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Widersprüchliche Anweisungen
ОглавлениеNun mag sich in der Psyche zwar etwas Ungewohntes abspielen, aber warum ist das so problematisch? Warum wirkt es störend, unerträglich und belastend? Wie können dadurch schwere Lebenskrisen entstehen? Wieso kann ein Leben unter Umständen derart beeinträchtigt werden, dass es aus den Fugen gerät? Betrachten wir zur Beantwortung dieser Fragen den Konflikt der Frau noch etwas näher unter dem Aspekt der zwei 'Personen' beziehungsweise der zwei Identitäten.
Als 'Starke' fordert die Frau sich auf: „Reiß dich zusammen, geh deiner Arbeit nach, bring deine Angelegenheiten in Ordnung und dann such dir einen neuen Mann! Das Leben geht weiter.“ Als 'Emotionale' fordert sie sich hingegen auf: „Verkrieche dich in der Wohnung und verfluche das Leben dafür, dass es dir die größte Liebe genommen hat. Lass dich gehen, weine, schreie, trauere!“
Die Frau erhält somit zwei widersprüchliche Anweisungen darüber, was sie zu fühlen und was sie zu tun hat. Diese Anweisungen kommen nicht von außen, sondern von ihr selbst, von den jeweiligen Identitäten. Allerdings ist es unmöglich, beiden Anweisungen zu folgen. Entweder sie reißt sich zusammen oder sie lässt sich gehen. Beides geht nicht. Da die Anweisungen der Starken ihr jedoch vertrauter sind, weil sie sich ein Leben lang als stark erlebt hat, versucht sie verständlicher Weise, diesen zu folgen. Dem Bedürfnis, das Leben, Gott und die Welt für die schreiende Ungerechtigkeit zu verfluchen, zu hassen und zu schreien und hemmungslos zu trauern, folgt sie nicht. Diese Emotionen lösen sich nicht auf, sie stören weiterhin und deshalb bleibt ihr das Problem erhalten.
Der Dreh und Angelpunkt eines jeden psychischen Problems liegt darin, dass die am Problem beteiligten Identitäten nicht miteinander vereinbar sind. Sie fordern ein unterschiedliches Denken, Fühlen und Handeln, und diese Gegensätzlichkeit ruft die psychische Störung hervor.
An gegensätzlichen Anweisungen kann man im Extremfall irre werden. Man kann nicht gleichzeitig stark und schwach sein. Oder emotional und rational. Man kann nicht gleichzeitig Schmerz erleben und darüber hinweg sein. Man kann nicht traurig sein und die Sache verarbeitet haben. Man kann zur Zeit nur eines sein. Man muss sozusagen Partei ergreifen, um sich überhaupt irgendwie verhalten zu können; und man ergreift zumeist Partei für die gewohnte, vertraute Identität und nicht für die ungewohnte, störende Identität.
Ein psychisches Problem lässt sich daher auch als spannungsreiches Erleben beschreiben, das durch den Angriff auf eine vertraute Identität und den gleichzeitigen Versuch, diese zu erhalten, entsteht. Dieser Angriff wird aus dem Bereich des Nicht-Ich heraus geführt, aus dem Bereich derjenigen Erlebens- und Verhaltensmöglichkeiten, mit denen man bisher nicht konfrontiert war, mit denen man bisher nicht identifiziert war und von denen man nicht weiß, ob und wie man ihnen folgen soll. Weil man vom Nicht-Ich Anweisungen erhält, von denen man nicht weiß, wohin sie führen oder von denen man zu wissen glaubt, dass sie ins Chaos führen, sträubt man sich gegen sie.
Würde man dem Nicht-Ich folgen fürchtet man, seine bisherige, gewohnte und vertraute Identität verlieren. Seine Identität zu verlieren oder nur von einem Identitätsverlust bedroht zu sein gleicht jedoch einem psychisches Fiasko. Diesen vermeintlichen Untergang gilt es zu verhindern, man hält an der gewohnten Selbstbeschreibung (Identität) fest und dadurch wird der Konflikt zementiert.
Es dreht sich bei psychischen Konflikten demnach fast alles um das Thema Identität.