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Kapitel 7 Spanien, Sevilla
ОглавлениеIn der südspanischen Stadt nahe der Küste war der Sonnenschein des herrlichen Sommers hinter einer dicken schwarzen Wolkenschicht versteckt. Später am Tag würde es bestimmt noch in Strömen regnen, dachte Priscila bei sich, als sie langsam aus der Garage fuhr. Aufgrund der Wetterlage hatte sie ihren roten Sportwagen stehen lassen und sich für den SUV entschieden. Lernschwester Herminia, die sie eigentlich auf dem Weg zur Arbeit mitnahm, musste diese Woche in der Berufsschule büffeln und würde nicht zur Arbeit kommen. Die letzten Wochen hatte die Stationsleiterin damit verbracht viele liegengebliebene Arbeiten zu erledigen und verschiedenen Transplantationen auf den Grund zu gehen. Innerhalb der letzten 14 Wochen gab es mehrere Anhaltspunkte für Operationen, die nicht auf der Liste von Eurotransplant auftauchten.
Während ihrer letzten Arbeitstage hatte Priscila mehrfach mit anderen Organisationen, die ebenfalls Organe bereitstellen konnten telefoniert, um herauszufinden, was da im Hintergrund abläuft. Dr. Pineda wurde immer wieder in die Klinik gerufen, um Patienten zu operieren, während Dr. Alcantara in seinem Büro saß und sich an der Kniescheibe spielte. Die Aussagen, die sie zu hören bekam, waren bei jedem einzelnen Fall die gleichen. Nie waren die Organe über Eurotransplant gekommen, sondern wurden von anderen Organisationen geliefert. Woher sie genau stammten, war selbst für sie nicht herauszufinden, denn darüber gab es unter keinen Umständen eine Aussage. Wer die Spender waren, blieb unter Verschluss, damit man nichts zurückverfolgen konnte. Priscila bekam nur das Land genannt, aus dem das verpflanzte Organ nach Sevilla gekommen war.
Die Stationsleiterin hatte auf ihrem Schreibtisch im Büro einige Akten liegen, um das alles nachvollziehen zu können. Gerade sortierte sie die gesammelten Akten erneut nach Herkunft. Sie hoffte damit, auf irgendein Muster schließen zu können. In der letzten Woche hatte sie sich die Akten von allen möglichen Vorfällen anliefern lassen, die in ihre Nachforschungen passte. Gelegentlich half ihr auch Dr. Pineda dabei, ein System zu finden. Mehrfach hatten die beiden beim Mittagessen, das sie um Ruhe zu haben bei ihr, oder ihm im Büro eingenommen hatten, darüber diskutiert. Dr. Alcantara, den sie öfter versucht hatten, in ihre Nachforschungen einzubinden, ließ sie immer wieder abblitzen. Er hatte kein Interesse daran, etwas darüber zu erfahren. Als Priscila verschiedene Akten vor sich ausbreitete, um nachzusehen, woher die Organe stammten, kam unangemeldet Dr. Pineda in ihr Büro gestürmt.
Aufgeregt rief er, »Priscila, ich habe hier noch zwei weitere Akten gefunden. Eine davon stammt aus Deutschland, und die andere aus Lettland. Beide stimmen mit unseren Suchpräferenzen überein.«
»Daniel, ich habe keine Ahnung, wie uns das noch weiterhelfen soll. Das alles ergibt irgendwie keinen Sinn. Egal wie oft wir die Akten noch neu sortieren, es wird immer undurchsichtiger«, klagte die Stationsleiterin der Transplantationsstation des Saint Helena Klinikums.
Der Oberarzt ihrer Schicht kam mit einem sanften Blick näher an ihren Schreibtisch heran, »Mach eine Pause und denk nicht weiter darüber nach. Mit ein wenig Abstand kommen immer die besten Ideen.«
»Wir hatten bis vor einem halben Jahr immer nur Organe zu verpflanzen, die über Eurotransplant zustande kamen. Jetzt kriegen wir immer mehr Organe aus anderen Quellen, die größtenteils du operierst, während sich Alcantara zurücklehnt. Am Anfang hat er das noch selbst erledigt, weil er gerade im Dienst war. Jetzt musst du das machen und er hält sich heraus, wo er nur kann. Nicht einmal bei unserer Spurensuche will er helfen«, sagte sie deutlich lauter und sah ihren Oberarzt scharf an.
»Priscila, ich bin die falsche Adresse für deinen Unmut«, wehrte er ab, als er sich auf ihren Besucherstuhl setzte. »Ich bin froh darüber dass wir mehr Organe bekommen, um Patienten am Leben zu erhalten, die auf eine Spende angewiesen sind.«
Sie stöhnte resignierend, lehnte sich auf ihrem Bürostuhl zurück und rieb sich die müden Augen, »Ich begrüße es ja wenn wir mehr Patienten retten können, aber ich werde das blöde Gefühl nicht los, das es sich dabei um illegalen Organhandel geht, dem wir mit den Operationen ungewollt Hilfe leisten.«
»Das kann sein Priscila«, antwortete Pineda niedergeschlagen, »aber wenn das so ist, sollten nicht wir uns darum kümmern, sondern die Polizei.«
Die junge Stationsleiterin nickte, »Ich denke, du hast recht, aber keine Polizei würde uns ohne hinreichenden Verdacht zuhören, von ermitteln ganz zu schweigen.«
»Genau das ist das Problem, Priscila. Wir haben nur einen Verdacht, können ihn aber nicht begründen und erst recht nicht beweisen. Wer sollte uns da zuhören?«, fragte der Oberarzt.
»Die einzige Behörde, die mir einfallen würde, ist Interpol, aber die kümmern sich garantiert nicht um die Probleme einer kleinen Klinik mitten im nirgendwo. Außerdem habe ich keine Ahnung, wie man die darauf aufmerksam machen könnte.«
Der Oberarzt schaute skeptisch auf die kleine brünette Frau hinter dem Schreibtisch. Auch er wusste nicht, wie man Interpol auf die Probleme einer kleinen Klinik in Spanien aufmerksam machen könnte. »Ich habe mich noch nie mit denen beschäftigt. Da kann ich dir leider nicht helfen.«
Priscila nickte ihn müde und verständnisvoll an, zwang sich aber zu einem kleinen lächeln. Dr. Daniel Pineda war zwar um 8 Jahre älter als die Stationsleiterin mit ihren 26 Jahren, aber er war in ihren Augen sehr attraktiv. Die milden Züge und die Lachfältchen im Gesicht passten zu den kurz geschorenen braunen Haaren. Sie könnte sich mit ihm schon etwas vorstellen, aber Verhältnisse unter Arbeitskollegen brachten immer wieder Probleme mit sich. Aus Erfahrung wusste sie, dass es nicht gut gehen würde. Vor nicht allzu langer Zeit war sie mit einem Pfleger auf der inneren Station liiert. Etwas über ein Jahr hatte die Beziehung zwischen den beiden gedauert. Nachdem die junge Liebe zerbrochen war, und sie sich täglich auf der Arbeit sahen, gab es nur noch böse Blicke zwischen ihnen. Selbst ein normales Gespräch war zwischen den beiden nicht mehr möglich. Würde sie etwas mit dem Oberarzt anfangen, und die Beziehung zerbrechen, wäre ein Normales arbeiten mit ihm nicht mehr möglich. Auch die Kolleginnen würden dann davon erfahren. Das war nicht im Interesse von Priscila. Allerdings kam sie neben ihrer Arbeit kaum mit Männern in Kontakt. Durch die unterschiedlichen Schichten, die sie arbeiten musste, kam ein zufriedenstellendes Privatleben kaum mehr infrage.
Den meisten jüngeren Krankenschwestern fehlte eine private Liebesbeziehung. Es blieb neben den unterschiedlichen Arbeitszeiten kaum mehr Zeit für eine zufriedenstellende Beziehung. Wer nicht bereits schon in einer längeren Partnerschaft war, ohne in ihrem Beruf anzufangen, hatte es schwer eine Liebe zu finden. Priscilas Eltern wünschten sich zwar Enkel, aber sie hatte für sich selbst entschieden, keine Kinder zu bekommen. Sie liebte ihren Job viel zu sehr, um eine Pause zu machen, damit sie ihre eigenen Kinder erziehen konnte. Außerdem brauchte sie ihre Ruhe, wenn sie Feierabend hatte. Schreiende kleine Menschen würden diese Ruhe empfindlich stören. Das war auch das Problem mit Dr. Pineda. Er liebte Kinder und wollte unbedingt selber welche haben, nur fehlte ihm die richtige Frau dafür. An dieser Stelle war dann für die Stationsleiterin das Thema auch beendet, bevor es richtig angefangen hatte. Sie wollte ihn als netten Kollegen behalten und das berufliche Verhältnis nicht durch eine zum Scheitern verurteilte Liebesbeziehung zerstören.
Die Akten der Transplantationen vor ihr auf dem Schreibtisch betrachtend kam sie auf die Idee über die offizielle Internetseite bei Interpol anzufragen. Priscila wollte gerade zur Maus greifen, als die beiden durch ihren Pieper unterbrochen wurden. Es wurde ein Noteinsatz gemeldet. Noch bevor sie aufspringen konnte, hatte Dr. Pineda, als zuständiger Oberarzt, die Tür im Vollsprint durchquert und rannte den langen Gang entlang. Sie folgte ihm, so schnell sie konnte, aber mit ihren kurzen Beinen war es unmöglich, den deutlich größeren Arzt noch einzuholen. Auch einige Schwestern ihrer Abteilung rannten über den mit lindgrünem Linoleum ausgekleideten Flur der Klinik. Priscila dachte noch daran, Interpol zu informieren, sobald der Noteinsatz beendet war. Kurz vor Feierabend sendete sie eine E-Mail an die auf der Internetseite angegebene Adresse. Darin bat sie um schnelle Hilfe wegen ihres Verdachts. Eine Antwort erhielt sie aber bis zu ihrem Feierabend nicht mehr.