Читать книгу Der Heidekönig - Max Geißler - Страница 14
ОглавлениеEinsam macht das Gottgeschenk des Genies.
Matheis Maris erfuhr das schon in den Tagen der Jugend, in denen er anfing, die Natur abzubilden. Über der Hingabe an sein Werk ging er der menschlichen Gemeinsamkeit verloren. Alle Steige der Jugend verrasten zwischen ihm und den Mitmenschen. „Was ist das mit Matheis Maris?“ fragten die Leute. Und als sie die Sache prüften, da hatten sie kein anderes Mass als jenes, das ihnen ihre Durchschnittsart in die Hände gab. Darüber gelangten sie zu ihrer falschen Rechnung. Was für sie Wert hatte, taugte dem Matheis nicht. Und was für Matheis das Leben war, erachteten sie als ein müssig Spiel. Es war — wie im Gleichnis — kein Weg aus der Welt des einen in die Welt der anderen, Von Anfang an. — Die Geschichte mit Nele Greefs führte zu einem Verzicht, der in Matheis das Glück an seinem Talente nur noch erhöhte. Aber an dem Gebaren der anderen wurde ihm zum ersten Mal die Seele wund. Es war das in jener Zeit, von der gesagt worden ist: in ihr gehe das Licht an, nach dem der Mensch wandert sein Leben lang.
„Hör mal zu, Pieter Bosboom!“ sagte Matheis Maris eines Tages. Das klang herzfroh. Pieter Bosboom hatte den versonnenen Jungen nie so aufgeschlossen gesehen.
„Nun, Matheis Maris?“
„Ich werde die Geschichte vom Paradiese aufführen — freilich nur den ersten Teil.“
Pieter Bosboom — ein kluges Gesicht machte der nicht gerade zu diesem rätselhaften Vorhaben.
„Ja. Und nun hebe deine Augen auf, Pieter Bosboom! Da drüben liegt Eden! Keine halbe Wegstunde von hier. Und wo der Himmel die Heide küsst — das ist der Gartenzaun auf der anderen Seite. Pieter Bosboom, ich werde mir eine Hütte in der Mitte dieses Gartens erbauen und darin wohnen. Was meinst du zu diesem Einfall, Mensch?“
Sie redeten zwei Stunden lang darüber. Als Pieter dann mit seiner Arbeit fertig geworden, widmeten sie sich der Angelegenheit mit verdoppelter Hingebung.
Am anderen Morgen. Da rollte Matheis Maris Balken und Werkzeug mit dem Eselfuhrwerk Bosbooms über die Moorheide. Zwei Tage dauerte dies Geschäft. Dann baute er das Haus und ward fertig damit. Pieter Bosboom half ihm nach Feierabend und sagte: „Es ist fein. Nun kann die Geschichte des neuen Paradieses beginnen.“
Das Haus war noch viel kleiner als das der Flossy Maris. Es war nur so gross wie die Stube, in der Matheis mit seiner Mutter gelebt hatte. Das Balkenwerk der Wände bildete halbe Geviertmeter, in deren jeden ein Geflecht aus Heide gesetzt worden war, nach aussen mit Lehm verputzt. Ein Fenster, einen Laden vor dies Fenster und eine Tür, dazu einen kleinen Herd und eine Lampe am Draht — die daheim schon, wer weiss wie lange? ausser Dienst gewesen allesamt — nun hatten sie wieder einen Daseinszweck. Das Dach war zuverlässig aus Sparren gefügt und so dick mit Röhricht gedeckt, dass Matheis Maris, der Narr vor den Menschen, dem feindlichsten Winter darunter hervor sehr vergnügt ins Gesicht lachen konnte. Eine weisse Ziege hatte Flossy Maris ihrem Sohn als Aussteuer gegeben, und was das Mutterherz in seiner liebenden Sorge sonst noch entbehren wollte. Es war nicht zu wenig; denn Matheis brauchte zwei Tage zu diesem Umzug. Auf reichlich bevölkerte Kaninchenställe hatte er schon als Knabe Wert gelegt. An der einen Giebelseite des Hauses war die Tür, an der nach Norden das Fenster. Auch für die Ziege war ein Stall errichtet worden, und daneben noch ein Stadel zur Aufbewahrung von Futtervorräten.
Weil die Moorheide oder die Schirrkammer von Stijn Maris das. Baumaterial und das Häuschen von Frau Flossy die Inneneinrichtung geliefert hatten, forderte das neue Anwesen nicht den Aufwand eines einzigen Groschens. Und da der Staat um jene Zeit so abseitige Streifen im Heidemoor zur Besiedelung verschenkte, so würde im Ernstfalle wohl auch über den Grund und Boden einig zu werden sein — dachte Matheis Maris. So also einer von Rechts und Gesetzes wegen einen Einwand gegen seinen Aufenthalt hatte, konnte er sich ja melden.
Nun hatte freilich selbst Pieter Bosboom nicht einsehen wollen, dass diese Neudichtung der Geschichte vom Paradiese so unumgänglich nötig sei, wie Matheis Maris behauptete.
Dies überzeugend darzustellen, war das Schwierigste bei dem ganzen Unternehmen. Es gelang auch nicht. Pieter Bosboom behauptete nämlich: Matheis sei in seiner bisherigen Umgebung genau so einsam und unbeirrt in seinem Schaffen — ja, bei Lichte besehen sei dies in noch höherem Grade der Fall, da ihm Mutter Flossy eine Menge Sorgen um kleine Dinge abnehme, die da draussen nun seine Sache seien. Ordentlich beweglich wurde der hölzerne Mensch Matheis vor diesen Einwürfen. Er begann mit Armen und Beinen zu reden und mit gefährlichem Wurfe seines Kopfes, weil er nun auch in Pieter Bosboom die heillose Brettwand entdeckte — nein, nicht nur in Pieter, sondern auch in sich selbst! Er konnte da nicht hinüberrufen. Er fand die Worte nicht für das letzte, das unaussprechliche Bedürfnis der Künstlerseele, in ungeheurer Beseligung, Blumenhaftigkeit und Stille hineinzublühen in die Sonne, die — unsichtbar und unausstaunlich für andere —allein geschaffen ist von Gott für diese Seele. —
Danach fing Matheis Maris an zu wohnen — was am ersten Tage darin bestand, dass er eine Bank neben die Haustür zimmerte.
Er kam auch damit zustande. Dann fiel ihm ein, er sei Adam und Robinson in einer Person. Und er erkannte: der erste Mensch müsste in weit höherem Masse Robinson gewesen sein, als es ihm in der Schule dargestellt worden war. Also: der schöne weisse nackte spazierengehende Mensch Adam, für den der liebe Gott erst nach dem Sündenfalle die Arbeit erfand, war in dieser Aufmachung offenbar das Erzeugnis einer höchst gedankenlosen Überlieferung ...
So wurde das neue Paradies für Matheis Maris gleich vom ersten Tag an eine ungeahnt gedankenvolle Einrichtung. Zum Malen kam er darüber vorerst nicht; denn er fand, dass er für den Winter Futter aufstapeln und dazu noch ein schützendes Dach errichten müsse.
Danach aber lief alles in die Ordnung, die er seinem neuen Dasein gesetzt.
Das Haus lag an einer Erdwelle, die mit niederen Föhren bewachsen war und die rasenden Winde zerbrach. Nach Süden schaute er von der Bank neben der Tür — bis ins Herz Gottes könne er da sehen, dachte er! Diesem Gedanken sann er nach und verfiel darauf, dass dies Schauen ins Herz Gottes das Geheimnis beschlösse, um das seine junge Seele rang ... Ach, kein Wort ist ja imstande, die Weite zu malen und die Finsternis, durch die ein Mensch mit kümmerlicher Dorfschulweisheit zu wandern hat bis zu der Sonne, die ihm die Gnade Gottes gesetzt hat mitten ins Herz!