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Kapitel 8 Niederlande, Amsterdam

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Es reg­ne­te Bind­fä­den in der nie­der­län­di­schen Haupt­stadt, als die drei Agen­ten sich auf den Weg zum Po­li­zei­re­vier mach­ten, um die Er­mitt­ler zu be­su­chen. Mi­ke fuhr den schwar­zen Miet­wa­gen, den sie im großen Park­haus des Flug­ha­fens ab­hol­ten. Leo­nie küm­mer­te sich um das Na­vi­ga­ti­ons­sys­tem, um sie durch die Stadt mit den vie­len Grach­ten zu füh­ren. Man konn­te sich in den ver­win­kel­ten Stra­ßen sehr leicht ver­fah­ren. Die Grach­ten aus dem 17. Jahr­hun­dert mit ih­rem bun­ten An­strich sa­hen an fast je­der Ecke gleich aus. Wer sich hier nicht aus­kann­te, war zwin­gend auf ei­ne Na­vi­ga­ti­on an­ge­wie­sen. Mi­ke ach­te­te auf die dicht be­fah­re­nen Stra­ßen, wäh­rend die bei­den Frau­en ver­gnügt aus dem Fens­ter sa­hen. Die Ge­bäu­de wa­ren ein tol­ler An­blick. Fast al­le la­gen di­rekt am Was­ser, um die klei­nen fes­ten Flä­chen der Haupt­stadt so gut es ging aus­zu­nut­zen. Die ho­hen Häu­ser mit Unes­co­sta­tus präg­ten das ge­sam­te Stadt­bild.

Den Ha­cker stör­te der dich­te Ver­kehr, in dem sie fest­hin­gen, der schon am frü­hen Mor­gen die we­ni­gen Stra­ßen ver­stopf­te. In den en­gen Fahr­we­gen der nie­der­län­di­schen Haupt­stadt war der Ver­kehrs­in­farkt schon lan­ge kei­ne blo­ße Vor­stel­lung mehr, son­dern die täg­li­che Rea­li­tät. Leo­nie und Do­lo­res fan­den die Stadt, vor al­lem de­ren An­blick ganz zau­ber­haft. Sie konn­ten sich an den vie­len ver­schie­de­nen Gie­beln, der al­ten schief­ste­hen­den Häu­sern nicht satt­se­hen. Die al­ten Ge­bäu­de, die sehr schmal, da­für aber hoch und lang ge­baut wa­ren, san­ken auf den Holz­p­fäh­len, die in den sump­fi­gen Un­ter­grund ge­trie­ben wur­den und da­nach ver­rot­te­ten ein­sei­tig ab. Da­rauf­hin neig­ten sich die al­ten Ge­bäu­de in ei­ne Rich­tung, blie­ben aber auf­grund der an­gren­zen­den Häu­ser ste­hen. Heu­te bau­te man die neu­en Ge­bäu­de, auf Be­ton­pfei­lern die als Stüt­zen dienten.

Nach ei­ner lan­gen, und für den Fah­rer ner­ven­zer­rei­ßen­den Fahrt stan­den die drei Agen­ten im dich­ten Re­gen vor der Dienst­stel­le in der Luuk van der Noot und sein Kol­le­ge ihr Bü­ro hat­ten. Be­vor die drei Er­mitt­ler von In­ter­pol zu den Bü­ros vor­ge­las­sen wur­den, muss­ten sie sich aus­wei­sen. Der jun­ge Be­am­te am Schal­ter der Ein­gangs­hal­le staun­te nicht schlecht, als er drei Dienst­aus­wei­se von In­ter­pol vor sich lie­gen sah die sich nur durch die Licht­bil­der und den ge­nann­ten ers­ten Buch­sta­ben des Vor­na­mens zu un­ter­schei­den war und ei­ne große Ta­sche mit sich führ­ten, die ge­nü­gend Waf­fen ent­hielt, um einen Zwerg­staat ein­zu­neh­men. Der Mann hieß dar­auf M. Smith und die bei­den Frau­en D. und L. Smith. Er kam sich et­was ver­al­bert vor und ver­wei­ger­te ih­nen den Zu­tritt zum Ge­bäu­de. Der Be­am­te woll­te nicht glau­ben, dass al­le drei Er­mitt­ler die In­ter­pol ih­nen ge­schickt hat­te, den glei­chen Nach­na­men hat­ten. Leo­nie war schon wie­der ge­nervt, und auch Mi­ke zog ei­ne ver­wirr­te Gri­mas­se. Do­lo­res trat auf den Be­am­ten zu und flüs­ter­te ihm et­was zu. Kurz dar­auf griff er zum Te­le­fon und rief Gerard Kooi­man an. Der be­stä­tig­te den Be­such und die drei durf­ten pas­sie­ren. Auf dem Weg zum Fahr­stuhl frag­te Mi­ke die jun­ge Do­lo­res, »Was hast du dem ver­bohr­ten Idio­ten ge­sagt?«

»Er sag­te zu uns, dass er nicht glaubt, das wir von In­ter­pol sind. Ich ha­be ein­fach nur ge­sagt, wenn ihn Leo­nie er­schos­sen hat, sieht er es spä­tes­tens an der Ku­gel«, lach­te sie ki­chernd.

Die klei­ne blon­de Frau schau­te sie bö­se an, »Das ist nicht dein Ernst, Dol­ly.«

»Nein«, lenk­te Do­lo­res ein. »Ich ha­be ihn ge­fragt, warum er glaubt, dass wir ei­ne rie­si­ge Ta­sche, die mit Ge­weh­ren und Mu­ni­ti­on be­füllt ist, mit uns her­um­tra­gen dür­fen.«

Der Ha­cker schüt­tel­te nur ver­ständ­nis­los den Kopf, als sie ne­ben­ein­an­der auf den Auf­zug zu­schrit­ten. Kurz be­vor sie dort an­ka­men, öff­ne­ten sich die spie­gel­glän­zend po­lier­ten Sei­ten­tei­le und ein groß­ge­wach­se­ner Mann mit ei­nem klei­nen Bäuch­lein stapf­te her­aus. Sein Blick fiel so­fort auf die bei­den Agen­tin­nen, die er kurz ab­schät­zend be­trach­te­te. Dann wand­te er sich an den schlan­ken Mi­ke Banks.

»Mr. Smith neh­me ich an?«, sag­te er und streck­te dem Gast die rech­te Hand ent­ge­gen.

Mi­ke nick­te und schüt­tel­te ihm die Hand, »Sie neh­men rich­tig! Mit wem ha­ben wir das Ver­gnü­gen?«

»Ich bin Gerard Kooi­man«, stell­te er sich vor. »Kom­men sie doch mit ih­ren As­sis­ten­tin­nen in un­ser Bü­ro.«

Leo­nie zog an­ge­wi­dert die Au­gen­brau­en nach oben, aber Do­lo­res stopp­te sie mit ei­nem kur­z­en an­stup­sen, als sie zucker­süß ant­wor­te­te, »Wir Dumm­chen soll­ten uns dann bes­ser hier hin­set­zen und ge­müt­lich einen Kaf­fee trin­ken.«

An­schlie­ßend zog sie ih­re Frau am Arm zu ei­ner Sitze­cke na­he der Schei­be, mit ei­nem hüb­schen Aus­blick auf das ver­reg­ne­te Ams­ter­dam. Mi­ke konn­te gar nicht so schnell rea­gie­ren und den Faux­pas von Gerard Kooi­man auf­klä­ren wie die bei­den sich auf das be­quem aus­se­hen­de So­fa setz­ten. Dol­ly leg­te einen Arm um Leo­nie und flüs­ter­te ihr et­was zu. Da­rauf­hin ent­spann­te sich die klei­ne Blon­di­ne und setz­te ein herz­haf­tes Lä­cheln auf. Der Ha­cker des Te­ams ver­such­te zu ret­ten, was noch zu ret­ten war und nahm den Er­mitt­ler ins Ge­bet.

»Ich ha­be den Ein­druck sie möch­ten die­sen Fall nicht auf­klä­ren Mis­ter Kooi­man«, sag­te er miss­mu­tig. »Die­se bei­den jun­gen Da­men sind Spe­zia­lis­tin­nen in ih­rem Me­tier, wäh­rend ich nur mit dem Com­pu­ter um­ge­hen kann. An ih­rer Stel­le soll­ten sie mög­lichst ver­su­chen, die­ses Miss­ver­ständ­nis schnells­tens auf­zu­klä­ren.«

Dem Er­mitt­ler ge­fror das mil­de Grin­sen im Ge­sicht. Sein Blick wan­der­te von dem Ha­cker zu den bei­den Frau­en auf dem So­fa und wie­der zu­rück, »Ich dach­te, sie wä­ren der Er­mitt­ler und die bei­den jun­gen Frau­en wä­ren nur als Un­ter­stüt­zung da­bei.«

Mi­ke schüt­tel­te nur den Kopf. Oh­ne et­was zu sa­gen, deu­te­te er mit der Hand auf die bei­den Agen­tin­nen, die es sich ge­müt­lich ge­macht hat­ten. Nach­denk­lich, wie er sich bei ih­nen ent­schul­di­gen soll­te, lief der Be­am­te zu den bei­den zum So­fa. Dort stell­te er sich vor die bei­den und re­de­te auf sie ein, »Es tut mir schreck­lich leid mei­ne Da­men. Ich wuss­te nicht, dass sie die Er­mitt­le­rin­nen sind. Bit­te ver­zei­hen sie.«

Leo­nie igno­rier­te ihn ein­fach, wäh­rend ih­re Frau, ihm einen kur­z­en Blick zu­warf, um dann zu sa­gen, »Män­ner sind in die­ser Ein­heit un­ter­re­prä­sen­tiert. Wir ha­ben nur zwei Spe­zia­lis­ten, ein­mal einen Ha­cker, den sie als Er­mitt­ler ein­schät­zen und einen den sie bes­ser nach ih­rem Feh­ler nicht mehr ken­nen­ler­nen möch­ten. Vi­el­leicht soll­ten sie dar­über nach­den­ken, uns Frau­en nicht zu dis­kri­mi­nie­ren. Nicht al­le von uns sit­zen un­ter dem Schreib­tisch und lut­schen am Dau­men!«

»Wie ge­sagt, es tut mir schreck­lich leid Mis­ses Smith«, ent­schul­dig­te sich Kooi­man er­neut. »Fol­gen sie mir bit­te zu un­se­rem Bü­ro. Die Zeit läuft uns da­von.«

»Das Op­fer ist be­reits tot, so­weit wir wis­sen, al­so ha­ben wir ge­nug Zeit«, sag­te Do­lo­res teil­nahms­los.

Erst jetzt rea­gier­te Leo­nie auf ihn, »Wir wa­ren mo­ti­viert, zu­min­dest bis zu dem Zeit­punkt, als man uns als Begleit­per­so­nal ab­ge­stem­pelt hat. Wenn Agen­ten von In­ter­pol hier auf­schla­gen wird es einen Grund ge­ben, warum es gleich drei sind!«

»Wie auch im­mer«, rief der Be­am­te et­was ge­nervt aus, »wenn sie dann die Gü­te hät­ten, mit in un­ser Bü­ro zu kom­men, da­mit wir an­fan­gen kön­nen, wä­re ich ih­nen sehr ver­bun­den.«

»Ich hät­te mir ge­wünscht, Liz hät­te uns Micha mit­ge­ge­ben«, flüs­ter­te Leo­nie ih­rer Kol­le­gin zu, als sie auf­stand und sich zum Ge­hen wand­te.

Do­lo­res folg­te ihr und flüs­ter­te ihr vor dem Auf­zug war­tend zu­rück, »Bes­ser das er nicht hier ist. Kooi­man wür­de be­reits am Bo­den lie­gen und lang­sam aus­blu­ten.«

Die Frau­en ki­cher­ten. Mi­ke stand wie ein klei­ner Schul­jun­ge ne­ben den bei­den und dann kam Kooi­man mit ei­nem ver­ächt­li­chen Kopf­schüt­teln da­zu. Oh­ne ein wei­te­res Wort zu ver­lie­ren, stie­gen sie in den Auf­zug. Der hei­mi­sche Er­mitt­ler drück­te auf den Knopf für die Eta­ge, auf dem sein Bü­ro an­ge­sie­delt war. Er führ­te die Be­su­cher über den Gang, auf dem es nach kal­tem Kaf­fee und Rei­ni­gungs­mit­tel roch. Als er die Tür öff­ne­te, schäl­te sich sein Kol­le­ge Luuk van der Noot aus sei­nem Stuhl und schau­te auf die Be­su­cher. Die bei­den Er­mitt­le­rin­nen die In­ter­pol ge­schickt hat­te, ent­lock­ten ihm ein brei­tes Grin­sen. Kooi­man ver­such­te noch ihn mit ei­nem hef­ti­gen Kopf­schüt­teln da­von ab­zu­hal­ten die bei­den an­zu­gra­ben, aber Luuk war zu be­schäf­tigt, um dar­auf rea­gie­ren zu kön­nen. Do­lo­res und Leo­nie lös­ten bei ihm so­fort das Flirt­pro­gramm aus. Er reich­te ih­nen nach­ein­an­der die Hän­de und strahl­te über das gan­ze Ge­sicht.

»Ich wuss­te nicht, das uns In­ter­pol Su­per­mo­dels vor­bei­schickt die auch noch was im Kopf ha­ben«, schleim­te er die bei­den an.

Die Agen­tin­nen schau­ten sich pein­lich be­rührt an. Wäh­rend Leo­nie die Na­se rümpf­te, nahm sich Do­lo­res den Part­ner von Kooi­man vor, »Hal­ten sie sich zu­rück! Ihr Nah­kampf­sta­chel er­gibt ei­ne tol­le Tro­phäe auf un­se­rem Schieß­stand.«

Van der Noot trat so­fort einen Schritt zu­rück und warf einen ent­täusch­ten Blick zu sei­nem Kol­le­gen. Dann fing er an zu mau­len, »Die ha­ben ja Haa­re auf den Zäh­nen. Was sind das für Vö­gel?«

Das war Leo­nies Stich­wort und sie ex­plo­dier­te. »Ich bin die­je­ni­ge, die dir den Schwanz ab­schnei­det und an die Stirn ta­ckert, da­mit du aus­siehst wie ein schlapp­schwän­zi­ges Ein­horn, so ein Vo­gel bin ich!«, warf sie ihm an den Kopf.

Der Er­mitt­ler wur­de so­fort bleich. Er konn­te sich nicht vor­stel­len, dass ei­ne so klei­ne Per­son wie Mi­chaels Frau aus dem Steg­reif in die Luft geht. Vor­sich­tig ver­such­te er, in­stink­tiv einen ge­wis­sen Ab­stand zu ihr auf­zu­bau­en. Do­lo­res nahm ih­re Frau in den Arm, warf Mi­ke einen tie­fen Blick zu und zog sie aus dem Bü­ro. Die neues­te Er­mitt­le­rin wuss­te, dass es Zeit für ei­ne Zi­ga­ret­te wur­de, da­mit sich Leo­nie be­ru­hi­gen konn­te. Erst be­ti­tel­te man sie als As­sis­ten­tin, und di­rekt da­nach ver­sucht der nächs­te sie an­zu­bag­gern.

»Bra­vo«, lob­te Mi­ke die bei­den Be­am­ten. »Bis­her gab es noch nie­man­den, der es fer­tig ge­bracht hat die bei­den in Se­kun­den ge­gen sich auf­zu­brin­gen und noch am Le­ben zu sein. Wenn mein Kol­le­ge hier wä­re, wür­den sie be­reits die Ra­dies­chen von un­ten be­trach­ten. Er macht da kei­ne Ge­fan­ge­nen.«

Bei­de Be­am­ten fie­len so­fort auf ih­re Stüh­le. Mi­ke nahm sei­nen Lap­top aus der Ta­sche und setz­te sich auf einen Be­su­cher­stuhl, be­vor er frag­te, »Wol­len sie auf die bei­den war­ten, oder Dik­tie­ren sie mir ih­re Er­geb­nis­se noch vor ih­rem Tod?«

Gerard fing an zu be­rich­ten, was sie al­les ge­fun­den hat­ten, was Mi­ke aber be­reits be­kannt war. Erst als sie zu dem Be­such der an­ge­ge­be­nen Adres­se ka­men, wur­de er ak­tiv und be­gann sich No­ti­zen zu ma­chen. Die bei­den Kom­missa­re fan­den her­aus, dass der Stu­dent ih­re Lei­che war. Er war abends in ei­ner be­son­de­ren Bar von ei­ner rot­haa­ri­gen Frau an­ge­spro­chen wor­den und folg­te ihr hin­aus. Da­rauf­hin ver­lor sich die Spur, wo­hin sie ge­gan­gen wa­ren. Die Fo­tos der Über­wa­chungs­ka­me­ra zeig­ten die Frau zwar, wa­ren aber ziem­lich ver­pi­xelt. Die Auf­lö­sung und die schlech­ten Licht­ver­hält­nis­se in der Bar lie­ßen kei­ne bes­se­re Qua­li­tät zu. Sie ba­ten ih­re IT-Ab­tei­lung, die Bil­der zu be­ar­bei­ten, um ei­ne Spur zu fin­den. Mit den be­ar­bei­te­ten Bil­dern konn­te die Frau mit den rostro­ten Haa­ren aus dem Club Mys­ti­que als Roi­si­ne Kul­da iden­ti­fi­ziert wer­den. Sie be­frag­ten die Kell­ne­rin, die auf­grund ih­rer vie­len Tä­to­wie­run­gen aus­fin­dig ge­macht wer­den konn­te, nach dem Abend. Ih­re Erin­ne­run­gen wa­ren we­gen der lan­gen Zeit, die seit dem Tag ver­gan­gen wa­ren schon deut­lich ver­blasst. Sie er­in­ner­te sich nur noch, an den Na­men Rhoxy den sie ge­nannt hat­te, konn­te sich aber an wei­te­re Hin­wei­se nicht mehr er­in­nern.

Die Su­che nach be­sag­ter Roi­si­ne Kul­da ver­lief al­ler­dings im Sand. Sie war we­der in Ams­ter­dam ge­mel­det, noch ir­gend­wo in den Nie­der­lan­den. Wäh­rend der Fahn­dung nach ihr kon­zen­trier­ten sich die Er­mitt­ler dar­auf, her­aus­zu­fin­den, in wel­che Woh­nung die bei­den ver­schwun­den wa­ren. Sie ver­such­ten, an­hand der öf­fent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel einen ge­wis­sen Be­reich der Stadt ein­zu­gren­zen, bis ih­nen der Tür­ste­her des Clubs sag­te, das zu der spä­te­ren Uhr­zeit die meis­ten Gäs­te mit dem Ta­xi ver­schwin­den wür­den. Die Ta­xi­un­ter­neh­men der Haupt­stadt brach­ten sie al­ler­dings auch nicht wei­ter. Sie si­cher­ten den Er­mitt­lern ih­re Hil­fe zu, konn­ten aber we­der den Fah­rer, noch das Fahr­ziel an die­sem Abend aus­fin­dig ma­chen. Beim zu­stän­di­gen Rich­ter be­an­trag­ten sie ei­ne Ge­sichts­er­ken­nung über die Über­wa­chungs­ka­me­ras um die rot­haa­ri­ge Frau zu fin­den. Er ver­wies al­ler­dings dar­auf, dass sie in die­sem Fall nicht als Tä­te­rin an­ge­se­hen wer­den konn­te, son­dern nur als Zeu­gin und be­schied den An­trag ne­ga­tiv.

Mi­ke bat Gerard Kooi­man und Luuk van der Noot um die ver­bes­ser­ten Bil­der. Er brauch­te sich nicht um ei­ne Ge­neh­mi­gung ei­nes Rich­ters zu küm­mern. Al­les, was der Auf­klä­rung ei­nes Ver­bre­chens dien­lich war, durf­te er auch oh­ne rich­ter­li­che An­ord­nung. Van der Noot sen­de­te ihm nicht nur die Ori­gi­na­le, son­dern auch die ver­bes­ser­ten Fo­tos als die Tür ge­öff­net wur­de und die bei­den Agen­tin­nen zu­rück­kehr­ten. Nach der Zi­ga­ret­te war Leo­nie wie­der et­was ru­hi­ger. Sie stell­te sich hin­ter Mi­ke und Do­lo­res über­nahm das In­ter­view. Im­mer wäh­rend der Er­zäh­lun­gen der bei­den Be­am­ten stell­te sie klei­ne Zwi­schen­fra­gen und bat Mi­ke mehr­fach, et­was zu no­tie­ren. Als sie den Na­men der rot­haa­ri­gen Frau aus dem Club Mys­ti­que auf sei­nem Bild­schirm las, mach­te sie große Au­gen.

»Mi­ke, der Na­me Roi­si­ne könn­te aus Bel­gi­en oder Frank­reich stam­men«, sag­te sie nach­denk­lich. »Kannst du die Su­che auf Bel­gi­en aus­deh­nen, viel­leicht fin­den wir sie dort.«

Der Ha­cker schau­te ir­ri­tiert, tipp­te aber auf sei­ner Ta­sta­tur her­um und ant­wor­te­te, »Gu­ter Ein­wand mei­ne Lie­be. Ich wei­te die Su­che auf das nä­he­re Aus­land aus.«

Dann sah sich Do­lo­res die auf­ge­zeich­ne­ten In­for­ma­tio­nen et­was ge­nau­er an. Es dau­er­te nicht lan­ge, bis sie sich mit gleich meh­re­ren Fra­gen an die bei­den Be­am­ten wand­te, »Kom­men wir mal zu die­sem Club Mys­ti­que. Was ist das, wo ist das und was gibt es da in der Nä­he?«

Gerard Kooi­man rich­te­te sich auf sei­nem Ses­sel auf, at­me­te hör­bar tief durch und fing an zu er­klä­ren, »Der Club Mys­ti­que ist ei­ne Bar, die von mehr­heit­lich jün­ge­rem Pub­li­kum be­sucht wird, um dort Part­ner für vor­wie­gend ein­ma­li­ge se­xu­el­le Kon­tak­te zu knüp­fen.«

Leo­nie, die ihm auf­merk­sam zu­ge­hört hat­te, warf kurz einen Satz ein, »Al­so der Ort, an dem ihr Kol­le­ge nach Fei­er­abend zu fin­den ist, aber nicht mehr zum Schuss kommt, weil ihn kei­ne mit­neh­men will!«

»Sehr schön be­schrie­ben mein Schatz«, pflich­te­te ihr Do­lo­res bei. »Wo be­fin­det sich das hal­be Bor­dell und was ist da noch?«

Gerards Kol­le­ge wech­sel­te sei­ne Ge­sichts­far­be ins leicht röt­li­che und rutsch­te im­mer tiefer in sei­nen Stuhl, als er die Fra­ge be­ant­wor­te­te, »Der Club Mys­ti­que liegt im Dis­tel­dorp, ge­hört zum Stadt­be­reich Noord und bil­det mit meh­re­ren Clubs ein Ver­gnü­gungs­vier­tel in der Stadt­mit­te.«

»Mi­ke, kannst du mir kurz ei­ne Kar­te auf­ru­fen, da­mit ich mir das bes­ser vor­stel­len kann?«, frag­te sie ih­ren Kol­le­gen.

Der Ha­cker tipp­te kurz ei­ni­ge Be­feh­le in sei­nen Lap­top und dreh­te den Bild­schirm stumm zu ihr hin. Do­lo­res sah sich die auf­ge­ru­fe­ne Kar­te auf dem Mo­ni­tor an. Der Club Mys­ti­que war ex­tra blau hin­ter­legt wor­den, da­mit sie sich bes­ser ori­en­tie­ren konn­te. Sie schau­te ei­ni­ge Mi­nu­ten ganz ge­nau auf den Mo­ni­tor und fuhr mit dem Fin­ger die ein­ge­zeich­ne­ten Stra­ßen nach. Dann sag­te sie zu Mi­ke, »Ist das da ein Geld­au­to­mat?«, als sie auf einen klei­nen Punkt auf der Kar­te deu­te­te.

»Es sieht zu­min­dest da­nach aus«, ent­geg­ne­te Mi­ke.

Do­lo­res nick­te, »Kannst du her­aus­fin­den, ob der ei­ne Ka­me­ra hat? Er liegt ge­nau auf der an­de­ren Sei­te des Clubs, viel­leicht fin­den wir auf die­sen Auf­nah­men einen Hin­weis, wo­hin die ver­schwun­den sein könn­ten, oder auf das Ta­xi, das sie be­stie­gen ha­ben.«

Der Ha­cker mach­te sich so­fort an die Ar­beit, das zu über­prü­fen. Die bei­den Be­am­ten auf ih­ren Stüh­len konn­ten nur stau­nen, wie die Agen­tin vor­ging und wel­che Mög­lich­kei­ten sie hat­ten. Wäh­rend er noch such­te, wand­te sich Do­lo­res wie­der an Kooi­man, »Wis­sen wir wann die bei­den den Club Mys­ti­que ver­las­sen ha­ben?«

»So­weit wir er­mit­teln konn­ten zwi­schen 23 Uhr und Mit­ter­nacht«, sag­te Luuk vor­sich­tig.

Dann rief Mi­ke, »Es ist ein Geld­au­to­mat Dol­ly. Die ein­ge­bau­te Ka­me­ra macht al­le 30 Se­kun­den ein Fo­to.«

»Be­sorg uns die Bil­der für den Zeit­raum, der er­mit­telt wur­de. Dann durch­such uns die 120 Bil­der zu­erst nach Ta­xen und an­schlie­ßend nach sicht­ba­ren Be­su­chern der Bar«, gab Do­lo­res die An­wei­sung.

Mi­ke drück­te die Fin­ger durch und küm­mer­te sich dann dar­um, die Bil­der des Geld­au­to­ma­ten zu be­kom­men. Gera­de als er die ers­ten Bil­der auf sei­ner Fest­plat­te ge­spei­chert hat­te, mel­de­te sich im Hin­ter­grund die ge­st­ar­te­te Ge­sichts­er­ken­nung. So­fort wech­sel­te er die An­sicht und rief, »Ich hab sie! Du hat­test recht mit Bel­gi­en Dol­ly. Sie ist ge­mel­det in Wil­le­bro­ek, ei­ne klei­ne­re Stadt zwi­schen Ant­wer­pen und Brüs­sel.«

»Gib uns mal die Da­ten, was das für ei­ne ist«, bat sie ih­ren Kol­le­gen.

»32 Jah­re alt, ge­lern­te Kauf­frau für Bü­ro­kom­mu­ni­ka­ti­on, seit sechs Jah­ren ar­beits­los, aber kei­ne sicht­ba­re Ver­bin­dung ins kri­mi­nel­le Mi­lieu«, spul­te er ab.

Do­lo­res tipp­te sich mit dem Fin­ger an die Na­se und sprach nach­denk­lich, »Seit sechs Jah­ren oh­ne Ar­beit. Wie kommt die­se Frau in ei­ne Stadt, in der sie sich nicht mal ein Ho­tel­zim­mer leis­ten kann, um dort auf Män­ner­fang zu ge­hen? Dann sucht sie sich auch noch statt ei­nem un­ter­vö­gel­ten Kri­mi­nal­be­am­ten einen mit­tel­lo­sen Stu­den­ten aus.«

Die­se Spit­ze ge­gen Luuk van der Noot hat­te ge­ses­sen. Er wünsch­te sich, aus dem Bü­ro ver­schwin­den zu kön­nen, aber er war ein­ge­kes­selt. Mi­ke, und die hin­ter ihm ste­hen­de Leo­nie blo­ckier­ten die Sei­te und Do­lo­res die Ein­gangs­tür des klei­nen Raums. Statt­des­sen rutsch­te er auf sei­nem Schreib­tisch­ses­sel im­mer wei­ter nach un­ten. Man hat­te das Ge­fühl, er woll­te sich un­ter der Tisch­plat­te ver­ste­cken. Leo­nie jag­te ihm im­mer noch ge­hö­rig Angst ein und ließ ihn nicht aus den Au­gen. Dann mel­de­te sich der Ha­cker wie­der mit neu­en Er­kennt­nis­sen, »Der Geld­au­to­mat hat das Ta­xi mit den bei­den auf­ge­nom­men. Al­ler­dings ist dar­auf nicht viel zu er­ken­nen. Das, was man sieht, ist die ro­te Mäh­ne der Frau, aber mehr lei­der nicht.«

Leo­nie hin­ter ihm sah sich das ver­grö­ßer­te Bild ge­nau an und stups­te den Com­pu­ter­spe­zia­lis­ten auf die Schul­ter und frag­te, »Kannst du die­sen Aus­schnitt hier et­was grö­ßer be­kom­men?«

»Was er­war­test du, dar­auf zu se­hen Leo­nie?«, frag­te er über die Schul­ter.

»Wir se­hen den hin­te­ren Teil von der Sei­te. Hin­ten auf der Sei­te der Heck­schei­be ist der Auf­kle­ber mit der Ta­xi­num­mer auf­ge­klebt. Das Licht von der Stra­ßen­la­ter­ne wirft einen Schat­ten auf den Rück­sitz. Vi­el­leicht be­kom­men wir so her­aus, wel­ches Ta­xi das war und kön­nen in Er­fah­rung brin­gen, wo­hin sie ge­fah­ren sind«, klär­te sie ih­ren Kol­le­gen auf.

Do­lo­res lob­te ih­re Frau für die­sen Vor­schlag. Mi­ke ver­grö­ßer­te den an­ge­zeig­ten Be­reich und ließ ei­ni­ge Bild­ver­bes­se­rungs­pro­gram­me drü­ber lau­fen, um die Num­mer er­ken­nen zu kön­nen. Lei­der war die Bild­qua­li­tät so ge­ring, dass es fast un­mög­lich war, et­was zu se­hen. Zu­sam­men rät­sel­ten die bei­den dar­an, wel­che Ta­xi­num­mer dort zu er­ken­nen war. Punkt für Punkt schau­ten sie sich an, bis sie schließ­lich zwei mög­li­che Num­mern aus­ma­chen konn­ten.

»Ent­we­der ist es die 14 oder die 74. Genau kön­nen wir es nicht er­ken­nen, aber die­se bei­den Zah­len könn­ten es sein. Die Vier ist un­ver­kenn­bar, aber durch den blö­den Win­kel, den wir ha­ben lässt sich die an­de­re Zahl nicht ge­nau fest­le­gen. Ent­we­der ist es die Eins oder eben die sie­ben, die bei­de einen ähn­li­chen Schat­ten wer­fen«, er­klär­te Leo­nie.

Gerard Kooi­man be­dank­te sich für die­se In­for­ma­ti­on und no­tier­te sich die Num­mern auf ei­nem qua­dra­ti­schen Zet­tel. Die­sen reich­te er sei­nem Kol­le­gen und bat ihn, dem nach­zu­ge­hen. Er konn­te ge­nau er­ken­nen, dass er ver­such­te, sich so gut es ging zu ver­ste­cken, und er­öff­ne­te ihm so die Mög­lich­keit, das Bü­ro für ei­ne län­ge­re Zeit zu ver­las­sen. Luuk van der Noot über­nahm die­se Auf­ga­be sehr ger­ne. Als er sich von sei­nem Schreib­tisch er­hob, konn­te man ge­nau se­hen wie er ver­such­te, au­ßer­halb der Reich­wei­te von Leo­nie zu blei­ben und zur Tür zu kom­men.

Sie wa­ren in dem Bü­ro noch ei­ne gan­ze Wei­le be­schäf­tigt wei­te­res Licht ins Dun­kel zu brin­gen, ge­wan­nen al­ler­dings kei­ne grö­ße­ren Er­kennt­nis­se dar­aus. Luuk blieb den gan­zen Tag ver­schwun­den und mel­de­te sich nur noch te­le­fo­nisch bei sei­nem Kol­le­gen. Er be­such­te die ein­zel­nen Ta­xi­un­ter­neh­men in Ams­ter­dam, um et­was über den Fah­rer zu er­fah­ren, der die bei­den vom Club Mys­ti­que weg­ge­fah­ren hat­te. Wenn sie ei­ne ge­naue Adres­se fin­den könn­ten, wä­ren sie einen großen Schritt wei­ter ge­kom­men.

Spur der Todesengel

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