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ADHS
ОглавлениеVergleichbares geschieht. Die psychotherapeutische Diagnose bezüglich hyperaktiver Symptomatik lautet keinesfalls: „Es handelt sich um Kinder, die keine angemessene Möglichkeit haben, emotionale Spannungen und Aufregungen in körperliche Bewegung umzusetzen"; und der Behandlungsvorschlag lautet nicht: „Schafft großflächig gefahrenfreie Bewegungsmöglichkeiten und seelische Freiräume für Kinder“. Nein, die Diagnosen lautet ‘Hyperaktivität’ und die Behandlung geschieht vorwiegend durch das Medikament Retalin.
Aus soziologischer Sicht kann man das Phänomen ADHS anders beschreiben. Dann werden Kinder massenhaft auffällig um der Gesellschaft zu zeigen, dass ihnen nicht nur der körperliche Bewegungsspielraum, sondern auch wichtige Elemente der Kindheit genommen werden. Dass sie teils schon im Vorschulalter mit Terminkalender leben, dass sie körperlich eingeschränkt, psychisch überfordert und seelisch vereinsamt werden. Dass sie durch den Zerfall der Familien meist ihren gestressten Eltern ausgesetzt sind und keinen Kontakt zu entspannten Großeltern haben. Etc.
Hat die staatlich regulierte Psychotherapie auf diese gesellschaftlichen Entwicklungen hingewiesen und es abgelehnt, diese Kinder zu pathologisieren? Nein, sie hat sich beflissen am Versuch der Wegbehandlung des Phänomens beteiligt. So gesehen besteht geradezu ein gesellschaftlicher Bedarf an dem Phänomen Hyperaktivität. Wenn erst einmal 50% aller Kinder solche Symptome zeigen, wenn sie nicht mehr still dasitzen und sich den Kopf mit teils sinnlosem Wissen vollstopfen, dann wird das Phänomen genügend stören, um andere und bessere Lösungen dafür zu finden. Psychotherapeutische werden es nicht sein und pharmakologische auf Dauer auch nicht.