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Verheiratet mit einem Mafiaspross

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Sie wächst zur jungen Frau heran. Doch der Traum vom schönsten Tag des Lebens wird für Piera Aiello zum Albtraum. Das Kleid ist zwar weiß und lang, so wie in Katalogen und Jungmädchenträumen vorgesehen, ihr Bräutigam ist der Sohn einer respektierten, wohlhabenden Familie und die Sonne scheint prächtig vom Himmel. Doch ihr Gemütszustand ist schwarz. Dunkle Ahnungen lasten schwer auf ihrer Seele. Die 18-jährige Piera geht die Ehe nicht freiwillig ein. Sie liebt ihren Verlobten nicht und hat mehrfacht versucht, ihn zu verlassen. Doch ihr zukünftiger Schwiegervater hat sie gezwungen, den Hochzeitstermin nicht platzen zu lassen.

»Nachdem ich meinem Verlobten erklärt hatte, dass ich mich von ihm trennen wollte, kam Don Vito Atria selbst zu mir. Er drohte mir. Er machte mir klar, er würde sich an meiner Familie rächen, sie vielleicht sogar töten, falls ich der Heirat mit seinem Sohn Nicola nicht zustimme.«

Als Piera und Nicola einander erstmals begegnen, sind beide blutjung. »Ich war erst 14 Jahre alt und er war drei Jahre älter als ich.« Nicola Atria wirbt intensiv um das aufgeweckte Mädchen, doch Piera gibt sich zurückhaltend. Trotzdem bleiben die Konsequenzen für sie nicht aus. Als ihre Eltern von ihrer Bekanntschaft erfahren, wird sie – ganz den damaligen Traditionen entsprechend – auf Schritt und Tritt überwacht. Ein sizilianisches Mädchen ihrer Herkunft darf nicht einfach ausgehen und Freundschaften pflegen, wird ihr von ihrem geliebten Vater eingeschärft. Piera gilt bereits als »versprochen« und ihre Bewegungsmöglichkeiten werden dadurch drastisch eingeschränkt. Das hat auch schmerzhafte Auswirkungen auf ihre längerfristige Lebensplanung. So darf die an Kunst und Kultur interessierte Schülerin kein weiterführendes Gymnasium besuchen, weil sich dieses in der Nachbarstadt befindet. Die täglichen Busfahrten hätten die engmaschige Kontrolle unmöglich gemacht.

Nur sehr langsam begreift Piera, dass »die Familie Atria anders war als andere«. Sie bemerkt die Unterwürfigkeit der Ortsbewohner, die sich mit »einem baciamo le mani an das Familienoberhaupt« wenden. Sie lernt, dass der Handkuss ein Ausdruck des absoluten Gehorsams gegenüber einem Boss und der Name Atria eine Art Türöffner ist. Mit ihm geht alles leichter. Schwierigkeiten scheinen sich in Luft aufzulösen.

Als Piera jedoch eines Tages von Freunden mit dem Vorwurf attackiert wird, sie sei die Braut eines Mafiasprosses, versucht sie, die Verbindung zu beenden. Doch der Boss selbst hatte schon für sie entschieden. Er wollte ein »unbeschriebenes Blatt, ein Mädchen, das nicht aus einer Mafiafamilie stammt«, als Schwiegertochter. »Meinen Eltern sagte ich nichts von den Drohungen. Ich hatte nicht den Mut dazu. Und ich hatte Angst um sie.«

Die Hochzeitsreise führt das frisch getraute Paar nach Spanien, doch die Flitterwochen finden ein jähes Ende. Bereits am Tag nach ihrer Ankunft in Madrid erreicht Nicola ein alles verändernder Anruf. »Don Vito hatte einen Unfall gehabt, wurde ihm mitgeteilt. Wir mussten sofort zurück.«

Erst als Piera wieder zu Hause in Partanna ist, begreift sie die tatsächliche Tragweite des Geschehens. Der Unfall war kein Unfall. Ihr Schwiegervater – der Boss Vito Atria – ist auf einem seiner Felder ermordet worden. Ein Mafiamord, wie sich zeigen wird.

Erst später wird ihr bewusst, dass Sizilien gerade die Ausläufer des »Zweiten Großen Mafiakrieges« erlebt. Viele Hunderte Todesopfer haben diese als mattanza, als Zeit des Schlachtens, bezeichneten Jahre gekostet, die letztlich die Vorherrschaft der Corleonesi zementierten. Ein Ende des Mordens war nicht in Sicht.

Jetzt ist auch Pieras Eltern klar, in welche Familie ihre Tochter eingeheiratet hat. Sie selbst hängt ihr weißes Brautkleid in den Schrank, um sich für die kommenden Monate rigoros in schwarze Trauerkleidung zu hüllen.

Auch nach der Hochzeit erzählt sie ihren Eltern nichts über die Schwierigkeiten in ihrer Ehe. Nichts darüber, dass ihre Schwiegermutter den eigenen Sohn beauftragt hat, den Mord an seinem Vater zu rächen. Nichts darüber, dass Nicola über dem Leichnam Rache geschworen hat. Nichts über die viele Gewalt, die ihr Mann ihr antut und auch nichts über die in ihr wachsende Abscheu.

»Ich habe heimlich die Pille genommen. Denn ich wollte keinen Buben bekommen. Ich wollte kein Kind, das dann in die Fußstapfen dieser Mafiafamilie tritt«, sagt sie heute mit großer Offenheit. Sie habe gelernt, die Dinge beim Namen zu nennen. »Eines Tages hat er die Pille entdeckt und mich fast totgeschlagen. Ab diesem Zeitpunkt hat er mich regelmäßig vergewaltigt. So lange, bis ich schwanger geworden bin. So etwas kann man nicht mehr aus dem Gedächtnis löschen.«

Pieras einziges und großes Glück in jenen Jahren: Sie schenkt einer Tochter das Leben. Das kleine Mädchen gibt ihr Kraft und so beschließt sie, einen lang gehegten Wunsch zu realisieren. Sie beginnt eine Ausbildung als Polizistin. Und da eine Scheidung ausgeschlossen ist, bemüht sie sich auch, ihre Ehe zu retten. Doch die Zeit der Ruhe dauert nur kurz.

Der Versuch ihres Mannes, den Mord an seinem Vater zu rächen, schlägt fehl. Jetzt ist er selbst in Gefahr und mit ihm seine Familie.

Piera und Nicola sind seit einiger Zeit Besitzer einer gut gehenden Pizzeria. Auch am Abend des 24. Juni 1991 sind beide wie gewohnt in ihrem Lokal. Piera steht in der Küche und trifft mit einem Küchenjungen die letzten Vorbereitungen für den Abend. Auch Nicola geht ihr dabei zur Hand. Spätestens in einer Stunde wird das Lokal voller Gäste sein. Plötzlich nimmt Piera ein Geräusch wahr und hebt eher beiläufig den Blick. Was sie sieht, lässt ihr das Blut in den Adern gefrieren. Ein vermummter Mann im Tarnanzug und mit einer abgesägten Flinte in der Hand steht mitten im Raum und zielt auf ihren Mann. Ein zweiter stürmt in die Küche. Piera versucht sich zu wehren, doch alles geht blitzschnell. Nicola bricht vor ihren Augen unter den Schüssen zusammen. Überall in der Küche ist Blut. Die beiden Täter stürmen aus der Pizzeria und fahren mit quietschenden Reifen davon.

»Als ich mich zur Zusammenarbeit mit der Justiz entschloss, wusste ich nicht, worauf ich mich einlasse.«

PIERA AIELLO

Wie in Trance habe sie all das erlebt und dabei an ihre kleine Tochter gedacht. Wie ein Film sei es gewesen, in den sie durch Versehen hineingeraten sei und aus dem es scheinbar kein Entrinnen gab.

Als Piera ihre Schwiegermutter verständigt, benützt sie die inzwischen verinnerlichte Formel der Mafiafamilien: Nicola hat einen Unfall gehabt, sagt sie. Doch dann spürt sie plötzlich, dass sich etwas ändern muss und dass nur sie selbst diese Änderung herbeiführen kann. »Als ich in der Leichenhalle stand, in der man meinen Mann für die Autopsie aufbewahrte, ist meine Schwiegermutter gekommen. In der Hand hatte sie ein schwarzes Kopftuch, das sie mir aufsetzen wollte. Da habe ich mich aufgelehnt. Ich habe ihr gesagt, ich bin keine Mafiawitwe. Ich bin keine dieser Frauen, die alles genau wissen und sich trotzdem nicht auflehnen.«

Piera weigert sich. Sie wird das Kopftuch nicht aufsetzen. Sie wird diese Mechanismen durchbrechen. »Das schwarze Kopftuch war für mich ein Zeichen der Unterdrückung und der Unterjochung der sizilianischen Frau. Und so habe ich beschlossen, alles, was ich wusste, anzuzeigen.«

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