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Kapitel 11
Gartenseife

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Skorpione gibt es auch im Süden Österreichs. Zur Paarungszeit verströmen die Weibchen Sexuallockstoffe, die die Männchen anlocken. Haben die Männchen ein paarungswilliges Weibchen gefunden, versuchen sie, dieses durch Zuckbewegungen in Paarungsstimmung zu versetzen. Hat das Männchen seine Partnerin »überzeugt«, greifen sie einander an den Scheren, und ein manchmal stundenlanger Paarungstanz beginnt.

»Duftstück mit Lavendel«, schrieb Johanna mit ihrer akkuraten Handschrift, die fast genauso lang gezogen und eckig war wie die Kurrentschrift ihrer Großmutter, auf die Etiketten. Johanna kriegte noch immer einen Zorn, wenn sie an das Gespräch mit dem Lebensmittelinspektor dachte. Der hatte ihr doch tatsächlich untersagt, ihre handgemachten Naturseifen zu verkaufen, zumindest solang, bis sie die dafür erforderlichen gesetzlichen Auflagen erfüllen würde.

Wochenlang hatte Johanna wegen dieser gesetzlichen Auflagen recherchiert. Die baulichen Veränderungen und Kosten, eine eigene Seifenküche zu installieren, wären da noch die geringste Hürde gewesen. Johanna hätte für jede einzelne Seifensorte ein Labor mit einer kostspieligen Sicherheitsbewertung beauftragen müssen. Ein Ding der Unmöglichkeit, denn sie erfand immer neue Seifensorten. Auch jede einzelne Banderole hätte sie einreichen und beäugen lassen müssen. Und für die Erlaubnis, diese Verpackung zu verwenden, hätte sie dann wieder teuer bezahlen müssen. Die Kosten wären in die Abertausende gegangen und das, obwohl sie pro Seife nur wenige Cent verdiente.

Da haben die großen Lobbyisten gute Arbeit gemacht und alles bis zum Erlöschen reguliert, ärgerte sich Johanna. Sie hasste Ungerechtigkeiten. Seifensieden war nichts, das von Konzernen betrieben werden sollte. Es war ein jahrhundertealtes Handwerk. Seife war sauber. Seife war nützlich. Seife hatte in der Corona-Krise Millionen Leuten das Leben gerettet.

Aber sie hatte eine Lösung gefunden. Sie nannte ihre Seifen einfach »Duftstücke« und schrieb dazu, dass man damit Unterwäscheladen parfümieren konnte. Was die Leute dann wirklich damit machten, war ja unkontrollierbar. Mal schauen, was der Lebensmittelinspektor dazu sagen würde.

Und sie würde sich Verbündete holen, ihr Wissen auch an die anderen Frauen im »Klub der Grünen Daumen« weitergeben. Johanna fand es gut, wenn es mehr Seifensiederinnen gab. Man könnte sich gemeinsam gegen die Auflagen der Lobbyisten auflehnen. Eine Seifensieder-Revolution. Das wäre doch herrlich befreiend, oder?

Eva hatte das Thema Seifensieden immer schon interessiert. Sie versprach sich davon innerfamiliär mehr Erfolg als von ihren ausgefallenen Marmeladensorten. Vera fand die Idee, Seifen zu kochen, auch spannend.

Auch die anderen Klubmitglieder waren wieder mit ihren obligatorischen Weidenkörben angerückt. Darin befanden sich heute neben Zettel und Notizblock auch diverse Zutaten für die Seifenküche. Getrocknete Blüten, Mohnsamen, Weizenkleie, ätherische Öle. Die Grundzutaten hatte Johanna besorgt.

Der Lehrgang fand in ihrer Wirtschaftsküche statt. Diese befand sich in der Garage ihres Hauses gleich neben dem Laden. Da Johanna kein Auto, sondern einen Lieferwagen besaß, den sie nur mit Mühe durch das enge Garagentor manövrieren konnte, hatte sie sich irgendwann entschieden, dass der Lieferwagen draußen bleiben musste. Stattdessen hatte sie sich hier den Traum einer Wirtschaftsküche erfüllt. Es gab eine tiefe Abwasch, um Gemüse, das sie vom Garten hereinbrachte, zu putzen, einen doppelt breiten Gasofen mit sechs Flammen, um Marmelade, Sugo und Chutney einzukochen, unzählige Holzregale mit Vorräten und einen großen Arbeitstisch. Die Regale und Arbeitsflächen waren jetzt mit Zeitungspapier abgedeckt.

Johanna sah aus, als wollte sie eine lebensnotwendige Operation durchführen. Sie trug eine Schutzbrille und eine Atemmaske. Ihre Hände steckten in langen dicken Gummihandschuhen.

»Seife sieden ist nicht gefährlich, wenn man sich genau an das Rezept und an die Sicherheitsbestimmungen hält«, sagte sie. »Aber wir produzieren eine Lauge, und eine Lauge ist ätzend, deswegen darf nichts davon in die Augen oder auf die Haut kommen. Falls ihr euch wirklich einmal auf der Haut verätzt, neutralisiert die Stelle mit Essig. Die Lauge entsteht, wenn wir Ätznatron mit Wasser mischen. Ätznatron bekommt ihr bei Isabella in der Drogerie. Wichtig, haltet euch beim Seifenmachen aufs Gramm genau an die Mengenabgaben.«

Vera hatte noch nie Ätznatron gesehen. Es sah kristallin aus, ein bisschen wie Meersalz. Kosten wäre aber vermutlich tödlich gewesen. Johanna maß mit einer Grammwage die richtige Menge Natron ab. Dann schüttete sie es vorsichtig in ein Plastikgefäß, das die genau abgemessene Menge Wasser enthielt. Es begann zu rauchen und zu stinken wie früher in der Chemiestunde. Zum Glück war das Garagentor weit offen. Sie stellte das Gefäß auf den Tisch vor der Garage.

»Die Dämpfe dürft ihr auf keinen Fall einatmen. Durch die chemische Reaktion ist die Lauge jetzt auch sehr heiß geworden. Wir warten, bis sie auf 40 Grad abkühlt. Inzwischen erwärmen wir die Fette und Öle auf genau dieselbe Temperatur. Mag das eine von euch machen?«

»Ich nicht, ich stehe ohnehin den ganzen Tag am Herd«, feixte Mathilde, die tätowierte Köchin. Eva meldete sich und erwärmte diverse genau abgewogene Fette und Öle sorgfältig auf kleiner Flamme. Mit einem langen hitzebeständigen Thermometer überprüfte sie mehrmals, ob die Temperatur passte.

»Beides genau 40 Grad«, sagte sie schließlich stolz.

»Jetzt gießen wir die Lauge in die Ölmischung, immer so und nie umgekehrt«, sagte Johanna. »Man gießt ja auch das Natron ins Klo, um den Abfluss zu reinigen, und nicht das Klo ins Natron. So kann man sich das merken. Und jetzt umrühren«, sie griff zum Stabmixer. »Die moderne Hexe kann sich dabei ruhig der modernen Technik bedienen.«

Die Truppe sah gespannt zu, wie die vorher farblose Flüssigkeit unter dem gleichmäßigen Schlagen des Rührstabes immer trüber und dicklicher wurde, bis sie nach zehn Minuten aussah wie Vanillepudding. Man konnte an der Oberfläche mit dem Stab Schlieren ziehen.

»So, die Masse verteile ich jetzt in kleine Töpfe, und dann könnt ihr eure Seife individuell mit Pflegeöl anreichern, beduften und färben. Aber zieht euch bitte vorher Schutzkleidung an. Gerade wenn die Masse köstlich duftet, vergessen viele die nötigen Vorsichtsmaßnahmen.«

Vera entschied sich für eine Gartenseife mit Peelingeffekt. Sie reicherte die Grundseife mit Mohnsamen, duftendem Zitronenöl und einem großen Schluck pflegendem Mohnöl an. Eva entschied sich für eine herbe Kräuterseife mit Muskatellersalbei und Rosmarin. Bei den anderen standen kulinarische Inhaltsstoffe wie Honig und Kaffee, Nussöle und Haferschrot hoch im Kurs.

»Jetzt könnt ihr die Seife in eure mitgebrachten Formen gießen«, sagte Johanna. Die meisten Anwesenden hatten ausgediente Tupperware mit. Nur Guerilla-Grete hatte ihre Rosenseife in Silikonbackmulden in Rosenform gegossen. Da hatte sich wohl eine wieder besonders gut vorbereitet.

»Die Seifenbehältnisse müssen jetzt über Nacht abgedeckt werden. Dann kommt die Seife in die Gelphase – die zweite Verseifungsphase. Nach 24 Stunden ist die Seife hart, und ihr könnt sie in Stücke schneiden. Und dann lasst ihr sie noch acht Wochen rasten, bevor ihr sie verwendet. Dadurch wird sie milder. Hier ist noch mal das Grundrezept. Ich hab es euch ausgedruckt.«

Eva überflog das Manuskript. »Oh verdammt, ich habe das Überfetten vergessen«, stöhnte sie, »macht das was?«

»Leider ja«, sagte Johanna. »Die Öle, in die wir die Lauge geschüttet haben, werden komplett verseift. Das Überfettungsöl am Schluss gibt man dazu, damit die Seife rückfettend und pflegend wird. Deine Seife ist jetzt vermutlich zu scharf und trocknet die Haut aus. Willst du nochmal von vorne anfangen? Wir können deine Seife aus der Form wieder in den Topf zurückleeren, noch mal erwärmen und Öle dazugeben. Ist halt ein bisschen eine Patzerei.«

»Nein, lass nur.« Sie wirkte enttäuscht.

»Ich schenk dir was von meiner Seife, wenn sie fertig ist«, tröstete Vera.

»Du kannst die Seife raspeln und als Waschpulverersatz verwenden«, schlug Johanna vor.

Eva zog eine Grimasse. Paul hatte null Toleranz für diesen Kräuterhexenquatsch, wie er den »Klub der Grünen Daumen« abschätzig nannte. Sie konnte sich jetzt schon sein Gesicht vorstellen, wenn eines seiner blütenweißen Hemden mit Kräuterflankerln aus der Maschine kommen würde.

»Ich geh jetzt«, sagte Eva und verabschiedete sich rasch von den anderen Kursteilnehmern. Irgendwie hatte sie das fehlgeschlagene Seifenprojekt deprimiert. Sie kam sich noch unfähiger und bedeutungsloser vor als sonst.

Als sie Johannas Laden verließ und zum Parkplatz ging, bremste sich ein Motorrad neben ihr ein. Eine klassische Harley Davidson. Der Lenker nahm den Halbschalenhelm ab. Finz fuhr sich mit den Fingern durch die verstrubbelten Haare. Er trug zerrissene Jeans, ein Pinkarocker T-Shirt und eine Lederjacke. Er sieht genauso aus wie die Typen, vor denen mich meine Eltern früher immer gewarnt haben, dachte Eva. Wenn die gewusst hätten, dass die Gefahr auch in Wildlederschuhen und Kaschmirpullis daherstolziert kommen konnte.

»Was ist los, seid ihr schon fertig?«

»Nein, aber ich habe keine Lust mehr. Was machst du hier?«

»Nur eine kleine Spritztour. Dann ist mir eingefallen, dass ihr heute euer wöchentliches Hexentreffen bei Johanna habt, und ich dachte, ich schau vorbei.«

»Ich wusste gar nicht, dass du ein Motorrad hast.«

»Das ist kein Motorrad, das ist ein Chopper, Baby«, hüstelte Finz mit rauer Stimme.

Ein Zitat aus »Pulp Fiction«. Eva erkannte es und musste lachen.

»Das war der Bruce Willis, oder?«

»Ja, aber das hab ich jetzt nur wegen der Pointe gesagt, das ist gar kein Chopper, sondern eine Sportster.«

Eva verstand nur Bahnhof, nickte aber dennoch wissend.

Finz grinste sie an. »Was ist, magst mitfahren?«

Eva kaute auf ihrer Unterlippe. Sie war noch nie auf einer Harley Davidson gesessen.

»Ohne Helm?«

»Du kannst meinen haben.«

»Und du?«

»Ich pass schon auf. Wir fahren nur auf den asphaltierten Güterwegen, okay?«

Eva zögerte. Sie wollte nicht, dass er sie für eine langweilige bürgerliche Hausfrau hielt. Und überhaupt. Motorradfahren war eines der Dinge, die man im Leben getan haben musste. Auch wenn man vielleicht draufkam, dass man es danach nie wieder tun wollen würde.

Er reichte ihr den Helm. »Komm schon, steig auf. Leg einfach deine Arme um mich und entspann dich.«

Das mit dem Entspannen war leichter gesagt, als getan. Eva erschrak, als der Motor losröhrte und die Maschine zwischen ihren Beinen zu vibrieren begann. Finz lachte. Er drehte den Kopf zu ihr. »Gut festhalten!«

Sie legte die Arme um seine Taille und war ihm jetzt so nahe, dass sie ihn riechen konnte. Leder und Öl und irgendetwas Frisches. Pfefferminzshampoo.

Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Gleichzeitig fühlte sie sich waghalsig und rebellisch. So, als würde sie etwas schrecklich Verbotenes tun.

Finz gab Gas. Das Motorrad kippte zur Seite und der Schotter spritzte ein bisschen, als er den Parkplatz verließ. Eva sank das Herz in die Hose. Am liebsten hätte sie gebrüllt, er sollte sofort wieder stehen bleiben, aber sie wollte sich keine Blöße geben. Sie kniff die Augen zu. Aber mit geschlossenen Augen war das Ganze noch bedrohlicher. Finz schien ihre Angst zu spüren. Er fuhr jetzt ganz vorsichtig in großen Bogen in die Kurven und behielt auch auf den Geraden ein moderates Tempo bei.

Langsam ging Evas Pulsschlag auf Normalwerte zurück. Sie legte ihren Kopf auf Finz Rücken. Der harte, aber auch behäbig wummernde Sound des Motors beruhigte sie, der weiche Sitz und die komfortabel ausgelegte Federung entspannten zusätzlich. Finz schien das zu spüren, denn jetzt beschleunigte er das Tempo wieder, ging mehr in die Kurve und ließ die schwere Maschine heraus beschleunigen. Bäume, Häuser und Zäune flogen an ihr vorbei. Sie fuhren auf einem Güterweg die Pinka entlang, sahen einen Storch auffliegen. Gelbe Rapsfelder, deren Blüten sich in der Sonne wiegten. Eva vertraute ihm jetzt voll und ganz. Sie hatte keine Angst mehr, dass das Motorrad in jeder Kurve umkippen könnte. Sie verlagerte ganz instinktiv ihr Gewicht, bewegte sich synchron zu Finz. Fühlte sich plötzlich wie eine Einheit mit ihm. Als sie nach einer halben Stunde wieder bei Johanna ankamen, war sie richtig high.

Finz nahm ihr den Helm ab und lächelte sie an. »Na, wie war das?«

Evas Augen leuchteten. Sie rang nach Worten. »Unglaublich, fantastisch.« Er wusste, es hatte sie voll erwischt.

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