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Kapitel 5 Drei Wochen später. Niederlande, Amsterdam
ОглавлениеÜber der Hauptstadt der Niederlande ging gerade die Sommersonne auf und wärmte die Stadt, als Gerard Kooiman die Dienststelle betrat. Die ersten Sonnenstrahlen erhellten den breiten Gang des Reviers durch die streifenfreien Fenster, die noch durch einzelne Spots erhellt wurden, die als Nachtbeleuchtung dienten. Es war der erste Tag nach zwei Wochen Urlaub, den er mit seiner Frau und den beiden Kindern auf Kreta verbrachte. Als er sein Büro betrat, begrüßte ihn sein Partner Luuk van der Noot, der schon wenige Minuten vor ihm eingetroffen war. Gerard stellte seine Tasche auf ihren üblichen Platz neben dem Schreibtisch und startete den Computer. Die beiden bildeten seit 12 Jahren ein Ermittlerteam in Amsterdam für die Mordkommission.
»Na, Kollege? Wie war dein Urlaub?«, fragte Luuk mit glänzender Laune.
»Außer zu kurz meinst du? Ich muss jetzt erst mal wieder ein paar Jahre sparen. Kreta ist schweineteuer, das kann ich dir sagen«, lachte Gerard.
»Warum nimmst du auch deine Olle und die Kids mit?«, grinste sein Kollege. »Wärst du alleine nach Thailand geflogen und hättest dir jeden Abend eine mit ins Hotel genommen, wärst du billiger dran gewesen.«
Gerard schüttelte den Kopf, »Das kann auch nur von einem eisernen Junggesellen kommen.«
Sein Gegenüber lachte laut, »Es ist absolut unnatürlich, 20 Jahre dieselbe Frau zu vögeln. Das widerspricht einfach der Natur.«
»Daran erinnerst du mich jeden einzelnen Tag«, schimpfte Gerard mit gespielt böser Miene.
Beide fingen an zu lachen. Sie kannten sich schon viele Jahre und hatten auch die meisten ihrer Fälle aufklären können. Luuk war noch nie verheiratet und verbrachte seine Urlaube grundsätzlich in Ländern, in denen man günstig Prostituierte ergattern konnte. Sein bevorzugtes Urlaubsziel war Thailand. Er schwärmte regelrecht davon, dass man mit umgerechnet ein paar Euro jede Nacht eine andere mit in sein Hotelzimmer nehmen konnte, auch wenn man aufpassen musste, das die Damen auch schon alt genug waren. Gerard hingegen war seit 19 Jahren mit seiner Frau verheiratet und hatte zwei Kinder. Seine Tochter war 16 und sein Sohn gerade 14 Jahre alt.
Die beiden waren gute Freunde geworden und jeder wusste, dass er sich blind auf den anderen verlassen konnte, was auch für ihre Arbeit unerlässlich war. Beide arbeiteten schon eine Ewigkeit für die Mordkommission in Amsterdam. Im Laufe der Jahre hatten sie schon alles Mögliche gesehen. Vor allem in den Grachten der Hauptstadt fand man immer wieder Wasserleichen, die dort schon Jahre lagen, bis sie gefunden wurden. Es war einfach ein Mordopfer in den Gräben der Stadt, beschwert mit Steinen zu versenken. Ihre Arbeit machte das nicht wirklich einfacher. Der Anblick einer Leiche war schon ein Schlag auf den Magen, je mehr Blut, umso schlimmer der Anblick, aber eine Wasserleiche war noch mal ein ganz anderes Level. Das Gewebe reicherte sich mit Wasser an, Spuren verschwanden und die Verwesung begann, abgesehen von den Raubfischen, die auch daran teilhaben wollten. Selbst die härtesten Kommissare kamen am Anfang an ihre Grenzen. Gerard und Luuk hatten schon viele gesehen in ihrem Ermittlerleben.
Gerard war mit seinen 45 Jahren ein Jahr jünger als sein Kollege, aber aufgrund der Dienstzeit der wenige Monate ältere, was ihn zum Teamführer qualifizierte. Faktisch machte das aber bei ihnen keinen Unterschied, denn Gerard betrachtete seinen Freund als gleichwertig. Es diente nur ihren Vorgesetzten als Ansprechpartner. Gerade als er die Anmeldemaske seines Computers ausgefüllt hatte und auf Return drückte, klingelte bereits das Telefon auf seinem Schreibtisch. Die Nummernanzeige blinkte mit dem Namen ihrer Chefin. Er nahm ab und meldete sich wie gewohnt mit »Kooiman.«
Mit dem Kugelschreiber aus seiner Hemdtasche kritzelte er auf einen Schmierzettel die Daten auf, die er von seiner Chefin erhielt. Luuk beobachtete ihn neugierig über den Monitor hinweg. Er konnte nicht hören, was sie erzählte, aber er würde es gleich erfahren. Gerard legte auf und begann gleich zu erzählen, »Neuer Fall. Spaziergänger haben im Vliegenbos Park in Noord eine Leiche gefunden. Soll ziemlich übel zugerichtet sein. Wurde nur entdeckt, weil sie wilde Tiere durch die Gegend geschleift haben.«
Luuk sprang von seinem Stuhl auf und rief »Na dann los, lass uns das Schwein zur Strecke bringen, der ihn gekillt hat.«
Der Schlüssel ihres Dienstwagens, ein dunkelblauer Audi A4 Avant, lag links neben seinem Monitor in einer Schale. Gerard schnappte sich den Plastikschlüssel und stand auf. Zusammen verließen sie ihr Büro und begaben sich auf den Parkplatz. Durch die Sonne war es in der Karre sehr warm geworden, was Luuk veranlasste, die Klimaanlage voll aufzudrehen. Gerard steuerte ihren Dienstwagen durch den dichten Verkehr der Hauptstadt bis nach Noord. Beide bereiteten sich psychisch schon darauf vor, dass die Leiche wohl ziemlich abschreckend aussah. Als er auf den Besucherparkplatz des kleinen Wäldchens einbog, sah er schon ein ganzes Großaufgebot. Die Spurensicherung war vor Ort, die Pathologin war auch schon da und einige Streifenpolizisten rannten mit dem rot-weiß gestreiften Absperrband durch die Gegend. Gerard und Luuk stiegen aus und folgten den Fußspuren im trockenen Waldboden. Schon von Weitem erkannten sie Margriet Schoonmaker, die junge Pathologin die neben einem Torso kniete und in ein digitales Aufnahmegerät sprach, während sie sich darüber beugte und genauer hinsah. Aus Erfahrung wussten die beiden Ermittler, dass es bei einem Mord auf die ersten 24 Stunden ankam, die in ihrem Fall wohl schon lange abgelaufen waren.
Als Margriet sie ankommen sah, winkte sie ihnen zu und rief, »Hallo ihr beiden erholten alten Männer.«
»Was hast du für uns, süße Zuckerschnute?«, fragte Luuk mit einem aufreizenden grinsen.
»Für dich wie immer einen Korb, Luuk«, lächelte sie, »aber für deinen Kollegen hab ich hier den Großteil einer Leiche.«
Die beiden Mordermittler stellten sich neben die junge Frau und betrachteten den Klumpen, der einmal ein Körper eines Menschen war. Der süßlich strenge Geruch der Verwesung hing in der Luft wie schweres Parfum einer alten Frau. Es war kaum noch etwas zu erkennen.
»Sieht ja richtig übel aus«, bekannte Gerard mit düsterer Miene.
»Das ist scheinbar der Rest, der noch übrig ist. Das hier war wohl mal der Kopf«, sagte sie und zeigte mit einem Kugelschreiber, den sie in den Gummihandschuhen hielt auf eine Stelle blutiger Masse. »Zumindest das, was uns die Viecher noch gelassen haben.«
Luuk fragte »Kannst du uns was Näheres sagen?«
»Kann ich«, sagte sie. »Er ist tot!«
Luuk verzog die Mundwinkel zu einer schiefen Grimasse, »Das ist offensichtlich. Weitere Erkenntnisse?«
»Einen Haiangriff kann ich ausschließen«, sagte sie gleichgültig. »Bei dem Opfer handelt es sich vermutlich um etwas Männliches im Alter zwischen 15 und 30 Jahren. Hautfarbe weiß, und so wie ich das jetzt auf die Schnelle feststellen kann seit mindestens einer Woche tot.«
»Woran ist er gestorben?«, fragte Luuk, während Gerard den Kopf schüttelte und sich von dem schrecklichen Anblick löste.
»Multiples Organversagen«, lautete ihre ernüchternde Antwort.
Gerard mischte sich ein »Bist du sicher Margriet?«
Sie schenkte ihm einen tiefen Blick mit verdrehten Augen, »Nein, aber da fast keine mehr davon da sind, gehe ich mal davon aus.«
»Verstehe«, sagte der Familienvater nüchtern. »Näheres erst, wenn du ihn auf dem Tisch hast. Ist das alles, was von ihm übrig ist, oder gibt es vielleicht noch mehrere Teile?«
»Ein paar Fetzen sind noch gefunden worden, aber das ist wie wenn man versucht Rinderhack in eine Kuh zu verwandeln.«
Luuk entgegnete, »Kurz gesagt, wir haben nichts!«
»Na ja, wie man es nimmt. Wir haben ein bisschen was, aber bis ich euch dazu etwas sagen kann, werde ich noch ein bisschen brauchen«, erklärte sie.
Luuk und Gerard gingen zu den Kollegen der Spurensicherung, die gerade einige Fotos schossen. Überall auf dem Boden lagen kleine gelbe Schildchen mit Zahlen, um die gefundenen Spuren zuordnen zu können und einen Maßstab zu haben. Insgesamt waren drei von den Kollegen vor Ort. Während zwei von ihnen suchten, machte der andere Bilder aus verschiedenen Blickwinkeln.
Gerard fragte einen von ihnen, »Kollegen, habt ihr was Verwertbares für uns gefunden?«
»Jede Menge eigentlich«, sagte er nachdenklich, »jede Menge Tierspuren, von Ratten, Wildhunden und einigen Geiern, aber auch Insekten wie Aasfliegen und Käfer.«
»Kannst du uns sagen wie lange die Überreste hier schon liegen und ob wir es hier mit dem Tatort zu tun haben?«, fragte Luuk.
»Negativ, der Fundort ist nicht der Tatort, die Leiche wurde hier nur abgelegt, den Rest haben dann die Tiere erledigt und in Kleinteile zerlegt«, berichtete der Kollege der Spurensicherung.
»Fußspuren?«, fragte Gerard nach.
»Zu viele, um sie auszuwerten. Die meisten, wenn nicht alle, stammen von Spaziergängern die hier im Wäldchen Erholung suchen«, murrte er und drückte sein Kreuz durch.
Luuk wiederholte in Kurzform, »Also haben wir nichts Verwertbares zum jetzigen Zeitpunkt Gerard. Weder den Tatort, noch den Todeszeitpunkt und schon gar keine Identität des Opfers. Scheinbar männlich, weiß und zwischen 15 und 30 Jahren alt.«
»Lass uns zurück ins Revier fahren und die Vermisstenanzeigen der letzten zwei Monate durchgehen. Vielleicht ist da jemand dabei, auf den die Beschreibung passt. Vielleicht hat Margriet bis dahin noch ein bisschen mehr für uns«, analysierte Gerard.
Luuk musste seinem Freund zustimmen. Sie konnten nichts anderes tun, als sich auf Spurensuche zu begeben, um eine Identität festzustellen. Mit der Information könnten sie dann zumindest mal in den Hintergründen des Opfers nach einem Motiv suchen und mit etwas Glück auch den Mörder fassen. Zusammen wollten sie sich auf den Rückweg zum Revier machen, mussten sich allerdings erst mal durch die Masse an Journalisten kämpfen, die gerade dabei waren, ihre Kameras aufzubauen und kurze Beiträge für die Nachrichten zu drehen. Egal wo etwas passierte, dauerte es nicht lange, bis diese Geier schon um die besten Plätze kämpften, und sich mit Aufmerksamkeit heischenden Berichten Sendezeit verdienen wollten. Die Polizei veränderte ständig die Funkfrequenz, aber die Reporter hörten trotzdem immer mit. Wusste es einer von ihnen, war es kein Geheimnis mehr und wie die Schmeißfliegen verfolgten sie sich gegenseitig.
Gerard versuchte auf dem schnellsten Weg zum Revier zu kommen, aber die Hauptstadt der Niederlande war, was Autofahren angeht eine Katastrophe. Der Verkehr verlagerte sich von den Fahrzeugen, die auf den Straßen standen, langsam in die Grachten mit Booten. Aber sie waren zu eng, um die Masse an Menschen aufzunehmen. Zu welcher Zeit auch immer man in Amsterdam in ein Auto stieg, stand man kurz danach im Stau. Nur um die Mittagszeit und am späten Abend konnte man mit Schrittgeschwindigkeit durch die Straßen fahren. Die meisten Einheimischen wichen auf die öffentlichen Verkehrsmittel wie Straßenbahnen aus, um schneller voranzukommen. Luuk scherzte immer, sie bräuchten langsam, anstatt eines Autos einen Diensthubschrauber um schneller bei den Einsätzen zu sein. Sein Partner musste ihm leider zustimmen.
Zurück im Büro öffneten sie die Datei der Vermisstenfälle und führten eine Rasterfahndung mit den Hinweisen, die sie bisher hatten, durch. Heraus kamen insgesamt 43 Personen, die in den letzten zwei Monaten als Opfer infrage kommen würden.
»Lass uns mal versuchen die Vermissten nur auf die letzten vier Wochen zu begrenzen«, sagte Gerard. »Ich habe so eine dunkle Ahnung das wir nicht so lange zurückschauen müssen.«
Luuk scherzte, »Oh, du stützt dich auf Ahnungen. Nenn mir einen vernünftigen Grund, warum du glaubst, dass vier Wochen reichen.«
»Okay, wir haben nur einen Rest der Leiche gefunden. Margriet hat was von Wildhunden und Ratten gesagt, erinnerst du dich? Wenn wir theoretisch nur mal zwei Wildhunde annehmen, die eine Woche Zeit haben einen Kadaver auseinander zu nehmen, was meinst du wohl was die Fressen können? Und dann nimm mal noch ein Rudel Ratten dazu die auch eine Woche Zeit haben. Ich denke das sollte locker ausreichen, um einen Körper in den Zustand zu bringen, den wir vorgefunden haben«, erklärte Gerard.
Sein Partner dachte einen Moment darüber nach »Okay, du hast recht. Wenn ein Hund einen Tag Zeit hat und keiner auf ihn aufpasst, futtert er sich tot. Müsste also ausreichen, um einen normalen Mann so zuzurichten wie wir ihn gefunden haben.«
Sie verkürzten den Zeitraum auf vier Wochen und konnten den Kreis der potenziellen Opfer auf 27 eingrenzen. Luuk meinte sich zu erinnern, einen Teil brauner Haare erkannt zu haben, und konnten mit der Information die Opfer auf 13 verringern. Weitere Möglichkeiten, um die Opfer weiter einzugrenzen, konnten sie nicht finden. Sie besorgten sich die Daten und machten sich Gedanken. Gerard hatte eine Idee aufgrund des Fundortes und begann seinem Partner sie zu erklären, »Wenn der Fundort nicht der Tatort ist, würde es doch Sinn ergeben, die Leiche nicht zu weit zu transportieren. Das Opfer lag im Vliegenbos Park in Noord. Wie viele der potenziellen Opfer kamen aus der direkten Umgebung von Noord?«
»Lass mal durchsehen«, sagte Luuk und begann die Opferdaten noch einmal anzusehen. Damit konnten sie weitere fünf Männer von der Liste streichen. Blieben nur noch acht übrig. Die beiden diskutierten noch eine ganze Stunde, um weitere Möglichkeiten zu finden, die allerdings ausblieben. Nach dieser Zeit klingelte Gerards Telefon erneut. Die Anzeige verkündete die Nummer von Margriet.
»Was hast du für mich Margriet?«, fragte er, als er den Hörer abgenommen hatte.
»Ihr solltet so schnell wie möglich hier vorbeikommen, Gerard. Ich habe was Erschreckendes gefunden«, sagte sie und knallte den Hörer auf.
Gerard erhob sich von seinem Stuhl und forderte Luuk auf, ihm zu folgen. Sie gingen zum Wagen und auf dem Weg erklärte er seinem Partner, das Margriet wohl etwas Wichtiges gefunden hatte. Beide konnten sich nicht vorstellen, was das sein könnte. Dieses Mal fuhr Luuk den Audi zu Margriets Büro, das nur ein paar Kilometer entfernt war. Er parkte den Audi A4 in der Tiefgarage und sie bestiegen den Fahrstuhl. In dem ganzen Gebäude war es ziemlich kühl. Selbst im Sommer konnte man sich hier eine Erkältung wegen Unterkühlung einfangen. Das Büro von Margriet Schoonmaker lag am Ende des langen Flurs. Als Luuk seine Hand hob, um anzuklopfen, riss die junge Frau gerade die Tür auf und wollte auf den Gang stürmen. Sie rannte direkt in seine Arme.
»Nicht so schnell Honigschnütchen. Ein bisschen Zeit solltest du dir schon lassen«, scherzte er.
Margriet löste sich von dem viel zu alten ewigen Junggesellen und schimpfte »Ich bin keine von deinen Nutten, Luuk! Spar dir dein Gesülze, und jetzt kommt ihr beiden mit.«
Die drei rannten fast zu einem weiß gefliesten Raum, in dem die Überreste der Leiche aufbewahrt wurden, die sie am Morgen in dem Wäldchen gefunden hatten. Margriet schaltete das Licht ein und zeigte auf die Metallpritsche mit dem Torso.
»Seht euch das an«, rief sie und eilte zu der Pritsche aus Edelstahl. »Diese Bissspuren stammen von einem Wildhund, aber das Loch dahinter stammt von der Niere.«
Luuk verstand nur Bahnhof und auch Gerard wusste nicht, was sie damit andeuten wollte. Sie starrte die beiden Männer an, als ob sie gerade den Fall gelöst hätte, aber die beiden Ermittler kapierten nicht, was sie damit sagen wollte.
»Ihr begreift es nicht«, sagte sie enttäuscht, »der Wildhund hat nur das obere Gewebe verletzt, die Niere wurde aber professionell entfernt!«
»Okay«, sagte Gerard. »Das Opfer hat also eine Niere gespendet. Dann haben wir ein weiteres Kriterium, um weitere Kandidaten auszusortieren.«
Die junge Pathologin schüttelte wild den Kopf, »Nicht ganz, es sei denn, er hätte auch noch ein künstliches Herz und eine Leber gehabt, die ebenso entfernt wurden.«
»Sagst du gerade, dass die ganzen Organe entnommen wurden?«, fragte der alleinstehende Ermittler sorgenvoll.
»Genau das«, bestätigte die Pathologin. »Nicht die Tiere haben sie aufgefressen, sie wurden schon vor seinem Tod entfernt. Die Schnitte hier hinten stammen von einem Skalpell. Das bedeutet, sie wurden von einem Chirurgen entfernt. Ich habe das Blut untersucht und konnte Propofol nachweisen. Die Blutgruppe ist übrigens A Rhesusfaktor negativ. Die Organe die entnommen wurden, insbesondere das Herz müssen spätestens nach sechs Stunden transplantiert werden, sonst sind sie unbrauchbar!«
Gerard fragte die Pathologin, »Warum entsorgt eine Klinik einen Organspender in einem öffentlichen Park?«
»Darf sie nicht«, erklärte sie. »Ich vermute, die Organe wurden illegal aus einem noch lebenden Spender entnommen und transplantiert.«
»Organhandel ist ein lukratives Geschäft, habe ich gelesen, das wäre also ein gutes Motiv für einen Mord«, kam von Luuk.
Die Pathologin nickte zustimmend. »Ein Herz kostet auf dem Schwarzmarkt irgendwas um 200.000 bis 250.000 Dollar und mit den ganzen Nachuntersuchungen, was da alles dran hängt, kommt man noch mal auf den gleichen Betrag. Wenn wir jetzt davon ausgehen das neben dem Herz auch noch die Leber und eine Niere fehlt kommen wir fast auf eine Million.«
Gerard pfiff durch die Zähne, das war wirklich ein gutes Motiv für einen Mord. Trotzdem wussten sie noch nicht einmal, wer das Opfer eigentlich war, deshalb fragte Gerard noch nach weiteren Hinweisen, die sie nutzen konnten.
Margriet sagte verständnisvoll, »Gut, dass du das sagst, Gerard. Ich habe wirklich noch mehr herausgefunden. Das Opfer war definitiv ein Mann, dessen Alter ich auf zwischen 20 und 30 festlegen konnte. Die Blutgruppe ist A Negativ und es gibt noch etwas, was ich bisher noch nicht begriffen habe. Ich konnte im Magen des Opfers keinerlei Nachweis über Nahrung finden.«
Luuk wollte gerade genauer nachfragen, als das Telefon der Pathologin klingelte. Sie nahm den Hörer ab und telefonierte, während sie wie ein kleiner Hund im Kreis lief und sich das Kabel immer weiter um sie spannte. Als die junge Frau auflegen wollte, musste sie sich erst aus der Umklammerung des Kabels befreien, dass sich mehrfach um die schlanke Statur der Frau gewickelt hatte. Sie kam wieder zu den beiden Besuchern zurück und begann »Das meine Lieben war der Chef der Spurensicherung. Laut den gefundenen Insektenlarven konnten sie den Zeitpunkt des Todes auf vor ungefähr drei Wochen datieren.«
»Danke dir Margriet, du hast uns sehr geholfen«, bedankte sich Gerard und Luuk tätschelte ihr anerkennend die Schulter. Die drehte sich von dem Ermittler weg, weil sie seine Berührungen nicht mochte. Luuk war bekannt dafür seine Urlaube mit kaufbaren Frauen zu verbringen. Zudem war er für sie viel zu alt, und noch dazu wusste jede im Umkreis von vielen Kilometern, dass dieser Mann der Inbegriff der Untreue war.
Die beiden Ermittler verließen die Pathologie und kehrten in ihr Büro zurück. Anhand der gewonnenen Informationen sortierten sie in ihrer Liste noch weitere sechs Namen aus. Blieben nur noch zwei Namen übrig. Der eine lautete Lieven De Graaf, ein 25-jähriger Wirtschaftsstudent, der seit ziemlich genau dreieinhalb Wochen vermisst wurde, und der andere war Adelwin Timmer, ein 28-jähriger Automechaniker, der seit vier Wochen verschwunden war. Beide wohnten in Amsterdam Noord, in einem Viertel mit vielen Wohngemeinschaften. Beide teilten sich auch noch die gleiche Adresse. Die beiden Ermittler machten sich sofort auf den Weg zu der Adresse, um weitere Informationen zu bekommen.