Читать книгу Spur der Todesengel - Matthias Boden - Страница 13
Kapitel 9 Kroatien, Pula
ОглавлениеDas Erste, was sie mitbekam als sie erwachte, war ein kühler Luftzug auf ihrer schweißnassen Haut, der sanft über ihren Körper strich. Ein leicht muffiger Geruch lag in der schwülen Hitze, der sich wie ein dichter Pelz um sie legte. Ihr Kopf dröhnte, und das leichte Licht einer verstaubten Glühbirne über ihrem Kopf brannte wie Feuer in den Augen. Lu Peizhi hatte einen schmierigen metallischen Geschmack im Mund, als sie wieder zu Bewusstsein kam. Ihre Glieder waren noch zu schwer, als sie versuchte, sich zu bewegen. In ihrem Kopf erhoben sich die ersten Gedanken aus einem grauen Brei. Wo bin ich, fragte sie sich selbst. Es war sicher nicht ihr Bett und selbst bei keinem ihrer Freunde roch es nach altem Schimmel in der Wohnung. Es dauerte lange, bis sie ihre mandelförmigen braunen Augen endlich öffnen konnte. Erst nach und nach zeichneten sich einige Umrisse ab, die sie noch nicht zuordnen konnte.
Noch einmal versuchte sie, sich zu bewegen. Ihre Arme waren schwer wie Blei und nicht zu bewegen, nur ihre Beine konnte sie leicht anheben. Als sie versuchte, sich zu drehen, durchzuckte sie ein rasender Schmerz, der sich in Wellen von ihrem Becken über ihren gesamten Körper ausbreitete. Lu musste sich wieder in die Ausgangsposition bringen. Vorsichtig versuchte sie, den dröhnenden Schädel zu bewegen. Anheben konnte sie ihn nicht, sonst sah sie Sternchen, die in einem pochenden Schmerz explodierten. Aber sie konnte ihn langsam zur Seite drehen und die Augen öffnen. Was sie sah, ließ sie frösteln. Neben ihr waren verstaubte Liegen aus Edelstahl, die in einem wilden Durcheinander herumstanden. Die Wand war, übersät mit halb zerbrochenen hellblauen Fliesen, die ihre besten Zeiten schon seit Jahren hinter sich hatten.
Auf der anderen Seite erkannte sie eine Ablage mit verschiedenen medizinischen Instrumenten auf einem verwaschenen grünen Tuch. Sie erstarrte als sie das mit getrocknetem Blut verschmierte Skalpell erkannte. Was war mit ihr passiert? Lu versuchte, sich zu erinnern, wie sie in diese Situation geraten sein könnte. Das letzte, was sie aus ihrer Erinnerung rekonstruieren konnte, war eine kleine Party mit Freunden in einem Lokal. Sie blieb zusammen mit einem jungen Mann zurück, der sich sehr für sie interessierte. Diese Erinnerung erzeugte ein leichtes Lächeln auf ihrem Gesicht. Lu Peizhi hatte es schwer mit jungen Männern in Kontakt zu kommen. Sie sprach nur rudimentäres Kroatisch, seit sie mit ihrer Familie aus China gekommen war. Lu war, aufgrund der ein Kind Politik die in China sehr lange praktiziert wurde ein Einzelkind. Nach dem Umzug nach Pula in Kroatien, direkt an der Adria gelegen, brauchte sie einige Zeit sich die Landessprache anzueignen. Zu Hause sprach sie mit ihren Eltern den traditionellen Dialekt Mandarin. Hier in Kroatien hatte sie es schwer. Die Sprache war für sie schwer zu erlernen und sie fiel auf wie ein bunter Hund. Eine junge Chinesin war hier im allgemeinen Stadtbild doch etwas auffälliger, wenn nicht gerade Touristen die Stadt besuchten.
Pula war die größte Stadt der Halbinsel Istrien, und bekannt für das Amphitheater mitten in der Stadt. Auch zwei Tempel prägten die Gemeinde mit knapp 60.000 Einwohnern. Berühmt war Pula auch für seinen Hafen, der über regelmäßig verkehrende Fähren mit Venedig verbunden war. Auch Rimini war nicht weit entfernt, konnte aber durch eine Fähre nicht erreicht werden. Langsam kehrten immer mehr Erinnerungen zurück und sie bemerkte, wie auch ihre Kräfte wieder erwachten. Noch einmal probierte sie den Kopf etwas anzuheben. Es kostete sie einige Anstrengung, die dumpfen Kopfschmerzen zu unterdrücken, aber es funktionierte. Dann wurde ihr bewusst, dass sie völlig nackt auf dieser Edelstahlbahre lag. Etwas oberhalb ihrer rechten Hüfte, unter dem Rippenbogen entdeckte sie eine Naht in ihrer Haut, die ungefähr sechs Zentimeter lang war. Lu versuchte die Narbe mit ihren Händen zu erreichen. Sie brauchte ihre ganze Kraft, um den rechten Arm von der Unterlage anzuheben und zu ihrem Oberkörper zu führen. Mit schwachen Fingern fühlte sie die Wulst der Haut unter den Fäden.
Hatte sie eine Operation? Aber weshalb sollte man sie operieren, obwohl sie, laut ihrer Erinnerung, gar nicht krank war, oder einen Unfall erlitt? Noch einmal kramte sie in ihrer Erinnerung, aber nach dem netten Typen in der Bar war da nur noch undurchdringlicher Nebel. Erst die letzten paar Minuten erlebte sie wieder bewusst. Ihre Gedanken kreisten um die Fragen, wie sie hierher gekommen, und was mit ihr passiert war. Ein normales Krankenhaus konnte dieser schwüle Raum auf keinen Fall sein. Der Geruch, und das ganze Ambiente passte nicht in ihre Vorstellung eines Krankenhauses. Und selbst wenn es ein Krankenhaus wäre, wo war dann die Klingel um die Schwester zu rufen. Ihre Kehle war staubtrocken und dieser metallische Geschmack im Mund wollte einfach nicht verschwinden. Instinktiv suchte sie die nähere Umgebung nach etwas Wasser ab, konnte aber nichts außer einem alten verrosteten Wasserhahn entdecken, der über einem halb abgebrochenen Porzellanbecken angebracht war. Auch kein Glas fand sich in ihrer Nähe.
So gut sie konnte, versuchte sie sich von der Liege zu erheben. Es kostete sie eine Menge Kraft und ihr wurde schwindelig. Völlig nackt saß sie auf der Seite der Edelstahlpritsche. Ihre Füße baumelten wie Fremdkörper einige Zentimeter über den grauen, völlig verunreinigten Fliesen. Lu versuchte, sich zu strecken, aber sofort meldeten sich die Schmerzen der Narbe wieder sehr stark zurück. Durch den Schweiß, der sich auf ihrer Haut gebildet hatte, war es ihr möglich, über die Kante der Bahre nach unten zu rutschen. Als ihre Füße auf dem kühleren Boden aufsetzten, musste sie sich abstützen. Sie lehnte sich weit über die Liege und setzte einen Fuß vor den anderen, um zu dem Wasserhahn zu kommen. Ihre Beine zitterten unter ihrem geringen Gewicht. Sie musste schon eine ganze Weile in diesem Raum gelegen haben. Ihre Muskeln hatten einfach nicht mehr die Kraft sie aufrecht zu halten. Die paar Meter die sie, gestützt auf die rollbare Liege, hinter sich brachte, waren äußerst anstrengend. Nun stand sie in Reichweite des alten Wasserhahns. Mit zitternden Fingern drehte sie die Leitung auf. Es ergoss sich eine stinkende braune Brühe in das zerbrochene Becken darunter.
Die Frage war jetzt, ob sie die übel riechende Flüssigkeit trinken sollte, oder eben nicht. Sie entschied sich, in Anbetracht ihres Wassermangels dafür, auch wenn sie sich dadurch vielleicht noch eine schlimmere Krankheit einfangen würde. Mit gerümpfter Nase hielt sie ihren Mund nahe an den fallenden Strahl. Je länger sie wartete, umso heller wurde das Wasser vor ihren Augen. Auch der Gestank ließ etwas nach. Vorsichtig sog sie einige Tropfen ein. Durch den metallischen Geschmack in ihrem Mund bemerkte sie nichts von dem abgestandenen Wasser aus der Leitung. Sie ließ die Vorsicht außer Acht und vergrub ihre spröden Lippen in dem Wasserstrahl. Gierig sog sie die Flüssigkeit ein und schluckte sie. Je länger sie trank, umso besser ging es ihr. Sie bemerkte, wie ihre Kräfte langsam zurückkehrten. Seit sie erwacht war, fühlte sie sich schlapp und kraftlos. Diese übel riechende Flüssigkeit weckte in ihr die Lebensgeister. Lu Peizhi fühlte sich gestärkt, als sie den Hahn wieder schloss und sich aufrichtete.
Es war an der Zeit sich umzusehen und diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen. Das schwache Licht der einzelnen Lampe tauchte den Raum in eine düstere Mischung aus Helligkeit. Es war nur der Platz, an dem sie aufgewacht war etwas heller erleuchtet, der Rest des Raumes lag in der Dunkelheit. Vorsichtig und dich immer noch festhaltend lief sie den Raum ab. Sie fand keine Kleidung oder etwas, was sie gebrauchen könnte. Am hinteren Ende des Raumes fand sie eine Tür. Der Weg in die Freiheit kam ihr in den Sinn. Ohne nachzudenken, kämpfte sie sich auf die in Grün gehaltene alte Öffnung zu. Das Türblatt war von Kratzern bedeckt und unter der grünen Farbe blitze das helle Holz hervor. Die angelaufene fast verrostete Türklinke drückte sie nach unten, aber die Tür ließ sich nicht öffnen. Dann entdeckte sie gegenüber der Tür mehrere lichtundurchlässig, schwarz gestrichene Fenster unterhalb der Decke. Gerade so hoch das ein schlanker Mensch hindurch kriechen konnte.
Lu bewegte sich so gut sie konnte auf die Fenster zu. Leider war sie etwas zu klein, um an die Fenster gelangen zu können. Sie suchte die Wand nach Riegeln ab, um die Fenster öffnen zu können. Alles, was sie entdeckte, waren abgeschlagene Verschlüsse, ohne die sie die Riegel der Fenster nicht lösen konnte. Unterhalb des Mittleren der fünf Fenster bemerkte sie wieder den Luftzug, der ihren Körper auf der Liege milde streichelte. Sie vermutete ein nicht ganz geschlossenes Fenster. Aber um das überprüfen zu können, müsste sie erst einen Weg finden, um auf diese Höhe zu gelangen. Sie sah sich die Liegen noch einmal etwas genauer an. Unten sah sie, dass die Stahlstangen an Rollen endeten, die man mit einem Hebel feststellen konnte. Lu löste die Bremsen der Rollen und schob die schmierige Edelstahlliege unter das mittlere Fenster. Dort trat sie barfüßig die Bremsen wieder fest und kletterte hinauf. Die Narbe an ihrem Bauch schmerzte, aber sie wollte aus diesem schwülen und verschmutzen Raum heraus. Sie biss die Zähne fest aufeinander und stellte sich leicht gebeugt auf die doch sehr wackelige Liege.
Das Fenster war tatsächlich nicht ganz verschlossen. Ein kleiner Spalt an der Gummidichtung sorgte für den milden Wind. Lu presste ihre schlanken Finger in den Zwischenraum und zog, so fest sie konnte. Der Rahmen knirschte bereits, gab aber nach. Zu ihrem erstaunen war das Fenster aber nur auf der Kippstellung. Sie konnte draußen hohes Gras und einige verwilderte Sträucher erkennen. Im Hintergrund sah sie sogar ein paar Häuser aufragen, die sie bis dahin noch nie gesehen hatte. Aber so sehr sie auch an dem Rahmen zerrte, war es ihr nicht möglich, die Öffnung groß genug zu machen, um hindurchschlüpfen zu können. Ihr fielen die medizinischen Instrumente ein, die sie von ihrer Liege aus gesehen hatte. Lu drehte ihren Kopf vom Fenster weg und suchte mit ihren Augen den Raum danach ab. Hinter ihr, auf dem kleinen rollbaren Tisch lag die blutverschmierte Klinge des Skalpells, Scheren und Klammern. Wäre es damit möglich, das Fenster komplett zu öffnen, um entkommen zu können? Was blieb ihr anderes übrig als es zu versuchen.
Sie setzte sich wieder an den Rand der Liege. Erneut glitt sie mit dem Po über das glatte Metall auf den Boden hinunter. Mit Tippelschritten, aber ohne sich festzuhalten, hielt sie auf das kleine Tischchen mit den Werkzeugen zu. Als sie es erreichte, fiel ihr Blick auf die dreckige Klinge des Skalpells. War das ihr Blut daran? Wie ferngesteuert tastete ihre rechte Hand nach der dicken Narbe an ihrem Bauch. Reiß dich zusammen Mädchen, schimpfte sie sich selbst aus. Es gab keine Zeit zu verlieren, aus dieser Hölle zu entfliehen. Neben den Werkzeugen fand sie ein Blatt Papier. Um zu erkennen, was darauf stand musste sie es in das schwache Licht halten. Es war eine Zeichnung des menschlichen Körpers. Auf der Zeichnung war, exakt an der Stelle wo ihre Narbe war ein roter Kreis eingezeichnet. Daneben stand mit Kugelschreiber eine Zahlenfolge. Aber es gab darauf noch mehrere rote Kreise. Direkt nebenan links war einer verzeichnet und unterhalb ihrer Brüste ebenfalls. Sie hielt einen Moment inne, dann wurde ihr auf einmal klar, was passiert war. Man hatte ihr eine Niere entfernt. Als ob das nicht schon genug wäre, wollte man ihr die andere Niere und das Herz herausschneiden. Panik stieg in ihr auf und der Schweiß lief in Strömen an ihr herab.
»Ich muss diesen Zettel mitnehmen«, flüsterte sie sich selbst zu. »Damit kannst du beweisen, was hier passiert ist.«
Sie faltete das Blatt zusammen, bis ihr auffiel, dass sie ja keine Tasche hatte, um ihn einzustecken. Egal, sie würde ihn einfach in der Hand behalten. Vorerst musste sie sehen, wie sie mit dem vorhandenen Werkzeug das Fenster aufbekommen würde. Lu griff sich das Skalpell und zwei der Scheren. Krampfhaft hielt sie die Werkzeuge, sowie das Blatt Papier in der Hand und machte sich wieder auf den Weg zurück zum Fenster. Ihr Werkzeug legte sie an den vorderen Rand der Liege und drehte sich um. Sie lehnte sich mit dem Hintern an die Liege und drückte sich mit den Armen nach oben. Als sie wieder auf der Kante saß, brauchte sie eine kleine Pause, um wieder etwas Kraft zu tanken. Lu nahm sich einige Sekunden, um wieder genügend Kraft zu sammeln. Die Aufgabe, die jetzt auf sie zukam, versprach nicht leicht zu werden. Vorsichtig richtete sie sich wieder auf der wackeligen Liege auf. Das Werkzeug ließ sie erst einmal liegen und sah sich den Holm an, der den Rahmen hielt, damit er nicht nach innen klappte. Sie erkannte eine Schraube an der Seite. Wenn sie die herausdrehen würde, könnte sie das Fenster einfach nach unten klappen und nach draußen klettern. Sie nahm eine der Schere zur Hand und versuchte, die Schraube zu lösen. Egal wie viel Kraft sie auch einsetzte, die Schraube drehte sich nicht. Fluchend schimpfte sie auf die Schraube ein. Lu brauchte einen anderen Weg, aber welchen?
Ihr Blick fiel auf den schmalen Wulst auf der Innenseite der Scheibe. Wenn sie das Glas zertrümmerte, würde das zu viel Lärm verursachen und vielleicht jemanden auf sie aufmerksam machen. Sie musste leise sein und möglichst schnell von hier verschwinden. Dann kam ihr eine Idee. Mit dem Skalpell schnitt sie auf der Innenseite der Scheibe am Rand den Gummi heraus, der die Scheibe in Position hielt. Als sie einmal außen herum gefahren war, versuchte sie das Gummiband herauszuziehen. Es gelang ihr nicht. Scheinbar musste sie das Skalpell auch noch flach an der Scheibe durchziehen, um es lösen zu können. Sie ritzte mehrfach in das weiche Gummi und konnte einen Teil davon herauslösen. An den anderen drei Seiten tat sie das Gleiche. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie das ganze Gummi um den Rahmen abgelöst. Ihre Finger waren blutig und schmerzten, aber sie gönnte sich keine Pause. Die Panik man könnte sie entdecken ließ sie weiterschuften. Die Scheibe hielt sich trotz des entfernten Gummis noch im Rahmen fest. Mit der Spitze der Schere, die sie in den entstandenen Spalt presste, zog sie noch einmal die Kante nach. Nach der dritten Seite konnte sie die Scheibe am linken oberen Rand vorsichtig nach innen kippen. Noch einmal ritzte sie mit der Schere in den Spalt, um weiteren Bewegungsspielraum zu generieren. Es funktionierte, wie sie sich das gedacht hatte. Das Glas kam langsam aus dem Rahmen heraus. Je weiter sie die Scheibe löste, umso mehr helles Tageslicht flutete den dunklen Raum hinter ihr. Plötzlich löste sich das komplette Glas mit einem leisen Knirschen aus dem Rahmen und kam ihr entgegen. Die scharfen Ränder schnitten ihr tief in die Hände, trotzdem traute sie sich nicht sie einfach fallen zu lassen. Mit aller Kraft, die sie noch aufbringen konnte, hielt sie die Scheibe fest und setzte sie vorsichtig auf der Liege ab.
Das Sonnenlicht von draußen blendete sie und nahm ihr die Sicht, bis sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Sie sah noch leichte blaue und grüne Punkte vor ihren Augen, als sie die herausgetrennte Scheibe auf Knien auf den Boden gleiten ließ. Vorsichtig lehnte sie das Glas gegen die Wand, damit sie nicht zerbrechen konnte, während sie ausbrach. Sie griff sich das Blatt mit der Zeichnung und schob es durch die Öffnung nach draußen. Das Werkzeug legte sie auf ihrer Liege ab und richtete sich auf. So fest sie konnte, hielt sie sich am Rahmen fest und zog sich nach oben. Auf dem Bauch liegend, robbte sie durch das Fenster hinaus. Die vernähte Wunde jagte ihr heftige Schmerzen durch den Körper. Je weiter sie herauskam, umso mehr schmerzte die Wunde. Ihr wurde langsam schwarz vor Augen, trotzdem gab sie nicht auf. Sie wollte es unbedingt nach draußen schaffen. Auf dem Bauch liegend schwanden ihr die Sinne.
Als sie wieder zu sich kam, steckten nur noch ihre nackten Füße in der Öffnung ihres Gefängnisses. Lu drehte sich vorsichtig, von Schmerzen ihrer Narbe behindert, auf den Rücken. Sie musste sich aufsetzen und Kraft schöpfen. Nach einigen Minuten fühlte sie sich kräftig genug, um aufzustehen. Gerade als sie sich umsah, um die beste Route für ihre Flucht zu finden, fiel ihr siedend heiß das Blatt Papier ein. Sie hob es auf und lief vor Schmerzen gebeugt, durch die verwilderten Sträucher immer weiter von dem Gebäude in dem sie gefangen war davon. Vor ihr lag ein kleines Wäldchen, das milden Schatten spendete. Lu stützte sich an einem Baum ab und blickte zurück auf ihr ehemaliges Gefängnis. Sie erkannte ein altes großes Gebäude, das sie schon einmal gesehen hatte. Die Giebel waren bereits verfallen, aber das dreistöckige Gebäude hatte eine große Grundfläche. Es war von weißer verschlissener Farbe bedeckt und an der Vorderseite prangte ein riesiges rotes Kreuz. Ein altes verlassenes Krankenhaus etwas außerhalb von Pula war ihr Gefängnis gewesen. Lu Peizhi lief immer weiter von dem Gebäude weg, indem sie eine Niere verloren hatte. Als sie das kleine Wäldchen durchquert hatte, stand sie direkt vor einer Landstraße, die nach Pula führte. Am Rande der Fahrbahn lief sie, so schnell sie konnte weiter in Richtung der Stadt, in der sie lebte.
Hinter ihr näherte sich der kleine silberfarbene Wagen von Dubravka Matic, die auf dem Nachhauseweg von ihrer Arbeitsstelle in einer Konservenfabrik war. Sie entdeckte die nackte junge Frau am Straßenrand der Landstraße und dachte noch es wäre eine Touristin im Bikini. Aber ohne Höschen? Dubravka bremste sofort und hielt vor der Frau die gebeugt am Rand der Straße lief. Sie schaltete die Warnblinkanlage ein und stieg aus. Rufend näherte sie sich der unbekleideten kleinen Frau. Diese reagierte gar nicht auf ihre Rufe, sondern strebte weiter der Stadt entgegen. Matic rannte ihr hinterher und versuchte sie aufzuhalten. Erst als sie sich ihr direkt in den Weg stellte erkannte sie die fremdländischen Züge im Gesicht der Frau. Dubravka hielt sie am Arm und redete auf sie ein. Lu Peizhi reagierte nicht auf die Ansprache. Erst eine schützende Geste überzeugte sie dass von Dubravka keine Gefahr ausging. Die Worte die sie hörte verstand sie nicht. In ihrem Kopf war nur noch der Gedanke die Flucht fortzusetzen, während sie krampfhaft das Blatt Papier an sich presste. Dubravka brachte sie zu ihrem Fahrzeug und setzte Lu auf den Beifahrersitz. Vorsichtig bugsierte sie die nackte Frau auf den Sitz und machte die Tür hinter ihr zu. Dann setzte sie sich wieder an das Steuer des Kleinwagens und raste mit der Verletzten zum Krankenhaus in Pula. Als sie ankam war Lu Peizhi bereits eingeschlafen. Die Strapatzen der letzten Stunden waren zu viel für sie gewesen. Dubravka hielt direkt an der Notaufnahme mit quietschenden Reifen und wild hupend an. Einige Mitarbeiter des Krankenhauses eilten zu dem Fahrzeug und brachten die junge Chinesin auf die Notfallstation.