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Das prekäre Leben als Kronzeugin

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Schon bald beginnt sie sich aus dem Untergrund heraus zu engagieren und wird Teil des Nationalen Verbandes der Kronzeugen. »Mit einer Gruppe von ihnen regte ich zwei Gesetze an, die auch angenommen wurden. Kronzeugen wurde damit endlich die Möglichkeit gegeben, zu arbeiten. Wir waren ja gezwungen, 24 Stunden am Tag zu Hause zu sein. Sich sein Brot ehrlich verdienen zu können, ist aber eine Frage der Würde. Wir hatten ja alles verloren. 2001 konnte ich außerdem dazu beitragen, dass der Gesetzgeber zwischen Kronzeugen und Justizkollaborateuren unterscheidet.« Unterstützt wurde sie bei diesen Bemühungen auch von Paolo Borsellinos Schwester, die ebenfalls Rita heißt.

Heute ist Piera Aiello Mitglied der Parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission sowie der Justizkommission. In dieser Funktion macht sie sich vor allem für die Kinder von Zeugen stark, die ebenfalls im Untergrund leben. »Man muss sich um die Familien kümmern«, fordert sie vehement. »Nicht nur um die Kronzeugen und Justizkollaborateure. Kinder müssen oft auf eine höhere Ausbildung verzichten, da die finanziellen Möglichkeiten während des Schutzprogrammes nicht gegeben sind.« So werden sie ein zweites Mal Opfer ihrer Lebensumstände, auf die sie selbst keinen Einfluss haben.

Piera Aiello lässt die Jahre Revue passieren. Vieles gehört geändert, ist sie überzeugt. »Man bringt mit seinen Aussagen die Schuldigen hinter Gitter, aber man lebt selbst wie im Gefängnis.« Die ständigen Wohnungswechsel sowie die permanente Gefahr, gefunden zu werden, zermürben. Einmal, erinnert sie sich, wurde ihr Aufenthaltsort durch die Unachtsamkeit eines Sicherheitsbeamten verraten. Die Angst steckt ihr heute noch in den Knochen.

Dieses prekäre Leben hat auch das Verhältnis zu ihrer Tochter getrübt. Erst seit einigen Jahren hat sich die Beziehung entspannt, sagt sie glücklich. »Seit meine Tochter selbst Mutter ist, kann sie die Schwierigkeiten verstehen, mit denen ich zu kämpfen hatte.«

Und warum hat sie sich der Fünf-Sterne-Bewegung angeschlossen?, möchte ich von ihr wissen. »Weil es unter ihnen keine Politiker gibt, gegen die ermittelt wird. Anders als oft in anderen Parteien.« Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und soziales Engagement sind ihre Eckpfeiler. Als onorevole, als Frau Abgeordnete, will sie übrigens nicht angesprochen werden. »Ich sehe mich gar nicht als Politikerin«, sagt sie lächelnd, »ich bin einfach nur eine Frau aus dem Volk.«

Und als solche setzt sie sich intensiv für die Abschaffung der in Italien üblichen Leibrente für Politiker ein. »Warum muss ein Abgeordneter oder ein Senator eine riesige Pension bekommen? Während ein Maurer wie mein Vater, der jahrzehntelang hart geschuftet hat, nur einen Bruchteil erhält?«

Piera Aiello weiß, wovon sie spricht. Als Kronzeugin hatte sie drei Jahre vergeblich versucht, einen Job zu bekommen. Dann ging sie als Landarbeiterin aufs Feld und hat Tomaten, Orangen und Oliven geerntet. »Das bedeutete, um 3 Uhr aufzustehen und sich Wind und Wetter auszusetzen.« Politiker hätten ein sehr privilegiertes Leben, ist sie daher überzeugt. Dass sie sich damit bei ihren Parlamentskollegen nicht besonders beliebt macht, ist Piera Aiello egal. Der Kampf gegen die Mafia habe sie stark gemacht.

Von der BBC ist Piera Aiello 2019 in die Liste der 100 einflussreichsten Frauen der Welt aufgenommen worden.

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