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Kapitel 3
Skikurs

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Ob und wann er darf, darüber entscheidet bei den Taufliegen immer das Weibchen – und es macht es dem Auserwählten nicht leicht. Anstatt dem Werben zügig nachzugeben, weist es dieses zuerst zurück. Doch hat das Männchen es geschafft, sie zu begatten, hat es gewonnen. Denn seine Samenflüssigkeit löst bei ihr ein mysteriöses Post-Sex-Verhalten aus: die Abwehr weiterer Verehrer und vermehrte Eierproduktion.

Paul erwachte mit einer Morgenlatte. Kurz überlegte er, ob er seine noch schlafende Ehefrau damit konfrontieren sollte. Aber dann entschied er, dass ihm das zu mühsam war. Er hatte gestern, nachdem die Zieserls gegangen waren, noch einen wilden Streit mit Eva gehabt. Er hatte ihr vorgeworfen, dass sie unfähig war, ein simples Essen auf den Tisch zu bringen. Gerade dann, wenn es wirklich wichtig für ihn war. Und dann hatte er sie gefragt, ob sie sich mit Absicht so blöd anstellen würde, um ihn zu demütigen. Eva hatte geheult und war hysterisch geworden.

Für Versöhnungssex war es jetzt zu spät. So wie er Eva kannte, war die schon im »gekränkt und beleidigt Modus« und würde den ganzen Tag kaum mit ihm sprechen, sondern ihn nur mit waidwundem Blick mustern. Wie er diese Märtyrernummer hasste.

Evas passive Opferhaltung widerte ihn zunehmend an. Konnte sie nicht ein bisschen Feuer im Arsch haben. So wie diese Zieserl. Jaja, die Zieserl. Er dachte an ihre Titten. Die waren echt geil. Er fuhr mit der Hand in seine Boxershorts und stellte sich vor, sein Schwanz läge zwischen ihren Titten. Er bewegte seine Hand langsam auf und ab. Dass Eva was mitbekommen würde, schloss er aus. Die hatte Ohrenstöpsel drinnen, wegen seiner Schnarcherei. Und außerdem hatte sie ihre komischen CBD-Tropfen genommen, wie immer, wenn sie was aufregte. Das war dann aber auch schon der letzte Gedanken, den er an Eva verschwendete. An die Zieserl zu denken, war weitaus vergnüglicher. Er grunzte zufrieden, als er sich seinen Fantasien hingab.

Eva wachte auf, weil sie spürte, dass sich die Matratze, auf der sie lag, rhythmisch bewegte. Sie erstarrte.

Das konnte jetzt bitte nicht wahr sein. Ihr Mann lag neben ihr und holte sich einen runter.

Was sollte sie tun? Sie könnte hochfahren, ihn anschreien, ihn beschämen. Aber stattdessen hielt sie die Augen fest geschlossen und stellte sich schlafend. Sie spürte einen Kloß im Hals. Sie biss sich auf die Zunge. Tränen stiegen hinter ihren geschlossenen Lidern auf. Sie hatte all das schon einmal erlebt. So ähnlich und noch viel schlimmer.

Es passierte in der zweiten Klasse Oberstufe während ihrer Zeit im Gymnasium. Eva war unsterblich in Paul verliebt. Sie war die Jüngste in der Klasse, gerade mal 15. Sie war noch Jungfrau. Paul wollte es tun, aber sie hatte Angst davor, dass es wehtun würde, davor, schwanger zu werden, und am allermeisten davor, sich dumm anzustellen. Dümmer als all die anderen erfahrenen Weiber in der Klasse wie die Bettina oder die Sandy, mit denen der Paul schon was gehabt hatte.

Küssen hatte Eva beim Flaschendrehen gelernt. Flaschendrehen wurde damals auf jeder Klassenparty gespielt. Sie hatte immer gebetet, dass sie nicht den pickligen Robert oder den schweißelnden Alex, sondern den Paul erwischen würde. Und dann erwischte sie ihn wirklich. Eva konnte sich noch genau an das Etikett der Flasche erinnern. Es war eine leere Mavrodaphne-Flasche – den süßen griechischen Wein hatten sie zuvor alle gemeinsam gesoffen. Eva vertrug schon damals nichts. Sie hatte rote Wangen vor Aufregung und drehte die Flasche besonders wild, als sie an der Reihe war. Die Flasche kurvte sicher achtmal im Kreis, bevor sie wackelnd zur Ruhe kam. Der Flaschenhals zeigte auf Paul.

Paul grinste und robbte auf den Knien zu ihr, dann nahm er ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie. Und der Kuss war richtig gut, nicht so nass und schlabbrig wie der vom Dietmar und den anderen Buben in der Klasse, die sie in ihrer ewigen Pechsträhne immer zu erwischen schien, wenn sie Flaschendrehen spielten. Von da an war Eva verliebt in Paul. Und aus irgendeinem Grund hatte der Paul dann auch einen Stand auf sie gehabt. Nur das mit dem Sex, oder besser gesagt, das mit dem Keinen-Sex-Haben, war ein Problem.

Dann war der Skikurs gekommen. Der Höhepunkt des Schuljahres, obwohl das Quartier ein einziger Tiefpunkt war. Eine Jugendherberge in Zell am See. Man schlief zu sechst oder zu acht in einem Raum mit Stockbetten. Wählte man das untere Bett, so staubte es aus der Rosshaarmatratze des oberen Betts auf einen herunter. Falls der oben Schlafende sich während der Nacht zu viel bewegte, konnte man ihn mit ein paar Tritten in seinen Rücken daran erinnern, dass man auch noch da war. Allerdings musste man dabei aufpassen, nicht den Lattenrost aus den Angeln zu heben. Schlief man oben, so war der Plafond so knapp über dem Bett, dass es einer gewissen Körperbeherrschung bedurfte, unter die Decke zu gleiten, ohne sich den Kopf anzuhauen.

Eva hatte oben in so einem Bett gelegen, weil sie die Kleinste der Klasse war und deswegen weniger Platz brauchte als die Sandy, die unter ihr lag und schon so groß und entwickelt war wie eine richtige Frau.

Eva konnte dem Skifahren per se nur wenig abgewinnen. Sie war nicht unsportlich, sie machte Ballett und Rhythmische Gymnastik, aber Skifahren war einfach nicht ihres. Wacklige Sessellift- und Schleppliftfahrten, bei denen der Bügel immer weiter über den Hintern rutschte, bis man aus der Spur fiel. Klamme, schmerzende Finger, wenn nach einem Sturz Schnee in die Fäustlinge geraten war. Klobige Skischuhe, mit denen sie in der Hütte auf den Stiegen zum Klo immer stolperte. Viel zu lange Leihski, die machten, was sie wollten. Eisflächen, Mugel, brauner Matsch.

Am meisten freute sie sich immer auf später, wenn die Lehrer schliefen und sich Paul und ein paar andere Burschen heimlich in das Zimmer der Mädchen schlichen, sie dicht an dicht auf ihrem Stockbett saßen, »Bravo« lasen, gemeinsam Paprikachips aßen und den heimlich mitgebrachten Fernet tranken. Die Lehrer hatten angedroht, dass jeder Bursch, der in einem Mädchenzimmer erwischt wurde, von der Schule fliegen würde. Aber Paul hatte schon damals gewusst, wie er es anstellen musste, um nicht erwischt zu werden.

Und dann war dieser verhängnisvolle letzte Abend gekommen. Es hatte eine Abschlussdisco gegeben. Die Mädchen hatten sich alle in Schale geworfen. Sie trugen Glitzershirts und hellrosa getönten Lippenpflegestift, um die gerade erworbene Skifahrerbräune zu betonen.

Die Disco war ein Raum ohne Fenster, aber mit Ghettoblaster. Und bei »Everything I do, I do it for you« von Bryan Adams hatte Paul mit Eva eng getanzt und ihr ins Ohr geflüstert, er würde heute zu ihr ins Zimmer kommen, aber allein und viel später. Und dann würde er es mit ihr tun.

»Nein«, hatte Eva erschrocken gesagt. War er deppert geworden? Am Skikurs in einem Raum mit allen anderen? Er hatte nur blöd gegrinst und die Augenbraue hochgezogen und noch mehr Cola getrunken, das die Klasse vorsorglich schon vorher mit Inländer Rum gespiked hatte. Und dann hatte er sie für den Rest des Abends ignoriert.

In der Nacht war Eva dann aufgewacht, weil sich das Stockbett rhythmisch bewegt hatte. Erst wusste sie nicht, was es war. Ein Erdbeben? Eine Lawine? Sie wollte schon das Licht anmachen.

Aber dann hörte sie unterdrücktes Stöhnen und da wusste sie, die Sandy unter ihr trieb es mit jemandem.

Es dauerte nicht lange, vielleicht zehn Minuten, aber Eva kam es vor wie eine Ewigkeit. Sie fand es furchtbar peinlich und verstörend, aber irgendwie auch spannend und erregend.

Dann stand der Bursche, der bei der Sandy im Bett gewesen war, auf. Eva sah, wie er sich aufrichtete und seine Trainingshose hochzog. Er hatte keine Schuhe an, nur Socken. So schlich er zurück zur Tür, und als er diese öffnete, um den Raum zu verlassen, fiel das Notlicht aus dem Gang auf sein Gesicht, und Eva sah, wer es war. Paul.

Eva weinte die ganze Nacht. Am nächsten Tag redete sie im Bus auf der Rückreise nach Eisenstadt kein Wort mit ihm. Paul redete interessanterweise auch kein Wort mit Sandy.

Eine Woche war absolute Funkstille zwischen Eva und Paul. Eva hätte ihn hassen sollen, aber stattdessen hatte sie das Gefühl, das alles wäre ihre Schuld gewesen. Es war passiert, weil sie zu unreif und ängstlich war und ihrem Freund nicht das geben konnte, was er brauchte. Sie wollte ihn nicht verlieren. Sie konnte ihn nicht verlieren. Sie brauchte ihn.

Am darauffolgenden Wochenende holte Paul sie am Samstag ab wie immer. Sie gingen in die Disco in Eisenstadt. Eva trank fünf Tequila auf ex, dann sagte sie ihm, sie fühlte sich nun reif für Sex.

Paul fuhr mit ihr in den Wald und entjungferte sie im Auto. Es tat weh. Eva hatte das Gefühl, dass sie sich ungeschickt anstellte. Und danach fragte sie sich, was alle anderen an Sex fanden. Aber von diesem Tag an waren Paul und sie offiziell zusammen.

Paul war der geborene Leader. Er forderte einfach ein, was er wollte, und auch wenn er bei manchen unbeliebt war, gelang es ihm, eine Illusion großer Popularität zu schaffen.

Schon mit zehn reagierte er auf Bemerkungen wie »Du bist nicht mehr mein Freund« nur mit einem lapidaren Schulterzucken und einem höhnischen Lachen: »Ist mir doch egal.«

Mit zwölf war er der König beim »Bluatfetzen«, einem Spiel, bei dem der eine Spieler versuchen muss, eine Münze in die Luft zu werfen und diese im Flug nach bestimmten Regeln zu fangen. Gelingt ihm das nicht, darf ihm der andere Spieler die Münze mit den Fingern gegen die Knöchel der geballten Faust schnippen. Und das wurde so lange gespielt, bis die Knöchel blutig waren.

Mit 14 zerdrückte Paul leere Bierdosen auf seiner Stirn und entdeckte den Alkohol und die Mädchen. Und diese entdeckten ihn. Vor allem die, die in den Mädchencliquen das Sagen hatten, rissen sich um ihn. Dabei basierten all diese Interaktionen auf einem gravierenden Irrtum. Alle Beteiligten verwechselten bei der Partnerwahl Popularität mit Beliebtheit. Beliebtheit drückt aus, wen man persönlich gern mag. Popularität hingegen drückt aus, was man denkt, wen die anderen am meisten mögen.

Mit 16 küsste er beim Flaschendrehen zufällig Eva. Danach schmuste er ein paarmal mit ihr. Sie war ihm vorher nicht wirklich aufgefallen, obwohl sie ausgesprochen hübsch war. Ihre Rolle in der Klasse war es, keine bestimmte Rolle zu haben. Sie war weder stark noch schwach, weder Mitläuferin noch Verteidigerin. Sie war in dieser ganzen mafiösen Gruppendynamik einfach neutral. Und sie war die Erste, die Paul mochte, weil sie ihn mochte und nicht, weil er populär war. Der Haken war nur: Paul mochte sich selbst nicht besonders, und er wusste nicht, ob er Eva für ihre Gefühle lieben oder verachten sollte.

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