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IV.2.2. Die naturrechtlich begründete Menschenwürde

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Heinz Müller-Dietz sieht das Hauptanliegen des Büchnerschen Gesamtwerkes in der Rettung und der Restitution der Menschenwürde und der MenschenrechteMenschenrechte aus naturrechtlicher Sicht.1 Der Hessische Landbote beziehe „um der Menschenrechte und -würde des ausgebeuteten und unterdrückten Volkes willen unmißverständlich gegen die herrschende Rechts- und Gesellschaftsordnung Stellung“2 und rufe zum Umsturz auf. Dieser Befund lässt sich präzisieren: Der naturrechtlich geprägte Menschenwürdebegriff wird im Text ex negativo entwickelt, durch den Nachweis, dass die naturrechtliche Idee eines die gleiche Würde aller Menschen garantierenden und respektierenden Staates in der Realität vollkommen pervertiert ist. Diesen Gedanken kleidet BüchnerBüchner, Georg in das Bild- und Sprachmaterial der Bibel: „GottGott [schuf] alle Menschen frei und gleich in ihren Rechten“ (MA 58), heißt es in der zweiten Hälfte des Textes.3 Doch die politisch-soziale Wirklichkeit sieht anders aus: „Ihr seid nichts, ihr habt nichts! Ihr seid rechtlos“ (MA 62). Solche auf das Provozieren von Empörung und Wut abzielenden Oppositionen werden häufiger verwendet: „Ihnen gebt ihr 6,000,000 fl. Abgaben; sie haben dafür die Mühe, euch zu regieren; d.h. sich von euch füttern zu lassen und euch eure Menschen- und Bürgerrechte zu rauben“ (MA 42 und 44; m. H.). Von gegenseitiger VerantwortungVerantwortung und Pflichterfüllung, wie sie in der rationalistischen Naturrechtlehre Pufendorfs aus der dem Menschenwürdebegriff zugeordneten socialitas folgen,4 kann also nicht die Rede sein. Insofern verhalten sich die Herrschenden, die die Würde ihrer Untergebenen nicht achten, selbst menschenunwürdig. Im kurzen staatstheoretischen Exkurs skizziert Büchner ein Ideal, das nur kurz darauf ironisch gebrochen wird: „Was ist denn nun das für ein gewaltiges Ding: der Staat? […] Der Staat also sind Alle; die Ordner im Staate sind die Gesetze, durch welche das Wohl Aller gesichert wird, und die aus dem Wohl Aller hervorgehen sollen“ (MA 42; Herv. i.O.).5 Die Bauern zahlen zwar horrende Steuern, um die Ordnung des Staates aufrecht zu erhalten, doch: „In Ordnung leben heißt hungern und geschunden werden“ (MA 42), die Gesetze garantieren also keineswegs die Sicherung unveräußerlicher Menschenrechte und ein menschenwürdiges Leben. Die deutschen Fürsten werden als gewalttätige, gar illegitime Obrigkeit gebrandmarkt: „Sie zertreten das Land und zerschlagen die Person des Elenden“ (MA 52). Dies ist sowohl ein Bibelzitat6 als auch ein Verweis auf den für den Menschenwürdediskurs einschlägigen Begriff der „Person“.7 Er beruht auf der AutonomieAutonomie des Vernunftmenschen; dass er hier im Kontext der politischen Partizipation durch Wahlen benutzt wird, entlarvt die Beeinträchtigung sowohl der SelbstbestimmungSelbstbestimmung des Einzelnen als auch seines Rechtes auf freie Meinungsäußerung durch politische Mitbestimmung als ein Mittel der Herrschaft und der Unterdrückung. FreiheitFreiheit wird präzisiert als Selbstbestimmung,8 als Recht auf freie Entscheidungen. Dies muss gegeben sein, um der Würde des Menschen Rechnung zu tragen.

Literarische Dimensionen der Menschenwürde

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