezaubern, der sie erblickt.“

Kaum dass die Mutter ihre Wünsche gesprochen hatte, war das Mädchen in teuerem Samt gekleidet, sein Haar hatte sich in Gold und seine Augen in zwei funkelnde blaue Saphire verwandelt. Das Mädchen erschrak: „Mutter, was hast du getan?“

„Kind, es wird Zeit, dass du einen Mann findest. Geh nur in die Stadt hinein, so wird sich ein Mann für dich finden lassen.“

Auch wenn das Mädchen nicht den Wunsch hegte, einen Mann zu finden, so wollte die Tochter doch der Mutter gehorchen und machte sich schweren Herzens früh am nächsten Morgen auf den Weg.

Wie es durch den Wald schritt, verstellte sich ihr plötzlich ein Zwerg den Weg. „Mädchen, wie dein Haar glänzt und strahlt. Als trügest du Gold anstelle von Haar.“

Das Mädchen antwortet ehrlich: „Mein lieber Zwerg, tatsächlich habe ich Haare aus Gold.“

Kaum dass der Zwerg dies hörte, glühte die Habgier in seinen Augen, denn es liegt in der Natur der Zwerge, dass sie nichts so sehr begehren wie Gold. Und so sprang der Zwerg auf das Mädchen zu und riss und zerrte an seinen Haaren. Das Mädchen schrie und versuchte, den Zwerg zu fassen, doch dieser war flink, riss ihr die goldenen Haare vom Kopf und verschwand.

Wie elend war dem Mädchen zumute. „Ach, hätte Mutter mir mein schönes braunes Haar gelassen, dann wäre mir solcher Kummer erspart geblieben“, dachte es. Dennoch machte es sich gehorsam auf in die Stadt. Die Sonne stieg indes immer höher hinauf. Wie es funkelte und glitzerte, wenn einer der Sonnenstrahlen die Augen des Mädchens traf. Angelockt von diesem Lichterspiel flogen ein paar Vögel heran. Sie legten ihre Köpfe schief und stierten die funkelnden Saphire an. Wie von der Mutter gewünscht, bezauberten die Steine selbst die Vögel. Und so flogen sie mit einem Mal hinab und pickten dem Mädchen die Augen aus.

„Ach, hätte Mutter mir meine alten Augen gelassen, dann wäre mir solcher Kummer erspart geblieben“, dachte es. „Nun bin ich blind und finde nicht mehr aus dem Wald heraus.“ Doch so verzweifelt das Mädchen auch war, es wollte das Beste aus seiner Lage machen und so irrte es durch den Wald in der Hoffnung auf Hilfe.

Nach Stunden endlich hörte es Stimmen. Tatsächlich hatte es die Stadt fast erreicht und zwei Bauersfrauen kreuzten vor der Stadtmauer seinen Weg. „Schau nur“, sprach die eine, „keine Haare und keine Augen hat das Ding, aber sieh ihr Gewand! Wie edel und fein.“

So gut das Herz des Mädchens war, so schlecht war das der Bäuerinnen und so lockten sie das Mädchen an den Straßenrand und raubten ihm die Kleidung vom Leib. Eine der beiden, in deren Herz noch ein wenig Mitleid steckte, ließ ihm eine zerschlissene Decke zurück, mit der sich das Mädchen bedecken konnte.

„Ach, hätte Mutter mir mein altes Kleid gelassen, dann wäre mir solcher Kummer erspart geblieben. Nun muss ich bitterlich frieren.“

Und so saß das Mädchen frierend vor den Mauern der Stadt, eingehüllt in eine Decke, ohne Augen, ohne Haar und vom Glück verlassen, wie es schien. Der Sternenhimmel senkte sich herab und das Mädchen spürte die Kälte der Winternacht.

„Mädchen, bist du es?“ Es war die Stimme des alten Mütterchens.

„Liebes Mütterchen, verzeih, dass ich dein Geschenk nicht besser zu nutzen wusste.“

„Sprich, was ist dir widerfahren?“

Und es erzählte der Alten die ganze Geschichte.

Die Alte sah das Mädchen lange an und sprach schließlich. „Es ist nicht deine Schuld, sondern die deiner Mutter.“

„Ach, bitte, sag das nicht. Meine Mutter tat es aus Liebe und wusste es nicht besser.“

Die Alte überlegte.

„Du magst recht haben. Dann tragen die Schuld daran der Zwerg, die Vögel und die Bauernmägde.“

„Ach, liebe Alte, der Zwerg und die Vögel handelten, wie sie handeln mussten. Welchen Vorwurf kann ich ihnen machen? Und wer weiß, was den Frauen widerfahren ist, das sie hat grausam werden lassen.“

Wieder überlegte die Alte.

„Mein liebes Kind, du hast ein Herz aus Gold. Ich kann nicht dulden, dass dir ein solches Unglück widerfährt. Ich will dir abermals ein Geschenk machen.“ Da rief die Alte fremde und kehlige Laute zum Himmel empor. Einer der Sterne wurde größer und größer und seine Strahlen senkten sich auf das Mädchen hinab und gossen es in silbriges Licht. Und da stand es in seinem alten roten Kleid, mit seinem braunen Haar und seinen blauen Augen. „Folge dem Stern, mein Kind. Er wird dich nach Hause leiten.“

Und so kehrte das Mädchen nach Hause zurück und dort im Wald lebte es ohne Mann glücklich bis an sein Ende.

Kerstin Jauer

Wünsch dich ins Märchen-Wunderland

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