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Individuelle Identitäten - wer man heute ist

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Machen wir einen Sprung in heutige, moderne Verhältnisse, in denen sich fast alles verändert hat. Heute sind die Stände abgeschafft, die sozialen Lebensbereiche liegen horizontal nebeneinander und sind durchlässig. Zudem scheint ihre Anzahl schier unbegrenzt zu sein.

Lassen Sie mich einige dieser sozialen Bereiche aufzählen. Da wäre beispielsweise der Arbeitsbereich, der Finanzbereich, der Erziehungsbereich, der Liebesbereich, der militärisch Bereich, der sexuelle Bereich, der politische Bereich, der kirchliche Bereich, der Forschungsbereich, der Justizbereich, der Freizeitbereich, der wissenschaftliche Bereich, der Schulbereich, der Wirtschaftsbereich, der Universitätsbereich, der Freundschaftsbereich, der Kindergartenbereich, der Versicherungsbereich, der kriminelle Bereich, der Börsenbereich, der Pflegebereich, der Gesundheitsbereich, der Rentenbereich … um nur die wichtigsten zu nennen. Damit aber nicht genug. Jeder dieser Bereiche ist nochmals in unzählige Unterbereiche gegliedert. Der Bankenbereich etwa in einen Kreditbereich, einen Aktienbereich, einen Investitionsbereich, einen Anleihenbereich, einen Sparbereich, einen Obligationsbereich, einen Immobilienbereich, einen Lobbybereich und so weiter und so fort. Eine vergleichbare Aufsplitterung gilt für alle anderen Bereiche.

Versucht man sich ein Bild dieser überaus komplexen modernen Gesellschaft zu machen, dann setzt sich diese aus zahllosen Fragmenten zusammen. Man kann sich einen Planeten vorstellen, dessen Oberfläche von einem riesigen Puzzle aus unzähligen Teilen gebildet wird. Das Puzzle Gesellschaft besteht allerdings nicht aus kleinen Pappkarten, nicht aus totem Material, vielmehr lebt es. Ständig ist ein Bereich im Umbruch, er gliedert weitere Unterbereiche aus oder es entstehen neue Bereiche.

Diese Beweglichkeit und enorme Komplexität haben zur Folge, dass die moderne Gesellschaft unüberschaubar ist.

Niemand kann sie als Ganzes im Blick haben. Schaut man nach Norden, verändert sich schon der Süden, Osten und Westen. Beschreibt man dann, was sich im Westen verändert, ist der Norden schon nicht mehr der Gleiche. Wo man auch hinschaut, nichts lässt sich festschreiben. Was hat diese Entwicklung zu einer nie da gewesenen gesellschaftlichen Komplexität mit dem Thema Psychotherapie und dem Individuum zu tun? Sehr viel.

Der Einzelne ist heute gezwungen, sich in unterschiedlichsten Bereichen zu bewegen, wenn er an der Gesellschaft teilhaben will. Ein Individuum muss sich im Wirtschafts-, im Finanz-, im Gesundheits-, im Religions-, im Arbeits- im Liebesbereich etc. und in den dazu gehörigen unzähligen Unterbereichen zurechtfinden und verhalten können.

Heute reicht ein einziges ‚Ich’ nicht mehr aus.

Der moderne Mensch hat dazu viele unterschiedliche Identitäten - unterschiedliche Ich - kultiviert, zwischen denen er in seinem Lebensalltag ständig wechselt. Er verfügt über nichts Festes mehr, zu dem er verlässlich 'Ich' sagen könnte. Würde er versuchen, sich in der komplexen Gesellschaft auf ein einziges Ich festzulegen, bekäme er alsbald Probleme.

Machen wir den Versuch. Wie weit kommt man ‚als Bauer’ oder ‚als Feudaler’ im Bankenbereich? Keinen Schritt weit, denn dort interessiert nur Geldt. Dort ist man Käufer oder Verkäufer, sonst nichts. Wie weit kommt man ‚als Bürger’ oder ‚als Feudaler’ im Universitätsbereich? Bis zur Pforte, denn dort sind nicht Herkunft, sondern wissenschaftliche Titel und Leistungen gefragt. Kann man ‚als Handwerker’ oder ‚als Feudale’ einen Partner lieben? Natürlich nicht, heute ist man schlicht ein Liebender, der auf die innerlichen Vorgänge des Partners mit Zuwendung reagieren muss.

Psychotherapie - wozu und wie?

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