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Die Mafia-Fotografin LETIZIA BATTAGLIA
ОглавлениеDer Name war ihr gleichsam schicksalhaft in die Wiege gelegt. Darauf hatte sie keinen Einfluss. Doch dann hat sie ihn bewusst ein ganzes langes Leben leidenschaftlich und überzeugt mit Inhalten ausgefüllt.
Battaglia heißt Schlacht und Kampf, und gekämpft hat die heute 85-Jährige an vielen Fronten. Der wohl wichtigste Kampf hat ihr den Beinamen »Mafiafotografin« eingebracht. Ihre beeindruckenden und tiefgründigen Aufnahmen aus der Zeit des »Zweiten Mafiakrieges« sind bis heute rare Dokumente, die einen einzigartigen Blick in die blutgetränkte Welt der Cosa Nostra ermöglichen und das Leben in Sizilien aufzeigen. Es sind Fotos, die oft mehr über das organisierte Verbrechen und dessen krakenartige Verbreitung in der Gesellschaft aussagen als manche Gerichtsakten.
Auf ihre Tätigkeit als »Chronistin der Mafia« will Letizia Battaglia jedoch nicht reduziert werden. »Ich bin keine klassische Mafiaexpertin«, sagt sie mit ihrer charakteristischen rauen Stimme. »Ich habe es mir nicht ausgesucht, diesen Krieg zu fotografieren und zu dokumentieren. Anders als ein Kriegsfotograf, der sich bewusst für einen Schauplatz entscheidet, wollte ich einfach nur meine Arbeit als Fotografin verrichten. Es lag nicht in meiner Absicht, Tragödien zu begleiten. Aber ich befand mich in Palermo.«
An ihr erstes »Mafiafoto« erinnert sie sich, als wäre es soeben geschossen worden. Es war tiefe Nacht und sie befand sich mitten auf dem Schauplatz. Ein Mann lag leblos unter einem Olivenbaum. Es war Letizia Battaglias erste Leiche, der erste Ermordete einer langen Reihe, die ihre Arbeit als Fotoreporterin prägen würden. »Ich stand dort und redete mir ein: Wenn ich nur ein wenig warte, dann beginnt er sich zu bewegen. Ich hatte ja noch nie jemanden gesehen, der tot vor mir auf der Erde liegt. Ich konnte einfach nicht akzeptieren, dass es normal sein sollte, Menschen umzubringen. Und heute kann ich nur sagen: An all diese Gewalt gewöhnt man sich nie!«
Es waren bürgerkriegsähnliche Zustände, die Sizilien in den 1970er und 1980er Jahren im Würgegriff hielten. Der Kampf um die Vorherrschaft zwischen den etablierten Mafiafamilien Palermos und den aufstrebenden Mafiosi aus der Kleinstadt Corleone wurde mit äußerster Brutalität geführt.
Bis zu eintausend Tote soll dieser Konflikt gefordert haben. Die wirkliche Zahl bleibt auch heute noch im Dunkeln. Menschen wurden auf offener Straße erschossen, in militärische Hinterhalte gelockt oder Opfer der sogenannten lupara bianca, des »weißen Jagdgewehrs«. Dieses ist in Mafiakreisen ein Synonym für den perfekten Mord. Die Logik dahinter ist so pervers wie einfach: Es gibt kein Blut, weil es keine Leiche gibt. Die Mörder lassen ihre Opfer spurlos verschwinden. Sie mauern die Leichname auf einer der vielen Baustellen der Stadt ein oder lösen sie in Säure auf. So verlieren sich die Spuren der Ermordeten und mögliche belastende Indizien tauchen erst gar nicht auf. Die Hinterbliebenen können nicht einmal um ihre Familienmitglieder trauern. Was bleibt, sind nie enden wollende Zweifel über das Schicksal ihrer Angehörigen und eine meist stumme Verzweiflung.
Letztlich gingen die Corleonesi aus diesem Krieg als Sieger hervor und etablierten ein neues, noch blutrünstigeres Regime als ihre Rivalen. Darüber hinaus begannen die von den palermitanischen Mafiabossen verächtlich als Bauern bezeichneten Corleonesi unter der harten Hand von Salvatore Riina einen regelrechten Feldzug gegen den Staat. Ihren mörderischen Aktivitäten fielen daher nicht nur Mitglieder verfeindeter Familien zum Opfer, sondern auch zahllose Vertreter der Zivilgesellschaft. Viele berühmte Todesopfer gehen auf ihr Konto: Politiker, Richter, Journalisten und Militärangehörige, wie General Carlo Alberto Dalla Chiesa, der als Polizeichef nach Sizilien geschickt worden war, um den Ausnahmezustand zu beenden. 1982 starb er mit seiner jungen Frau unter dem Kugelhagel eines Todeskommandos auf offener Straße. »Was wir erlebt haben«, sagt Letizia Battaglia, »ist eine kollektive Tragödie.«