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III.6. Problematisierungen

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Die Aussage des Stückes scheint bis hierhin eindeutig. Die Sklaverei ist ein Herrschaftssystem, das den Opfern die Anerkennung ihrer Menschenwürde verweigert, sie entwürdigtEntwürdigung und deshalb abzuschaffen ist. Damit stellt KotzebueKotzebue, August von seinem Publikum auch eine Folie zur Verfügung, die sich auf das Problem der Leibeigenschaft und der Bauernbefreiung in seiner estnischen Wahlheimat übertragen lässt. Analysen, die sich den postcolonial studies verpflichtet fühlen, stellen die Radikalität der Kritik Kotzebues allerdings ernsthaft in Frage und problematisieren die entworfenen Schwarzen- und Weißenrollenbilder. Kotzebues Intention und die hohe affektive Potenz des Stücks werden zwar nicht bestritten; dennoch stellt etwa Susanne M. Zantop die Frage, ob Kotzebues Darstellung jene sozialen Strukturen, die sie anprangert, nicht indirekt zementiere.1 Bei genauerem Hinsehen entpuppe sich der Philanthrop William als Vertreter einer patriarchal organisierten GesellschaftGesellschaft, in der weiter Abhängigkeitsverhältnisse bestehen. Als die Sklaven William anflehen, ihr Herr zu werden, erwidert er: „Ich danke euch Kinder! ich will euer Schicksal zu erleichtern suchen“ (NS 65; m. H.). Und nachdem er Zameos FreiheitFreiheit erkauft hat, wirft sich ihm dieser zu Füßen mit den Worten:

Zameo. (umfaßt Williams Kniee) Wer durch Wohlthaten fesselt, der bedarf keiner Ketten. Du hast mich frey gelassen, und ich bin dein Sklave auf ewig; mit gebundenen Armen haͤtte ich entlaufen koͤnnen, aber du fesseltest mein Herz – ich weiche nimmer von dir! (NS 89)

Dass der freigelassene Sklave, der eine menschliche, liebevolle Behandlung erfahren hat, noch bessere Arbeit leistet, sei ein im 18. Jahrhundert weit verbreitetes Klischee.2 Der Sklave ist zwar rechtlich frei; als Arbeiter wird er aber immer noch ausgenutzt. Das suggeriert auch die Figur des verstorbenen Vaters der beiden Brüder. Die Sklaven verehrten ihn als idealen, menschlichen, mitfühlenden Herren, ja als Vater – trotzdem verdankt er natürlich der Sklaverei seinen Reichtum.3

Deshalb ist auch der alternative, melodramatische Schluss des Dramas hochproblematisch: Als William Ada (wie vorher bereits Zameo) freikauft, also durchaus einen Preis für einen Menschen bezahlt, bestätigt er indirekt – wenn auch gegen seine eigene Absicht – das bestehende System. Als einziges wirkliches Entkommen bliebe demnach das selbstbestimmte Sterben.

Nach Dieter Borchmeyer ist dieser alternative Schluss der Negersklaven ohnehin ein Paradebeispiel für das, was die Trivialliteratur künstlerischKunst, Künstler-ästhetisch zweifelhaft macht – und ihren Erfolg begründet. Indem sie „den Bedürfnissen der Leser nach einer Flucht aus den gesellschaftlichen Alltagsrealitäten entgegenkommt, dieses Bedürfnis durch Möglichkeiten der Harmonisierung im fiktionalen Bereich befriedigt und so zu einer Versöhnung mit dem bestehenden Gesellschaftszustand führt“, büßt sie ihr sozialkritisches, intellektuelles Potential, das in der ‚tragischen Version‘ ja zweifelsohne vorhanden ist, willentlich ein.4

Tatsächlich ist KotzebuesKotzebue, August von Drama nicht frei von aus moderner Perspektive schwer hinnehmbaren Klischees, Vorurteilen und Gemeinplätzen – etwa in Bezug auf die Beziehung von Mann und Frau oder das Verhältnis verschiedener Ethnien.5 Auch der entschärfte Schluss ist – wenn man ihm keine „ironisierende Funktion“ zugestehen will6 – angesichts des dramaturgischen Aufwands, den Kotzebue vorher betreibt, kaum akzeptabel. Diese offensichtlichen Defizite sollten jedoch nicht den Blick für das verstellen, was das Stück dann doch leistet: eine durchaus bemerkenswerte begriffliche wie ästhetische Auseinandersetzung mit der Menschenwürde.

KotzebuesKotzebue, August von Drama will wohl nicht radikal revolutionär sein und einen Aufstand oder Umsturz vorantreiben. Indem es aber sowohl an den Sklaverei- als auch an den Menschenwürdediskurs anknüpft, schafft es für beide ein öffentliches Bewusstsein.7

Literarische Dimensionen der Menschenwürde

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