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Kapitel 5 Drei Wochen später. Niederlande, Amsterdam

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Über der Haupt­stadt der Nie­der­lan­de ging ge­ra­de die Som­mer­son­ne auf und wärm­te die Stadt, als Gerard Kooi­man die Dienst­stel­le be­trat. Die ers­ten Son­nen­strah­len er­hell­ten den brei­ten Gang des Re­viers durch die strei­fen­frei­en Fens­ter, die noch durch ein­zel­ne Spots er­hellt wur­den, die als Nacht­be­leuch­tung dienten. Es war der ers­te Tag nach zwei Wo­chen Ur­laub, den er mit sei­ner Frau und den bei­den Kin­dern auf Kre­ta ver­brach­te. Als er sein Bü­ro be­trat, be­grüß­te ihn sein Part­ner Luuk van der Noot, der schon we­ni­ge Mi­nu­ten vor ihm ein­ge­trof­fen war. Gerard stell­te sei­ne Ta­sche auf ih­ren üb­li­chen Platz ne­ben dem Schreib­tisch und star­te­te den Com­pu­ter. Die bei­den bil­de­ten seit 12 Jah­ren ein Er­mitt­ler­team in Ams­ter­dam für die Mord­kom­mis­si­on.

»Na, Kol­le­ge? Wie war dein Ur­laub?«, frag­te Luuk mit glän­zen­der Lau­ne.

»Au­ßer zu kurz meinst du? Ich muss jetzt erst mal wie­der ein paar Jah­re spa­ren. Kre­ta ist schweine­teu­er, das kann ich dir sa­gen«, lach­te Gerard.

»Wa­rum nimmst du auch dei­ne Ol­le und die Kids mit?«, grins­te sein Kol­le­ge. »Wärst du al­lei­ne nach Thai­land ge­flo­gen und hät­test dir je­den Abend ei­ne mit ins Ho­tel ge­nom­men, wärst du bil­li­ger dran ge­we­sen.«

Gerard schüt­tel­te den Kopf, »Das kann auch nur von ei­nem ei­ser­nen Jung­ge­sel­len kom­men.«

Sein Ge­gen­über lach­te laut, »Es ist ab­so­lut un­na­tür­lich, 20 Jah­re die­sel­be Frau zu vö­geln. Das wi­der­spricht ein­fach der Na­tur.«

»Da­ran er­in­nerst du mich je­den ein­zel­nen Tag«, schimpf­te Gerard mit ge­spielt bö­ser Mie­ne.

Bei­de fin­gen an zu la­chen. Sie kann­ten sich schon vie­le Jah­re und hat­ten auch die meis­ten ih­rer Fäl­le auf­klä­ren kön­nen. Luuk war noch nie ver­hei­ra­tet und ver­brach­te sei­ne Ur­lau­be grund­sätz­lich in Län­dern, in de­nen man güns­tig Pro­sti­tu­ier­te er­gat­tern konn­te. Sein be­vor­zug­tes Ur­laubs­ziel war Thai­land. Er schwärm­te re­gel­recht da­von, dass man mit um­ge­rech­net ein paar Eu­ro je­de Nacht ei­ne an­de­re mit in sein Ho­tel­zim­mer neh­men konn­te, auch wenn man auf­pas­sen muss­te, das die Da­men auch schon alt ge­nug wa­ren. Gerard hin­ge­gen war seit 19 Jah­ren mit sei­ner Frau ver­hei­ra­tet und hat­te zwei Kin­der. Sei­ne Toch­ter war 16 und sein Sohn ge­ra­de 14 Jah­re alt.

Die bei­den wa­ren gu­te Freun­de ge­wor­den und je­der wuss­te, dass er sich blind auf den an­de­ren ver­las­sen konn­te, was auch für ih­re Ar­beit un­er­läss­lich war. Bei­de ar­bei­te­ten schon ei­ne Ewig­keit für die Mord­kom­mis­si­on in Ams­ter­dam. Im Lau­fe der Jah­re hat­ten sie schon al­les Mög­li­che ge­se­hen. Vor al­lem in den Grach­ten der Haupt­stadt fand man im­mer wie­der Was­ser­lei­chen, die dort schon Jah­re la­gen, bis sie ge­fun­den wur­den. Es war ein­fach ein Mor­dop­fer in den Grä­ben der Stadt, be­schwert mit Stei­nen zu ver­sen­ken. Ih­re Ar­beit mach­te das nicht wirk­lich ein­fa­cher. Der An­blick ei­ner Lei­che war schon ein Schlag auf den Ma­gen, je mehr Blut, um­so schlim­mer der An­blick, aber ei­ne Was­ser­lei­che war noch mal ein ganz an­de­res Le­vel. Das Ge­we­be rei­cher­te sich mit Was­ser an, Spu­ren ver­schwan­den und die Ver­we­sung be­gann, ab­ge­se­hen von den Raub­fi­schen, die auch dar­an teil­ha­ben woll­ten. Selbst die här­tes­ten Kom­missa­re ka­men am An­fang an ih­re Gren­zen. Gerard und Luuk hat­ten schon vie­le ge­se­hen in ih­rem Er­mitt­ler­le­ben.

Gerard war mit sei­nen 45 Jah­ren ein Jahr jün­ger als sein Kol­le­ge, aber auf­grund der Dienst­zeit der we­ni­ge Mo­na­te äl­te­re, was ihn zum Te­am­füh­rer qua­li­fi­zier­te. Fak­tisch mach­te das aber bei ih­nen kei­nen Un­ter­schied, denn Gerard be­trach­te­te sei­nen Freund als gleich­wer­tig. Es diente nur ih­ren Vor­ge­setz­ten als An­sprech­part­ner. Gera­de als er die An­mel­de­mas­ke sei­nes Com­pu­ters aus­ge­füllt hat­te und auf Re­turn drück­te, klin­gel­te be­reits das Te­le­fon auf sei­nem Schreib­tisch. Die Num­mer­n­an­zei­ge blink­te mit dem Na­men ih­rer Che­fin. Er nahm ab und mel­de­te sich wie ge­wohnt mit »Kooi­man.«

Mit dem Ku­gel­schrei­ber aus sei­ner Hemd­ta­sche krit­zel­te er auf einen Schmier­zet­tel die Da­ten auf, die er von sei­ner Che­fin er­hielt. Luuk be­ob­ach­te­te ihn neu­gie­rig über den Mo­ni­tor hin­weg. Er konn­te nicht hö­ren, was sie er­zähl­te, aber er wür­de es gleich er­fah­ren. Gerard leg­te auf und be­gann gleich zu er­zäh­len, »Neu­er Fall. Spa­zier­gän­ger ha­ben im Vlie­gen­bos Park in Noord ei­ne Lei­che ge­fun­den. Soll ziem­lich übel zu­ge­rich­tet sein. Wur­de nur ent­deckt, weil sie wil­de Tie­re durch die Ge­gend ge­schleift ha­ben.«

Luuk sprang von sei­nem Stuhl auf und rief »Na dann los, lass uns das Schwein zur Stre­cke brin­gen, der ihn ge­killt hat.«

Der Schlüs­sel ih­res Dienst­wa­gens, ein dun­kelblau­er Au­di A4 Avant, lag links ne­ben sei­nem Mo­ni­tor in ei­ner Scha­le. Gerard schnapp­te sich den Plas­tik­schlüs­sel und stand auf. Zu­sam­men ver­lie­ßen sie ihr Bü­ro und be­ga­ben sich auf den Park­platz. Durch die Son­ne war es in der Kar­re sehr warm ge­wor­den, was Luuk ver­an­lass­te, die Kli­ma­an­la­ge voll auf­zu­dre­hen. Gerard steu­er­te ih­ren Dienst­wa­gen durch den dich­ten Ver­kehr der Haupt­stadt bis nach Noord. Bei­de be­rei­te­ten sich psy­chisch schon dar­auf vor, dass die Lei­che wohl ziem­lich ab­schre­ckend aus­sah. Als er auf den Be­su­cher­park­platz des klei­nen Wäld­chens ein­bog, sah er schon ein gan­zes Groß­auf­ge­bot. Die Spu­ren­si­che­rung war vor Ort, die Pa­tho­lo­gin war auch schon da und ei­ni­ge Strei­fen­po­li­zis­ten rann­ten mit dem rot-weiß ge­streif­ten Ab­sperr­band durch die Ge­gend. Gerard und Luuk stie­gen aus und folg­ten den Fuß­spu­ren im tro­ckenen Wald­bo­den. Schon von Wei­tem er­kann­ten sie Mar­griet Schoon­ma­ker, die jun­ge Pa­tho­lo­gin die ne­ben ei­nem Tor­so knie­te und in ein di­gi­ta­les Auf­nah­me­ge­rät sprach, wäh­rend sie sich dar­über beug­te und ge­nau­er hin­sah. Aus Er­fah­rung wuss­ten die bei­den Er­mitt­ler, dass es bei ei­nem Mord auf die ers­ten 24 Stun­den an­kam, die in ih­rem Fall wohl schon lan­ge ab­ge­lau­fen wa­ren.

Als Mar­griet sie an­kom­men sah, wink­te sie ih­nen zu und rief, »Hal­lo ihr bei­den er­hol­ten al­ten Män­ner.«

»Was hast du für uns, sü­ße Zucker­schnu­te?«, frag­te Luuk mit ei­nem auf­rei­zen­den grin­sen.

»Für dich wie im­mer einen Korb, Luuk«, lä­chel­te sie, »aber für dei­nen Kol­le­gen hab ich hier den Groß­teil ei­ner Lei­che.«

Die bei­den Mor­der­mitt­ler stell­ten sich ne­ben die jun­ge Frau und be­trach­te­ten den Klum­pen, der ein­mal ein Kör­per ei­nes Men­schen war. Der süß­lich stren­ge Ge­ruch der Ver­we­sung hing in der Luft wie schwe­res Par­fum ei­ner al­ten Frau. Es war kaum noch et­was zu er­ken­nen.

»Sieht ja rich­tig übel aus«, be­kann­te Gerard mit düs­te­rer Mie­ne.

»Das ist schein­bar der Rest, der noch üb­rig ist. Das hier war wohl mal der Kopf«, sag­te sie und zeig­te mit ei­nem Ku­gel­schrei­ber, den sie in den Gum­mi­hand­schu­hen hielt auf ei­ne Stel­le blu­ti­ger Mas­se. »Zu­min­dest das, was uns die Vie­cher noch ge­las­sen ha­ben.«

Luuk frag­te »Kannst du uns was Nä­he­res sa­gen?«

»Kann ich«, sag­te sie. »Er ist tot!«

Luuk ver­zog die Mund­win­kel zu ei­ner schie­fen Gri­mas­se, »Das ist of­fen­sicht­lich. Wei­te­re Er­kennt­nis­se?«

»Ei­nen Hai­an­griff kann ich aus­schlie­ßen«, sag­te sie gleich­gül­tig. »Bei dem Op­fer han­delt es sich ver­mut­lich um et­was Männ­li­ches im Al­ter zwi­schen 15 und 30 Jah­ren. Haut­far­be weiß, und so wie ich das jetzt auf die Schnel­le fest­stel­len kann seit min­des­tens ei­ner Wo­che tot.«

»Woran ist er ge­stor­ben?«, frag­te Luuk, wäh­rend Gerard den Kopf schüt­tel­te und sich von dem schreck­li­chen An­blick lös­te.

»Mul­tip­les Or­gan­ver­sa­gen«, lau­te­te ih­re er­nüch­tern­de Ant­wort.

Gerard misch­te sich ein »Bist du si­cher Mar­griet?«

Sie schenk­te ihm einen tie­fen Blick mit ver­dreh­ten Au­gen, »Nein, aber da fast kei­ne mehr da­von da sind, ge­he ich mal da­von aus.«

»Ver­ste­he«, sag­te der Fa­mi­li­en­va­ter nüch­tern. »Nä­he­res erst, wenn du ihn auf dem Tisch hast. Ist das al­les, was von ihm üb­rig ist, oder gibt es viel­leicht noch meh­re­re Tei­le?«

»Ein paar Fet­zen sind noch ge­fun­den wor­den, aber das ist wie wenn man ver­sucht Rin­der­hack in ei­ne Kuh zu ver­wan­deln.«

Luuk ent­geg­ne­te, »Kurz ge­sagt, wir ha­ben nichts!«

»Na ja, wie man es nimmt. Wir ha­ben ein biss­chen was, aber bis ich euch da­zu et­was sa­gen kann, wer­de ich noch ein biss­chen brau­chen«, er­klär­te sie.

Luuk und Gerard gin­gen zu den Kol­le­gen der Spu­ren­si­che­rung, die ge­ra­de ei­ni­ge Fo­tos schos­sen. Über­all auf dem Bo­den la­gen klei­ne gel­be Schild­chen mit Zah­len, um die ge­fun­de­nen Spu­ren zu­ord­nen zu kön­nen und einen Maß­stab zu ha­ben. Ins­ge­samt wa­ren drei von den Kol­le­gen vor Ort. Wäh­rend zwei von ih­nen such­ten, mach­te der an­de­re Bil­der aus ver­schie­de­nen Blick­win­keln.

Gerard frag­te einen von ih­nen, »Kol­le­gen, habt ihr was Ver­wert­ba­res für uns ge­fun­den?«

»Je­de Men­ge ei­gent­lich«, sag­te er nach­denk­lich, »je­de Men­ge Tier­spu­ren, von Rat­ten, Wild­hun­den und ei­ni­gen Gei­ern, aber auch In­sek­ten wie Aas­flie­gen und Kä­fer.«

»Kannst du uns sa­gen wie lan­ge die Über­res­te hier schon lie­gen und ob wir es hier mit dem Tat­ort zu tun ha­ben?«, frag­te Luuk.

»Ne­ga­tiv, der Fund­ort ist nicht der Tat­ort, die Lei­che wur­de hier nur ab­ge­legt, den Rest ha­ben dann die Tie­re er­le­digt und in Klein­tei­le zer­legt«, be­rich­te­te der Kol­le­ge der Spu­ren­si­che­rung.

»Fuß­spu­ren?«, frag­te Gerard nach.

»Zu vie­le, um sie aus­zu­wer­ten. Die meis­ten, wenn nicht al­le, stam­men von Spa­zier­gän­gern die hier im Wäld­chen Er­ho­lung su­chen«, murr­te er und drück­te sein Kreuz durch.

Luuk wie­der­hol­te in Kurz­form, »Al­so ha­ben wir nichts Ver­wert­ba­res zum jet­zi­gen Zeit­punkt Gerard. We­der den Tat­ort, noch den To­des­zeit­punkt und schon gar kei­ne Iden­ti­tät des Op­fers. Schein­bar männ­lich, weiß und zwi­schen 15 und 30 Jah­ren alt.«

»Lass uns zu­rück ins Re­vier fah­ren und die Ver­miss­ten­an­zei­gen der letz­ten zwei Mo­na­te durch­ge­hen. Vi­el­leicht ist da je­mand da­bei, auf den die Be­schrei­bung passt. Vi­el­leicht hat Mar­griet bis da­hin noch ein biss­chen mehr für uns«, ana­ly­sier­te Gerard.

Luuk muss­te sei­nem Freund zu­stim­men. Sie konn­ten nichts an­de­res tun, als sich auf Spu­ren­su­che zu be­ge­ben, um ei­ne Iden­ti­tät fest­zu­stel­len. Mit der In­for­ma­ti­on könn­ten sie dann zu­min­dest mal in den Hin­ter­grün­den des Op­fers nach ei­nem Mo­tiv su­chen und mit et­was Glück auch den Mör­der fas­sen. Zu­sam­men woll­ten sie sich auf den Rück­weg zum Re­vier ma­chen, muss­ten sich al­ler­dings erst mal durch die Mas­se an Jour­na­lis­ten kämp­fen, die ge­ra­de da­bei wa­ren, ih­re Ka­me­ras auf­zu­bau­en und kur­ze Bei­trä­ge für die Nach­rich­ten zu dre­hen. Egal wo et­was pas­sier­te, dau­er­te es nicht lan­ge, bis die­se Gei­er schon um die bes­ten Plät­ze kämpf­ten, und sich mit Auf­merk­sam­keit hei­schen­den Be­rich­ten Sen­de­zeit ver­die­nen woll­ten. Die Po­li­zei ver­än­der­te stän­dig die Funk­fre­quenz, aber die Re­por­ter hör­ten trotz­dem im­mer mit. Wuss­te es ei­ner von ih­nen, war es kein Ge­heim­nis mehr und wie die Schmeiß­flie­gen ver­folg­ten sie sich ge­gen­sei­tig.

Gerard ver­such­te auf dem schnells­ten Weg zum Re­vier zu kom­men, aber die Haupt­stadt der Nie­der­lan­de war, was Au­to­fah­ren an­geht ei­ne Ka­ta­stro­phe. Der Ver­kehr ver­la­ger­te sich von den Fahr­zeu­gen, die auf den Stra­ßen stan­den, lang­sam in die Grach­ten mit Boo­ten. Aber sie wa­ren zu eng, um die Mas­se an Men­schen auf­zu­neh­men. Zu wel­cher Zeit auch im­mer man in Ams­ter­dam in ein Au­to stieg, stand man kurz da­nach im Stau. Nur um die Mit­tags­zeit und am spä­ten Abend konn­te man mit Schritt­ge­schwin­dig­keit durch die Stra­ßen fah­ren. Die meis­ten Ein­hei­mi­schen wi­chen auf die öf­fent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel wie Stra­ßen­bah­nen aus, um schnel­ler vor­an­zu­kom­men. Luuk scherz­te im­mer, sie bräuch­ten lang­sam, an­statt ei­nes Au­tos einen Dienst­hub­schrau­ber um schnel­ler bei den Ein­sät­zen zu sein. Sein Part­ner muss­te ihm lei­der zu­stim­men.

Zu­rück im Bü­ro öff­ne­ten sie die Da­tei der Ver­miss­ten­fäl­le und führ­ten ei­ne Ras­ter­fahn­dung mit den Hin­wei­sen, die sie bis­her hat­ten, durch. Heraus ka­men ins­ge­samt 43 Per­so­nen, die in den letz­ten zwei Mo­na­ten als Op­fer in­fra­ge kom­men wür­den.

»Lass uns mal ver­su­chen die Ver­miss­ten nur auf die letz­ten vier Wo­chen zu be­gren­zen«, sag­te Gerard. »Ich ha­be so ei­ne dunkle Ah­nung das wir nicht so lan­ge zu­rück­schau­en müs­sen.«

Luuk scherz­te, »Oh, du stützt dich auf Ah­nun­gen. Nenn mir einen ver­nünf­ti­gen Grund, warum du glaubst, dass vier Wo­chen rei­chen.«

»Okay, wir ha­ben nur einen Rest der Lei­che ge­fun­den. Mar­griet hat was von Wild­hun­den und Rat­ten ge­sagt, er­in­nerst du dich? Wenn wir theo­re­tisch nur mal zwei Wild­hun­de an­neh­men, die ei­ne Wo­che Zeit ha­ben einen Ka­da­ver aus­ein­an­der zu neh­men, was meinst du wohl was die Fres­sen kön­nen? Und dann nimm mal noch ein Ru­del Rat­ten da­zu die auch ei­ne Wo­che Zeit ha­ben. Ich den­ke das soll­te lo­cker aus­rei­chen, um einen Kör­per in den Zu­stand zu brin­gen, den wir vor­ge­fun­den ha­ben«, er­klär­te Gerard.

Sein Part­ner dach­te einen Mo­ment dar­über nach »Okay, du hast recht. Wenn ein Hund einen Tag Zeit hat und kei­ner auf ihn auf­passt, fut­tert er sich tot. Müss­te al­so aus­rei­chen, um einen nor­ma­len Mann so zu­zu­rich­ten wie wir ihn ge­fun­den ha­ben.«

Sie ver­kürz­ten den Zeit­raum auf vier Wo­chen und konn­ten den Kreis der po­ten­zi­el­len Op­fer auf 27 ein­gren­zen. Luuk mein­te sich zu er­in­nern, einen Teil brau­ner Haa­re er­kannt zu ha­ben, und konn­ten mit der In­for­ma­ti­on die Op­fer auf 13 ver­rin­gern. Wei­te­re Mög­lich­kei­ten, um die Op­fer wei­ter ein­zu­gren­zen, konn­ten sie nicht fin­den. Sie be­sorg­ten sich die Da­ten und mach­ten sich Ge­dan­ken. Gerard hat­te ei­ne Idee auf­grund des Fund­ortes und be­gann sei­nem Part­ner sie zu er­klä­ren, »Wenn der Fund­ort nicht der Tat­ort ist, wür­de es doch Sinn er­ge­ben, die Lei­che nicht zu weit zu trans­por­tie­ren. Das Op­fer lag im Vlie­gen­bos Park in Noord. Wie vie­le der po­ten­zi­el­len Op­fer ka­men aus der di­rek­ten Um­ge­bung von Noord?«

»Lass mal durch­se­hen«, sag­te Luuk und be­gann die Op­fer­da­ten noch ein­mal an­zu­se­hen. Da­mit konn­ten sie wei­te­re fünf Män­ner von der Lis­te strei­chen. Blie­ben nur noch acht üb­rig. Die bei­den dis­ku­tier­ten noch ei­ne gan­ze Stun­de, um wei­te­re Mög­lich­kei­ten zu fin­den, die al­ler­dings aus­blie­ben. Nach die­ser Zeit klin­gel­te Gerards Te­le­fon er­neut. Die An­zei­ge ver­kün­de­te die Num­mer von Mar­griet.

»Was hast du für mich Mar­griet?«, frag­te er, als er den Hö­rer ab­ge­nom­men hat­te.

»Ihr soll­tet so schnell wie mög­lich hier vor­bei­kom­men, Gerard. Ich ha­be was Er­schre­cken­des ge­fun­den«, sag­te sie und knall­te den Hö­rer auf.

Gerard er­hob sich von sei­nem Stuhl und for­der­te Luuk auf, ihm zu fol­gen. Sie gin­gen zum Wa­gen und auf dem Weg er­klär­te er sei­nem Part­ner, das Mar­griet wohl et­was Wich­ti­ges ge­fun­den hat­te. Bei­de konn­ten sich nicht vor­stel­len, was das sein könn­te. Die­ses Mal fuhr Luuk den Au­di zu Mar­griets Bü­ro, das nur ein paar Ki­lo­me­ter ent­fernt war. Er park­te den Au­di A4 in der Tief­ga­ra­ge und sie be­stie­gen den Fahr­stuhl. In dem gan­zen Ge­bäu­de war es ziem­lich kühl. Selbst im Som­mer konn­te man sich hier ei­ne Er­käl­tung we­gen Un­ter­küh­lung ein­fan­gen. Das Bü­ro von Mar­griet Schoon­ma­ker lag am En­de des lan­gen Flurs. Als Luuk sei­ne Hand hob, um an­zu­klop­fen, riss die jun­ge Frau ge­ra­de die Tür auf und woll­te auf den Gang stür­men. Sie rann­te di­rekt in sei­ne Ar­me.

»Nicht so schnell Ho­nig­schnüt­chen. Ein biss­chen Zeit soll­test du dir schon las­sen«, scherz­te er.

Mar­griet lös­te sich von dem viel zu al­ten ewi­gen Jung­ge­sel­len und schimpf­te »Ich bin kei­ne von dei­nen Nut­ten, Luuk! Spar dir dein Ge­sül­ze, und jetzt kommt ihr bei­den mit.«

Die drei rann­ten fast zu ei­nem weiß ge­flies­ten Raum, in dem die Über­res­te der Lei­che auf­be­wahrt wur­den, die sie am Mor­gen in dem Wäld­chen ge­fun­den hat­ten. Mar­griet schal­te­te das Licht ein und zeig­te auf die Me­tall­prit­sche mit dem Tor­so.

»Seht euch das an«, rief sie und eil­te zu der Prit­sche aus Edel­stahl. »Die­se Biss­s­pu­ren stam­men von ei­nem Wild­hund, aber das Loch da­hin­ter stammt von der Nie­re.«

Luuk ver­stand nur Bahn­hof und auch Gerard wuss­te nicht, was sie da­mit an­deu­ten woll­te. Sie starr­te die bei­den Män­ner an, als ob sie ge­ra­de den Fall ge­löst hät­te, aber die bei­den Er­mitt­ler ka­pier­ten nicht, was sie da­mit sa­gen woll­te.

»Ihr be­greift es nicht«, sag­te sie ent­täuscht, »der Wild­hund hat nur das obe­re Ge­we­be ver­letzt, die Nie­re wur­de aber pro­fes­sio­nell ent­fernt!«

»Okay«, sag­te Gerard. »Das Op­fer hat al­so ei­ne Nie­re ge­spen­det. Dann ha­ben wir ein wei­te­res Kri­te­ri­um, um wei­te­re Kan­di­da­ten aus­zu­sor­tie­ren.«

Die jun­ge Pa­tho­lo­gin schüt­tel­te wild den Kopf, »Nicht ganz, es sei denn, er hät­te auch noch ein künst­li­ches Herz und ei­ne Le­ber ge­habt, die eben­so ent­fernt wur­den.«

»Sagst du ge­ra­de, dass die gan­zen Or­ga­ne ent­nom­men wur­den?«, frag­te der al­lein­ste­hen­de Er­mitt­ler sor­gen­voll.

»Genau das«, be­stä­tig­te die Pa­tho­lo­gin. »Nicht die Tie­re ha­ben sie auf­ge­fres­sen, sie wur­den schon vor sei­nem Tod ent­fernt. Die Schnit­te hier hin­ten stam­men von ei­nem Skal­pell. Das be­deu­tet, sie wur­den von ei­nem Chir­ur­gen ent­fernt. Ich ha­be das Blut un­ter­sucht und konn­te Pro­po­fol nach­wei­sen. Die Blut­grup­pe ist üb­ri­gens A Rhe­sus­fak­tor ne­ga­tiv. Die Or­ga­ne die ent­nom­men wur­den, ins­be­son­de­re das Herz müs­sen spä­tes­tens nach sechs Stun­den trans­plan­tiert wer­den, sonst sind sie un­brauch­bar!«

Gerard frag­te die Pa­tho­lo­gin, »Wa­rum ent­sorgt ei­ne Kli­nik einen Or­gan­spen­der in ei­nem öf­fent­li­chen Park?«

»Darf sie nicht«, er­klär­te sie. »Ich ver­mu­te, die Or­ga­ne wur­den il­le­gal aus ei­nem noch le­ben­den Spen­der ent­nom­men und trans­plan­tiert.«

»Or­gan­han­del ist ein lu­kra­ti­ves Ge­schäft, ha­be ich ge­le­sen, das wä­re al­so ein gu­tes Mo­tiv für einen Mord«, kam von Luuk.

Die Pa­tho­lo­gin nick­te zu­stim­mend. »Ein Herz kos­tet auf dem Schwarz­markt ir­gend­was um 200.000 bis 250.000 Dol­lar und mit den gan­zen Nach­un­ter­su­chun­gen, was da al­les dran hängt, kommt man noch mal auf den glei­chen Be­trag. Wenn wir jetzt da­von aus­ge­hen das ne­ben dem Herz auch noch die Le­ber und ei­ne Nie­re fehlt kom­men wir fast auf ei­ne Mil­li­on.«

Gerard pfiff durch die Zäh­ne, das war wirk­lich ein gu­tes Mo­tiv für einen Mord. Trotz­dem wuss­ten sie noch nicht ein­mal, wer das Op­fer ei­gent­lich war, des­halb frag­te Gerard noch nach wei­te­ren Hin­wei­sen, die sie nut­zen konn­ten.

Mar­griet sag­te ver­ständ­nis­voll, »Gut, dass du das sagst, Gerard. Ich ha­be wirk­lich noch mehr her­aus­ge­fun­den. Das Op­fer war de­fi­ni­tiv ein Mann, des­sen Al­ter ich auf zwi­schen 20 und 30 fest­le­gen konn­te. Die Blut­grup­pe ist A Ne­ga­tiv und es gibt noch et­was, was ich bis­her noch nicht be­grif­fen ha­be. Ich konn­te im Ma­gen des Op­fers kei­ner­lei Nach­weis über Nah­rung fin­den.«

Luuk woll­te ge­ra­de ge­nau­er nach­fra­gen, als das Te­le­fon der Pa­tho­lo­gin klin­gel­te. Sie nahm den Hö­rer ab und te­le­fo­nier­te, wäh­rend sie wie ein klei­ner Hund im Kreis lief und sich das Ka­bel im­mer wei­ter um sie spann­te. Als die jun­ge Frau auf­le­gen woll­te, muss­te sie sich erst aus der Um­klam­me­rung des Ka­bels be­frei­en, dass sich mehr­fach um die schlan­ke Sta­tur der Frau ge­wi­ckelt hat­te. Sie kam wie­der zu den bei­den Be­su­chern zu­rück und be­gann »Das mei­ne Lie­ben war der Chef der Spu­ren­si­che­rung. Laut den ge­fun­de­nen In­sek­ten­lar­ven konn­ten sie den Zeit­punkt des To­des auf vor un­ge­fähr drei Wo­chen da­tie­ren.«

»Dan­ke dir Mar­griet, du hast uns sehr ge­hol­fen«, be­dank­te sich Gerard und Luuk tät­schel­te ihr an­er­ken­nend die Schul­ter. Die dreh­te sich von dem Er­mitt­ler weg, weil sie sei­ne Berüh­run­gen nicht moch­te. Luuk war be­kannt da­für sei­ne Ur­lau­be mit kauf­ba­ren Frau­en zu ver­brin­gen. Zu­dem war er für sie viel zu alt, und noch da­zu wuss­te je­de im Um­kreis von vie­len Ki­lo­me­tern, dass die­ser Mann der In­be­griff der Un­treue war.

Die bei­den Er­mitt­ler ver­lie­ßen die Pa­tho­lo­gie und kehr­ten in ihr Bü­ro zu­rück. An­hand der ge­won­ne­nen In­for­ma­tio­nen sor­tier­ten sie in ih­rer Lis­te noch wei­te­re sechs Na­men aus. Blie­ben nur noch zwei Na­men üb­rig. Der ei­ne lau­te­te Lie­ven De Graaf, ein 25-jäh­ri­ger Wirt­schafts­stu­dent, der seit ziem­lich ge­nau drei­ein­halb Wo­chen ver­misst wur­de, und der an­de­re war Adel­win Tim­mer, ein 28-jäh­ri­ger Au­to­me­cha­ni­ker, der seit vier Wo­chen ver­schwun­den war. Bei­de wohn­ten in Ams­ter­dam Noord, in ei­nem Vier­tel mit vie­len Wohn­ge­mein­schaf­ten. Bei­de teil­ten sich auch noch die glei­che Adres­se. Die bei­den Er­mitt­ler mach­ten sich so­fort auf den Weg zu der Adres­se, um wei­te­re In­for­ma­tio­nen zu be­kom­men.

Spur der Todesengel

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