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Kapitel 2
Eva und Paul

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Stubenfliegen können Essen mit ihren Füßen schmecken! Dafür sorgen Geschmacksrezeptoren an ihren Unterschenkeln und Füßen. Landet eine Fliege auf einer Mahlzeit, die ihr zusagt – die Bandbreite reicht dabei von Hundescheiße bis Kuchen – wird sie möglichst oft darauf herumlaufen, um etwas von dem guten Geschmack zur nächsten Mahlzeit mitzunehmen.

Eva drückte auf das Pluszeichen des glatten Displays, aber nichts passierte. Sie probierte es noch einmal. Keine Chance. Seufzend griff sie zu einem Küchentuch aus grauviolettem Leinen und wischte über die Oberfläche, um etwaige Feuchtigkeit zu entfernen. Sie hasste diesen hypermodernen Herd. Automatikprogramme, kabelloses Speisenthermometer, Pyrolyse-Ausstattung, aber ein Touch-Bedienfeld, das sie fast zum Weinen brachte.

Der Herd war Pauls Entscheidung gewesen, wie auch das Haus, der Umzug und alles andere, was Evas Leben ausmachte. Wäre Paul ein Herd, wäre er genauso einer, dachte Eva verbittert. Äußerlich schick und spiegelglatt, aber in seinen Aktionen unberechenbar. Vor lauter Frust trommelte Eva jetzt mit den Fingern gegen die Glasplatte.

Ein schrilles Geräusch ertönte. Auch Paul wurde in letzter Zeit gerne mal laut. »Du sitzt wie eine Prinzessin den ganzen Tag daheim, du hast ja keine Ahnung, was ich ständig um die Ohren habe«, brüllte er dann. Prinzessin. Irgendwann war Eva tatsächlich seine Prinzessin gewesen. Damals, als sie mit 15 in der Schulvorführung das Schneewittchen gespielt hatte und gar nicht glauben konnte, dass sich der große, blonde charismatische Paul ausgerechnet für sie interessierte.

Aus dem selbstbewussten Klassenschönling der 5c war ein erfolgreicher Architekt geworden. Oder genauer gesagt, ein »Beinahe-Architekt«. Nur Eva wusste, dass Paul das Studium nie abgeschlossen hatte. War auch nicht nötig. Das »Planungsbüro Achleitner« lief auch ohne akademische Urkunde. Und die notwendigen Stempel für die Einreichungen konnte man sich ja kaufen.

Das Schrillen ging Eva durch Mark und Bein. Sie war eine empfindsame Frau und viel zu empathisch. Einer dieser Menschen, die 1000 Kleinigkeiten wahrnehmen und manchmal ganz erschöpft waren von der Vielzahl der Eindrücke in ihrem Kopf. Menschenmassen, Lärm und Geschwindigkeiten überforderten sie und machten ihr Angst. Früher hatte ihre Sensibilität Pauls Beschützerinstinkte geweckt. Heute zeigte er sich zunehmend genervt. »Stell dich nicht so an. Andere Frauen stellen sich auch nicht so an.« Andere Frauen waren der ständige wunde Punkt in Pauls und Evas Beziehung.

»Buchschachen ist ein frischer Start für uns«, hatte er ihr versprochen, als seine letzte Affäre aufgeflogen war und er Frau und Kind fast in einer Nacht- und Nebelaktion vom Nord- ins Südburgenland transportiert hatte. Eva hatte den Verdacht, dass weniger Pauls moralische Läuterung der Grund für den Umzug war als Ungereimtheiten bei seinem letzten Großprojekt, dem Bau des »Seewinkler Inselparadieses«.

»Überzoide Wochenendhütten für gstopfte Wiener«, wie Paul gerne sagte. Immerhin: Das Projekt plus der Verkauf des Familienhauses im Norden hatte genug Geld eingebracht, um das ultramoderne Anwesen zu erwerben, das wie ein schwarzes Raumschiff über dem Buchschachener Hotter schwebte. Das Haus hatte einem gehört, dem sein Fremdwährungskredit zum Verhängnis geworden war. »Dann is eam a no die Oide oboscht«6, hatte die Nachbarin Eva erzählt. Manchmal würde Eva auch gerne oboschn. Einfach verschwinden. Aber wohin?

Eva hatte es nach dreimaligem Durchlesen der Betriebsanleitung endlich geschafft, den Herd anzuwerfen, und begann, Zwiebeln und Fleisch in Olivenöl zu bräunen. Französisches Boeuf en Daube, also provenzalischer Schmortopf vom südburgenländischen Moorochsen. Das signalisierte Regionalbewusstsein und Weltoffenheit. Genau das, was Paul ausstrahlen wollte. Sie musste sich beeilen. Die Gäste würden zwar erst am Abend kommen, aber Paul mochte es nicht, wenn das ganze Haus nach Zwiebeln roch, was bei dem offenen loftartigen Grundriss des Raumschiffes fast unvermeidbar war.

Eva öffnete die Eingangstür, um zu lüften. Auf den Stiegen stand ein Karton Eier. Die Eier waren laut Pickerl am Karton vor zwei Monaten abgelaufen. Als das das erste Mal passiert war, hatte sich Eva den Kopf darüber zermartert, warum ihr die Nachbarn abgelaufene Eier vor die Tür gestellt hatten. War das eine versteckte Message, ein Zeichen, vielleicht sogar eine Drohung? Dann hatte sie irgendwann gecheckt, dass die Eier von den eigenen Hühnern der Nachbarn stammten und nur in die alten Kartons aus dem Supermarkt verpackt wurden. Allerdings hieß das nicht zwangsläufig, dass die Eier immer frisch waren. Es waren freilaufende Hühner, die legten, wo sie wollten. Manche Eier wurden erst Wochen später gefunden.

Eva nahm eine Schüssel Wasser und legte die Eier hinein. Die meisten Eier richteten sich in der Sekunde auf. Frisch waren die nicht mehr. Ein Tiramisu traute sich Eva damit nicht zu machen. Vielleicht lieber Schokoladenbrownies oder eine Mohntorte mit Joghurt und Himbeertopping.

Eva hatte schon immer gerne gekocht und gebacken. In ihrer Rolle als One-Woman-Eventunternehmen für Pauls Geschäftsanbahnungen hatte sie diese Fähigkeit perfektioniert. Paul erwartete von Eva, fürsorglich, unterstützend, loyal, geduldig und fröhlich zu sein. Er erwartete das 24/7. Aber ganz besonders, wenn Gäste da waren.

Die, die für heute angesagt waren, waren wichtige Leute. Der Chef der »Pannonia Bau« samt Gattin. »Da darf nichts schiefgehen«, hatte ihr Paul eingebläut.

Zumindest würde seine Laune heute Abend besser sein. Sein Charmepegel stieg mit der Wichtigkeit des Besuchs. Je einflussreicher und nützlicher ihm die Menschen erschienen, desto mehr warf er sich ins Zeug, ließ den unterhaltsamen Sonnyboy raushängen, war witzig und charismatisch. Evas Freundinnen behandelte er zumeist mit Ignoranz, außer sie gefielen ihm.

Eva stellte die Daube ins Rohr, drehte das Display auf 160 Grad und machte sich fertig, das Haus zu verlassen. Sie musste noch ihre Tochter Carla abholen, die im benachbarten Pinkafeld beim Jazzdance-Unterricht war. An die ständige Fahrerei hier im Süden hatte sie sich erst gewöhnen müssen. Das Busnetz war hier wesentlich schlechter ausgebaut, die Häuser in Buchschachen verstreuter als die Straßendörfer im Norden.

»Eigentlich sieht Buchschachen schon steirisch aus«, hatte ihnen der Vorbesitzer des Hauses erklärt. Das war positiv gemeint. Er wollte ausdrücken, dass Buchschachen mehr nach Geld aussah als die umliegenden burgenländischen Dörfer. Die urbanen Zuagroasten, die sich hier niederließen und ihre Kohle in die Revitalisierung der Arkadenhöfe steckten, schätzten das Dorf wegen seiner Nähe zur Autobahn. Man war gerne am Land, aber wollte auch schnell wieder weg.

Eva stieg in ihren schwarzen SUV, betätigte die Zündung und gab Gas. Der Wagen rollte langsam aus der Einfahrt. Sie blinkte und bog auf die Landstraße ein. Auf dem Bankerl vor der Kirche saßen zwei Frauen und winkten ihr freundlich zu. Eva winkte zurück. Sie erkannte ihre Nachbarin an der auffällig geblümten Kittelschürze. Den darauffolgenden Dialog der beiden hörte sie natürlich nicht.

»Wor des dei Weanerin, derst immer die Oa aufibringst?«, fragte die eine und fügte ein bisserl süffisant hinzu: »Woarum tuist da deis, bei dem Wogn kaun sa si d’ Oa a kafn?«

»Jo, weil i neigierig bin«, sagte die andere. »Außerdem is des ka Weanerin, sondern ane ausn Nordburgenland.«

»Jessas«, sagte die erste. »Nordburgenlandler san des … geh, hear ma auf. Do is ma jo a Neger no liawa.«7

*

Vor der Schule, in der der Tanzunterricht stattfand, hatten sich schon zahlreiche Eltern mit ihren Fahrzeugen eingeparkt. Es war windig. Eva beschloss, in die Aula der Schule zu gehen und dort auf Carla zu warten. Eine der Mütter, die bereits dort stand, kannte Eva vom Sehen. Viktoria? Veronika? Nein, Vera. Die Frau hieß Vera. Sie hatte sich den Namen gemerkt, weil sie bei der Anmeldung hinter ihr gestanden war und ihr deren Tochter mit den blitzenden Augen und den dunklen Locken aufgefallen war. Irgendwie hatten Vera und ihre Tochter eine urbane Aura. Das lag auch an der Kleidung. Vera hatte ihre dunklen Haare zu einem schlampigen Dutt hochgesteckt und trug derbe Boots zu einem schlichten grauen, asymmetrisch geschnittenen Kleid. Vera musste bemerkt haben, dass Eva sie angestarrt hatte, denn sie blickte fragend zurück und hob das Kinn. Eva errötete.

»Du bist die Mutter von Carla, oder?« Vera lächelte breit.

Sie musste wirklich aus der Stadt sein, so leicht wie ihr das Du über die Lippen kam. Die anderen Mütter hatten Eva bisher immer gesiezt.

»Ja, wir sind erst vor einem halben Jahr nach Buchschachen gezogen. Ich dachte, ›Dance Together‹ könnte Carla Spaß machen.«

»Jede Freizeitbeschäftigung, bei der mein Kind nicht auf seinem Bett liegt und am Handy herumwischt, ist ein Gewinn«, sagte Vera.

Eva schmunzelte, dann überkam sie wieder die gewohnte Schüchternheit. Sie war nicht sonderlich gut in Small Talk. Das war Pauls Part. Vera hatte ihr in drei Minuten ihre halbe Lebensgeschichte und den Grund für ihre Heimkehr nach Sankt Martin in der Wart erzählt. Eva fiel es wesentlich schwerer, sich zu öffnen. In ihrer Unsicherheit starrte sie auf eine Pinnwand schräg vis-à-vis, auf der diverse Zettel und Prospekte hingen. Feng Shui, eine Aufforderung zum Mülltrennen, die Ankündigung eines Schulkonzertes. Ein Zettel mit einem grünen Daumenabdruck.

Vera folgte ihrem Blick.

»Oh, schau mal, da ist ein Aushang von einem Gartenstammtisch. Das wär was für mich. Wenn ich nicht bald die Schnecken in den Griff bekomme, zuck ich aus. Die Viecher haben mir das ganze Gemüsebeet leergefressen. Habt ihr in Buchschachen auch einen Garten?«

Eva nickte. Sie liebte alles, was wuchs und gedieh. Bei diesem Thema fühlte sie sich sicher. »Ja, aber weniger Gemüse, mehr Stauden und alte Rosen. Das meiste habe ich aus dem Nordburgenland hierher verpflanzt, aber der Garten hier ist riesig, es gibt noch so viele Lücken, ich bin noch lange nicht fertig.«

»Na dann«, sagte Vera und fotografierte den Flyer mit dem Handy, um die Kontaktdaten zu speichern. »Vielleicht sieht man sich dort.«

»Vielleicht«, sagte Eva.

Der Tanzunterricht war zu Ende. Die Tür zum Turnsaal ging auf. Dutzende Kinder stürmten zu ihren Eltern. Vera winkte Eva noch einmal zu und verschwand mit Letta im Schlepptau.

Eva blieb nachdenklich vor dem Flyer stehen. »Worauf warten wir noch«, fragte Carla.

»Ich mach noch schnell ein Foto von dem Aushang da«, sagte Eva. »Aber dann müssen wir uns tummeln, sonst wird der Papa grantig.«

Der Papa war tatsächlich grantig. »Wo warst du bitte die ganze Zeit«, herrschte er Eva an. »Ich hab dir doch gesagt, das heute Abend ist wichtig, und du fährst den ganzen Nachmittag in der Gegend spazieren.«

»Ich bin nicht spazieren gefahren, ich habe Carla von der Tanzstunde abgeholt«, verteidigte sich Eva.

Aber es war sinnlos, Paul hatte sich schon in Rage geredet: »Die kommen in zwei Stunden, das ganze Haus fäult nach Zwiebeln, nix is fertig, und du siehst erbärmlich aus. Wir müssen heute repräsentieren, geht das in deinen Schädel nicht rein? Das heute ist wichtig! Wenn ich dann einmal was von dir erledigt haben möchte, kriegst du es nicht auf die Reihe. Also bitte, komm endlich in die Gänge. Tua weiter.«

Eva seufzte tief. Als ob sie nicht wüsste, was sie zu tun hätte. Dann tat sie, was zu tun war.

Es war schon der dritte Repräsentationsabend für zukünftige Kunden und Kontakte in dieser Woche. Paul hielt Hof. Anders konnte man das, was er hier abzog, nicht beschreiben. Er gab sich vor Besuch wie ein König, der sein Reich präsentierte.

Die Hausführung war immer der erste Akt bei Pauls Abendeinladungen. Er ließ die Leute sogar ins Schlafzimmer blicken. Eva hasste die Blicke der männlichen Gäste, die dann zwischen dem luxuriösen Boxspringbett und ihr hin und her schweiften. Sie konnte deren Gedanken lesen. »Hier nagelt er also seine Frau. Sieht eh hübsch aus, die Puppe. Aber wenn man so reich ist wie der Achleitner, dann stehen die Weiber halt auf einen.«

Als ob sie Paul wegen seines Geldes geheiratet hätte. Als sie ihn kennenlernte, hatte er noch gar keines. Es war Evas Vater, der Paul damals bei der Hochzeit das Geld für die Gründung der Firma gegeben hatte. Evas Vater war ein Pa­triarch. Die Mitgift war der letzte Akt seiner Versorgungs- und Unterhaltspflicht für Eva gewesen. Und der ehrgeizige Paul hatte die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt. Er hatte mit dieser Starthilfe ein florierendes Bauunternehmen geschaffen. Dass er sein Architekturstudium nie abgeschlossen hatte, war allerdings seine Achillesferse. Vor allem, weil Eva sehr wohl ihren Abschluss auf der Universität für Bodenkultur gemacht hatte. Wofür eigentlich, fragte sich Eva. Sie hatte keinen Tag in ihrem Beruf als Landschaftsarchitektin gearbeitet. Ihr Job war es, den Haushalt zu führen und Paul in all seinem Tun zu unterstützen. Dann hatte sie nach mehreren Fehlgeburten Carla bekommen, und jetzt war es ohnehin zu spät für eine Karriere. Sie wusste, dass sie in ihrer Rolle der verzweifelten Hausfrau ein wandelndes Klischee war, und trotz ihres brillanten Intellekts betrübte sie diese Erkenntnis noch mehr als die Tatsache selbst.

Die Türglocke riss sie jäh aus ihren Grübeleien. Der Chef der »Pannonia Bau« und seine Frau waren eingetroffen. »Immer herein in meine bescheidene Hütte«, tönte Paul. Das mit dem »bescheiden« war pure Komplimenthascherei. Denn natürlich fühlte sich der Besuch dadurch genötigt, einen Lobgesang auf das Raumschiff und dessen Kommandanten anzustimmen. Paul sonnte sich in dem Lob. »Seht her, wer ich bin! Seht her, was ich erreicht habe!« Und dann immer die subtile Message: »Als meine Verbündeten könnt ihr Teil dieses Glanzes sein.«

Eva wusste genau, wie es nun weiterging. Nach der obligatorischen Hausführung würde Paul den Champagner aufreißen, und aus Herrn Direktor Zieserl und Gattin würden Harald und Sylvia werden.

Bis zum Plopp des Champagnerkorkens hatte sie Zeit, um die Vorspeisen vorzubereiten.

Sie bestrich kleine Blunzenpogatscherl mit Leberaufstrich von der südburgenländischen Weidegans und träufelte etwas Uhudlergelee darüber. Das Walderdbeeraroma der Uhudlertrauben passte gut zum erdig-würzigen Leberaufstrich aus der Region. Paul mochte fleischbetonte Küche mit dem gewissen Extra. Veganismus hielt er für eine Krankheit.

Eva servierte die Vorspeise gerade rechtzeitig zum Anstoßen und zum Bruderschaftskuss. Die Lippen des Herrn Direktor waren weich und fleischig auf ihren Wangen. Sylvia verteilte nur spitzlippige Luftküsse.

Sie reichte die Platte mit den Pogatscherln herum. Harald Zieserl griff begeistert zu und lobte den Geschmack dieses »innovativen Schmankerls«. Eva musste innerlich lachen: Hatte er gerade wirklich »Schmankerl« gesagt? Gab es tatsächlich Menschen, die dieses Unwort des Gastromarketings in den Mund nahmen?

Der Bauch des »Pannonia Bau«-Direktors wölbte sich über seiner Anzughose, er hatte ein freundliches Gesicht mit Hamsterbacken und einem leichten Doppelkinn, und seine Augen blitzten jovial. Er sah aus wie einer, der sich gerne anfüttern ließ. Wahrscheinlich hatte er sich sein Übergewicht auf Dutzenden Besprechungen, Veranstaltungen und politischen Events angefressen.

Seine Frau Sylvia war deutlich jünger, und alles an ihr wirkte hart. Ihr gestählter Body, der in Stretchhose und hochhackigen Boots steckte, ihre Fake-Brüste, die unter dem engen Top fast waagrecht von ihr wegstanden, der Zug um ihren Mund. Ihre grauen Augen hatte sie mit viel schwarzem Kajal umrandet. Auch ihre Haare waren pechschwarz gefärbt. Eva hätte wetten können, dass die Frau auch irgendwo ein schwarzes Tattoo aus ihrer wilden Zeit hatte, bevor sie die Frau Baudirektor wurde, vielleicht sogar ein Arschgeweih. Altersmäßig könnte das hinkommen. Eventuell würde Paul dieses Geheimnis lüften. Den interessierten Blick, mit dem er Sylvia aus dem Augenwinkel taxierte, kannte Eva nur zu gut. Aber Paul war viel zu schlau, um sein Interesse offen zu zeigen. Das konnte warten. Seine heutige Priorität war nicht, die Frau anzubraten, sondern den Mann einzukochen. Und das tat er gerade nach allen Regeln der Kunst.

Paul war ein blendender Unterhalter. Er hatte ein Feuerwerk an witzigen Geschichten parat. Eva kannte die meisten dieser Anekdoten schon und lächelte daher nur, wie jemand halt lächelt, der einen Witz zum 100. Mal hört, aber die Zieserls hingen gebannt an seinen Lippen. Außerdem verstand es Paul ausgezeichnet, anderen Leuten das Gefühl zu geben, sie wären etwas Besonderes. Er hatte sich gut auf den Abend vorbereitet, den bisherigen Lebenslauf des »Pannonia Bau«-Direktors recherchiert und streute ihm jetzt gekonnt Rosen. »Also das Wohnprojekt Pinkatal. Damit ist dir schon ein Coup gelungen, mein lieber Freund. Das hat Style. Das hätte die Zaha Hadid8 auch nicht besser hinbekommen.« Dem Direktor schwoll die Brust vor Stolz.

Und schon lenkte Paul das Gespräch geschickt auf das Thema, auf das er schon den ganzen Abend hinsteuerte. »Ehrlich gesagt erinnern mich die Wohnungen im Pinkatal ein bisschen an mein letztes Werk. Ihr wisst schon, das ›Inselparadies‹ am Neusiedlersee. So etwas können wir auch hier schaffen. Mit einem attraktiven Wohnprojekt wie diesem bringen wir die Menschen in unsere Region, stärken die südburgenländische Wirtschaft und schaffen zusätzliche Arbeitsplätze.«

Paul hätte echt in die Politik gehen können. Er sagte bereits »unsere Region«, obwohl er gerade mal ein paar Monate hier lebt, überlegte Eva. Aber dem »Pannonia Bau«-Typen schien das runterzugehen wie Öl. »Ich bin in meiner Funktion natürlich ein großer Freund der Regionalentwicklung«, sagte er und biss begeistert in das fünfte Blunzenpogatscherl.

»Unser Gast hat Hunger, was macht die Hauptspeise?« Das »Tua weiter«, sparte er sich in Gegenwart der Gäste. Aber Eva hörte es, auch wenn es unausgesprochen blieb.

»Kommt sofort!«, sagte sie mit einem strahlenden Fake-Lächeln und verzog sich in die Küche.

Sie selbst hatte null Appetit. Sie hatte schon mit Carla eine Kleinigkeit gegessen, die nach dem Tanzen ausgehungert gewesen war und nun vermutlich in ihrem Zimmer lag und Serien schaute. Eva hätte sich gerne zu ihr ins Bett gelegt und ihr dabei Gesellschaft geleistet.

Dabei roch die Daube köstlich. Das Fleisch war butterweich, die Soße sämig. Ein Duft von Thymian, Rosmarin, Lorbeer und Wacholder erfüllte die Küche, als sie kurz den Deckel lüftete. Die angebrochene Flasche Kochwein stand noch neben der Abwasch. Eva genehmigte sich einen kräftigen Schluck. Anders würde sie diesen Abend nicht durchstehen. Als Beilage hatte sie weiße Polenta und Bittersalate mit Apfel-Wacholder-Vinaigrette gemacht. Die Gäste würden zufrieden sein.

Sie trug das Essen auf. Der Champagner war schon leer. Paul öffnete gerade eine Flasche Desiderius 2013. Die Gäste mussten ihm wirklich wichtig sein, wenn er mit dermaßen großen Geschützen auffuhr.

»Ah, der Wein vom Szemes. Ich dachte, der Jahrgang ist längst ausverkauft«, sagte Harald Zieserl anerkennend.

»Nicht, wenn man die richtigen Leute kennt«, grinste Paul verschwörerisch. »In unserem Geschäft sind gute Beziehungen doch alles.« Er zwinkerte dem »Pannonia Bau«-Chef zu. »Soll ich dir eine Kiste besorgen?«

Eva kaute betont langsam an einem Bittersalatblatt. Sie kam sich an solchen Abenden immer öfters vor wie die Zuschauerin in einem bizarren Theaterstück. Nicht nur Paul und Harald, auch Sylvia Zieserl ließ sich ordentlich auftischen. Diese Sylvia isst viel zu viel für ihre Figur, dachte Eva. Entweder sie macht Intervallfasten, oder sie ist Bulimikerin. Bitte, lieber Gott, lass sie nicht in mein Klo speiben.

»Würmchen, träumst du schon wieder, der Herr Direktor sitzt auf dem Trockenen, schenk ihm doch nach.« Eva hasste es, wenn Paul sie Würmchen nannte. Ein Spitzname, den er ihr wegen ihrer Gartenleidenschaft gegeben hatte. Sie war Landschaftsarchitektin und kein Kompostwurm. Aber das jetzt auszudiskutieren, wäre sinnlos gewesen.

Sylvia Zieserl grinste belustigt. »Würmchen? Wie originell.« Und dann nach einer kleinen Pause: »Darf ich hier rauchen?«

Nein, dachte Eva, sie hatte keine Lust, dass das Raumschiff danach wie ein Aschenbecher stinken würde.

»Natürlich«, sagte Paul, griff zum Feuerzeug, das neben dem Kamin lag, und gab Sylvia lässig Feuer. Eva sah, dass er dabei mit dem kleinen Finger ihre Hand streifte. Sylvia zog überrascht die Augenbraue hoch, wirkte aber eher geschmeichelt als brüskiert. Harald Zieserl kriegte davon nichts mit.

Paul war bereits beim Hauptakt seiner Aufführung angelangt. »Wir sollten hier im Süden wirklich über so ein Projekt wie das ›Inselparadies‹ nachdenken. Die Lafnitzer Auen wären ideal dafür. Wohnen in und mit der Natur. Attraktive Wochenendhäuser für die urbanen Bobos, die mehr Geld als Verstand haben und sich nach Entschleunigung sehnen.«

Harald Zieserl nickte interessiert. »Was ist ein Bobo?«, fragte Sylvia gelangweilt.

»Na, so ein bürgerlicher Pseudoidealist, der wegen der Klimakrise nicht mehr nach Mauritius fliegt und dem es in seinem Wochenendhaus im Waldviertel zu kalt ist. Hier im Südburgenland ist das Wetter fast so schön wie in der Toskana. Der Bobo kann hier am Wochenende seinen Traum vom Landleben zelebrieren und ist dank der guten Autobahnanbindung am Montag trotzdem pünktlich in seinem Büro in der Stadt«, klärte Paul auf. »Habt ihr noch nie von Bobos gehört? Bourgeoiser Bohémien. Der siebente und der achte Bezirk in Wien und das Lendviertel in Graz sind voll von solchen Leuten.«

Die Zieserls lauschten gespannt. »Das Ganze muss natürlich eine finanzielle Win-win-Situation für uns sein«, sagte Paul und rieb den Daumen der rechten Hand gegen den Mittelfinger. »Die Bürgermeister müssen halt mitspielen, wegen der Umwidmung, aber im Nordburgenland war das auch kein Pro­blem. Da wäscht eine Hand die andere. Da kennst du sicher die richtigen Leute. Win-win, sage ich nur. Wir müssen halt schauen, dass die Grünen nicht zu schnell Wind von der Sache kriegen. Die wehren sich ja gegen jede Bautätigkeit und verstehen einfach nicht, dass eine attraktive Wohnanlage mit einladenden Grün- und Kommunikationsflächen auch dem Schutz von Grund und Boden dient.«

»Ich hab eh gute politische Beziehungen, auch in der Bundesregierung«, sagte Harald Zieserl stolz.

»Was stinkt denn da so grauenhaft?«, fragte Sylvia und rümpfte angewidert die Nase.

Eva stürzte in die Küche. Auf der linken Herdplatte stand die Plastiktortenform mit der Mohntorte, die sie am Nachmittag gebacken hatte. Die Herdplatte war an, das Plastik war geschmolzen und stank entsetzlich.

Eva versuchte, die Form wegzuziehen, aber sie klebte an der Platte fest. Ihr Versuch, den Herd auszuschalten, war ebenfalls ergebnislos. Das Ding piepste nur wie verrückt.

Paul war ihr gefolgt. Sie bemerkte seine steile Zornesfalte. Er hasste solche Ungeschicklichkeiten, weil sie seine perfekte Performance störten. »Was hast du da wieder angestellt«, zischte er sie an, »eine Plastikschüssel auf einen aufgedrehten Herd stellen. Wie blöd kann man sein?«

»Ich schwöre, der Herd war nicht an!«, sagte Eva. »Ich war seit einer halben Stunde nicht mehr in der Küche. Der muss von allein angegangen sein.«

»Jaja, von allein«, höhnte Paul. »Das war vermutlich der Heilige Geist. Mach das weg und dann lass dir was einfallen wegen dem Dessert. Ist noch Eis eingefroren? Dann nimm das. Und servier ja nicht den Kastanienreis, den die Putzfrau ständig aus Ungarn daherzaht, der besteht nur aus Bohnen und Zucker. Ich mach inzwischen einen Eiswein auf.«

Er rannte wieder zurück zu den Gästen. Eva hatte er finster angestarrt, aber sobald er in Sichtweite der Zieserls war, knipste er wieder sein Siegerlächeln an.

»Kleines Problem mit dem Herd.«

Eva hatte es inzwischen geschafft, den Herd abzudrehen. Sie kratzte mit dem Ceranfeldschaber das weiche rauchende Plastik von der Platte. Sie hatte den Dunstabzug auf Höchstleistung aufgedreht und eine Duftkerze angezündet, aber es stank immer noch fürchterlich. Schnell richtete sie in kleinen Schälchen Eis an. Sie konnte sich noch immer nicht erklären, warum der Herd angegangen war. Sie wusste zu 100 Prozent, dass sie diese Platte den ganzen Abend lang nicht bedient hatte. Vielleicht wurde sie auch verrückt. Paul warf ihr ständig vor, dass sie ein Traummännlein war, das Geister sah und ein Fall für den Psychologen war.

Eva griff zum Tablett, stellte die Eisschälchen, Waffeln und eine Schüssel Schlagobers darauf und ging damit zurück zu Paul und seinen Gästen. Wenigstens würde er sie nicht weiter sekkieren, solange die beiden da waren. Dass sie sich nachher etwas anhören würde können, war sicher.

Die wahre Schuldige kam freilich nicht nur ungestraft davon, sie wiederholte sogar ihre Missetat: Die fette Fliege kreiste summend um den Herd und ließ sich dann zum zweiten Mal an diesem Abend gemütlich auf dem Pluszeichen des Displays nieder, an dem kaum sichtbar ein Tropfen Uhudlergelee klebte.

6 Dann ist ihm auch noch die Frau abhandengekommen

7 War das die Wienerin, der du immer die Eier hinaufbringst«, fragte die eine und fügte ein bisschen süffisant hinzu: »Warum tust du das, bei so einem Wagen kann sie sich auch Eier kaufen?« »Ja, weil ich neugierig bin«, sagte die andere. »Außerdem ist das keine Wienerin, sondern eine aus dem Nordburgenland.« »Jesus«, sagte die erste. »Nordburgenländer sind das … Geh, hör mir auf. Da ist mir ja ein Dunkelhäutiger noch lieber.«

8 Zaha Hadid war eine bekannte irakisch-britische Architektin.

Zuagroast

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