Читать книгу Psychotherapie - wozu und wie? - Mary Michael - Страница 10
Probleme mit der jeweiligen Identität
ОглавлениеAllerdings kann man mit der psychischen Flexibilitätsanforderung auch gehörig ins Schleudern geraten. Das passiert immer dann, wenn man noch in einem Ich feststeckt, während aufgrund veränderter äußerer und innerer Umstände bereits ein anderes Ich gefordert wäre. In solchen Fällen verfestigter Identität stellt man alsbald fest, ein Problem zu bekommen. Dazu ein kleines Beispiel.
Herr Konrad hat in seiner Ursprungsfamilie gelernt, eine ‚Ich stehe im Mittelpunkt-Mentalität’ zu entwickeln, er zeigt sich als ‚Ichbezogener’. Das stellt lange Zeit kein Problem dar, er findet sogar einen Ehepartner, der sich auf diese Dominanz einstellt. Auch an der Universität kommt er als ‚Ichbezogener’ weiter als andere, er macht den Doktor mit Auszeichnung. Dann landet er in einem Forschungsinstitut, wo er im Team forschender Wissenschaftler arbeiten muss. Jetzt fangen die Probleme mit dem mitgebrachten Mantel an. Die Kollegen reagieren nämlich mit Widerstand und Ablehnung auf den ‚Ichbezogenen’, aber Herr Konrad will und kann nicht aus seiner Haut raus. Nach zwei Jahren ist der Mann ausgegrenzt, keiner will mit ihm zusammenarbeiten, seine wissenschaftlichen Projekte bleiben im Sand stecken, er steht nervlich am Abgrund.
Der Mann hat psychische Probleme, weil er in unterschiedlichen Umständen ‚derselbe’ ist, statt ein ‚anderer’ zu sein. Vielleicht ist es ihm problemfrei möglich, zu Hause weiterhin der 'Ichbezogene' zu sein, in der Arbeit aber beißt er auf Granit. Wer sollte und könnte ihm bei dem nötigen Identitätswechsel helfen? Das könnten Psychotherapeuten tun. Sie sind Spezialisten für komplexe und undurchsichtige psychische Vorgänge, und daher fände der ichbezogene Wissenschaftler hier am ehesten Hilfe.