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Fotos: eine Waffe gegen die Mafia

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Viele ihrer Bilder zeigen Gewalt und Verbrechen, doch Letizia Battaglia hat auch andere Aspekte ihrer Heimatstadt eingefangen: die oft bittere Armut, die Aussichtslosigkeit vieler Menschen, aber auch archaische Traditionen, die hier länger überlebten als anderswo.

Besonders gerne lichtete sie kleine, zornige Mädchen kurz vor der Pubertät ab. Das sei ein autobiografisches Element, gibt sie unumwunden zu. »Diese Bilder haben etwas mit meiner Kindheit zu tun. Sie spiegeln jene Zeit wider, als ich zehn Jahre alt war und von Unabhängigkeit, Liebe und Schönheit träumte.«

Generell konzentrierte sich Letizia Battaglia bei ihrer Arbeit mehr auf Frauen als auf Männer. Frauen habe sie interessanter gefunden, egal welcher Altersgruppe sie angehören, das hat sie auch in den Vorträgen, die sie in vielen Ländern hält, immer wieder betont.

Eines dieser Frauenporträts zeigt die 22-jährige Witwe Rosaria Costa Schifani. Ihr Mann Vito, nur fünf Jahre älter als sie, gehörte zu den Leibwächtern von Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone und war mit ihm und weiteren drei Menschen 1992 durch ein Sprengstoffattentat zerfetzt worden. Die schüchterne und verzweifelte Rosaria rührte später ganz Italien, als sie während der im Fernsehen übertragenen Trauerfeierlichkeiten totenblass ihre vorbereitete Rede zur Seite legte und einen Appell an die Mafia richtete: »Ich wende mich an euch, Männer der Mafia, die ihr auch hier unter uns seid: Ich vergebe euch. Aber ihr müsst eure Knie beugen, wenn ihr den Mut zu Veränderung habt …« Dann fügte sie weinend hinzu: »Aber ich weiß schon, dass sie das nicht tun werden. Denn sie wollen sich nicht ändern.«

Einige Wochen später wandte sich ein Journalist an Letizia Battaglia und fragte, ob sie für ein Interview, das er schreibe, ein Foto von Rosaria Schifani machen könne. Die ersten Aufnahmen gefielen ihr nicht. »Sie war eine hübsche Frau, aber das, was ich zeigen wollte, war nicht an die Oberfläche gekommen: ihr großes, stilles, inneres Drama.« So bat sie Rosaria, sich ans Fenster zu stellen, »um das natürliche Licht zu nutzen«, und ersuchte sie dann, »die großen, schönen Augen zu schließen«. Das Ergebnis war ein minimalistisches und extrem ausdrucksstarkes Porträt, das heute zu ihren besten gezählt wird. Eine Schwarz-Weiß-Fotografie, die die persönliche Tragödie der jungen Frau, die mit ihrem Säugling allein zurückblieb, offenbart.

Für das Interview wurde allerdings ein anderes, »banales Foto«, ausgewählt, wundert Letizia Battaglia sich auch jetzt noch. Nach einigem Überlegen hat sie das Porträt daher selbst veröffentlicht.

Anfang des Jahres 2020 kommt Rosaria Costa Schifani erneut unfreiwillig in die Schlagzeilen. Ihr Bruder wird verhaftet. Er soll für die Mafia Schutzgelder eingetrieben haben. In einem Interview mit der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera sagt die in Norditalien lebende Rosaria, sie sei völlig zerstört. Die Frau, die die Mafia herausgefordert hat, ist vom eigenen Bruder »verraten« worden. Eine weitere Tragödie, meint Letizia Battaglia, eine Tragödie, die zeigt, wie tief die Gräben innerhalb der Familien nach wie vor sind. »Man kann auch heute noch in ein und derselben Familie völlig integre Personen finden, die alles richtig machen, und gleichzeitig andere, die sich dem Bösen verpflichtet haben.«

Sie selbst hatte sich dem Engagement für ihre Stadt verpflichtet, doch 1983 kommt sie an einen toten Punkt. Die Ermordung des Richters Rocco Chinnici löst in ihr eine tiefe Krise aus. Zu viele Leichen haben sich in ihren Kopf eingebrannt und liegen gleichzeitig als Negative in ihrem Archiv. Letizia Battaglia nimmt Abstand von ihrem Fotoapparat und versucht sich anderwärtig für Gerechtigkeit zu engagieren. Sie geht in die Politik. 1985 zieht sie für die Grünen ins Stadtparlament von Palermo ein. Bürgermeister Leoluca Orlando führt in den kommenden Jahren eine Fünf-Parteien-Koalition an. Die Jahre seiner Regierung gelten als »Palermitanischer Frühling«. An den vielen Kampagnen zur Verbesserung der Lebensqualität der Stadt nimmt auch Letizia Battaglia teil.

Sie lässt Bäume pflanzen, öffentliche Räume gestalten, kämpft verbissen gegen den Drogenhandel und ermöglicht erstmals eine erwähnenswerte Kulturförderung. Auch als Politikerin dokumentiert sie Missstände und versucht nah an den Menschen zu sein. Diese Zeit bezeichnet sie später oft als die glücklichste in ihrem Leben. »Es war eine Art Privileg, in den Strukturen der Macht tätig zu sein. Es war eine Art Luxus, sich für sein Land einsetzen zu können und die Mittel dazu zu haben. Ich konnte von dort die Macht der Mafia bekämpfen. So wie ich es auch mit dem Fotoapparat tat.«

Manchmal zeigte sich die Frucht dieses Kampfes erst viele Jahre später. 1993 klagt die Staatsanwaltschaft in Palermo Giulio Andreotti wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Mafia an. Der siebenfache Ministerpräsident hat knapp 30 Anträge zur Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität abwehren können, doch nun steht er als Angeklagter im Gerichtssaal. Er, das Aushängeschild der Democrazia Cristiana, leugnet beharrlich, jemals Kontakt mit Mitgliedern der Cosa Nostra gehabt zu haben. Eine Begünstigung der Mafia durch ihn habe es niemals gegeben. Da erinnern sich die Ermittler an das umfassende Fotoarchiv von Letizia Battaglia. Sie beginnen zu suchen und werden tatsächlich fündig. Zwei Aufnahmen fallen ihnen in die Hände, eine davon findet das besondere Interesse der Ankläger und wird als Beweismittel im Prozess herangezogen. Das Foto zeigt Giulio Andreotti während einer Wahlkampagne im Juni 1978 in der Empfangshalle des Hotels Zagarella nahe Palermo. An seiner Seite ist der Mafiaboss Nino Salvo zu sehen, der als schwerreicher Unternehmer sowohl die Subventionspolitik der EG für sich nützte als auch seine guten Verbindungen zu den Mächtigen in Rom. Im Gegenzug verschaffte er den Politikern der Democrazia Cristiana Wählerstimmen.

»Ich habe Giulio Andreotti mit diesem Foto große Schwierigkeiten bereitet«, sagt Letizia Battaglia, »denn er wurde dadurch als Lügner entlarvt. Ab diesem Zeitpunkt war klar: Der mehrfache Regierungschef kannte diesen einflussreichen Mafioso.« Sie selbst hatte dem Foto ursprünglich keine besondere Bedeutung zugemessen, da ihr der gut getarnte Mafiaboss Nino Salvo zur Zeit der Aufnahme kein Begriff war. Daher hatte sie das Foto nicht veröffentlicht. Trotzdem legte sie es fein säuberlich ab. Sie steckte es in einen Umschlag und schrieb »Andreotti« darauf. Dann vergaß sie jenen unauffälligen Abend, der 15 Jahre später zum entscheidenden Indiz in den Ermittlungen wurde. Der Prozess gegen Giulio Andreotti zog sich über Jahre hin. Letztlich musste er »wegen Verjährung freigesprochen werden. Aber«, fügt Letizia Battaglia hinzu, »dank dieses Fotos kann er nicht als wunderbarer Politiker in die Geschichtsbücher eingehen. Er war der erste Regierungschef, der Schmutz auf sein Amt geladen und es damit verraten hatte. Er hat die Mafia in Palermo und in Sizilien für sich genützt. Und das ist ganz, ganz schrecklich.«

Das Foto selbst bezeichnet sie als eines ihrer schlechtesten. Es sei unscharf, verwackelt und einfach hässlich. »Aber es war nützlich«, sagt sie. Und darüber sei sie immer noch froh.

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