Читать книгу Das Kamjuna - Maryam Munk - Страница 16
Kapitel 14
ОглавлениеKönnte Übellaunigkeit stinken, hätte Ailichs Laune das gesamte Gasthaus verpestet. Mit einem Gesicht, das das Laub von den Bäumen hätte fallen lassen, schritt er die Treppe hinab, gefolgt von Balamba und Migwer. Im Schankraum wickelte er nervös den Bartzipfel um die Finger. Seine Begleiter setzten sich an einen Tisch, um auf das Frühstück zu warten. Außer den dreien befand sich nur die Wirtin im Raum. Sie lächelte den Gästen zwischen rosigen Wangen zu. Die Wirtin war eine kräftige Frau, mit roten Zöpfen und wie ihr Ehemann von heiterem Gemüt. Ailich trat zu ihr an den Tresen. Er schaute zu, wie sie sahnige Milch aus einem Krug in Becher füllte.
"Eier, Käse, Brot zum Frühstück?", fragte die Wirtin vergnügt.
Ailich nickte und räusperte sich. "Frau Wirtin, uns, nein, mir, ist in der Nacht ein Missgeschick geschehen", gestand er verschämt.
Die Zwergin sah ihn entsetzt an. "Ihr habt doch nicht etwa ins Bett gemacht?"
Zuerst wurde Ailich vor Schreck blass, dann rot vor Zorn. "Frau Wirtin, was unterstellt Ihr mir?", empörte er sich.
Die Zwergin lachte. "Beruhigt Euch, es war ein Scherz. Woraus bestand Euer Missgeschick?"
"Aus einem kleinen Brand im Zimmer."
"Was hat gebrannt?"
"Ein Bettdeckenzipfel und ein paar Bodenbretter."
"Mein Mann wird nachsehen, wenn er mit dem Melken der Ziegen fertig ist."
"Ist recht, Frau Wirtin. Setzt den Schaden auf die Rechnung."
Ailich begab sich zum Tisch, an dem Migwer und Balamba saßen. Er war froh, dass die Wirtin nicht nach der Ursache des Brandes gefragt hatte.
Ein früher Gast trat ein. Es war ein alter Zwerg, mit weißem Bart und einem Riss in der Jacke. Er humpelte zur Wirtin, grüßte, verlangte ein Bier und sagte mit lauter Stimme: "Habt Ihr schon gehört? Im Steinbruch hat man eine Leiche gefunden."
Die Blicke der Zwerge am Tisch zuckten zum Tresen.
"Eine Leiche?", fragte die Wirtin. Sie stellte ein Bier vor den Alten.
Der trank einen kräftigen Schluck und wischte mit dem Ärmel Schaum von den Lippen. "Ja, ein Mensch, ein Kaufmann aus der Stadt. Vor zwei Stunden haben ihn Arbeiter gefunden. Man hat ihm den Hals verdreht und ihm die Oberbekleidung geraubt." Der alte Zwerg schüttelte den Kopf. "Unglaublich! Es heißt, der Kaufmann wäre ein großer, beleibter Mann gewesen. Und dem hat einer einfach so den Hals verdreht."
Ailich und Migwer wechselten Blicke.
"Oberhalb des Steinbruchs hat man einen Soldatenmantel gefunden", berichtete der Alte weiter. "In einem Wirtshaus der Menschen soll ein Hühne gesehen worden sein", fuhr er nach einem weiteren Schluck Bier fort. "Er soll wie der Kaufmann gekleidet gewesen sein."
"Und?", fragte die Wirtin.
Der Zwerg zuckte die Schultern. "Das ist alles, was ich weiß."
Ailich ging zum Tresen, stellte sich neben den Alten. "Mögt Ihr noch ein Bier?", fragte er.
Der Zwerg grinste ihn an. "Ihr seid mir ein Fremder und doch ein Freund", erwiderte er. "Bier ist der Trost der Greise. Was wollt Ihr wissen?"
"Den Namen des Wirtshauses, das Ihr erwähntet, und wie ich es finden kann."
Der Alte verriet es ihm.
Eine Stunde später standen drei Zwerge mit ihren Felleisen vor einem Wirtshaus der Menschen.
"Das ist es", stellte Migwer fest.
Ailich nickte. "Dann mal los!"
Im Schankraum saß ein mageres Mädchen auf einem Schemel und schaute den Gästen zu, die an den Tischen ihr Frühstück aßen. Es machte große Augen, als es Zwerge hereinkommen sah. Die Zwerge blieben beim Eingang stehen und blickten im Raum umher. Das Mädchen ging zu ihnen hin. Ein ungewöhnlich großer Zwerg hielt den Kopf eines Streithammers umfasst, der an seinem Gürtel hing. Ein Schwarzbärtiger, mit einem Beil am Gürtel, schaute grimmig. Ein dritter Zwerg hielt die Hände in den Jackentaschen, als umfasste er etwas, was darin verborgen war. Die Menschen an den Tischen blickten zu den Zwergen hin, wandten sich aber rasch wieder ihrem Frühstück zu.
Der Schwarzbärtige kratzte sich die Wange. "Bist du hier die Wirtin?", fragte er das Mädchen.
"Nein, ich bediene nur."
"Bedientest du auch gestern Abend?"
Das Mädchen mochte nicht ausgefragt werden, erst recht nicht, wenn es dabei mürrisch betrachtet wurde. Die Zwerge, die in der Stadt lebten und denen es in den Gassen begegnete, waren nett und höflich. Diese drei mochte das Mädchen nicht, besonders nicht den, der es befragte.
"Also, hast du auch gestern Abend bedient?", drängte der Schwarzbart.
"Habe ich", antwortete das Mädchen, nun seinerseits mürrisch.
"War gestern Abend ein Gast hier, groß und kräftig, wie ein Bär?", wollte der Zwerg wissen.
"Ein Bär?"
"Ein großer, starker Kerl. Kein Mensch. Ein anderes Wesen."
"Auch kein Bär?"
"Hast du jemals einen bekleideten Bären in einem Wirtshaus gesehen?", fragte der Zwerg gereizt.
Das Mädchen schüttelte den Kopf. "Auch keinen unbekleideten."
Das Gesicht des Zwergs wurde dunkelrot. "Kleine Menschenfrau!", brummte er in drohendem Ton. "Ich rede von einem Wesen, das halb so gefährlich ist, wie ich werden kann, wenn ich den Eindruck habe, mit Worten beworfen zu werden, wie mit faulen Äpfeln."
Das Mädchen ließ sich nicht einschüchtern. "Wenn Ihr Äpfel haben wollt", entgegnete es spitz, "hole ich Euch welche. Wenn Ihr frech werdet, hole ich meine Brüder. Die sind zwar nur zu zweit, aber doppelt so groß wie Ihr. Sie haben mal einem wilden Stier mit bloßen Händen die Hörner abgebrochen." Das war gelogen, denn das Mädchen hatte weder Brüder noch Schwestern, aber das wusste der aufdringliche Zwerg nicht.
Ailich hätte es gerne darauf an kommen lassen, doch die Vernunft riet ihm, Streit zu vermeiden. "Also gut, Apfelwerferin, sag mir einfach nur, ob gestern Abend ein ungewöhnlicher Gast hier war."
Natürlich ahnte das Mädchen, von wem der Zwerg sprach. Der Mann, der sein Gesicht verborgen und sich nach Herrn Bartholome erkundigt hatte, war tatsächlich ein ungewöhnlicher Gast gewesen. Aber dies würde es dem grimmigen Zwerg nicht verraten. Der Mann war nett zu ihm gewesen, und es hatte den Eindruck gehabt, dass er ebenso einsam war, wie es selbst. Diese Zwerge führten bestimmt etwas gegen ihn im Schilde.
"Wenn Ihr wüsstet, Herr Zwerg, wie oft hier ungewöhnliche Gäste einkehren, würdet Ihr nicht nach einem einzelnen fragen. Meine Brüder haben schon manchen ungewöhnlichen Gast hinausgeworfen."
Ailich verstand die Anspielung. Die Menschen an den Tischen blickten schon eine Weile herüber, und die Brüder mochten vielleicht keine leere Drohung des Kindes sein. Knurrend gab er Migwer und Balamba ein Zeichen, worauf sie das Wirtshaus verließen.
Das Mädchen führte kein angenehmes Leben. Es hatte keine Familie, keine Freundin. Der Wirt und seine Frau waren entfernte Verwandte, die es nach dem Tod der Eltern aufgenommen hatten, weil es für ein wenig Essen wie eine Erwachsene arbeitete. Sie waren nicht nett zu dem Mädchen. Niemand war nett zu ihm, außer dem seltsamen Gast, der sein Gesicht verborgen hatte. Sicher wollten die Zwerge ihm Übles antun. Er musste vor den Zwergen gewarnt werden. Doch nur das Mädchen konnte ihn warnen. Was hatte es schon zu verlieren? Es zuckte die Schultern und ging ins Treppenhaus.
Niemals zuvor hatte Darwen Bartholome sich derart unwohl gefühlt. Nicht nur, dass der Fremde ihn mit sich zwang, er hielt ihn auch noch für einen Hexenmeister. "Ich bin ein Naturkundler", hatte Darwen ihm klarzumachen versucht, aber der Fremde konnte oder wollte nicht begreifen. "Wir können doch nicht einfach so aufbrechen", hatte Darwen eingewendet, "ohne Proviant. Ich habe kein Essen im Haus. Gleich ist es Mitternacht. Wir können nichts mehr kaufen. Habt Ihr Essen dabei?" Der Fremde hatte auf seinen Bauch geklopft, was vielleicht ein Scherz sein sollte. Dann hatte er den toten Gnom in das Wachstuch gewickelt und sich über die Schulter gelegt. Da hatte Darwen erkannt, dass der Entschluss des Fremden feststand. Heimlich hatten sie die Stadt verlassen. Ein schweigsamer Marsch zum Steinbruch folgte. Der Fremde ging voran. Mehrmals versuchte Darwen, den Abstand zu ihm zu vergrößern, indem er seine Schritte kürzer setzte. Doch stets blieb der Fremde stehen und drehte sich zu ihm um. Schließlich gab Darwen es auf, sich davonmachen zu wollen. Plötzlich waren schrille Laute zu hören, die wie das angstvolle Geschrei eines Esels klangen. Tatsächlich stand nicht weit ein Esel an einen Baum gebunden. Das Tier zitterte vor Furcht. Der Fremde legte ihm einen Arm um den Hals und schien ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Das Tier beruhigte sich.
Inzwischen war es Tag geworden. Müde dahin stampfend, hielt Darwen sich am Schwanz des Esels fest. Der Fremde schien keine Müdigkeit zu spüren. Seitdem sie den Steinbruch verlassen hatten, führte er Darwen und den Esel über flaches Land. Darwen bemerkte, dass der Fremde die Richtung nach dem Stand der Sonne auszurichten schien, da er stets seinem Schatten folgte, der vor ihm durch das Gras kroch.
"Können wir eine Rast machen?", bat Darwen. "Ich bin durstig und müde."
Der Fremde ging schweigend weiter. Nach einer Weile blieb er stehen, als hätte er solange benötigt, über die Bitte nachzudenken. "Gut, eine Rast", sagte er.
Ächzend ließ Darwen sich ins Gras nieder und streckte sich lang. Den Hut legte er auf dem Bauch ab. Der Fremde blieb neben dem Esel stehen. Er blickte über das Land und zur Sonne, die langsam den Himmel emporstieg. Darwen beobachtete ihn. Er fragte sich, was für ein Wesen diese Kreatur war. Er hatte von Orks und von Trollen gehört, aber weder von der einen noch von der anderen Art jemals ein Exemplar gesehen. Es hieß, Trolle wären riesenhafte Wesen, die zehn Fuß groß würden. Dieses Geschöpf, das scheinbar besorgt zur Sonne schaute, war zwar ein gutes Stück größer als der Naturkundler, doch keinesfalls riesig. Folglich konnte die Kreatur kein Troll sein. War es ein Ork? Blutgierig und mordlüstern, wie über Orks gesagt wurde, schien dieses Wesen nicht zu sein. Davon abgesehen, führten die Menschen einen Krieg gegen die Orks, deshalb war es unvorstellbar, dass einer von ihnen in einem Wirtshaus der Menschen saß und Bier trank. Und im Wirtshaus hatte Darwen den Fremden am Abend zuvor gesehen. Sein Blick fiel auf den toten Gnom, der neben der Kreatur im Gras lag.
Darwen setzte sich auf. "Ihr wollt den Gnom doch nicht wirklich essen?", fragte er.
Der Fremde blickte zu ihm hin. "Ich esse keine Frösche. Als ich ihn aufgeschnitten auf dem Tisch liegen sah, glaubte ich, du wolltest ihn essen."
Dass der Fremde den Gnom als Frosch bezeichnete, überraschte Darwen angenehm. Dann liege ich mit meiner Theorie der Abstammung vielleicht nicht falsch, dachte er. "Weshalb glaubt Ihr, das Sumpfgnome Frösche sind?", wollte er wissen.
"Das glaube ich nicht", antwortete der Fremde. "Joog nennt sie so."
"Vielleicht stammen Gnome von Fröschen ab, und der, den Ihr Joog nennt, weiß das."
"Kann sein. Ich weiß nichts von solchen Dingen."
"Was seid Ihr, wenn ich fragen darf, für ein Geschöpf?"
"Ich bin ein Troll", gab der Fremde Antwort. "Du kennst das Land", sagte er, ohne weiter auf Darwens Frage einzugehen. "Wo gibt es ein Versteck?"
Der Naturkundler wunderte sich über die Frage. "In südlicher Richtung, bei den Hügeln, könnte eines sein."
Der Troll nickte. "Geh voraus!", befahl er. "Nach Süden führt nicht der Weg der Schatten, aber ich vertraue dir."
Darwen gehorchte. Immer wieder blickte er über die Schulter auf den Fremden, der mit regloser Miene folgte und den Esel am Seil führte. Also doch ein Troll, dachte er, wenn auch ein kleiner. Dann stimmen entweder die Geschichten nicht, die man sich über sie erzählt, oder es gibt unter ihnen auch Kleinwüchsige, wie unter den Menschen.