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Kapitel 6
Vera zu Besuch bei Paul und Eva

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Bei den Laubenvögeln bauen die Männchen eine Art Verführungstheater, eine Laube, die sie mit hübschen Gegenständen wie Blumen, Schmetterlingen oder weißen Steinen ausstatten. Seidenlaubenvögel errichten solche Lauben mit zwei parallelen Wänden. Das Weibchen sitzt dazwischen und schaut vorn heraus. Wenn das Männchen sich paaren will, muss es um die Laube herumgehen, um das Weibchen von hinten zu besteigen. Aber wenn ihr das nicht gefällt, schlüpft sie einfach zur Vorderseite wieder hinaus.

Gepflegte Unterkühltheit, moderne Sachlichkeit – dafür steht die Bauhaus-Schule auch noch 100 Jahre nach ihrer Gründung. Was 1919 in Weimar als Experiment begann, um Kunst und Handwerk zu verbinden, entwickelte sich zu einer einflussreichen Stilrichtung, die die Architektur bis heute prägt. Der Bauhausstil: nüchtern, schnörkellos, reduziert. Betonkästen. Flachdach. Fertigteile. Glatte Fassaden. Glasvorhänge.

Erschwinglicher Wohnraum war knapp in der Weimarer Republik. Bauhaus-Gründer Walter Gropius schien die Antworten zu kennen. Er brüstete sich mit der Aussage, er könne preiswerten Wohnraum für alle schaffen. Die Stadtväter von Dessau waren begeistert und beauftragten ihn 1926, eine Wohnsiedlung zu bauen. Das Ganze sollte ein Vorzeigeprojekt werden. Modern, sozial, günstig. Denn Gropius hatte versprochen, billiger zu sein als die Konkurrenz – und schneller. Häuser quasi am Fließband. Das Tempo, in dem diese Siedlung aus dem Boden wuchs, war tatsächlich atemberaubend – in kürzester Zeit entstand Wohnraum für Tausende Menschen. Doch schon bald nach dem Einzug bemerkten die Bewohner massive Baumängel. Die Wärmedämmung war miserabel, die Wände viel zu dünn. Risse entstanden. Die Reparatur- und Umbaukosten verschlangen mehr Geld, als geplant. Das Sozialprojekt wurde zu einem sozialen Problem. Es eskalierte. Die Sozialdemokratie wandte sich vom Bauhaus ab. Und Gropius verließ die Stadt und das Bauhaus.

Wer aus der Geschichte nichts lernt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. Hätte Paul nur sein Architekturstudium beendet. Vielleicht wäre er dann klüger gewesen. Doch so wiederholte sich die Story eins zu eins bei ihm und seinem »Seewinkler Inselparadies«.

Paul war von dort weggezogen. Er hatte seine Baufirma in den Konkurs geschickt und am nächsten Tag als Planungsunternehmen neu gegründet. Er war jetzt als One-Man-Show unterwegs. Er war ein Visionär: Planen, konzipieren, andere begeistern – das konnte er immer schon besser, als Sachen praktisch umsetzen. Er hatte die Baumängel auf die Subfirmen geschoben. Es gab ein paar Bürgermeister und Kommunalpolitiker, die viel Geld und eine Menge Wählerstimmen verloren hatten, und denen er besser nicht mehr über den Weg lief. Aber mitgefangen hieß mitgehangen. Wer mit Paul gepackelt hatte und sich auf korrupte Grundstücksbeschaffungen und -umwidmungen eingelassen hatte, hielt die Goschn. Fakt war: Paul war ohne größeren persönlichen Imageschaden aus der ganzen Sache herausgekommen.

Nur die Käufer gaben keine Ruhe. Es war schon gut, dass er jetzt in Buchschachen saß.

Paul pfiff fröhlich vor sich hin, während er sich anzog. Er wusste immer schon, wie er sich am besten in Szene setzte. Für das heutige Treffen mit dem Zieserl und dem Bürgermeister wählte er einen kakifarbenen Anzug von Dsquared2, dazu ein hellblaues Hemd über einem weißen T-Shirt, beides von Arket, und teure weiße Sneakers von Yeezy. Er war sicher, dass diese Marken den Hinterwäldlern hier nichts sagten, deshalb band er sich seine Vintage Rolex ums Handgelenk. Ein diskreter Hinweis für die ganz Blöden, dass er ein Erfolgstyp war.

Er sprühte sich ein bisschen Terre d’Hermès auf, fuhr sich durch die Haare und betrachtete sich zufrieden im Spiegel. Die Irene, mit der er im Nordburgenland ein Pantscherl gehabt hatte, hatte gemeint, er sähe ein bisschen aus wie eine Mischung aus Leo Hillinger und Ryan Gosling, nur mit längeren Haaren. Sie war unglaublich verbrunzt in ihn gewesen. An die Irene hatte er jetzt schon länger nicht mehr gedacht. Aber die würde sich eh auch nicht mehr so schnell bei ihm melden. Schade eigentlich, er hatte sie gemocht. Sie war lustig und unkompliziert gewesen.

Eva beobachtete Paul, wie er sich umständlich fertig machte. Könnte er bitte endlich das Haus verlassen? Sie hatte Vera und Johanna eingeladen, weil sie ein paar Fragen zu den Obstbäumen hatte, die sie gekauft hatte und in den nächsten Tagen pflanzen wollte. Und sie wollte partout nicht, dass die beiden Paul in die Arme liefen.

Paul bemerkte, dass Eva ihn beobachtete.

»Du stehst grad so gemütlich, mach mir noch einen Kaffee, bevor ich fahr«, feixte er.

Eva lief zur Küchenzeile und tat, wie ihr geheißen. Die Anrichte war schon wieder voller Fliegen, dabei hatte sie nur kurz gelüftet.

Es läutete an der Tür. Evas Gebete waren nicht erhört worden. Die Gäste waren schon da. Überpünktlich wie alle hier im Süden. Sie öffnete.

»Wer ist da?«, fragte Paul.

»Johanna und Vera vom Gartenklub.«

Paul bedachte den Besuch nur mit einem flüchtigen Blick und einem kurzen Hallo, hörte aber ganz genau zu, als Eva die beiden begrüßte und das Gespräch begann.

Paul hielt sich nicht nur für einen ausgezeichneten Menschenkenner, sondern insbesondere für einen hervorragenden Frauenkenner.

Sein Urteil zu den beiden lautete schlicht: »Uninteressant.« Die eine mit den grünen Holzpantoffeln, dem Leinenkleid und den roten Haaren fiel für ihn in die Kategorie »burgenländische Landpomeranze«, die andere, eine schlanke Brünette mit Pferdeschwanz, sah zwar nicht schlecht aus, wirkte aber so, als ob sie gerne zurückredete. Und Frauen, die zurückreden, fand er anstrengend.

»Ich lass euch Ladies alleine, ich hab einen wichtigen Termin mit der ›Pannonia Bau‹ und der Gemeinde«, sagte Paul. »Würmchen, du kannst ja die Hausführung machen.«

»Wir wollten in den Garten gehen«, sagte Eva hastig und navigierte ihren Besuch an Paul vorbei.

Der warf demonstrativ lässig seinen BMW-Schlüssel in die Luft und fing ihn wieder auf, während er zur Garage schlenderte. »Vergiss nicht, dass du noch meine Post machen wolltest. Die Förderungsanträge müssen bis nächste Woche raus.«

»Ich weiß«, sagte Eva leicht genervt. Paul machte wieder mal auf: Wer ist hier der Boss? Das war so typisch, dass er sich vor den neuen Freundinnen deppert aufspielen musste.

Yeezy Turnschuhe, der macht wohl auf Berufsjugendlicher. Was für ein Einefetzer, dachte Vera, als sie Paul nachschaute. Dank Letta war sie bei den aktuellen Trendmarken up to date. Die Achleitners müssen echt gstopft sein. Bei Johanna kam die Botschaft überhaupt nicht an. Sie hatte nur Augen für die leuchtend orangegelbe Rose an der Garagenwand. »Eine ›Gebrüder Grimm‹, wie im Märchen, super, dass die hier Halbschatten hat, dadurch bleibt die Blütenfarbe schöner«, bemerkte sie.

Eva war froh über die Ablenkung. »Ich hab ein paar Blüten abgezupft und daraus eine Rosenbowle gemacht, mit Sekt und Erdbeeren. Darf ich euch was einschenken?« Sie verteilte das eiskalte Getränk gleichmäßig in drei bauchigen Gläsern. Vera nahm einen Schluck. Die Bowle schmeckte gut, nicht zu süß, nicht zu stark. Genau richtig für einen Frühlingstag wie heute. »Die Obstbäume, die ich gekauft habe, stehen gleich da drüben. Ich war extra in einer lokalen Baumschule, die auf alte Sorten spezialisiert ist.«

Vera studierte die Etiketten an den Stämmchen. »Klaräpfel, die liebe ich seit meiner Kindheit. Die bekommt man nie im Supermarkt, weil die gleich nach dem Pflücken mehlig werden. Aber frisch vom Baum sind sie knackig und zitronig frisch. Die besten Sommeräpfel der Welt. Und unsere Urlioma hat daraus immer Apfelmus gemacht, zu den Grumperndatschi.«

»Wie, was?« Eva verstand nur Bahnhof.

»Grumperndatschi sind Kartoffelpuffer, und die Urlioma ist die Uroma von der Letta, meine Großmutter. Sie ist vor ein paar Jahren gestorben. Wir leben jetzt in ihrem ehemaligen Haus.«

»Du hast nicht ernsthaft einen Holler gekauft«, stieß Johanna überrascht heraus und machte kugelrunde Augen.

»Ja, hab ich«, sagte Eva. »Was ist daran verkehrt? Ich mag Holler. Gekochte Hollerbeeren sind gesund, und aus den Blüten kann man Saft machen.«

»Aber einen Holler kauft man doch nicht.«

»Warum nicht?«

»Ja, weil der eh überall wild aufgeht. Hier drüben zum Beispiel.« Sie zeigte auf ein paar Sträucher auf der anderen Straßenseite. »Da geht man einfach hin und grabt ihn aus.«

Johanna schüttelte verwundert den Kopf. Holler kaufen. Diese Zuagroasten waren wirklich leicht übers Ohr zu hauen. Mehr Geld als Verstand. Aber die kauften ja auch Bärlauch, obwohl die Wälder voll davon waren, und die Löwenzahnsamen, die der Supermarkt seit Kurzem anbot. Wahrscheinlich würden sie auch Brennnesseln kaufen, wenn jemand ein Preispickerl dran anbringen würde.

»Wo sollen denn die Bäume hin?«, fragte Vera.

»Ich hab mir gedacht, ich pflanze sie hier entlang der Mauer«, sagte Eva. »Dann kann ich beim Pflücken auf der Mauer stehen und bequem in die Baumkrone greifen.«

»Der Plan geht aber nur auf, wenn du Hochstämme gekauft hast«, sagte Johanna. »Mittel- und Niederstämme in diesem Alter wachsen nicht mehr in die Höhe, sondern nur mehr in die Breite. Außerdem wird es eh fünf bis sieben Jahre dauern, bis du die ersten Äpfel ernten kannst.«

Eva schwirrte von den ganzen Informationen schon der Kopf. Sie hatte ein abgeschlossenes Studium als Landschaftsarchitektin und schien dennoch von nichts eine Ahnung zu haben. Allerdings hatte sie sich in ihrem Studium eher auf Grünflächen im urbanen Raum konzentriert und sich mehr mit Park- und Alleebäumen beschäftigt als mit den Besonderheiten diverser Obstbäume.

»Zumindest beim Holler geht’s schneller«, tröstete Vera. »Da kannst heuer schon Saft machen.«

Ein Lieferwagen parkte sich vor dem Raumschiff ein. »Das wird der Finz mit der Inkaerde sein«, sagte Eva. »Er hat gesagt, er bringt mir Komposterde für die Pflanzlöcher.«

So schnell sieht man sich wieder, dachte Vera. Und beobachtete Finz, der die Auffahrt heraufschlenderte. Schlendern war das richtige Wort. Alles an Finz war leicht und selbstverständlich. Während die meisten Menschen die Last der Welt auf ihren Schultern zu tragen schienen, schien Finz komplett unbelastet zu sein.

Finz hatte nicht nur die versprochenen Säcke mit Inkaerde dabei, sondern auch einen Plan. »Eigentlich sollte man Bäume im Februar pflanzen, aber die, die du gekauft hast, sind ja nicht wurzelnackt, sondern im Topf, das geht auch jetzt noch. Kann ich mir bitte die Hände waschen?« Finz’ Hände waren vom Hantieren mit den Erdsäcken ganz schmutzig.

»Natürlich, wir können alle reingehen. Ich hab Salzstangerln und ein Verhackertes gekauft, hat jemand Hunger?«

»Und ich hab einen Apfelkuchen mitgebracht«, sagte Johanna und lüftete ihren Korb. »Oder habt ihr geglaubt, ich komm mit leeren Händen?«

Dieses ewige Auftischen hier im Süden wird noch meine Figur ruinieren, dachte Vera. Finz schien diese Angst nicht zu haben, er wusch seine Hände in der Spüle und griff dann ordentlich zu.

Vera fand das Haus beeindruckend, aber nicht ungewöhnlich. Viele ihrer früheren Bekannten in den Wiener Nobelbezirken oder in Klosterneuburg hatten so gewohnt. Offene Designerküche, viel Stein und Edelmetall, edle Ecksofas, dazwischen ausgesuchte Designklassiker wie der Loungechair vom Eames. Teure Bilder an den Wänden und statt einzelner Fenster ganze Glasfronten.

Johanna folgte Veras Blick: »So große Fenster. Die möchte ich nicht putzen müssen.«

»Paul sagt, die Fenster sind mit irgendeinem Lotuseffekt ausgestattet, damit das Wasser besser abperlt«, sagte Eva. »Die Aussicht ist toll, aber umgekehrt kann uns auch jeder reinschauen. Ich komm mir vor wie in der Auslage, vor allem, wenn es dunkel ist. Manchmal fürchte ich mich sogar ein bisschen, wenn ich alleine bin. Aber für Paul kommen Vorhänge nicht infrage.«

Finz beteiligte sich nicht am Gespräch. Ihm waren die Fenster, gelinde gesagt, wurscht. Aber Eva fand er süß. Eva trug dunkelblaue Jeans, die ihre zierliche Figur betonten, weiße Turnschuhe und eine weiße Bluse. Sie sah aus wie eines dieser Models aus der Ralph-Lauren-Werbung. Fehlten nur mehr das Pferd und der Labrador. Er schätzte, sie war fünf, sechs Jahre älter als er selbst. Und verheiratet. Sein Beuteschema.

Zurzeit gab es keine spannende Frau in seinem Leben. Klar könnte er die eine oder andere Ex reanimieren. Aber seine letzte fixe Geliebte hatte mit ihm Schluss gemacht, als sie unerwartet schwanger geworden war. Hoffentlich sah das Kind ihrem Mann ähnlich und nicht ihm.

Er studierte Evas Gesicht. Es war oval und blass. Es waren die Augen, die sie so hübsch machten. Riesige blaue Augen, die aussahen, als würden in ihrer Iris Tausende Saphirsplitter funkeln. Das satte, tiefe Blau war ein spannender Kontrast zu ihrem hellen Teint und ihren dunklen Haaren. Die Augen faszinierten ihn. Es waren Augen, die lachten, aber nicht spöttisch, sondern liebevoll. Verständnisvolle Augen. Finz bemerkte, dass er Eva anstarrte, und wandte schnell den Blick ab.

Die Eingangstür ging auf. Paul stand im Türrahmen. War die Zeit wirklich so schnell vergangen? Er war kaum eine Stunde weg gewesen. Eva bemerkte sofort, dass er schlechte Laune hatte. »Dieser Bürgermeister ist so ein Pleampl«, schimpfte er statt einer Begrüßung. »Null Visionen, der Zieserl und ich werden es jetzt auf der steirischen Seite probieren, die haben hoffentlich mehr im Hirn als die dummen Südburgenlandler hier.«

Eva versank fast in den Erdboden. Ihr war die Szene mega peinlich. »Wer ist das?« Paul hatte Finz entdeckt, der seelenruhig in sein Salzstangerl biss und Paul in aller Ruhe studierte.

Den Typ cholerischer Ehemann kannte er nur zu gut. Dass Paul offenbar ein Arschloch war, tat ihm leid für Eva.

»Herr Kreishofer hat uns Erde geliefert«, sagte Eva.

»In die Küche?«, fragte Paul süffisant. Aber mit einem Lieferburschen wollte er sich ohnehin nicht abgeben. Seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich wieder auf seine Frau: »Du warst hoffentlich schon auf der Post?«

»Nein, aber ich wollt … also, ich hab nicht vergessen, ich muss eh gleich los, also, ich fahr eh gleich.« Eva stotterte. Vera überlegte, wie sie die Stimmung entspannen konnte, aber ihr fiel nichts ein. Wahnsinn, war das unangenehm. Sie konnte Evas Verlegenheit fast körperlich fühlen. Die Stimmung war dahin.

Da ergriff Johanna das Wort. »Sie sollten die Wand hinter dem Herd in einer anderen Farbe streichen lassen«, sagte sie freundlich lächelnd zu Paul. »Orange zieht Fliegen an. Das kann im Sommer unglaublich lästig sein.«

Es kam selten vor, dass Paul sprachlos war. Aber auf diese Aussage wusste er tatsächlich nichts zu erwidern. Hatte diese Landpomeranze gerade sein Einrichtungskonzept infrage gestellt?

Und das Schlimmste war, sie hatte auch noch recht. Er musste an die Frankfurter Küche im Wiener MAK denken. Die Frankfurter Küche wurde 1926 im Rahmen des Projekts Neues Frankfurt von Ernst May initiiert und von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky ausgearbeitet. An den sichtbaren Stellen war diese Küche blaugrün gestrichen, da Wissenschaftlern der Universität Frankfurt zufolge Fliegen blaugrüne Flächen meiden. Warum hatte er daran nicht gedacht, als er die Küche geplant hatte?

Paul drehte sich wortlos um und ging aus dem Raum. Heute war wirklich nicht sein Tag.

Er spürte Ärger in sich hochkochen. Wie eine riesige Welle durchflutete ihn die Wut und verbreitete ein Gefühl tiefer Unruhe und Ohnmacht.

Es ärgerte ihn, dass der Bürgermeister von Buchschachen seine Visionen nicht geteilt hatte. Er wollte hier wirklich etwas auf die Beine stellen. Eine Ferienanlage mit Zweitwohnsitzen, die cooler und stylischer waren als diese fantasielosen Blöcke mit den winzigen Fenstern und den grässlich bunten Fassaden, mit denen die Siedlungsgenossenschaften sonst das Land verschandelten. Moderner, minimalistischer Luxus. Ein Projekt, das urbane Leute mit Stil und Geschmack ansprach. Leute wie ihn selbst. Die Architektur musste beeindrucken, aber gleichzeitig auch dieses neue allumfassende Bedürfnis nach Entschleunigung erfüllen. Die Gegend hier war ideal. Rund eine Stunde von Wien und Graz entfernt und somit für die urbane Zielgruppe leicht erreichbar. Und wenn man erst einmal die hässlichen Durchzugsstraßen mit den Hunderten Kreisverkehren verließ, war es hier atemberaubend schön und idyllisch. Sanfte Hügel, unberührte Natur, Weinberge. Hier sah es stellenweise aus wie in der Toskana. Eine Enklave für Ruhesuchende. Perfekt auch als Refugium für Promis. Er könnte auch noch in der Natur versteckte Häuser für diese Klientel planen. Die hätten so ihre Ruhe. Die Einheimischen hier waren ein angenehm simpler Menschenschlag, nicht so stur wie die Tiroler oder so bockig wie die Oberösterreicher. Die Südburgenländer waren irgendwie freundlich devot. Als Promi konnte man hier echt in Frieden leben, dachte er. Kein Wunder, dass der Frank Hoffmann, der Andreas Vitasek, der Gery Keszler, die Konstanze Breitebner, der Günther Mokesch und die Elke Winkens hier bereits Häuser hatten. Angeblich hatte sogar David Bowie mal ein Haus in Stadtschlaining gesucht. Promis waren hier im Südburgenland sicher. Die eine Hälfte der Bevölkerung war zu hinterwäldlerisch, um diese überhaupt zu erkennen, und die andere zu schüchtern, um sie anzusprechen und zu belagern.

Paul wusste, er musste sich noch einmal mit dem Zieserl zusammensetzen, wenn er dieses Projekt auf die Beine stellen wollte. Es ärgerte ihn, dass er hier im Süden einen neuen Verbündeten brauchte, ohne den er bei seinen Plänen nicht weiterkam. Ein Partner, das war für ihn ein Zeichen von Schwäche. Aber er war auf fremdem Territorium. Im Nordburgenland war er der Rädelsführer gewesen. Er hatte die Regeln gekannt, die Schlüsselfiguren. Jetzt fischte er in unbekannten Gewässern. Er brauchte den Harald, um ihn hier durchzuführen, um ihn zu leiten. Aber dieses Gefühl der Ohnmacht ärgerte ihn auch. Er kannte die Gesetze der Natur. Nur die Stärksten überleben. Er musste das richtige Kräfteverhältnis wiederherstellen. Und er wusste auch schon wie. Wie hatte Haralds Frau noch mal geheißen? Sylvia? Er tippte den Namen ins Handy, kam direkt zu ihrem Social-Media-Konto. Er grinste selbstzufrieden, als er das Profilfoto sah, auf dem Sylvia mit geschürzten Lippen posierte. Dann schickte er die Freundschaftsanfrage ab.

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