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Die Kronzeugin PIERA AIELLO

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Bei den italienischen Parlamentswahlen am 4. März 2018 fuhr die Fünf-Sterne-Bewegung einen unerwarteten Triumph ein. Mit knapp 33 Prozent der Stimmen wurde die laut Eigendefinition postideologische Gruppierung Italiens mit Abstand stärkste Einzelpartei. Besonders fulminant war der Erfolg im Süden des Landes. 227 der insgesamt 630 Sitze im Abgeordnetenhaus gingen an die Fünf Sterne. Viele der neuen, sehr unterschiedlichen Parlamentarier zogen zum ersten Mal in den imposanten Palazzo Montecitorio ein. Für jeden und jede wurde eine Kurzbiografie samt Foto auf die Parlamentswebsite gestellt. Doch bei einem Namen fehlte das Bild. Piera Aiello aus dem sizilianischen Wahlkreis Trapani blieb auch auf dem Parlamentsausweis ohne Gesicht.

Als die Sizilianerin vor mehr als einem Vierteljahrhundert beschloss, gegen die Cosa Nostra auszusagen, bedeutete dies das Ende ihres bisherigen Lebens. Fortan sollte sie versteckt, ausgestattet mit einer neuen Identität und unter Polizeischutz leben.

Jetzt ist Piera Aiello die erste Kronzeugin in der Geschichte Italiens, die ins Parlament gewählt worden ist. 51 Prozent der Stimmen konnte sie auf ihr Konto verbuchen. Und das, obwohl sie sich im Wahlkampf aus Sicherheitsgründen vor TV-Kameras und Fotografen nicht zeigen konnte. Doch die »unsichtbare Kandidatin«, das »Gespenst«, wie sie auch genannt wurde, ließ alle anderen Mitstreiter verblassen. Die Frau, die sich zu Beginn sogar im Parlament nur mit einem Schleier vor dem Gesicht zeigen konnte, erfährt in ihrer Heimat eine späte Anerkennung, die sie »tief berührt«.

»Das Leben mit einer falschen Identität war hart«, sagt Piera Aiello ohne Umschweife, da gebe es nichts zu beschönigen. Sie lächelt, während sie lebhaft erzählt, doch ihre Augen bleiben ernst.

Die Aufmerksamkeit, die ihr die Wahl ins Parlament eingebracht hat, war ihr anfangs sehr unangenehm. Es dauerte Wochen, bis sie lernte, mit ihrer neuen Rolle als gewählte Volksvertreterin umzugehen. Die 51-Jährige überlegte zu Beginn sogar, jemanden zu beauftragen, der ihre Reden im Abgeordnetenhaus vorlesen sollte. Doch dann verwarf sie diese Idee als Verrat an ihrer Wählerschaft.

»Ich war 27 Jahre lang verschwunden. Mir war klar, früher oder später muss ich aus dieser Geschichte herauskommen. Und ich wusste auch, dass ich meine Ängste überwinden muss. So habe ich dann bei einer Gedenkfeier für Mafiaopfer im Mai 2018 im sizilianischen Ort Valderice mein Kopftuch abgenommen und mich erstmals der Öffentlichkeit gezeigt.« Völlig nackt und ohne jeglichen Schutz habe sie sich vor all den Menschen gefühlt. Es sei ein Kraftakt gewesen, der ihr großes Herzklopfen verursacht habe.

Während sie davon erzählt, spürt man, wie schwer ihr die Entscheidung gefallen ist. Die Vorstellung, ab nun würden Fotos von ihr im Umlauf sein, verursachte ihr regelrecht körperliches Unbehagen. »Stellen Sie sich vor, ich habe keine Fotos. Nicht einmal mit meinen Kindern. Keine Selfies. Nichts. Ich war zwar immer noch derselbe Mensch, aber dass man jetzt nicht nur meine Ideen und Überzeugungen wahrnehmen sollte, sondern auch meine Körperlichkeit, das war eine große Herausforderung für mich.«

Pieras Leben sollte sich wieder einmal radikal ändern.

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