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Kapitel 7
Paul, der Narzisst

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Schmetterlinge gelten als Delfine unter den Insekten, dabei sind es eigentlich grausliche Viecher. Sie süffeln hingebungsvoll an Blut, Schweiß und Tränen oder laben sich an Aas. Vereinzelt trinken Schmetterlinge auch ihren eigenen Urin. Und das mit so viel Hingabe, dass sie es nicht einmal bemerken, wenn man sie dabei fängt.

Der nächste Tag begann für Eva so wie immer. Mit einer Flut von Vorwürfen. »Warum isst du denn nichts? Setz dich da her, wie andere Frauen das auch tun, setz dich einfach her und iss endlich was. Sei doch bitte so lieb.«

Eva zog es den Magen zusammen. Sie hatte null Appetit. Aber sie wollte den häuslichen Frieden nicht schon wieder riskieren. Schon Carla zuliebe. Für Paul war das sonntägliche Familienfrühstück wichtig. Am liebsten auf der Terrasse, damit die Nachbarn sehen konnten, wie glücklich die Achleitners waren. Eine echte Vorzeigefamilie.

Vielleicht stand er deswegen auch so auf Häuser mit Glasfronten. Da war das inszenierte Bilderbuchleben quasi im permanenten Ausstellungsmodus.

Der Terrassentisch war ein Stahlgestell mit einer Platte, die aus einem einzigen Stück Eiche geschnitten war. Die Bänke rundherum waren mit grauen Schaffellen belegt. Es war ja erst Mai. Eva hatte den Tisch mit schwerer grauer und schwarzer Keramik gedeckt, die sie bei einer angesehenen lokalen Künstlerin in Stadtschlaining gekauft hatte. Die Keramikerin Petra Lindenbauer produzierte auch die Tableware für berühmte Sterneköche wie den Heinz Reitbauer, den Silvio Nickol oder den Konstantin Filippou. Das ganze Ambiente wirkte exklusiv nordisch. Paul mochte nordisches Design. Nur nordisches Essen mochte er nicht so. Für Gerichte mit Moos und Flechten hatte er nichts übrig. Eva hatte Rührei mit Schinken zubereitet, eine Käseplatte mit Nüssen und Apfelspalten gerichtet und einen Striezel und ein Vollkornbrot gebacken. Ohne Brotbackmaschine. Paul mochte es nicht, wenn die Brote vom Rührhaken der Maschine ein Loch im Boden hatten. Außerdem hatte sie einen Smoothie aus Himbeeren, roten Rüben, Ingwer und Kurkuma gemixt. Jetzt musste sie nur noch den Kaffee fertigmachen.

»Du wirkst so unentspannt, kriegst die Regel?« Paul liebte es, ungefragt Evas Zustand zu interpretieren. Blass, unzufrieden, unausgeglichen, nervös. Das waren die Attribute, mit denen er sie gerne bedachte, sogar wenn sie nur ruhig und gemütlich Sachen erledigte oder so wie gerade eben Kaffee kochte. Du bist dies, du bist das. Du bist immer irgendwas.

Eva lächelte bemüht, ging an Paul vorbei hinaus zur Terrasse und stellte die Kaffeekanne auf den Tisch. »Ich hol nur noch schnell die Marmelade.« Sie ging zum Vorratskasten, der optisch dezent in die Küchenfront integriert war und drückte leicht dagegen. Die Tür sprang auf. Quitte mit Chili, Weinbergpfirsich mit Zitronenverbene, Rosengelee … Eva hatte es sich eine Zeit lang zum Hobby gemacht, ausgefallene Marmeladensorten einzukochen. Allerdings waren die bei ihrer Familie auf wenig Gegenliebe gestoßen. Paul aß in der Früh lieber deftig, und Carla mochte nur klassische Sorten. Eva griff nach einem Glas Erdbeere mit weißer Schokolade. Die würde bei Carla gerade noch als »normal« durchgehen.

Als sie auf die Terrasse zurückkam, standen zu ihrer Überraschung Vera und Letta da. »Wir haben uns in Oberwart E-Bikes ausgeborgt und wollten einen Ausflug zur Meierhofermühle machen, aber ich glaub, wir haben uns verfahren.« Vera wirkte erhitzt: »Wir wollen aber nicht stören. Ich wollt nur fragen, ob ich kurz mein Handy bei dir aufladen kann oder deines benutzen darf. Ich hatte Google Maps an, und das hat so am Akku gesaugt, dass der jetzt leer ist. Nur ohne Maps finden wir den richtigen Radweg nie.«

»Ihr stört überhaupt nicht, setzt euch zu uns. Wir wollten gerade frühstücken, habt ihr Hunger?«, sagte Paul jovial.

Letta blickte gierig auf die Pfanne mit Rührei und Schinken, die in der Mitte des Tisches stand. »Also gut, aber nur, wenn es euch wirklich nichts ausmacht.«

»Auf gar keinen Fall, wir freuen uns riesig, bitte bleibt ein bisschen. Carla, steckst du bitte Veras Handy im Haus an.«

Menschen, die ihm förderlich erschienen, lud Paul gerne an seinen Tisch sein. Bei ihrem Besuch am Vortag hatte er Vera kaum beachtet, dann hatte er erfahren, dass sie Journalistin war. Und das hatte die Sache natürlich sofort verändert. Er wollte sofort alles über ihre Netzwerke und Kontakte wissen. Das konnte er ja jetzt bitte selbst herausfinden.

Eva war die perfekte Gastgeberin. »Ich hol euch gleich Teller und Besteck, Kaffee für dich, Vera. Letta, magst du einen Kakao? Ich hab auch einen Smoothie gemacht, mit Kurkuma, der soll ja so gesund sein.«

»Kann ich bitte auch einen Kaffee haben?« Carla blickte Letta bewundernd an. Dass die schon Kaffee trinken durfte. Aber Letta sah auch erwachsener aus als sie selbst, erwachsen und exotisch, wie die albanische Sängerin Dua Lipa, die auch schon mit 15 alleine in London gelebt hatte. Carla war ein großer Fan von Dua Lipa.

»Mit viel Milch bitte«, sagte Vera hastig.

»Ich hol nur schnell mein Tablet, dann zeig ich dir Bilder von meinen Projekten«, sagte Paul eifrig. Eva wusste, was jetzt kommen würde. Paul würde solange über sein iPad wischen, Bild nach Bild zeigen und sich in detailreichen Beschreibungen und Selbstbeweihräucherung verlieren, bis der Kaffee und die Rühreier eiskalt geworden waren. Ihr perfektes Frühstück wäre für die Katz gewesen.

»Schatz, lass uns doch zuerst essen«, sagte sie betont freundlich.

»Ist schon okay«, sagte Vera. »Ich bin nicht hungrig, und es interessiert mich wirklich. Ich hab mir schon einige deiner Projekte im Internet angesehen. Sieht toll aus.«

Die Sonne ging in Pauls Gesicht auf.

Eva dachte an die unzähligen Situationen, als sie anhimmelnd neben ihm stehen musste. Paul erwartete Zuspruch, was immer er auch tat. Sogar wenn er ein Bild aufhängt, will er, dass ich dabeistehe und jeden Hammerschlag benicke, dachte sie.

Sie griff nach ihrer Kaffeetasse und beobachtete Paul und Vera. Paul, der redete und erklärte, als ginge es um sein Leben, und ihre neue Freundin, die freundlich lächelte und interessiert schaute. Er war charmant, eloquent, witzig. Natürlich fand sie Paul toll. Alle taten das.

Letta und Carla hatten sich schon längst in Carlas Zimmer zurückgezogen. »New Rules«, ein Lied von Dua Lipa drang durch die geschlossene Tür.

»Now I’m standin’ back from it, I finally see the pattern

I never learn, I never learn.«

»Drehts die Musik leiser«, brüllte Paul.

»I finally see the pattern.« Ich sehe endlich das Muster, dachte Eva.

Paul gab Vera das Gefühl, dass er sich für sie interessiere. Er imitierte perfekt den angeregten Gesprächspartner. Dabei tastete er nur ab, wie er sie sich später einmal zunutze machen konnte. Eva hatte zum zweiten Mal in dieser Woche das Gefühl, dass sie die Einzige war, die Paul durchschaute – wie die Zuseherin in einem Theaterstück.

Früher, in einer anderen Zeit, hatte Paul sich auch Eva gegenüber so verhalten. Hatte sie umgarnt, umschmeichelt, eingelullt. Er war verrückt nach ihr gewesen. Dass sie so unerfahren war, hatte er entzückend gefunden. Dass sie ihn bewunderte und sich gerne und willig leiten ließ, hatte seinem Ego geschmeichelt. Sie war seine Traumfrau gewesen, die einzige Frau, die er je heiraten wollte und die er auch geheiratet hatte. Seine Vorzeigeehefrau. Er wusste auch nicht, was aus dieser Frau geworden war. Sie war irgendwann verschwunden. Stattdessen war jetzt diese weinerliche, unfähige Person an seiner Seite, für die er zunehmend nur noch Verachtung empfand.

Aus Evas Sicht sah das Ganze etwas anders aus. Je mehr Eva versuchte, sich von ihm zu distanzieren und zu emanzipieren, desto mehr tat er alles in seiner Macht Stehende, um sie klein zu halten. Paul war ein guter Rhetoriker. Er hatte immer schon verstanden, Eva in ihrer Meinung über andere Menschen zu beeinflussen. Er säte so lang Zweifel, bis sie ihrer eigenen Meinung nicht mehr traute. Fast wäre ihm das auch mit ihren Eltern gelungen.

»Dass du so ein Psycherl bist, liegt sicher an deiner Kindheit, deine Eltern haben dich zu wenig geliebt.« Evas Proteste blieben ungehört. Paul lachte nur verächtlich und wusste es besser. Das sei ja typisch für eine psychisch Kranke wie sie. Sie würde es einfach nicht einsehen wollen, dass sie ein Problem hätten. Und Kindheitstraumata würde man halt verdrängen. Das wüsste doch jeder! Was hätte sie da noch sagen sollen? Der Stich ging mitten ins Herz. Eva hatte geheult. Paul hatte die Heulerei als hysterisch und verrückt bezeichnet. Typisch für eine Mimose wie sie. Aber er hatte erreicht, was er wollte. Er hatte sie verunsichert. Eva lag nächtelang grübelnd im Bett und dachte über ihre Kindheit nach. War da tatsächlich etwas vorgefallen? Hatten ihre Eltern sie wirklich nicht geliebt? War sie etwa nicht liebenswert genug gewesen? Ihr Verstand sagte ihr, dass sie ein ganz normales mittelprächtiges Verhältnis zu ihren Eltern hatte. Im Gegensatz zu Paul, der für seine ehemals berufstätige Mutter nur abschätzige Verachtung übrighatte. »Ein karrieregeiles Weib, das familiär über Leichen gegangen ist, bloß um eine überforderte Sekretärin ohne Aufstiegschancen zu werden.« Das war nicht seine Vorstellung von Familienleben.

»Würmchen, träumst du schon wieder, mach uns noch einen Kaffee, der ist ja schon ganz kalt.«

Pauls Stimme schreckte Eva aus ihren trüben Gedanken hoch.

»Nein, lass nur«, sagte Vera, »wir müssen echt weiter. – Letta!« Sie rief den Namen ihrer Tochter laut Richtung Haus. Aber der Ruf hatte gegen Dua Lipas lautstarken Gesang keine Chance.

»Ich hol sie schon«, sagte Eva. »Carla wird enttäuscht sein, dass ihr schon fahrt. Sie findet Letta toll. Das hat sie mir nach der Tanzstunde gesagt. Außerdem hasst sie es, hier nur mit uns rumzusitzen.«

»Letta auch. Sie kann uns ja morgen besuchen kommen«, sagte Vera.

»Wir hören uns, du kannst ja mal über mich schreiben«, sagte Paul und küsste Vera auf die Wangen. Ein Hauch Terre d’Hèrmes blieb an ihr hängen. Paul ging mit federnden Schritten zum Haus zurück. Vera und Letta radelten davon.

Eva machte sich daran, das Geschirr abzuräumen. Pauls Tablet lag noch immer auf dem Terrassentisch. Sie sah eine Push-Nachricht im Facebook Messenger aufpoppen. Ihr Blick blieb am Display hängen. Sie erstarrte, als sie den Text las: Sylvia Zieserl hat deine Freundschaftsanfrage bestätigt.

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