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Kapitel 4 Spanien, Sevilla

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Am frü­hen Nach­mit­tag stand der ro­te Sport­wa­gen, mit lau­fen­dem Mo­tor vor dem Haus, in dem Her­mi­nia Mo­li­ne­ro wohn­te. Die Lern­schwes­ter kam mit ul­tra­kur­z­en Shorts und ei­nem en­gen Top aus dem Haus ge­rannt. Sie war et­was spät dran und wun­der­te sich noch, wo denn Pris­ci­la Acosta, ih­re Sta­ti­ons­lei­te­rin auf sie war­te­te. Mit den Au­gen such­te sie die Stra­ße nach dem wei­ßen SUV ab, konn­te ihn aber nir­gend­wo ent­de­cken. Erst als sie ihr Han­dy aus der um­ge­häng­ten klei­nen Hand­ta­sche zie­hen woll­te, hör­te sie Pris­ci­la ih­ren Na­men ru­fen. Sie folg­te dem Ruf der Stim­me und sah dann den sehr nied­ri­gen Sport­wa­gen, in dem Pris­ci­la win­kend hin­ter dem Steu­er saß. Sie lief zu dem ro­ten Flit­zer und zog die Tür auf.

Völ­lig ver­wirrt frag­te sie »Was ist denn das jetzt wie­der für ein Au­to?«

Pris­ci­la lach­te sie an und sag­te dann »Das ist mein klei­ner Lam­borg­hi­ni, den ich nor­ma­ler­wei­se neh­me, um zur Ar­beit zu fah­ren.«

»Klein ist er wirk­lich«, sag­te die Lern­schwes­ter la­chend, »da brau­che ich ja einen Schuh­löf­fel, um ein­zu­stei­gen.«

Sie zwäng­te sich durch die nied­ri­ge Tür in das mit schwar­zem Le­der mit den ro­ten Näh­ten aus­ge­stat­te­te Fahr­zeug und zog vor­sich­tig die Tür zu. Pris­ci­la blick­te in den Au­ßen­spie­gel und tipp­te einen He­bel hin­ter dem Lenk­rad an. Dann stell­te sie ih­ren Fuß auf das Gas­pe­dal und braus­te da­von. Her­mi­nia wur­de in den Sitz ge­presst wie wenn sie in ei­nem Jet sit­zen wür­de, der ge­ra­de star­tet. Die Sta­ti­ons­lei­te­rin be­schleu­nig­te den Wa­gen wie ei­ne ver­rück­te bis sie wie­der an ei­ner Am­pel hal­ten muss­te.

»Du mei­ne Gü­te, das ist ja ein Ka­ta­pult«, sag­te sie be­ein­druckt.

»610 Pferd­chen hat der 5,2 Li­ter V10 da vor­ne un­ter der Hau­be. Bringt Spit­ze ganz ent­spann­te 325 km/h«, er­klär­te Pris­ci­la.

Her­mi­nia staun­te mit of­fe­nem Mund »Das reißt dir ja die Haa­re aus, wenn du aus der Stadt fährst.«

»Ach, das Dach kann ich drauf­ma­chen wenn ich will, aber so­lan­ge es nicht reg­net, macht es so mehr Spaß.«

Als die Am­pel auf Grün sprang, heul­te der Mo­tor laut auf und Her­mi­nia hielt sich an der Arm­leh­ne fest, als ih­re Kol­le­gin wie­der das Gas­pe­dal bis zum An­schlag durch­trat. Die Stra­ßen wa­ren frei und ih­re Che­fin igno­rier­te die vor­ge­ge­be­ne Ge­schwin­dig­keit. Das Over­he­ad­dis­play zeig­te mit­ten in der Stadt knapp 170 Ki­lo­me­ter pro Stun­de und fuhr wie auf Schie­nen durch die Kur­ven. Die Lern­schwes­ter hat­te Angst, dass ih­re Kol­le­gin die Ein­fahrt zur Tief­ga­ra­ge ver­pas­sen wür­de. Auf ein­mal krall­ten sich die Kera­mik­brem­sen um die Brems­schei­ben und sie lan­de­te bei­na­he an der Wind­schutz­schei­be. Ge­konnt lenk­te sie den teu­ren Sport­wa­gen in die Ga­ra­ge, am Pfört­ner vor­bei und roll­te auf ih­ren Park­platz. Dort erstarb das lau­te Brum­men des Mo­tors und Pris­ci­la schob die Tür des ro­ten Ca­bri­os auf. Sie zog den Zünd­schlüs­sel ab und stieg aus. Die Lern­schwes­ter schäl­te sich aus dem Le­der­sitz, an dem ihr Hin­tern wie fest­ge­klebt war. Die leicht feuch­te Haut kleb­te an dem dunklen Le­der des Sit­zes. So schnell war sie noch nie an ih­rem Ar­beits­platz an­ge­kom­men.

Die bei­den Frau­en ab­sol­vier­ten wie je­den Tag den Weg zur Um­klei­de­ka­bi­ne und schlüpf­ten in ih­re Ar­beits­kla­mot­ten. Mit dem Auf­zug fuh­ren sie in den vier­ten Stock auf ih­re Sta­ti­on und setz­ten sich in das Schwes­tern­zim­mer. Auch ih­re Kol­le­gin­nen ka­men nach und nach da­zu und man un­ter­hielt sich lo­cker, bis die Früh­schicht her­ein­kam, um das Über­ga­be­ge­spräch zu ma­chen. Kurz nach­dem die Ober­schwes­ter der Früh­schicht an­fing zu er­zäh­len, was am Mor­gen al­les pas­siert war und wel­che Pa­ti­en­ten be­son­de­re Auf­sicht be­durf­ten, stand Dr. Al­can­ta­ra in der Tür. Er un­ter­brach die Kran­ken­schwes­ter mit­ten in ih­ren Aus­füh­run­gen und rief »Was tun sie al­le hier? Dr. Pi­ne­da ro­tiert ge­ra­de im OP und sie ma­chen hier ein Kaf­fee­kränz­chen. Se­hen Sie zu, dass sie an die Ar­beit kom­men.«

Pris­ci­la stand auf, dreh­te sich zu dem Stö­ren­fried um und wü­te­te, »Ma­chen sie ge­fäl­ligst den Kopf zu, wenn nur Schei­ße raus­kommt. Das hier ist ein Über­ga­be­ge­spräch für die Spät­schicht, wie es seit Jah­ren je­den ein­zel­nen Tag statt­fin­det, nur sie ha­ben das schein­bar noch nie mit­be­kom­men. Neh­men sie ih­re Bei­ne in die Hand und se­hen sie zu, dass sie nach Hau­se kom­men. Sie wer­den hier nicht ge­braucht!«

Der Ober­arzt starr­te sie bö­se an. Als er et­was auf ih­re An­sa­ge er­wi­dern woll­te, drück­te sie ihn durch die Tür nach drau­ßen und knall­te ihm die durch­sich­ti­ge Glas­schei­be vor der Na­se zu. Im Schwes­tern­zim­mer wur­de laut ge­klatscht, als die Sta­ti­ons­lei­te­rin die Tür ab­schloss und sich wie­der setz­te. Mit sanf­ter Stim­me bat sie Ober­schwes­ter der Früh­schicht, ih­ren Be­richt fort­zu­set­zen, was die­se auch so­fort tat. Dr. Al­can­ta­ra stand wie ein be­gos­se­ner Pu­del auf dem Gang der Sta­ti­on. Die Schwes­ter er­klär­te den An­we­sen­den, dass Dr. Pi­ne­da schon seit knapp ei­ner Stun­de im Haus war und ei­ne Herz­trans­plan­ta­ti­on an ei­ner Pa­ti­en­tin durch­führ­te. Das Or­gan wur­de erst vor ei­ner Vier­tel­stun­de mit dem Hub­schrau­ber ge­bracht. Die Früh­schicht hat­te die Pa­ti­en­tin für das Spen­der­or­gan in höchs­ter Ei­le vor­be­rei­tet und in den Ope­ra­ti­ons­saal ge­bracht. Sie wur­de in Nar­ko­se ver­setzt wäh­rend sich Dr. Pi­ne­da um­ge­zo­gen und ein­ge­wa­schen hat­te. So­fort da­nach be­gann die Ope­ra­ti­on. Ei­ni­ge Kol­le­gin­nen der Früh­schicht as­sis­tier­ten bei dem Ein­griff und wa­ren des­we­gen beim Über­ga­be­ge­spräch ent­schul­digt. Pris­ci­la teil­te di­rekt da­nach ei­ni­ge Schwes­tern ih­rer Schicht ein, um die Ar­bei­te­rin­nen der Früh­schicht ab­zu­lö­sen. Im­mer­hin hat­ten sie ja auch Fei­er­abend und die Sta­ti­ons­lei­te­rin woll­te sie nicht län­ger da be­hal­ten als nö­tig. Dr. Pi­ne­da hat­te man si­cher aus dem Haus ge­klin­gelt und so schnell wie mög­lich in die Kli­nik ge­bracht. Pris­ci­la stell­te sich die Fra­ge, warum Dr. Al­can­ta­ra die Ope­ra­ti­on nicht durch­führ­te, ob­wohl er be­reits seit dem frü­hen Mor­gen hier war. Die Ant­wort dar­auf wür­de sie spä­ter von ih­rem Ober­arzt er­hal­ten.

Als die Über­ga­be be­en­det war, schloss Pris­ci­la die Tür wie­der auf und die ein­ge­teil­ten Schwes­tern mach­ten sich auf in den ab­ge­sperr­ten Ope­ra­ti­ons­be­reich. Sie selbst über­nahm einen Dienst auf der Sta­ti­on, um die Kol­le­gin­nen zu un­ter­stüt­zen. Im­mer­hin war sie ge­lern­te Kran­ken­schwes­ter und wenn Not am Mann war, ließ sie ih­re Ar­beit im Bü­ro sau­sen und half auf der Sta­ti­on aus. Bei ih­ren Mit­ar­bei­te­rin­nen war sie da­her auch sehr be­liebt. Sie war sich nicht zu scha­de über ei­ni­ge Stun­den hart an­zu­pa­cken, ob­wohl sie selbst ge­nug Ar­beit in ih­rem Bü­ro lie­gen hat­te. Die Pa­ti­en­ten soll­ten nicht dar­un­ter lei­den, wenn sie ge­ra­de schwer be­schäf­tigt wa­ren.

Auch Her­mi­nia be­wun­der­te ih­re Sta­ti­ons­lei­te­rin für die Op­fer­be­reit­schaft, die sie im­mer wie­der zeig­te. Die Ober­schwes­ter ih­rer Schicht be­dank­te sich, in ei­ner ru­hi­gen Mi­nu­te bei der Sta­ti­ons­lei­te­rin für die Hil­fe wäh­rend ei­ni­ge Kol­le­gin­nen noch mit Dr. Pi­ne­da im OP stan­den. Als die Ope­ra­ti­on be­en­det war und sie mit dem Ober­arzt zu­rück­kehr­ten, blieb sie noch ei­ne Stun­de auf der Sta­ti­on. Dr. Pi­ne­da war nach der ge­lun­ge­nen Ope­ra­ti­on ein biss­chen ge­schlaucht, aber setz­te sich mit Pris­ci­la zu­sam­men in sein Bü­ro.

»Die ha­ben mich heu­te Mit­tag beim Es­sen an­ge­ru­fen und in die Kli­nik be­stellt als das Or­gan be­reits auf dem Weg hier­her war«, be­schwer­te er sich.

Die Sta­ti­ons­lei­te­rin frag­te »Wa­rum hat Al­can­ta­ra nicht die Ope­ra­ti­on über­nom­men, er war doch so­wie­so schon hier?«

Der Ober­arzt zuck­te die Schul­tern »Ich weiß es nicht. Die gan­ze Ak­ti­on war mei­ner Mei­nung nach ko­misch.«

»In­wie­fern ko­misch?«

»Die Pa­ti­en­tin war nicht ein­mal an­ge­mel­det, war aber be­reits auf dem Weg in die Kli­nik, als das Or­gan noch nicht ein­mal un­ter­wegs war«, sag­te er mü­de.

Pris­ci­la schüt­tel­te den Kopf »Wie geht denn so was? Ei­ne Pa­ti­en­tin macht sich doch nicht auf Ver­dacht auf den Weg zur Kli­nik, oh­ne dass sie weiß, dass ein Or­gan ver­füg­bar ist und für sie passt.«

»Das macht es ja so ko­misch. Die Pa­ti­en­tin brauch­te bis in die Kli­nik sechs Stun­den, das Or­gan aber nur knapp vier Stun­den, bis es hier war. Sie muss al­so schon zwei Stun­den vor­her in­for­miert ge­we­sen sein, ob­wohl wir noch nicht mal da­von wuss­ten«, be­stä­tig­te er.

»Wo kam das Herz denn her?«

»Laut den Pa­pie­ren kam das Herz aus Un­garn, hab ich ge­se­hen«, gab der Ober­arzt die In­for­ma­tio­nen wei­ter.

Pris­ci­la nahm die Pa­pie­re an sich und ließ den Ober­arzt nach der an­stren­gen­den Ope­ra­ti­on al­lei­ne in sei­nem Bü­ro zu­rück. Schon wäh­rend sie den Gang zu ih­rem Bü­ro lan­glief, blät­ter­te sie in der Ak­te und zog die wich­tigs­ten In­for­ma­tio­nen her­aus. Die Pa­ti­en­tin war tat­säch­lich sechs Stun­den vor­her schon auf dem Weg in die Kli­nik Saint He­le­na in Se­vil­la. Da hat­te das Herz aus Un­garn noch das Blut in ei­nem an­de­ren Kör­per in die Aor­ta ge­pumpt. Das war ei­gent­lich gar nicht mög­lich, denn ein Herz konn­te ei­gent­lich nur post­mor­tem ent­nom­men wer­den. Zu­min­dest müss­te ein Ärz­te­team den end­gül­ti­gen Hirn­tod der Pa­ti­en­tin fest­stel­len, be­vor man sie noch künst­lich durch ei­ne Herz-Lun­gen-Ma­schi­ne am Le­ben er­hal­ten konn­te. Dann muss­te das Herz in­ner­halb von sechs Stun­den am Zielort an­kom­men, um ein­ge­setzt zu wer­den. Da­für müss­te dann be­reits ein Ärz­te­team be­reit­ste­hen und die Ope­ra­ti­on so lan­ge vor­her be­gin­nen, da­mit sie das Herz um­ge­hend ver­pflan­zen konn­ten. In den meis­ten Fäl­len, ins­be­son­de­re wenn es sehr ei­lig war, be­gann die Ope­ra­ti­on zu dem Zeit­punkt, an dem das Or­gan ent­nom­men wur­de und sich dann in ei­nem ge­kühl­ten, ver­sie­gel­ten Be­häl­ter auf den Weg mach­te. In­ner­halb von Eu­ro­pa gab es fast kei­nen Ort, der nicht in sechs Stun­den zu er­rei­chen war. Der Be­häl­ter wur­de mit ei­nem Hub­schrau­ber zum Flug­ha­fen ge­bracht, dort ver­la­den und zum Zielort ge­flo­gen. Dort wur­de der Be­häl­ter wie­der in den Hub­schrau­ber ver­la­den und di­rekt in die Kli­nik ge­flo­gen, wo die Ope­ra­ti­on der­weil schon in vol­lem Gan­ge war.

Sie brauch­te die In­for­ma­ti­on, wann die Spen­de­rin für Tod er­klärt wor­den war, da­mit das Or­gan ent­nom­men wer­den konn­te. In ih­rem Bü­ro an­ge­kom­men schnapp­te sie sich ihr Te­le­fon und rief bei Eu­ro­trans­plant an, der Or­ga­ni­sa­ti­on die ge­spen­de­te Or­ga­ne in Eu­ro­pa ver­teil­te. Nach kur­z­er War­te­zeit mel­de­te sich die An­mel­de­stel­le der Or­ga­ni­sa­ti­on.

»Mein Na­me ist Acosta, aus dem Saint He­le­na Kli­ni­kum in Se­vil­la, könn­ten sie mich bit­te mit der Ver­wal­tung ver­bin­den?«

Die Stim­me ei­nes jun­gen Man­nes er­klang »Das tut mir leid Mis­ses Acosta, die Ver­wal­tung ist be­reits im Fei­er­abend und erst ab mor­gen früh 9 Uhr wie­der er­reich­bar.«

»OK«, sag­te Pris­ci­la et­was ent­täuscht, »viel­leicht kön­nen sie mir hel­fen. Ich ha­be hier ei­ne Num­mer ei­nes Vor­gangs und bräuch­te die In­for­ma­ti­on, wann der Tod der Spen­de­rin fest­ge­stellt wur­de.«

»Das soll­te in mei­nem Sys­tem hin­ter­legt sein«, gab er an. »Ge­ben sie mir ei­ne Se­kun­de das In­ter­face auf­zu­ru­fen.«

Pris­ci­la hör­te im Hin­ter­grund ei­ne Ta­sta­tur kla­ckern, als der jun­ge Mann in sei­nem Com­pu­ter nach der Ein­ga­be­mas­ke such­te. Kurz dar­auf mel­de­te er sich wie­der »Gut, Mis­ses Acosta, die Num­mer des Vor­gangs bit­te.«

»847 293 HB 74 13«, dik­tier­te Pris­ci­la die Num­mer die sie aus ih­ren Un­ter­la­gen ab­le­sen konn­te. Am an­de­ren En­de der Lei­tung hör­te sie den jun­gen Mann die Num­mer ein­ge­ben.

»Sind sie si­cher, dass es die rich­ti­ge Num­mer ist Mis­ses Acosta?«, frag­te er.

Pris­ci­la sah noch ein­mal nach und dik­tier­te die Num­mer er­neut. »Auf den Un­ter­la­gen steht die Num­mer 847 293 HB 74 13.«

Der Mann stutz­te, »Mis­ses Acosta, un­ter die­ser Vor­gangs­num­mer ist kei­ne Or­gan­spen­de re­gis­triert.«

»Wie ist das mög­lich? Ich ha­be hier die kom­plet­ten Un­ter­la­gen von Eu­ro­trans­plant vor mir lie­gen, und die­se Num­mer ist dar­auf an­ge­ge­ben«, sag­te sie leicht ver­wirrt.

»Mög­lich ist das ei­gent­lich nicht!«, ant­wor­te­te er und lie­fer­te ei­ne Er­klä­rung da­zu. »Je­der Vor­gang be­kommt ei­ne Kenn­num­mer, die ei­nem Stand­ort zu­ge­ord­net wer­den kann. Ih­re Num­mer bein­hal­tet die Zif­fern HB, was be­deu­tet, dass ihr Or­gan aus Bu­da­pest stammt. In Bu­da­pest wur­de die­se Vor­gangs­num­mer aber nicht ver­ge­ben.«

Pris­ci­la frag­te nach, »Pas­siert so et­was häu­fi­ger?«

Der jun­ge Mann ant­wor­te­te ihr, »Das pas­siert nie­mals. Je­de Num­mer wird von un­se­rer Or­ga­ni­sa­ti­on ver­ge­ben, wenn ei­ne Kli­nik mel­det, dass es ein Spen­der­or­gan gibt. Dann wird die Num­mer ge­ne­riert und die Begleit­pa­pie­re an die Kli­nik über­mit­telt, die sie dann aus­druckt und der Spen­de bei­legt. Dort wo das Or­gan trans­plan­tiert wird, mel­det man die Num­mer an uns zu­rück, da­mit wir den Vor­gang ab­schlie­ßen kön­nen.«

Pris­ci­la wuss­te, dass nach je­der Trans­plan­ta­ti­on ih­re Auf­ga­be war die­se Num­mer in ei­nem Sys­tem an ih­rem Com­pu­ter zu hin­ter­le­gen, was je­den Abend mit Eu­ro­trans­plant syn­chro­ni­siert wur­de. Da­mit war die Num­mer zu­rück­ge­mel­det und al­les war in Ord­nung. Ihr stell­te sich jetzt die Fra­ge, was wohl pas­sie­ren wür­de, wenn sie die­se of­fen­sicht­lich falsche Num­mer an die Or­ga­ni­sa­ti­on zu­rück­mel­de­te.

»Die Ope­ra­ti­on ist be­reits be­en­det, das Or­gan ver­pflanzt und mei­ne Auf­ga­be wä­re jetzt die­se Num­mer in das Sys­tem von Eu­ro­trans­plant ein­zu­ge­ben, da­mit das al­les ab­ge­rech­net wer­den kann. Was pas­siert, wenn ich ei­ne of­fen­sicht­lich nicht ver­ge­be­ne Num­mer an sie zu­rück­mel­de?«, frag­te sie.

»In die­sem Fall wird die Num­mer in un­ser Sys­tem auf­ge­nom­men und die Pa­ti­en­tin muss die ge­sam­ten Kos­ten über­neh­men. Die Kran­ken­kas­sen über­neh­men in die­sem Fall kei­ner­lei Kos­ten«, er­klär­te er.

Pris­ci­la ging ein Licht auf. »Weiß der Pa­ti­ent da­von be­reits, be­vor er das Or­gan be­kommt, oder er­fährt er es erst hin­ter­her?«

»Der Pa­ti­ent wird vor­ab in­for­miert, dass die Kran­ken­kas­sen sei­ne Be­hand­lungs­kos­ten in die­sem Fall nicht über­neh­men wer­den. Was be­deu­tet das pas­siert ei­gent­lich nur bei gut be­tuch­ten Pa­ti­en­ten. Im­mer­hin re­den wir da­bei von ei­nem Be­trag von knapp ei­ner Mil­li­on, zu­sätz­lich zu den Fol­ge­kos­ten. Das Or­gan selbst wird beim An­bie­ter be­zahlt, wo­mit we­der wir, noch die Kran­ken­kas­sen et­was zu tun ha­ben. Es kann al­so sein, dass Eu­ro­trans­plant nichts da­mit zu tun hat, was dann auch die Num­mer er­klä­ren wür­de, die bei uns nicht exis­tiert«, be­stä­tig­te er.

»Ah, ver­ste­he«, er­klär­te die Sta­ti­ons­lei­te­rin. »Dann kann es al­so sein, dass es die Num­mer ei­ner an­de­ren Or­ga­ni­sa­ti­on ist, die wir al­ler­dings auf­grund un­se­rer Ver­trä­ge nur über Eu­ro­trans­plant ab­rech­nen kön­nen.«

»Ja, das ist mög­lich«, be­stä­tig­te der jun­ge Mann am Te­le­fon. »Wo­her die Num­mer al­ler­dings kommt, kann ih­nen dann nur die Ver­wal­tung sa­gen, das se­he ich in mei­nem Sys­tem nicht.«

»Dan­ke für die Aus­kunft«, sag­te Pris­ci­la und be­en­de­te die Ver­bin­dung. Sie müss­te mor­gen noch ein­mal bei der Or­ga­ni­sa­ti­on an­ru­fen, um das zu be­stä­ti­gen. Vo­rerst ver­zich­te­te sie al­ler­dings dar­auf und kam ih­rer Auf­ga­be nach, die Num­mer bei Eu­ro­trans­plant an­zu­ge­ben. Als sie das er­le­digt hat­te, griff sie er­neut zum Te­le­fon und wähl­te die Num­mer ih­res Ober­arz­tes. Sie er­zähl­te ihm, dass sie noch nicht be­stä­ti­gen konn­te, wann der of­fi­zi­el­le Tod der Spen­de­rin fest­ge­stellt wur­de, aber das es kein Or­gan der Or­ga­ni­sa­ti­on war, de­ren Haupt­sitz in Lei­den in der Pro­vinz Süd­hol­land lag. Of­fi­zi­ell war die 1967 ins Le­ben ge­ru­fe­ne Or­ga­ni­sa­ti­on für acht eu­ro­päi­sche Staa­ten zu­stän­dig, um die Ver­füg­bar­keit von Or­ga­nen und Ge­we­ben zu op­ti­mie­ren. Da­ne­ben gab es noch ei­ni­ge an­de­re Or­ga­ni­sa­tio­nen, die sich nicht nur auf ei­ni­ge Staa­ten kon­zen­trier­ten, son­dern auf den gan­zen eu­ro­päi­schen Raum. Da­ne­ben gab es na­tür­lich auch noch ein paar An­bie­ter, die auf der gan­zen Welt ak­tiv wa­ren und die Or­gan­spen­de zu ei­nem na­tür­li­chen Vor­gang zu ma­chen. Der Ober­arzt er­in­ner­te Pris­ci­la noch ein­mal dar­an in der Ver­wal­tung nach­zu­fra­gen. Es war ihm wich­tig, zu er­fah­ren, wie­so die Pa­ti­en­tin so früh un­ter­wegs sein konn­te und so­gar noch Zeit blieb, ihn in die Kli­nik zu ho­len.

Die letz­te Stun­de ih­rer Ar­beits­zeit nutz­te die Sta­ti­ons­lei­te­rin da­für, den Schwes­tern ih­rer Ab­tei­lung noch ein­mal un­ter die Ar­me zu grei­fen. Es war durch die un­ge­plan­te Ope­ra­ti­on zu vie­len Ver­säum­nis­sen ge­kom­men, die auf­ge­holt wer­den muss­ten, und sie woll­te das nicht al­les ih­ren Kol­le­gin­nen auf­bür­den. Sie stell­te sich in den Dienst der All­ge­mein­heit und wur­de da­für von den Schwes­tern ge­schätzt. Das Ar­beits­kli­ma in ih­rer Schicht war aus­ge­zeich­net, weil sich je­der auf den an­de­ren und auf die Sta­ti­ons­lei­te­rin ver­las­sen konn­te. Für den Frei­tag plan­te sie be­reits noch ei­ne klei­ne Über­ra­schung, die sie al­ler­dings noch ge­heim hielt. Die Lern­schwes­ter Her­mi­nia, die Pris­ci­la zu ih­rem per­sön­li­chen Vor­bild er­klärt hat­te, fühl­te sich sehr wohl mit dem Te­am ar­bei­ten zu dür­fen. Ihr gab es die Ge­le­gen­heit vie­les von ih­rem Vor­bild ab­zu­schau­en und nicht ih­re ei­ge­nen Pro­ble­me in den Vor­der­grund zu stel­len, son­dern das zu tun was für al­le am bes­ten war.

Pris­ci­la trich­ter­te ihr das auch bei je­der sich bie­ten­den Ge­le­gen­heit wie­der ein. Im Kran­ken­haus ging es nicht um sie al­lei­ne. Die Kol­le­gin­nen wa­ren im­mer wie­der, im Rah­men ih­rer Ar­beit, auf Un­ter­stüt­zung an­ge­wie­sen. Pris­ci­la hat­te eben­falls in die­ser Ab­tei­lung ihr Hand­werk ge­lernt und wuss­te, das in je­dem Kran­ken­haus das Per­so­nal klein ge­hal­ten wur­de. Die Lohn­kos­ten wa­ren die größ­ten Aus­ga­ben, die ei­ne Kli­nik re­gel­mä­ßig leis­ten muss­te, und man des­halb den Per­so­nal­be­darf auf das ab­so­lu­te Mi­ni­mum re­du­zier­te. Der Feh­ler im Sys­tem wa­ren die pri­va­ti­sier­ten Kli­ni­ken, de­nen die Ge­sund­heit der Men­schen nicht das Ge­rings­te be­deu­te­te. Es ging in ers­ter Li­nie um das Geld, was am En­de üb­rig blieb. Die ge­setz­li­chen Kran­ken­kas­sen ver­schärf­ten die­sen Pro­zess noch ein­mal, in dem sie im­mer ver­such­ten so we­nig wie nur ir­gend mög­lich zu be­zah­len. Vie­le Be­hand­lungs­me­tho­den über­nah­men sie gar nicht erst und ver­such­ten, auch bei den Re­gie­run­gen der ein­zel­nen Län­der die Leis­tun­gen wei­ter zu ver­rin­gern. Das wie­der­um führ­te da­zu, dass die Kli­ni­ken, um auf ih­ren Ver­dienst zu kom­men, an al­len Ecken und En­den spar­te. Das große Geld mach­ten sie mit den pri­vat­ver­si­cher­ten Pa­ti­en­ten, die für we­ni­ger Bei­trä­ge die bes­se­re Ver­sor­gung be­zahlt be­ka­men. Sie wa­ren den Kli­ni­ken die liebs­ten Kun­den, weil es den Ver­si­che­run­gen nicht auf das Geld an­kam. Sie han­del­ten das sel­ber aus und be­zahl­ten auch die teu­ers­ten Be­hand­lun­gen für ih­re Kun­den. Der Groß­teil der Pa­ti­en­ten al­ler­dings, war ge­setz­lich kran­ken­ver­si­chert, was bei den Ar­beit­neh­mern im Ge­sund­heits­be­reich im­mer wie­der zu wei­te­ren Ver­schär­fun­gen führ­te. Sie als Te­am muss­ten zu­sam­men­hal­ten und da­für trug auch Pris­ci­la ih­ren Teil bei, ob­wohl sie of­fi­zi­ell nicht mehr für die­se Auf­ga­ben zu­stän­dig war. Aber es gab auch im­mer mal wie­der Si­tua­tio­nen, in den ei­ne Kol­le­gin drin­gend ei­ne Pau­se brauch­te. Im Lau­fe der Jah­re hat­te sie ein fei­nes Ge­spür da­für ent­wi­ckelt. Auch die über­zo­ge­nen Pau­sen, die sie mit Her­mi­nia ver­brach­te, dienten da­zu, ihr ei­ne Ablen­kung zu bie­ten. Au­ßer­dem konn­te sie da­mit noch ein biss­chen kor­ri­gie­rend ein­grei­fen, falls sich die Lern­schwes­ter selbst über­nahm.

Spur der Todesengel

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