Читать книгу Das Kamjuna - Maryam Munk - Страница 12
Kapitel 10
Оглавление"Scharaaaach!", tönte die Stimme des Hexenmeisters durch das kahle Gewölbe.
Der Meister war ungeduldig, aber das störte Scharach nicht. Zarder brauchte ihn. Nur durch ihn, den großen Scharach, konnte Zarder die Orks beherrschen. Betont langsam durchschritt Scharach den von Fackeln erhellten Gang. Der Feuerschein ließ seinen bronzenen Brustharnisch schimmern. Dem Nordorkhauptmann gefiel diese Pracht zwar, doch er fühlte sich von dem Harnisch eingeengt. Im Kampf würde er ihn nicht tragen, aber um vor dem Meister zu glänzen, zwängte er sich gerne in das Metall. Als Scharach sich der Tür näherte, beschleunigte er seine Schritte. Er trat kraftvoll aus, ließ die Stiefel auf den Steinboden knallen, dass jeder Tritt durch den Gang hallte. Er genoss es, die Steingnome aufzuschrecken, die schläfrig auf ihren Schemeln hockten. Die Gnome sprangen hoch und schlossen die Türflügel hinter Scharach.
Die Halle wurde mit Licht aus Öllampen erhellt, die in Nischen und auf Steinsockeln standen. Zarder saß auf einem schweren Holzsessel, der mit Fellen gepolstert war. Außer einigen Truhen und Tischen, befand sich kein Mobiliar in der Halle. Zarder trug ein Gewand von der Farbe dunklen Blutes. Seine Füße steckten in Pantoffeln aus Ziegenleder. Er nahm einen knöchernen Kelch entgegen, den ihm eine Bergtrollfrau reichte.
"Scharach, mein Freund und Kriegerfürst!", grüßte der Hexenmeister. "Nimm einen Trunk mit mir, und lass uns die Knochen brechen!"
Scharach gab nichts auf die Freundlichkeit des Magiers, doch einem Trunk war er nicht abgeneigt. Schweigend warteten er und der Hexenmeister, bis die Trollfrau einen weiteren Kelch aus zwei Krügen gefüllt und dem Ork gereicht hatte. Während Scharach das Gemisch aus Wein und dem Blut eines Gefolterten entgegennahm, schaute er auf die Trollfrau, die ihn, der mit fast sieben Fuß ungewöhnlich groß für einen Ork war, noch überragte. Ihre Augen waren gelb wie ihre Zähne, die sie zu einem anzüglichen Grinsen bleckte. Der füllige Körper der Trollfrau war nackt. Ihre fahle Haut wirkte ebenso reizvoll auf den Ork, wie ihre schweren Brüste. Der Kopf, die Schultern und die Oberarme waren mit grauem Fell bewachsen. Auch der Unterleib und die Innenseiten der Schenkel waren mit Fell bedeckt. Ihre Pranken sahen mehr aus wie Menschenhände, hatten aber Krallen, die rot gefärbt waren. Doch nicht nur wegen ihres exotischen Aussehens wirkte die Trollfrau ungemein reizvoll auf Scharach. Sie besaß auch eine derbe Anmut, die der Ork schätzte.
"Scharach!", mahnte die Stimme des Hexenmeisters.
Der Ork erwachte aus der Versunkenheit. In einer Ecke der Halle ließ die Trollfrau sich mit gespreizten Beinen auf einem Polster aus Ziegenfellen nieder.
Zarder hielt seinen Kelch auffordernd empor. "Auf die Großen dieser Welt, die ihre Feinde vernichten!"
"Auf die Großen!" Scharach trank Wein und Blut, dann zersplitterte er den Kelch in der Pranke.
Auch die dünne Hand des Hexenmeisters zerbrach den Knochenkelch. "Nachdem wir auf uns getrunken haben, sollten wir auch jenen gedenken, denen wir unsere Größe zu verdanken haben", schlug er vor.
"Sie liegen zu hunderten auf dem Berg", bemerkte Scharach vorwurfsvoll. "Menschen und Orks!"
Der hagere Leib des Magiers zuckte unter Lachen. Seine Finger strichen durch den dünnen Bart, der sein spitzes Kinn schmückte. Er ließ den Kopf des Hexenmeisters dem einer Ziegen ähneln. Scharach glaubte zu verstehen, was die Trollfrau an Zarder fand. Sah man von seiner Hagerkeit und dem dünnen Menschenhaar ab, hätte der Magier mit seiner bleichen Haut und den fast farblosen Augen selbst ein Troll sein können, wenn auch von einer unterentwickelten Art. Der Hexenmeister hörte auf zu lachen. Die Trollfrau verschlang schmatzend einen Klumpen Fleisch.
"Was bedeutet schon ein Haufen toter Orks", bemerkte Zarder gleichgültig. "Es gibt genug von ihnen. Ihr vermehrt euch, wie die Schaben in meinen Kellern." Der Magier nahm einen lauernden Ausdruck an. "Oder bedauerst du sie etwa, Scharach?"
"Natürlich nicht!", entgegnete der Ork entschieden. "Aber du solltest meine Krieger nicht leichtfertig verbrauchen. Zwar zeugen wir viele unserer Art, doch bis die Knaben zu Kriegern werden, die zu kämpfen verstehen, dauert es Jahre, und ein Krieger findet in Augenblicken den Tod. So lichten sich die Reihen der Kämpfer schneller, als sie gefüllt werden können."
Der Magier vollzog eine hilflose Geste. "Scharach, Freund, wie können Drachen unterscheiden? Sie fauchen ihren feurigen Atem über alles, was unter ihnen kriecht, selbst wenn ich und du es wären. Lass uns nicht weiter darüber reden. Du weißt, einer meiner Drachen fand den Tod." Zarder streckte einen Finger in die Luft. "Zack, einfach abgeschossen!" Er lehnte sich zurück, legte die Hände in den Schoß. "Sehr traurig. Und mein Gnom erst. Gewiss weinte der Kleine, als er mit dem Drachen stürzte und sich das Genick brach. Ich bin entsetzt."
Scharach fühlte sich gelangweilt. Der Verlust von Drachen berührte Zarder ebenso wenig, wie der Tod von Orks oder Gnomen. Scharach war davon überzeugt, dass selbst der Tod der Trollfrau dem Magier gleichgültig wäre. Zwar beeindruckte das den Ork, aber Zarder war umständlich. Er sprach viele Worte, bevor er zur Sache kam.
Die Trollfrau stand auf. Sie drehte sich um und beugte sich nieder. Glättend zog sie die Krallen durch die Felle, worauf sie gesessen hatte. Beim Anblick des gewaltigen Hinterteils spürte Scharach das Blut in sich wallen. Er war froh, den unbequemen Panzer zu tragen, der seinen Rumpf bis über die Lenden bedeckte. Der Ork riss sich von dem Anblick los. Der Magier saß reglos, mit geschlossenen Augen. Er wirkte müde. Nein, stellte Scharach fest, eigentlich verstand er nicht, was die Trollfrau an ihm fand. Gewiss hatte er nicht einen Tropfen Trollblut in sich, sondern nur den wässerigen Saft eines Menschen. Zarder war ein alter Mann. Allerdings beherrschte er die Magie, wenn auch nur bis zu einem gewissen Grad. Mit Magie ließ sich nicht alles machen, das hatte Scharach schon vor Jahren begriffen.
"Scharach", sagte Zarder leise. Seine Augen öffneten sich. "Der Krieg verläuft nicht so, wie ich es mir vorstelle. Es gibt einen Menschen, der nach seinem Heimatland benannt wird. Dieser Mensch befindet sich in Begleitung eines Sumpfgnoms und eines Orks."
"Ein Ork?", staunte Scharach.
"Ein Ork aus dem Süden."
"Ah, die taugen nichts!"
"Gemeinsam mit dem Gnom und dem Mensch taugt dieser Ork doch etwas", widersprach der Magier. Er blickte versonnen vor sich hin, dann wandte er sich wieder Scharach zu. "Es gibt einen Grund, weshalb ich diesen Krieg wollte", verriet er. "Dieser Grund ist rein persönlicher Art und geht über das Anliegen von euch Orks hinaus, die ihr nur Land für eure sich mehrende Art von den Menschen wollt. Mein Grund ist Rache."
"Rache ist gut!", sagte Scharach.
"Geht dieser Mensch mit dem Ork und dem Gnom ein Bündnis ein, könnte meine Rache scheitern. Dann wäre der Krieg vergebens, und ihr Orks würdet wahrscheinlich das eroberte Land verlieren."
"Südorks taugen nichts", blieb Scharach bei seiner Meinung, "Gnome ebenso. Diesem Menschen wird nicht gelingen, was er vorhat, solange er sich in solcher Gesellschaft befindet. Zur Sicherheit werde ich Krieger schicken, die die drei finden und töten werden."
"Eine gute Idee", stimmte der Hexenmeister zu. "Zuvor erledigst du einen anderen Auftrag. Es gibt noch ein Problem. Ein Kriegstrupp der Südorks erreichte die Front erst nachdem die Schlacht vorüber war. Aus diesem Trupp stammt der verräterische Ork, der gemeinsam mit dem Sumpfgnom zum Feind überlief. Gehe und finde diesen Trupp, und bringe seinen Hauptmann zu mir!"
Scharach erwartete, dass ihm der Sinn dieses Auftrags erklärt wurde, doch der Hexenmeister schwieg. "Ich werde gehen", sagte er und warf einen Blick auf die Trollfrau. Die saß wieder auf den Fellen und schabte sich den Rücken am rauen Stein der Wand.
"Komm zu mir, mein praller Eiterbeutel", forderte Zarder sie mit seiner persönlichen Art von Charme auf, nachdem die Steingnome die Türflügel hinter dem Ork geschlossen hatten. "Reiche mir noch einen Kelch." Lächelnd nahm er das Gebräu aus Wein und Blut entgegen. Mit der freien Hand strich er durch das Fell auf dem Hinterteil der Trollfrau. "Epanolia", sprach er sanft. So nannte er die Trollfrau, die eigentlich Srrezzrrengezz hieß. Dieser Name gefiel Zarder nicht. Ein unmöglicher Name, unmöglich auszusprechen, unmöglich zu merken. Epanolia klang angenehm, außerdem hatte seine Mutter so geheißen. "Epanolia, du geliebtes Wesen mit den Maßen einer Bärin, bald werde ich die Welt beherrschen. Die Orks werden alle Länder besetzen und dafür sorgen, dass jeder sich mir unterwirft. Dann werde ich ein König sein und eine Königin an meiner Seite haben." Der Magier sah die Trollfrau an, hatte aber die Zauberin in den Gedanken. Deinen Fellhintern werde ich vermissen, dachte er. Vielleicht erlaube ich dir, zuweilen noch das Bett mit mir zu teilen. Du an meiner einen Seite, sie zu meiner anderen. Seufzend erhob Zarder sich. "Ich werde noch ein wenig auf den Balkon gehen und zusehen, wie der neue Tag beginnt. Schade, dass du mich nicht begleiten kannst, mein felliger Bluterguss."
Der Hexenmeister öffnete eine Tür, durchschritt einen Gang und betrat einen Balkon, der aus der Felswand gemeißelt worden war. Eine Hand legte er auf die steinerne Brüstung. Den Kelch in der anderen Hand, warf er einen Blick hinab auf den Hof der Festung, der zu dieser frühen Stunde noch verlassen war. Er betrachtete den breiten Streifen aus Licht, der im Osten die Berge zu erhellen begann. Zarder spürte Müdigkeit. Das Leben mit der Trollfrau hatte ihn zu einem Wesen der Nacht werden lassen, denn Bergtrolle scheuten das Sonnenlicht. Angeblich verbrannte es sie. Ich sollte Epanolia einmal bei Tageslicht aus der Festung schicken, überlegte der Magier. Dann wird sich zeigen, ob es stimmt. Er trank den Kelch leer und ging in die Festung zurück. Er wollte sich noch ein wenig mit der Trollfrau vergnügen, die sicher schon im Schlafgemach wartete.