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Kapitel 3 Ungarn, Budapest

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Im zehn­ten Be­zirk der un­ga­ri­schen Haupt­stadt Bu­da­pest, war­te­te die 37-jäh­ri­ge Mut­ter ei­ner Toch­ter auf den Au­to­bus in die In­nen­stadt. Ih­re acht­jäh­ri­ge Toch­ter blieb ein­mal im Mo­nat mit der 17-jäh­ri­gen Toch­ter der Nach­ba­rin al­lei­ne, die sich ein paar Fo­rint als Ba­by­sit­te­rin ver­dien­te. Sie war al­lein­er­zie­hend seit ihr Freund acht Mo­na­te vor Ge­burt der Toch­ter das Wei­te ge­sucht hat­te. Die Blu­men­ver­käu­fe­rin Pi­rosch­ka Ke­resz­tes war ein­sam und er­spar­te sich ein Mal im Mo­nat einen Abend oh­ne ih­re Toch­ter, den sie nutz­te, um viel­leicht einen Mann zu fin­den, der sie trotz ih­res Kin­des als Frau be­gehr­te. Auch die Klei­ne wünsch­te sich einen Va­ter für die Mut­ter und wünsch­te ihr seit Mo­na­ten viel Glück, je­man­den ken­nen­zu­ler­nen, wenn sie abends in die Stadt aus­ging.

In Bu­da­pest ging man für sol­che Vor­ha­ben in die Tanz­bars na­he dem Par­la­ments­ge­bäu­de an der Do­nau. Die Fahrt vom zehn­ten Be­zirk, wo sie wohn­te, dau­er­te mit dem Bus nur knapp 20 Mi­nu­ten. Ein Au­to konn­te sich die Mut­ter mit ih­rem klei­nen Ver­dienst nicht leis­ten, und der Fahr­preis war nicht teu­er. An den Aben­den in den Tanz­lo­ka­len blieb es meist bei ei­nem Glas Wein, dass sie um­so lang­sa­mer trank, um mög­lichst viel Geld zu spa­ren. Die Män­ner, die sie dort ken­nen­lern­te, wa­ren im­mer be­reit ihr einen wei­te­ren Wein, oder auch mal einen Sekt aus­zu­ge­ben. Lei­der hat­te sie aber bis­her kei­nen fin­den kön­nen der nicht nur sie, son­dern auch ih­re Toch­ter ak­zep­tier­te. Al­lein­er­zie­hen­de Müt­ter hat­ten es schwer in Un­garn einen Mann zu fin­den. Seit Ve­ro­ni­ka, ih­re Toch­ter, drei Jah­re alt war, ver­such­te sie es ein­mal im Mo­nat, aber ih­re Er­folgs­bi­lanz wies un­ter dem Strich ei­ne di­cke Null auf.

Auch heu­te hat­te sie sich her­aus­ge­putzt, um einen Mann ken­nen­zu­ler­nen. Pas­send zu ih­rem Vor­na­men Pi­rosch­ka, was über­setzt rot hieß, hat­te sie ein ro­tes Kleid an­ge­zo­gen und ih­re bes­ten Schu­he. Sie war mit 1,72 m nor­mal groß und nicht über­ge­wich­tig. Ihr ein­zi­ger Ma­kel, den sie selbst ver­teu­fel­te wa­ren, ih­re, nach ei­ge­ner Mei­nung, zu klein ge­ra­te­nen Brüs­te. Sie konn­te nur mit B Körb­chen punk­ten, wäh­rend die un­ga­ri­schen Män­ner grö­ße­re Ober­wei­ten be­vor­zug­ten. Pi­rosch­ka ver­such­te, das mit ei­nem Push-up BH ein we­nig zu ver­ste­cken. Sie selbst nann­te sie es auch ger­ne ei­ne Mo­gel­pa­ckung, denn der BH täusch­te mehr vor, als ei­gent­lich vor­han­den war.

Sie be­stieg den Bus und be­zahl­te ein paar Fo­rint für die Fahrt in die In­nen­stadt. Ver­träumt schau­te sie auf das wil­de Trei­ben der un­ga­ri­schen Haupt­stadt, als die Son­ne lang­sam un­ter­ging. Ge­gen Abend, wenn es lang­sam dun­kel wur­de, gin­gen die Be­woh­ner auf die Stra­ße. Es gab an je­der Ecke ein of­fe­nes Feu­er, über dem ein Kes­sel sei­ne Run­de dreh­te, um das fri­sche Gu­lasch zu ko­chen. Je­den Abend traf man sich auf der Stra­ße zum Kar­ten spie­len oder Spaß ha­ben. Selbst die Kin­der aus der Nach­bar­schaft spiel­ten auf der Stra­ße bis in den spä­ten Abend hin­ein. Der Bus in dem Pi­rosch­ka saß, quäl­te sich vor­sich­tig durch die en­gen Gas­sen der Stadt auf dem Weg zum Do­nau-Ufer, die sich mit­ten durch die Stadt wand. Das Par­la­ments­ge­bäu­de kam lang­sam nä­her und Pi­rosch­ka stieg an der Hal­te­stel­le aus.

Sie at­me­te tief durch und gönn­te sich einen letz­ten Blick auf die fei­ern­den Men­schen. Die Po­li­zei un­ter­nahm nichts ge­gen die Men­schen, die je­de Stra­ße der Haupt­stadt blo­ckier­ten, sie fei­er­ten ein­fach mit. Selbst ein nie­der­ge­hen­der Re­gen konn­te das nicht ver­hin­dern. Man ver­zog sich nur un­ter schüt­zen­de Dä­cher. Trotz­dem nahm man sein Abendes­sen ge­mein­sam mit viel Al­ko­hol und den Nach­barn ein. Pi­rosch­ka roch den fei­nen Duft, den das Gu­lasch das in den Kes­seln über den Feu­ern ver­brei­te­te als es vor sich hin schmor­te. Haupt­zutat war fri­sches Rind­fleisch und Pa­pri­ka­pul­ver. Über Stun­den hin­weg hin­gen die Kes­sel über dem Feu­er. Da­zu gab es frisch ge­ba­cke­nes Weiß­brot und Bier.

Pi­rosch­ka be­sah sich die Män­ner, die in die Tanz­bars in die­sem Vier­tel ström­ten, um sie im Vor­feld ein biss­chen ein­zu­schät­zen. Sie brauch­te Hin­wei­se dar­auf, ob sie viel­leicht kin­der­lieb wa­ren, oder sons­ti­ge net­te Cha­rak­terei­gen­schaf­ten be­sa­ßen, die sie als Va­ter für Ve­ro­ni­ka qua­li­fi­zier­ten. Au­ßer­dem soll­te ja auch für sie ein biss­chen was da­bei sein. Sie moch­te kei­ne Boh­nen­stan­gen, die beim ers­ten Wind fest­ge­bun­den wer­den muss­ten, be­vor sie da­von­flo­gen. Ein or­dent­li­cher Mann brauch­te einen di­cke­ren Bauch, an dem man sich auch schön an­ku­scheln konn­te, und kräf­ti­ge Ar­me, um sie fest­zu­hal­ten. In den letz­ten Jah­ren hat­te sie ih­re An­sprü­che schon sehr weit nach un­ten kor­ri­giert, trotz­dem wur­de der Wunsch, einen Mann zu fin­den, im­mer mäch­ti­ger.

Im hel­len Schein ei­ner Stra­ßen­la­ter­ne stand je­mand, der ge­nau ih­rem Beu­te­sche­ma ent­sprach. Ein biss­chen rund­lich um die Hüf­ten, aber ein gü­ti­ges Ge­sicht und star­ke Ar­me, die er am Kör­per an­ge­legt hat­te. Unauf­fäl­lig sah sie zu ihm hin­über und ach­te­te auf sei­ne Be­we­gun­gen. Er stand an­ge­lehnt an der La­ter­ne und sah, wie sie selbst, dem bun­ten Trei­ben auf der Stra­ße zu. Ei­ne Grup­pe von Kin­dern aus der nä­he­ren Um­ge­bung spiel­te, nicht weit von ihm ent­fernt fan­gen und rann­ten über das holp­ri­ge graue Kopf­stein­pflas­ter. Pi­rosch­ka ver­such­te, sei­nem Blick zu fol­gen, aber es ge­lang ihr nicht. Wenn er nett zu Kin­dern war, dann viel­leicht auch zu Ve­ro­ni­ka, die wirk­lich einen Va­ter, oder zu­min­dest einen Mann in ih­rem Le­ben brauch­te. Sie war zwar die Mut­ter und Ve­ro­ni­ka war ihr Kind, aber ein Mann wä­re als Be­zugs­per­son für sie auch von Vor­teil. Au­ßer­dem wünsch­te sich ih­re Toch­ter schon lan­ge einen Bru­der, was al­ler­dings mit ih­rem Ver­dienst nicht zu stem­men war. Oh­ne einen Mann an ih­rer Sei­te gab es na­tür­lich auch kei­ne Kin­der, aber wenn sie einen fin­den wür­de, der viel­leicht auch einen bes­ser be­zahl­ten Job hat­te und ihr Un­ter­stüt­zung gab, wür­de aus ih­nen viel­leicht ei­ne rich­ti­ge Fa­mi­lie wer­den. Noch hat­te sie ein paar Jah­re Zeit, um ein wei­te­res Kind zu be­kom­men.

Die spie­len­den Kin­der ka­men im­mer wei­ter auf ihn zu und Pi­rosch­ka sah sehr ge­nau hin. Ei­nes von den spie­len­den Mäd­chen fiel, gar nicht weit von ihm auf den har­ten Un­ter­grund und hielt sich wei­nend das lin­ke Bein. Pi­rosch­ka war sehr neu­gie­rig, wie er dar­auf rea­gie­ren wür­de, aber er stand wei­ter­hin nur un­be­wegt da. Als sein Blick ge­nau auf das wei­nen­de Kind fiel, er­kann­te sie nur ein ge­häs­si­ges Grin­sen in sei­nem Ge­sicht. Das war der Punkt, an dem sie mit dem Un­be­kann­ten fer­tig war. Ein Kind lag wei­nend auf der Stra­ße und er emp­fand nur Scha­den­freu­de, an­statt dem Mäd­chen zu hel­fen oder es zu trös­ten.

Pi­rosch­ka lief ein biss­chen wei­ter den Bür­ger­steig ent­lang auf die Tanz­lo­ka­le zu, die wie an ei­ner Per­len­ket­te auf­ge­reiht, mit leuch­ten­den und bun­ten Schil­dern um Kun­den war­ben. Sie lief lang­sam an ih­nen vor­bei und warf da­bei einen Blick durch die Fens­ter, um zu er­ken­nen, wel­che Kli­en­tel die Lo­ka­le be­her­berg­ten. Die Er­fah­rung hat­te sie ge­lehrt, dass in den Lo­ka­li­tä­ten mit we­ni­ger weib­li­chem Pub­li­kum die Chan­cen auf einen Mann weit hö­her stan­den. Au­ßer­dem ach­te­te sie auf die an­we­sen­den Män­ner. Man konn­te schließ­lich nie wis­sen, ob da nicht ir­gend­wo ge­nau ihr Traum­mann dar­auf war­te­te von ihr ge­fun­den zu wer­den. In der Bar Táncol­ni a Vulcánon, was über­setzt Tanz auf dem Vul­kan hieß, ver­mu­te­te sie ih­re bes­ten Chan­cen. Es wa­ren fast kei­ne Frau­en zu se­hen, da­für aber ei­ni­ge fe­sche Män­ner, die Pi­rosch­ka ge­fie­len. Vi­el­leicht wür­de sich dort ei­ner da­von für sie in­ter­es­sie­ren und hät­te auch kein Pro­blem ei­ne al­lein­er­zie­hen­de Mut­ter zu Da­ten.

Sie be­trat das Tanz­lo­kal, mit den et­was ab­ge­nutz­ten dun­kel­brau­nen Holz­stüh­len und den farb­lich pas­sen­den Ti­schen. Die Luft war feucht­warm und ver­ström­te einen an­ge­neh­men Duft un­ga­ri­schen Weins. Im hin­te­ren Be­reich spiel­te ei­ne Li­ve­band an­ge­neh­me Tanz­mu­sik und da­vor, auf der glän­zend po­lier­ten Tanz­flä­che wo­gen sich ei­ni­ge Pär­chen im Takt zur Mu­sik.

Nach­dem sie sich ein biss­chen ge­nau­er um­ge­se­hen hat­te, setz­te sie sich auf einen er­höh­ten Stuhl an die klei­ne Bar mit ei­nem un­pas­sen­den röt­li­chen Tre­sen. Von hier aus hat­te sie einen schö­nen Blick über die Tanz­flä­che und auf die Band, die im Hin­ter­grund auf ei­ner im­pro­vi­sier­ten Büh­ne aus ei­nem er­höh­ten Bret­ter­ver­schlag stand. Pi­rosch­ka sah sich die aus­lie­gen­de Kar­te an und ach­te­te auf die da­bei­ste­hen­den Prei­se. Da sie spa­ren muss­te, durf­te es nicht zu teu­er sein was sie an die­sem Abend trank. Sie fand auf ei­ner der letz­ten Sei­te ein tol­les An­ge­bot über einen hal­b­en Li­ter Haus­wein für nur 1100 Fo­rint. Um­ge­rech­net wa­ren das ge­ra­de mal 3 Eu­ro. Das pass­te wun­der­bar in ihr ver­füg­ba­res Bud­get und sie könn­te so­gar noch zwei­mal das glei­che Be­stel­len, oh­ne ihr Bud­get für den Tag zu über­schrei­ten. Der gut ge­kühl­te Haus­wein wur­de ihr in ei­nem blau ver­zier­ten Kera­mik­krug mit ei­nem Wein­glas ser­viert. Er war eher herb im Ge­schmack, aber für den Preis ach­te­te sie we­ni­ger auf den Ge­schmack. Im­mer­hin konn­te sie so ein biss­chen mehr über den Abend trin­ken, oh­ne auf die Kos­ten zu ach­ten.

Je spä­ter es wur­de, um­so mehr Be­su­cher ström­ten zur Tür her­ein und füll­ten das Lo­kal. Pi­rosch­ka be­ob­ach­te­te mit Ar­gus­au­gen die Kon­kur­renz der an­we­sen­den Da­men. Sie al­le wa­ren im hö­he­ren Al­ter, aber wie sie fand bei Wei­tem nicht mehr so gut in Schuss wie sie mit ih­ren 37 Jah­ren. Die Män­ner hin­ge­gen wa­ren zum größ­ten Teil ei­ne ein­zi­ge Plei­te. Meist wa­ren sie so dünn wie ab­ge­brann­te Streich­höl­zer und so gar nicht nach ih­rem Ge­schmack. Die an­de­ren, et­was Brei­te­ren, für die sie sich in­ter­es­sier­te sa­ßen zu­sam­men mit ih­ren Freun­den am Tisch. Man­che da­von wa­ren auch mit ih­ren an­ge­trau­ten Ehe­frau­en ge­kom­men. Neid kam in ihr auf, als sie ei­ni­ge da­von händ­chen­hal­tend an den Ti­schen sit­zen sah. Sie wünsch­te es sich auch, von ei­nem Mann in ein Tanz­lo­kal aus­ge­führt zu wer­den, wäh­rend die Nach­bar­s­toch­ter auf Ve­ro­ni­ka zu Hau­se ein Au­ge hat­te. Der Gott der Lie­ben­den hat­te schließ­lich ein Ein­se­hen und schick­te einen wun­der­bar aus­se­hen­den Mann her­ein. Sei­ne schwar­zen Haa­re wa­ren kurz ge­schnit­ten und ga­ben ihm ein jün­ge­res Aus­se­hen. Er hat­te vie­le Lach­fält­chen im Ge­sicht, war rund­lich ge­nug und setz­te sich gar nicht weit von ihr eben­falls an die Bar.

Gera­de als sie ihn an­spre­chen woll­te, stand er auf und steu­er­te zur Tür hin­aus. Pi­rosch­ka fand das ko­misch, im­mer­hin hat­te er sich einen teu­ren Wein be­stellt und das fast vol­le Glas stand noch auf der The­ke, wäh­rend er ein­fach durch die Tür nach drau­ßen trat. We­nig spä­ter kehr­te er al­ler­dings mit ei­ner neu­en Pa­ckung fil­ter­lo­sen Zi­ga­ret­ten zu­rück und setz­te sich wie­der auf sei­nen Platz. Als sie noch über­leg­te, ob sie mit ei­nem Rau­cher ins Ge­spräch kom­men woll­te, schenk­te er ihr aus sei­nen stahl­blau­en Au­gen einen an­ge­neh­men Blick. Er lä­chel­te sie mit ei­nem wär­me­n­den Blick an, was ih­re Be­den­ken ver­flie­gen ließ. Als sie ihm eben­falls ein schüch­ter­nes Lä­cheln ent­ge­gen­brach­te, nahm er noch einen klei­nen Schluck Wein und sprach sie dann an.

»Hal­lo, ich bin Mi­los, darf ich mich zu ih­nen set­zen?«, sprach er sie mit ei­ner dunklen freund­li­chen Stim­me an.

Pi­rosch­ka konn­te es kaum glau­ben, dass die­ser Mann sie an­sprach. Sie brach­te kei­nen Ton her­aus, wes­halb sie nur freund­lich nick­te. Er nahm sein Glas Wein von der The­ke und stell­te sich rechts ne­ben sie. Vor­sich­tig streck­te er ihr die große ge­pfleg­te Hand hin. Pi­rosch­ka gab ihm die Hand, die sich warm und weich an­fühl­te. Die­ser Mann konn­te kein hart ar­bei­ten­der Ar­bei­ter sein. Sei­ne Hand war ma­ni­kürt und sanft, was nicht zu ei­nem Mann pass­te, der im Schwei­ße sei­nes An­ge­sichts schwer ar­bei­ten muss­te, um sein Geld zu ver­die­nen. Nach kur­z­er Wei­le, in der sie stumm auf ih­rem Stuhl saß und ihn mit den Au­gen an­strahl­te, frag­te er »Darf ich auch ih­ren Na­men er­fah­ren?«

»Oh Ver­zei­hung. Mein Na­me ist Pi­rosch­ka«, sag­te sie mehr als schüch­tern.

»Sehr hüb­sches Kleid, bringt ih­re brau­nen Au­gen zur Gel­tung«, mach­te er ihr ein Kom­pli­ment. »Sind sie öf­ter hier?«

»Dan­ke«, er­wi­der­te sie. »Lei­der nein, ich kann mir das fi­nan­zi­ell nicht leis­ten so oft aus­zu­ge­hen.«

Er lä­chel­te mil­de, »Ging mir vor Kur­zem auch noch so, aber seit ich mei­nen Stu­dien­kre­dit ab­be­zahlt ha­be, kann ich auch mal öf­ter aus­ge­hen.«

»Stu­dien­kre­dit?«, frag­te sie eher ne­ben­säch­lich, »was ha­ben sie denn stu­diert?«

»Me­di­zin«, sag­te er mit stol­zer Stim­me, »ich bin ei­gent­lich Ge­fäß­chir­urg, ar­bei­te aber in ei­nem Kran­ken­haus als Kin­der­arzt. Und was ar­bei­ten sie?«

»Ich bin Flo­ris­tin.«

»Si­cher ein sehr schö­ner Be­ruf. Was müss­te ich denn für einen klei­nen Strauß ro­ter Ro­sen aus­ge­ben?«, frag­te er grin­send.

»Un­ge­fähr 9000 Fo­rint«, lä­chel­te sie ihn an. Den Wink mit dem Zaun hat­te Pi­rosch­ka so­fort ver­stan­den.

Er schüt­tel­te la­chend den Kopf, als er ihr zu ver­ste­hen gab, dass er dann lie­ber das Geld für ei­ni­ge Glä­ser Wein an die­sem Abend mit ihr aus­ge­ben wür­de. Mi­los Bar­tok ließ den gan­zen Abend sei­nen Ch­ar­me spie­len. Auch als sich Pi­rosch­ka end­lich trau­te ih­re Toch­ter Ve­ro­ni­ka zu er­wäh­nen rea­gier­te er nicht ab­wei­send, son­dern eher ver­ständ­nis­voll. Er gab ihr auch zu ver­ste­hen, dass er durch sei­nen Be­ruf auch gut mit Kin­dern gut um­ge­hen konn­te, lei­der aber, auf­grund feh­len­der weib­li­cher Beglei­tung kei­ne Kin­der hat­te, sich aber schon seit Län­ge­rem wel­che wünsch­te. Pi­rosch­ka war hin und weg von ihm. Hat­te sie mit die­sem Arzt, der den gan­zen Abend mit ihr flir­te­te, das große Los ge­zo­gen, oder ver­steck­te sich da noch ir­gend­wo ein Ha­ken? So sehr sie auch nach ei­nem such­te, konn­te sie kei­nen fin­den.

Nach ei­nem gu­ten Ge­spräch, mit ei­ni­gen Kom­pli­men­ten tanz­ten Pi­rosch­ka und Mi­los zur Li­ve­mu­sik von der klei­nen Grup­pe auf dem Holz­po­dest. Er war ein gu­ter Tän­zer und hielt sie sanft in sei­nem star­ken, doch gleich­zei­tig sanf­ten Ar­men. Sie fand das ein­fach wun­der­bar. Er bot auch an sie am Abend nach Hau­se zu brin­gen, da­mit sie nicht auf einen Bus an­ge­wie­sen sein wür­de, der nur sel­ten zu ih­rem Wohn­ort zu­rück­fuhr. Er mach­te auch kei­ne An­stal­ten ei­ne schnel­le Num­mer zu su­chen, son­dern wür­de ihr Zeit las­sen. Das schmei­chel­te ihr sehr, ob­wohl es ihr ei­gent­lich egal war, ob sie mit ihm im Bett lan­de­te oder nicht. Durch ih­re lan­ge Durst­stre­cke war je­des An­ge­bot für ein Bet­ta­ben­teu­er ei­ne Ver­lo­ckung, der sie ger­ne nach­ge­ben wür­de. Sie nahm sein An­ge­bot, sie nach Hau­se zu brin­gen mit ei­nem klei­nen Hin­ter­ge­dan­ken an. Mitt­ler­wei­le war es spät ge­wor­den und Ve­ro­ni­ka lag si­cher schon schla­fend in ih­rem Bett. Die Nach­bar­s­toch­ter nutz­te die Zeit, um an ih­rem Han­dy mit Freun­den zu chat­ten, Fern­se­hen zu schau­en oder mit ih­rem Lap­top ein biss­chen zu spie­len. Wenn Pi­rosch­ka nach Hau­se kam, wä­re sie gleich ver­schwun­den. Sie hat­te ab und zu schon net­te Män­ner mit nach Hau­se ge­bracht, die in ih­rem Bett die Nacht ver­brach­ten. Wenn die Ba­by­sit­te­rin für Ve­ro­ni­ka das mit­be­kom­men hat­te, ging sie nach zwei Mi­nu­ten, um die Er­wach­se­nen nicht zu stö­ren. Pi­rosch­ka hat­te sie be­zahlt und dann war sie auch schon ver­schwun­den. Auch, wenn die Mut­ter die Nacht bei ei­nem Mann ver­brach­te, rief sie kurz zu Hau­se an und gab ihr Be­scheid. Dann blieb sie, bis Pi­rosch­ka wie­der heil zu­rück war und ihr das Ta­schen­geld, was sie sich so ver­dien­te, be­kam.

Zwi­schen­durch ver­schwand Mi­los im­mer mal wie­der vor die Tür, um fri­sche Luft zu schnap­pen. In den Lo­ka­li­tä­ten durf­te man zwar rau­chen, aber die Lüf­tun­gen wa­ren ein­fach viel zu schwach, um den kal­ten Rauch aus dem Lo­kal ab­zusau­gen. Pi­rosch­ka trän­ten von dem vie­len ab­ge­stan­de­nen Rauch die Au­gen und sie ging öf­ter mit ihm nach drau­ßen auf die Stra­ße, wo im­mer noch das Nacht­le­ben tob­te. Die Kin­der wa­ren zwar im Bett, aber die Er­wach­se­nen tran­ken noch ei­ni­ge al­ko­ho­li­sche Ge­trän­ke, un­ter­hiel­ten sich an­ge­regt oder spiel­ten Kar­ten. Es bil­de­ten sich im­mer Grüpp­chen, die streng nach Ge­schlech­tern ge­trennt wa­ren. Die Män­ner spiel­ten meist Kar­ten wäh­rend die Frau­en sich in Ge­sprä­chen ver­lo­ren, aber es gab auch große ge­misch­te Grup­pen, die sich über al­les und je­den un­ter­hiel­ten.

Der Arzt be­zahl­te den gan­zen Abend den Wein für die bei­den. Den her­ben Haus­wein hat­te Pi­rosch­ka schon längst wie­der ver­ges­sen. Mi­los hat­te ge­nug Geld für die bes­se­ren Wei­ne und zu­sam­men pro­bier­ten sie sich durch die an­ge­bo­te­nen Sor­ten, bis sie bei ei­nem lieb­li­chen Weiß­wein lan­de­ten. Nach An­sicht von Pi­rosch­ka war der Wein das vie­le Geld nicht wert, denn es gab bes­se­re Wei­ne für einen klei­ne­ren Kurs, doch Mi­los war das egal. Er schmeck­te bei­den und er ließ es sich nicht neh­men da­für zu be­zah­len. Nach­dem ihm Pi­rosch­ka ge­sagt hat­te, dass sie viel­leicht doch lang­sam in ein pri­va­te­res Um­feld wech­seln soll­ten, stimm­te er dem zu. Zu­sam­men tran­ken sie noch ein Glas Wein und mach­ten sich dann auf zu sei­nem Au­to, dass ein biss­chen wei­ter ent­fernt stand. Sie hat­te sehr gu­te Lau­ne und fühl­te sich groß­ar­tig bei der Aus­sicht, mit ihm noch im Bett zu lan­den.

Das Au­to, zu dem er sie führ­te, war ein schwar­zer Mer­ce­des mit ge­tön­ten Heck­schei­ben. Ganz der Gent­le­man öff­ne­te er ihr die Tür und ließ sie sanft auf den Bei­fah­rer­sitz glei­ten. Mit großen Schrit­ten kam er um den Wa­gen her­um und setz­te sich hin­ter das Lenk­rad. Um den Abend noch in die rich­ti­ge Rich­tung zu len­ken, nahm sie den Arzt in den Arm und küss­te ihn. Er lä­chel­te sie an und frag­te dann »Soll ich dich nach Hau­se brin­gen, oder willst du mit zu mir?«

»Wenn du mir ver­sprichst bis zum Früh­stück zu blei­ben fah­ren wir zu mir«, grins­te sie lüs­tern. »Ve­ro­ni­ka will dich si­cher auch ken­nen­ler­nen.«

Mi­los ant­wor­te­te »Ich hof­fe, sie wird nicht ent­täuscht sein, wenn sie mich am Früh­stücks­tisch ken­nen­lernt.«

Pi­rosch­ka lach­te laut »Ganz si­cher nicht. Sie hat mit Ja viel Glück ge­wünscht, als ich ge­gan­gen bin und wenn sie mor­gen früh sieht, was ich da mit­ge­bracht ha­be, freut sie sich si­cher dar­über.«

Mit ei­nem fröh­li­chen Lä­cheln auf den Lip­pen star­te­te er den Mer­ce­des und fuhr lang­sam in den Stadt­teil, in dem Ve­ro­ni­ka in ih­rem Bett lag. Pi­rosch­ka spür­te Eu­pho­rie in sich auf­stei­gen und sie nahm die sie um­ge­ben­den Far­ben viel in­ten­si­ver wahr. Sie wuss­te nicht mehr, wie lan­ge sie schon un­ter­wegs wa­ren, weil sie ihr Zeit­ge­fühl ver­lo­ren hat­te. Die Flo­ris­tin fühl­te sich be­rauscht, was sie al­ler­dings dem vie­len Wein zu­schrieb, den sie den gan­zen Abend über ge­trun­ken hat­te. Es dau­er­te nicht lan­ge, bis ihr die Au­gen zu­fie­len und sie mit ei­nem Hoch­ge­fühl ein­sch­lief.

Dass ihr Han­dy am spä­ten Mor­gen klin­gel­te, be­kam Pi­rosch­ka Ke­resz­tes nicht mehr mit. Das Letz­te, was sie in ih­rem Le­ben ge­se­hen hat­te, war der In­nen­raum des Mer­ce­des und den Arzt ne­ben ihr auf dem Fah­rer­sitz, der ein Lä­cheln auf­ge­setzt hat­te, als er sie durch Bu­da­pest kut­schier­te.

Spur der Todesengel

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